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Informationen zum Dokument  BGer 6B_167/2018  Materielle Begründung
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BGer 6B_167/2018 vom 05.03.2019
 
 
6B_167/2018
 
 
Urteil vom 5. März 2019
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Rolf W. Rüegg,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Einstellung (Strafbefehl; versuchte Widerhandlung gegen das Güterkontrollgesetz),
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 7. Dezember 2017 (SK.2017.27).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Ende Oktober/Anfang November 2016 veranlasste die A.________ AG den Versand eines bewilligungspflichtigen Gutes nach Norwegen ohne Exportbewilligung. Mit Strafbefehl vom 7. Februar 2017 verurteilte die Bundesanwaltschaft X.________ als Verantwortlichen der Absenderin wegen versuchter Widerhandlung gegen Art. 14 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 1996 über die Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter, besonderer militärischer Güter sowie strategischer Güter (Güterkontrollgesetz, GKG; SR 946.202) zu 15 Tagessätzen à Fr. 320.-- Geldstrafe bedingt und Fr. 800.-- Busse. Auf Einsprache von X.________ hin stellte das Bundesstrafgericht das Verfahren am 7. Dezember 2017 gestützt auf Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO i.V.m. Art. 52 StGB ein.
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B. Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Bundesanwaltschaft, X.________ sei gemäss Strafbefehl zu verurteilen und zu bestrafen. Eventualiter sei er schuldig zu sprechen, und es sei von einer Bestrafung abzusehen. Während X.________ die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, beantragt, verzichtet das Bundesstrafgericht auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, Art. 8 StPO erfasse nur die Strafverfolgung, nicht auch die in Art. 52-54 StGB darüber hinaus genannte Bestrafung. Die Bestimmung sei nur auf die Verfahrensabschnitte bis zur Anklageerhebung, mithin die Verfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden anwendbar, nicht aber auf die Beurteilung durch das Sachgericht nach der Anklageerhebung. Indem die Vorinstanz das Strafverfahren als im Hauptverfahren über die Anklage entscheidendes Sachgericht einstelle, verletze sie Bundesrecht.
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1.2. Die Rüge ist begründet. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung bildet Art. 8 Abs. 1 StPO keine Grundlage für die Einstellung des Verfahrens durch das Gericht nach der Anklageerhebung in den Anwendungsfällen von Art. 52 bis 54 StGB. Diese in BGE 135 IV 27 begründete Rechtsprechung gilt gemäss BGE 139 IV 220 E. 3.4 ebenso unter der StPO, wobei sich das Bundesgericht ausführlich auch mit der von der Vorinstanz zitierten, abweichenden Auffassung in der Lehre auseinandergesetzt hat. Dies muss ebenso gelten, wenn anstelle der Anklageerhebung ein dieser entsprechender Strafbefehl ergeht (Art. 356 Abs. 1 StPO; vgl. dazu Urteil 6B_983/2017 vom 20. März 2018 E. 1.1 f.). Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners ist auch die Bezeichnung des vorinstanzlichen Entscheids als Urteil oder Verfügung irrelevant. Entscheidend ist vielmehr der Verfahrensabschnitt.
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Die Beschwerde ist gutzuheissen. Aus prozessökonomischen Gründen ist auf die weitere Rüge der Verletzung von Art. 52 StGB einzugehen.
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Erwägung 2
 
2.1. Gemäss Art. 52 StGB sieht die zuständige Behörde von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab, wenn Schuld und Tatfolgen geringfügig sind. Die Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Es war nicht die Absicht des Gesetzgebers, bei Bagatellstraftaten generell auf eine strafrechtliche Sanktion zu verzichten. Eine Strafbefreiung kommt nur in Frage, wenn keinerlei Strafbedürfnis besteht. Auch bei einem Bagatelldelikt kann daher eine Strafbefreiung wegen Geringfügigkeit von Schuld und Tatfolgen nur angeordnet werden, wenn es sich von anderen Fällen mit geringem Verschulden und geringen Tatfolgen qualitativ unterscheidet. Das Verhalten des Täters muss im Quervergleich zu typischen unter dieselbe Gesetzesbestimmung fallenden Taten insgesamt - vom Verschulden wie von den Tatfolgen her - als unerheblich erscheinen, sodass die Strafbedürftigkeit offensichtlich fehlt. Die Behörde hat sich mithin am Regelfall der Straftat zu orientieren. Für die Anwendung der Bestimmung bleibt nur ein relativ eng begrenztes Feld (BGE 135 IV 130 E. 5.3.2 f.; Urteil 6B_410/2018 vom 20. Juni 2018 E. 5.4).
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2.2. Die Beschwerdeführerin rügt ebenfalls zu Recht, dass die Voraussetzungen von Art. 52 StGB nicht erfüllt sind. Wie die Vorinstanz selber ausführt, kannte der Beschwerdegegner die Bewilligungspflicht für den Export des versandten Gutes spätestens seit März 2016. Ferner hält sie fest, er habe seine Mitarbeiterinnen im Backoffice hierüber trotz entsprechender Verpflichtung weder genügend geschult, noch instruiert oder überwacht. Auch interne Compliancevorschriften oder Kontrollmechanismen zur Sicherstellung der Einhaltung der Gesetzgebung hätten nicht bestanden. Unter diesen Umständen erscheint äusserst fraglich, ob die Vorinstanz zu Recht bloss von Eventualvorsatz ausgeht. Entgegen ihrer Auffassung vermag es den Beschwerdegegner mit Blick auf Vorsatz und Verschulden nicht zu entlasten, dass sich die Backoffice-Mitarbeitenden wider besseren Wissens auf die bisherigen Vorgaben und die Praxis des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco gemäss alter Verordnung vom 3. Juni 2016 über die Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter, besonderer militärischer Güter sowie strategischer Güter (Güterkontrollverordnung, GKV; SR 946.202.1) verliessen und keine Bewilligung einholten. Anders als seine Mitarbeiter wusste der Beschwerdegegner um die Bewilligungspflicht. Es spricht daher auch nicht zu seinen Gunsten, dass noch im März 2016 eine Lieferung der Firma zwar gestoppt aber in der Folge ohne Bewilligung wieder frei gegeben worden war. Inwiefern das Verhalten des Seco angesichts der augenscheinlichen, dem Beschwerdegegner bekannten Rechts- oder Praxisänderung widersprüchlich sein und ihn entlasten soll, leuchtet nicht ein, verneint doch auch die Vorinstanz einen Rechts- oder Sachverhaltsirrtum nachvollziehbar. Ferner handelt es sich um kein Bagatelldelikt, da der inkriminierte Verstoss gemäss Art. 14 Abs. 1 lit. a GKG ein Vergehen darstellt, und die Firma des Beschwerdegegners gewerbsmässig Handel mit bewilligungspflichtigen Gütern treibt. Schliesslich liegt ein vollendeter Versuch vor, wohingegen weder ein freiwilliger Rücktritt oder tätige Reue noch ein positives Nachtatverhalten ersichtlich sind. Die Vorinstanz stellt im Gegenteil fest, dass der Beschwerdegegner keine Verantwortung für sein Handeln übernommen, sondern versucht hat, die Mitarbeitenden des Backoffices vorzuschieben, obwohl diese nicht einmal unterschriftsberechtigt waren. Von einem besonders leichten Fall mit offensichtlich fehlendem Strafbedürfnis kann keine Rede sein. Dass die Tatfolgen aufgrund der nachträglichen Bewilligungserteilung gering waren, genügt zur Strafbefreiung nicht (oben E. 2.1).
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3. Nach dem Gesagten ist die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdegegner die Verfahrenskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es besteht kein Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Bundesstrafgerichts vom 7. Dezember 2017 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an dieses zurückgewiesen.
 
2. Der Beschwerdegegner trägt die Gerichtskosten von Fr. 1'500.--.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 5. März 2019
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Matt
 
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