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Informationen zum Dokument  BGer 1C_305/2018  Materielle Begründung
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BGer 1C_305/2018 vom 28.02.2019
 
 
1C_305/2018
 
 
Urteil vom 28. Februar 2019
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Chaix, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Karlen,
 
Gerichtsschreiberin Gerber.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Dumitrescu,
 
gegen
 
Regierungsrat des Kantons Aargau,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Umweltschutzrecht (Kosten für Ersatzvornahme),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 24. Mai 2018 (WBE.2017.471 / sr / we (2017-001130)).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Die A.________ AG ist Eigentümerin der Parzelle Nr. xxx der Gemeinde U.________, auf der die B.________ AG eine galvanische Werkstätte betrieb. Über die B.________ AG wurde am 16. März 2015 der Konkurs eröffnet. Die Behandlungsbäder (Säure-, Lauge- und Cyanid-Bäder) blieben gefüllt in der Werkstatt stehen.
1
Am 23. Juni 2015 führte die Abteilung für Umwelt (AfU) des Aargauer Departements Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) in Anwesenheit der A.________ AG einen Augenschein durch und stellte fest, dass die Bäder eine Gefahr für die Umwelt und die sich in der Umgebung aufhaltenden Menschen darstellten. An der nachfolgenden Besprechung vom 30. Juni 2015 anerkannte die A.________ AG den Handlungsbedarf, teilte aber mit, dass sie die Entsorgung nicht selbst vornehmen wolle. Daraufhin ordnete die AfU mit Verfügung vom 6. Juli 2015 die ersatzweise Entsorgung der Chemikalien durch die Firma C.________ AG an und bevorschusste die Entsorgungskosten.
2
 
B.
 
Mit Verfügung vom 15. November 2016 stellte die AfU der A.________ AG die Entsorgungskosten von Fr. 126'528.70 in Rechnung.
3
Der Regierungsrat des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde am 27. September 2017 ab und beauftragte das BVU, nach Rechtskraft des Entscheids den aufgelaufenen Schadenszins zu berechnen und in einer ergänzenden Verfügung festzuhalten.
4
Die dagegen erhobene Beschwerde der A.________ AG wurde vom Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 24. Mai 2018 abgewiesen.
5
 
C.
 
Am 26. Juni 2018 hat die A.________ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht erhoben. Sie beantragt, das verwaltungsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht massnahmenpflichtig sei und die Kosten der Ersatzvornahme nicht zu tragen habe. Eventualiter sei das Verfahren zum Neuentscheid an das DBU, eventualiter an die Vorinstanz, zurückzuweisen.
6
 
D.
 
Die Staatskanzlei beantragt im Namen des Regierungsrats, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Verwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet und verweist auf die Erwägungen im angefochtenen Entscheid.
7
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) kommt in seiner Vernehmlassung zum Ergebnis, der angefochtene Entscheid sei konform mit dem Bundesumweltrecht.
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Die Beschwerdeführerin hält an ihren Anträgen und Vorbringen fest.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid des Verwaltungsgerichts steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG legitimiert, sich gegen ihre Inanspruchnahme für die Kosten der Ersatzvornahme zu wehren. Da alle übrigen Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist auf die Beschwerde einzutreten.
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2. Gemäss Art. 31b Abs. 1 USG werden Siedlungsabfälle, Abfälle aus dem öffentlichen Strassenunterhalt und der öffentlichen Abwasserreinigung sowie Abfälle, deren Inhaber nicht ermittelt werden kann oder zahlungsunfähig ist, von den Kantonen entsorgt. Die übrigen Abfälle muss der Inhaber entsorgen (Art. 31c Abs. 1 USG). Dieser trägt nach Art. 32 auch die Kosten der Entsorgung (Abs. 1). Kann der Inhaber nicht ermittelt werden oder kann er die Pflicht nach Absatz 1 wegen Zahlungsunfähigkeit nicht erfüllen, so tragen die Kantone die Kosten der Entsorgung (Abs. 2).
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Vorliegend ist unbestritten, dass es sich bei den entsorgten Chemikalien um Abfälle im Sinne von Art. 7 Abs. 6 USG handelte, deren Entsorgung im öffentlichen Interesse geboten war; auch die Angemessenheit der Entsorgungskosten wird von der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen. Sie macht indessen geltend, nicht sie, sondern die B.________ AG bzw. das Konkursamt sei Inhaberin der Abfälle i.S.v. Art. 31c Abs. 1 und Art. 32 Abs. 1 USG gewesen, weshalb nicht sie massnahme- und kostenpflichtig gewesen sei, sondern der Kanton (gemäss Art. 31b Abs. 1 und Art. 32 Abs. 2 USG). Zur Begründung macht sie geltend, sie habe die tatsächliche Herrschaft über die Abfälle vor dem Erlass der Verfügung der AfU vom 6. Juli 2015 nicht ausreichend lange inne gehabt (unten E. 3). Zudem habe sie dem Ablagern/Zwischenlagern von Abfällen auf ihrem Grundstück nie zugestimmt, weshalb ihre Inanspruchnahme dem Verursacherprinzip widerspreche (Art. 2 USG; vgl. unten E. 4).
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Erwägung 3
 
Nach ständiger Rechtsprechung ist Inhaber, wer die tatsächliche Herrschaft über eine Sache hat, die nach Art. 7 Abs. 6 USG als Abfall gilt. Die tatsächliche Herrschaft liegt im faktischen Vermögen, die Sache - ohne Rücksicht auf Recht oder Unrecht - zu verwenden, zu verändern, zu zerstören, zu behalten oder weiterzugeben (BGE 118 Ib 407 E. 3c S. 411; 119 Ib 492 E. 4b/cc S. 502). Nicht erforderlich ist, dass der Inhaber im zivilrechtlichen Sinn Eigentümer oder Besitzer der Abfälle ist (WAGNER PFEIFER, Umweltrecht, Besondere Regelungsbereiche, Zürich 2013, Rz. 533). Grundsätzlich spielt es auch keine Rolle, ob der Inhaber für die Entstehung der Abfälle verantwortlich ist (vgl. Urteil 1A.222/2005 vom 12. April 2006 E. 5.1 mit Hinweisen und E. 5.3, in: URP 2006 S. 730; RDAF 2007 I S. 499 zum Mieter als Inhaber von Abfällen, die vom früheren Grundstückseigentümer stammen; zu Ausnahmen vgl. unten E. 4.1).
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3.1. Die Vorinstanz hielt fest, zum massgeblichen Zeitpunkt der Verfügung der AfU vom 6. Juli 2015 habe die Beschwerdeführerin die tatsächliche Sachherrschaft über den Inhalt der Behandlungsbäder ausgeübt. Das Konkursamt habe ihr am 2. Juli 2015 den Schlüssel zur Betriebshalle geschickt, so dass sie über die in der Betriebshalle verbliebenen Chemikalien verfügen konnte, ohne dafür Rücksprache mit den Konkursamt oder der B.________ AG nehmen zu müssen.
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3.2. Die Beschwerdeführerin macht dagegen geltend, sie habe die tatsächliche Herrschaft über die Abfälle nicht lange genug innegehabt: Der Schlüssel zur Halle mit den Chemikalien sei ihr mit Schreiben des Konkursamts vom 2. Juli 2015 zugestellt worden, d.h. sie habe ihn frühestens am 3. Juli 2015 (Freitag) erhalten. Schon am 6. Juli 2015 (Montag) habe das AfU die Entsorgung verfügt. In dieser kurzen Zeitspanne, noch dazu am Wochenende, wäre es ihr unmöglich gewesen, die Abfälle tatsächlich zu beseitigen.
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3.3. Mit dieser Argumentation stellt sie indessen ihre tatsächliche Sachherrschaft zum Zeitpunkt der Verfügung der AfU nicht in Zweifel. Deren Dauer ist allenfalls für die Zulässigkeit der Ersatzvornahme relevant, d.h. für die Frage, ob die AfU die Beschwerdeführerin zunächst (unter Fristsetzung und Androhung der Ersatzvornahme) zur Entsorgung der Chemikalien in eigener Verantwortung hätte verpflichten müssen. Im vorliegenden Fall bestand jedoch Einigkeit über den dringlichen Handlungsbedarf. Nachdem sich die Beschwerdeführerin an der Besprechung vom 30. Juni 2015 geweigert hatte, die Entsorgung selbst vorzunehmen, durfte die AfU direkt die (antizipierte) Ersatzvornahme anordnen. Diesem Vorgehen stimmte die Beschwerdeführerin ausdrücklich zu (vgl. Notiz der Besprechung vom 30. Juni 2015).
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Erwägung 4
 
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, sie habe dem Ablagern/Zwischenlagern von Abfällen auf ihrem Grundstück nie zugestimmt. Die Kostenbelastung des "Inhabers" der Abfälle i.S.v. Art. 31c Abs. 1 und 32 Abs. 1 USG sei eine Ausprägung des Verursacherprinzips (Art. 2 USG) und dürfe deshalb nicht überdehnt werden, insbesondere mit Blick auf die Ausfallhaftung des Gemeinwesens gemäss Art. 31b Abs. 1 und 32 Abs. 2 USG. Wäre der Grundeigentümer stets (subsidiärer) Abfallinhaber, würde er (und nicht das Gemeinwesen) das Ausfallrisiko tragen. In der Literatur werde deshalb verlangt, dass der Grundeigentümer die Ablagerung von Abfällen auf seinem Grundstück aktiv ermöglicht oder ihr zumindest zugestimmt habe. Vorliegend habe die Beschwerdeführerin zwar gewusst, dass ihr Grundstück für den Betrieb einer galvanischen Werkstätte genutzt werde. Zu jenem Zeitpunkt aber seien die Behandlungsbäder keine Abfälle, sondern Betriebsmittel gewesen. Zu Abfällen seien sie erst mit dem Konkurs der B.________ AG bzw. dem Entscheid des Konkursamts geworden, den Betrieb nicht weiterzuführen und die Beheizung der Behandlungsbäder abzuschalten. Für diesen ordnungswidrigen Zustand seien allein die B.________ AG bzw. das Konkursamt und nicht die Beschwerdeführerin verantwortlich.
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4.1. Nach herrschender Lehre wird der Eigentümer, Pächter oder Mieter eines Grundstücks nicht zum Inhaber von Abfällen, die ohne sein Zutun von Dritten ordnungswidrig abgelagert bzw. stehengelassen werden (BRUNNER/TSCHANNEN, Kommentar USG, 2. Aufl. [Stand Mai 2000], Vorbem. zu Art. 30-32e N. 50; TSCHANNEN, Kommentar USG, 2. Aufl. [Stand Mai 2000], N. 14 zu Art. 31b [Stand Mai 2000]; BRUNNER, Kommentar USG, 2. Aufl. 1998 [Stand März 2001], Art. 32 N. 11 f. und N. 25; JANSEN, in: Commentaire LPE, Bern 2010, Art. 32 USG N. 10; FLÜCKIGER, Commentaire LPE, Art. 7 Abs. 6 USG N. 25). Vielmehr bleibe der Dritte, der sich der Sache ordnungswidrig entledigt habe, Abfallinhaber. Diese Eingrenzung des Inhaberbegriffs wird aus Art. 31b Abs. 1 und Art. 32 Abs. 2 USG abgeleitet, wonach die Kantone für Abfälle entsorgungs- bzw. kostenpflichtig sind, deren Inhaber nicht ermittelt werden kann oder zahlungsunfähig ist. Diese Bestimmung hätte keinen Anwendungsbereich, wenn anstelle des Dritten auf den Grundeigentümer zugegriffen werden könnte, mit der Begründung, dieser sei - wenn auch ohne eigenes Zutun - Inhaber der Abfälle geworden (BRUNNER, a.a.O. N. 12 in fine, TSCHANNEN, a.a.O. N. 14 in fine). Es liege am Gemeinwesen, in solchen Fällen an Stelle des nicht mehr greifbaren Pflichtigen zu treten und den polizeiwidrigen Zustand auf eigene Kosten zu beheben. Wer dagegen einer (Zwischen) Lagerung von Abfällen i.S.v. Art. 7 Abs. 6 USG (z.B. Altpneus oder Klärschlamm) auf seinem Grundstück zugestimmt habe, könne als Inhaber belangt werden, wenn der Ablagerer selber seine finanziellen Pflichten nicht erfüllen könne (BRUNNER, a.a.O., N. 11 in fine und N. 26 in fine).
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4.2. Vorliegend ging das Verwaltungsgericht davon aus, die Beschwerdeführerin sei gegen Entgelt einverstanden gewesen, dass auf ihrem Grundstück eine galvanische Werkstatt betrieben und die dafür benötigten Chemikalien eingesetzt würden. Es liege deshalb in ihrer Risikosphäre, wenn sich die Mieterschaft nicht an ihre vertragliche Pflicht zur Entsorgung der Chemikalien nach Ende der Mietdauer gehalten habe. Dass die Chemikalien erst mit Einstellung des Betriebs zu Abfall geworden seien, spiele keine Rolle, sondern entscheidend sei, dass die Stoffe nicht ohne Kenntnis und gegen den Willen der Beschwerdeführerin auf ihr Grundstück verbracht worden seien.
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4.3. Diese Auffassung vertritt auch das BAFU: Der vorliegende Fall sei mit den in der Literatur diskutierten Fällen der ordnungswidrigen Ablagerung durch Dritte von vornherein nicht vergleichbar, sei die Beschwerdeführerin doch nicht ohne Problemkenntnis und ohne wirtschaftlichen Vorteil in eine "Opferposition" geraten. Sie könne das Risiko der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung ihrer Mieterin, die Chemikalien vor Rückgabe des Mietobjekts zu entsorgen, nicht zu Lasten des Gemeinwesens "sozialisieren". Dies würde auch dem von der Beschwerdeführerin angerufenen Verursacherprinzip widersprechen.
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4.4. Die Argumentation der Vorinstanz und des BAFU überzeugen. Die Chemikalien wurden mit Wissen und Willen der Beschwerdeführerin, gegen Entgelt, auf deren Grundstück gelagert. Auch wenn es sich ursprünglich nicht um Abfälle i.S.v. Art. 7 Abs. 6 USG handelte, sondern um Betriebsmittel für die Galvanisierung, war von vornherein klar, dass die Chemikalien früher oder später - sei es nach ihrer Verwendung, sei es nach Aufgabe des Betriebs - als Abfälle entsorgt werden müssten, d.h. es sich um potenzielle bzw. künftige Abfälle handelte. Die Tatsache, dass die Entsorgung im Mietvertrag, d.h. im Innenverhältnis zwischen B.________ AG und Beschwerdeführerin, der B.________ AG oblag, kann die Beschwerdeführerin im Aussenverhältnis, gegenüber dem Gemeinwesen, nicht entlasten. Die Situation ist daher nicht mit denjenigen vergleichbar, in denen (i.d.R. unbekannte) Dritte Abfälle ohne Zutun der Eigentümerin auf einem Grundstück ablagern. Die Beschwerdeführerin hat vielmehr die Entstehung der Abfälle mitverursacht, weshalb ihre Inanspruchnahme auch mit dem Verursacherprinzip (Art. 2 USG) vereinbar ist.
21
 
Erwägung 5
 
Alle weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts - insbesondere zum Schadenszins - werden von der Beschwerdeführerin nicht beanstandet; diese stellt auch keine entsprechenden Eventualanträge.
22
 
Erwägung 6
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 BGG) und sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 68 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
 
4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Regierungsrat und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 3. Kammer, sowie dem Bundesamt für Umwelt schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. Februar 2019
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Chaix
 
Die Gerichtsschreiberin: Gerber
 
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