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Informationen zum Dokument  BGer 2C_139/2018  Materielle Begründung
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BGer 2C_139/2018 vom 15.02.2019
 
 
2C_139/2018
 
 
Urteil vom 15. Februar 2019
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd, Haag,
 
Gerichtsschreiber Errass.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Peyer,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 20. Dezember 2017 (VB.2017.00677).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (1995, Kosovare) ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Er verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Bislang ist er wiederholt straffällig geworden. Folgende Strafurteile sind gegen ihn ergangen:
1
- Verpflichtung zur Erbringung einer persönlichen Leistung von 90 Tagen wegen Angriffs, einfacher Körperverletzung, Hehlerei, mehrfachen - teilweise versuchten und geringfügigen - Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs und Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) gemäss Strafbefehl der Jugendanwaltschaft Limmattal Albis vom 26. Mai 2011;
2
- Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und Busse von Fr. 150.-- wegen mehrfachen - teilweise versuchten - Raubes, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, mehrfachen - teilweise versuchten - Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs, mehrfacher Entwendung eines Motorfahrzeuges zum Gebrauch und Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz vom 20. März 2009 (PBG) gemäss Urteil des Jugendgerichts Dietikon vom 20. Januar 2014;
3
- Bestrafung mit einer unbedingten Freiheitsstrafe von 27 Monaten und einer unbedingten Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je Fr. 10.-- als Gesamtstrafe wegen Nötigung, Raufhandels, Hinderung einer Amtshandlung und Diebstahls gemäss Urteil des Bezirksgerichts Dietikon vom 26. September 2016.
4
 
B.
 
Das Migrationsamt des Kantons Zürich hatte am 12. Juni 2014 A.________ ausländerrechtlich verwarnt. Aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 27 Monaten widerrief es am 2. März 2017 die Niederlassungsbewilligung von A.________. Den Rekurs dagegen wies die Sicherheitsdirektion ab. Auch die daran anschliessende Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich war erfolglos (20. Dezember 2017).
5
 
C.
 
Vor Bundesgericht beantragt A.________, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. Dezember 2017 aufzuheben, vom Widerruf der Niederlassungsbewilligung abzusehen, eventuell die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Das Verwaltungsgericht beantragt ohne Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde. Die Sicherheitsdirektion und das Migrationsamt des Kantons Zürich äussern sich nicht dazu. Das Migrationsamt reicht indes weitere Unterlagen ein.
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Der Abteilungspräsident legte der Beschwerde am 14. Februar 2018 aufschiebende Wirkung bei.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gegen den Widerruf von Niederlassungsbewilligungen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen (Art. 42 Abs. 1, 2, Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG) sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
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1.2. Die Eingaben des Migrationsamtes werden nicht berücksichtigt. Sie sind echte Noven, d.h. nach dem Datum des vorinstanzlichen Entscheids entstandene Tatsachen oder Beweismittel, welche vor Bundesgericht unzulässig sind (BGE 139 II 120 E. 3.1.2 S. 123).
10
 
Erwägung 2
 
2.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer die Widerrufsgründe nach Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b und Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG (SR 142.20; bis zum 1. Januar 2019: AuG [AS 2007 5437]) erfüllt hat.
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2.2. Jede aufenthaltsbeendende Massnahme muss verhältnismässig sein (Art. 96 AIG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK; BGE 135 II 377 E. 4.3 S. 381). Dabei sind die individuellen Interessen an der Erteilung bzw. am Erhalt des Anwesenheitsrechts und die öffentlichen Interessen an dessen Verweigerung sorgfältig gegeneinander abzuwägen (vgl. BGE 139 I 330 E. 2.2 S. 336). Zu berücksichtigen sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie allgemein die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; 135 II 377 E. 4.3 S. 381 f.); von Bedeutung ist zudem die Qualität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gast- wie zum Heimatstaat (vgl. das Urteil des EGMR Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit hier aufhält, soll zwar nur mit besonderer Zurückhaltung widerrufen werden, doch ist dies bei wiederholter bzw. schwerer Straffälligkeit selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn er hier geboren ist und sein ganzes bisheriges Leben im Land verbracht hat (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19 mit Hinweisen). Bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz besteht - überwiegende private oder familiäre Bindungen vorbehalten - auch in diesen Fällen ein schutzwürdiges öffentliches Interesse daran, die Anwesenheit des Ausländers zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. Verhütung von (weiteren) Straftaten zu beenden (vgl. BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19). Bei schweren Straftaten muss zum Schutz der Öffentlichkeit ausländerrechtlich selbst ein geringes Restrisiko weiterer Beeinträchtigungen wesentlicher Rechtsgüter nicht in Kauf genommen werden (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19 f.). Auch wenn das Bundesgericht bislang noch nicht explizit den Begriff der schweren Straftat umschrieben hat, hat es doch in einer Reihe von Entscheiden gewisse Delikte als solche bezeichnet (siehe z.B. BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; Urteil 2C_361/2014 vom 22. Oktober 2015 E. 4.2).
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2.3. Ausgangspunkt für die Beurteilung des migrationsrechtlichen Verschuldens ist die vom Strafgericht ausgesprochene Sanktion und seine Einschätzung der Schwere der Tat.
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2.3.1. Der Beschwerdeführer ist mit Urteil vom 26. September 2016 zu 27 Monaten Freiheitsentzug verurteilt worden. Er wurde wegen Nötigung nach Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, Raufhandels nach Art. 133 Abs. 1 StGB, Hinderung einer Amtshandlung nach Art. 286 und Diebstahls nach Art. 139 Ziff. 1 StGB verurteilt. Die genannten Verurteilungen betreffen keine strafbare Handlung nach dem hier noch nicht anwendbaren Art. 66a StGB. Der Versuch, mit einem Komplizen einen Kokainhändler unter Gewaltandrohung auszunehmen, konnte nicht als vollenderter Raubversuch, sondern nur als Nötigung qualifiziert werden, weil an illegalen Betäubungsmitteln kein zivilrechtliches Eigentum begründet werden könne. Insofern liegt keine Verurteilung wegen Raubes vor. Mit der Verurteilung vom 20. Januar 2014 u.a. wegen mehrfachen, teilweise versuchten Raubes, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls sowie mehrfachen, teilweise versuchten Diebstahls hat der Beschwerdeführer Anlasstaten i.S. von Art. 66a StGB begangen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass er diese, für welche er im Jahre 2014 verurteilt wurde, teilweise als Jugendlicher begangen hatte (vgl. BGE 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20).
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2.3.2. Der Strafrichter hat im Urteil von 2016 in Bezug auf das Verschulden folgendes festgehalten: beim Diebstahl stellte das Strafurteil leichtes Verschulden, bei der Nötigung erhebliches und beim Raufhandel nicht mehr leichtes Verschulden fest. Die Ausführungen des Strafurteils zum Raufhandel bestätigen, was bereits das Urteil von 2014 konstatierte: Hier wie damals ist eine besondere kriminelle Energie des Beschwerdeführers auszumachen. So hat er beim Raufhandel seine Uhr als Schlagring und eine Krücke einer Drittperson als Schlaginstrument benutzt, mit welcher er so intensiv auf den Kopf des Opfers einschlug, dass sich die Aluminiumrohre verbogen hatten; Ziel seiner Schläge war der Kopf des Opfers. Auch wenn die strafbare Handlung im Jahre 2016 wegen der fehlenden rechtlichen Möglichkeit, Eigentum zu begründen, nicht zu einer Veurteilung wegen Raubes führte, bleibt der Unrechtsgehalt bestehen - wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat. Im Urteil von 2014 hat der Strafrichter beim Hausfriedensbruch, den der Beschwerdeführer als Erwachsener verübt hatte und welcher für das Strafmass primär ausschlaggebend gewesen war, das Verschulden als sehr leicht beurteilt. Die Gesamtstrafe von einem Jahr resultierte unter Berücksichtigung weiterer strafbarer Handlungen schliesslich wegen der Verletzung von hochwertigen Rechtsgütern (Eigentum, körperliche Integrität, Hausrecht, öffentliche Gewalt), seiner tragenden Rolle bei den Ausführungen, der wiederholten Begehung, der Gewaltanwendung und der unzähligen nicht zu verharmlosenden Sachbeschädigungen. Der Strafrichter konstatierte eine
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2.3.3. Als privates Interesse fällt vor allem ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer hier geboren wurde und seitdem in der Schweiz lebt. Ansonsten tragen seine weiteren privaten Interessen nicht zur Erhöhung des Gewichtes bei: Er ist kinderlos und ledig. Beruflich ist er kaum integriert. Er hat keine berufliche Ausbildung absolviert, war während längerer Zeit arbeitslos und arbeitet (e) nur sporadisch. Er ist nicht fürsorgeabhängig, hat aber beim Obergericht eine Schuld von Fr. 50'000.--, was das Gewicht des privaten Interesses vermindert. Auch seine Eltern und sein Bruder leben hier. Das Gewicht des privaten Interesses wiegt insgesamt nicht besonders schwer.
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Der Beschwerdeführer bringt vor, dass er sich künftig deliktsfrei verhalten werde. Er habe sich u.a. von seinen ehemaligen Freunden getrennt und arbeite nunmehr. Allerdings ist mit der Vorinstanz einig zu gehen, dass der Zeitraum seit Entlassung aus dem Strafvollzug vom 13. Januar 2017 zum einen zu kurz ist und der Beschwerdeführer zum anderen engmaschig begleitet wurde, weshalb eine sachlich korrekte Aussage, ob er sich in Zukunft positiv verhalten werde, nicht möglich ist. Hier lässt sich somit (noch) nichts zu seinen Gunsten anführen.
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Der Beschwerdeführer führt sodann aus, dass eine Rückkehr in den Kosovo eine unzumutbare Härte darstellen würde. Es wäre im Übrigen keine Rückkehr in sein Heimatland, sondern ein Wegzug von seiner Heimat in ein fremdes Land. Zwar kenne er die albanische Sprache, könne sie aber nicht schreiben. Zu seinem Onkel (Bruder seines Vaters) habe er keinen Kontakt, er kenne diese Familie kaum. Seine Ferien hätte er in Albanien und nicht im Kosovo verbracht. Mit den Verhältnissen im Kosovo, mit den dortigen Mentalitäten, den kulturellen Gepflogenheiten sowie mit dem Arbeitsmarkt sei er nicht vertraut.
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Der Beschwerdeführer ist in einem kosovarischen Haushalt aufgewachsen. Insofern sind ihm die sozio-kulturellen Gegebenheiten bekannt. Zwar ändern sich diese im Laufe der Zeit, doch kann er mit seinen bisherigen Kenntnissen und Erfahrungen an die Veränderungen anknüpfen. Zudem dürfte sich mit einem Wohnortswechsel auch der heutige lose Kontakt zu seinem Onkel im Kosovo intensivieren. Wie er ausführt, spricht er die albanische Sprache. Er könne diese aber nicht schreiben. Albanisch gehört zur indogermanischen Sprachfamilie. Das Alphabet besteht aus 36 lateinischen Buchstaben (einschliesslich einer Anzahl von zwei Buchstaben, die für eine Lautung stehen). Da die albanische Sprache grundsätzlich phonetisch geschrieben wird, kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer, der ein guter Schüler war (Art. 105 Abs. 2 BGG), diese nach einigen Anfangsschwierigkeiten beherrschen wird. Insgesamt verfügt der Beschwerdeführer über einige Berührungspunkte zu seinem Kulturkreis. Dem Beschwerdeführer fehlt - entgegen seinen Ausführungen - auch sprachlich nicht jegliche Verbindung zu seinem Heimatstaat. Insofern ist eine Rückkehr in sein Heimatland nicht unzumutbar.
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2.3.4. Auch wenn eine Rückkehr in sein Heimatland mit einer grossen Härte verbunden ist, vermag der Beschwerdeführer keine derart gewichtigen privaten Interessen anzuführen, welche die aufgrund seiner fortlaufenden und gewichtigen Delinquenz erheblichen sicherheitspolitischen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts zu überwiegen vermöchten.
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2.4. Der Beschwerdeführer beantragt, vom Widerruf und der Wegweisung abzusehen und stattdessen eine Verwarnung auszusprechen, sollten seine Argumente nicht erfolgreich sein. Der Beschwerdeführer ist bereits und zwar erst 2014 ausländerrechtlich verwarnt worden. Diese Verwarnung und auch die Verurteilungen von 2011 und 2014 haben den Beschwerdeführer nicht veranlasst, sich deliktsfrei zu verhalten. Warum dies nun anders sein sollte, ist nicht ersichtlich.
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Erwägung 3
 
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen werden nicht zugesprochen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
22
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 2. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 15. Februar 2019
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Errass
 
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