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Informationen zum Dokument  BGer 9C_313/2018  Materielle Begründung
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BGer 9C_313/2018 vom 24.01.2019
 
 
9C_313/2018
 
 
Urteil vom 24. Januar 2019
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Zogg,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
 
vom 13. März 2018 (IV 2016/302).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die im Januar 1999 geborene A.________ erlitt am 27. Juli 2014 bei einem Unfall eine schwere Kopfverletzung, die eine längere stationäre Behandlung und Rehabilitation nach sich zog. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen sprach ihr deswegen verschiedene Hilfsmittel und mit Verfügung vom 7. März 2016 eine Entschädigung für schwere Hilflosigkeit samt Intensivpflegezuschlag für einen Betreuungsaufwand von mindestens vier Stunden für die Zeit vom 1. Juli 2015 bis zum 31. Januar 2017 (Revision) zu (unter Vorbehalt des Aufenthalts zu Hause).
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Im Mai 2016 ersuchten die Eltern der A.________ für diese um einen Assistenzbeitrag. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens, aber ohne Abklärung des Hilfebedarfs, verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. Juli 2016 einen Anspruch auf Assistenzbeitrag. Zur Begründung führte sie an, dass die Voraussetzungen von Art. 39a IVV (SR 831.201) nicht erfüllt seien; insbesondere betrage der tägliche Mehraufwand an Betreuung weniger als sechs Stunden und besuche die Versicherte keine öffentliche Schule.
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B. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 13. März 2018 teilweise gut. Es hob die Verfügung vom 7. Juli 2016 auf und wies die Sache zur weiteren Abklärung und anschliessenden neuen Verfügung im Sinne der Erwägungen an die IV-Stelle zurück.
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C. Die IV-Stelle beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, der Entscheid vom 13. März 2018 sei aufzuheben und die Verfügung vom 7. Juli 2016 sei zu bestätigen. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
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Das kantonale Gericht und A.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherungen auf deren Gutheissung.
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Erwägungen:
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1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 139 V 42 E. 1 S. 44 mit Hinweisen).
7
 
2.
 
2.1. Nach Art. 39a IVV haben minderjährige Versicherte Anspruch auf einen Assistenzbeitrag, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 42quater Abs. 1 lit. a und b IVG erfüllen und (a) regelmässig die obligatorische Schule in einer Regelklasse besuchen, eine Berufsausbildung auf dem regulären Arbeitsmarkt oder eine andere Ausbildung auf Sekundarstufe II absolvieren, (b) während mindestens 10 Stunden pro Woche eine Erwerbstätigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt ausüben, oder (c) denen ein Intensivpflegezuschlag für einen Pflege- und Überwachungsbedarf nach Artikel 42ter Absatz 3 IVG von mindestens 6 Stunden pro Tag ausgerichtet wird.
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Das kantonale Gericht ist der Auffassung, dass die Voraussetzung von Art. 39a lit. c IVV eine Art sozial motiviertes "Entgegenkommen" darstelle, das im gesetzlichen Auftrag zur Definition der "assistenzbeitragsrechtlichen Handlungsfähigkeit" von Minderjährigen (vgl. Art. 42quater Abs. 3 IVG) nicht enthalten gewesen sei. Art. 39a lit. c IVV sei daher gesetzeswidrig. Folglich sei irrelevant, wie hoch der für den Intensivpflegezuschlag massgebende tägliche Mehraufwand gewesen sei. Aber auch wenn die Bestimmung grundsätzlich als gesetzmässig erachtet würde, werde mit dem Grenzwert des Mehraufwandes von sechs Stunden das Gleichbehandlungsgebot verletzt, weshalb sie sämtlichen Bezügern eines Intensivpflegezuschlags einen Anspruch auf Assistenzbeitrag verschaffen müsste. Wenn - wie hier - keines der Kriterien von Art. 39a lit. a und b IVV erfüllt sei, stelle sich (die weiteren Anspruchsvoraussetzungen vorbehalten) im Sinne eines "Auffangkriteriums" nur die Frage, ob die versicherte Person assistenzbeitragsrechtlich mindestens ebenso "handlungsfähig" wie ein Erstklässler sei. Dies treffe in concreto zu. Folglich hat es die Sache zur Ermittlung der Höhe des Assistenzbeitrags an die Verwaltung zurückgewiesen.
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2.2. Damit hat die Vorinstanz lediglich vorgegeben, dass der umstrittene Anspruch nicht (allein) gestützt auf Art. 39a IVV verneint werden könne. Der IV-Stelle verbleibt daher - entgegen ihrer Darstellung - für ihre Beurteilung noch ein erheblicher Entscheidungsspielraum (vgl. insbesondere Art. 42sexies ff. IVG sowie Art. 39c und Art. 39e-39g IVV). Somit handelt es sich beim angefochtenen Entscheid um einen Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG (vgl. BGE 140 V 282 E. 4.2 S. 286).
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Danach ist die Beschwerde nur zulässig, wenn (a) der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann, oder (b) wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
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2.3. Diese Rechtsmittelvoraussetzungen werden in der Beschwerde mit keinem Wort thematisiert (vgl. Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. auch Urteil 4A_340/2018 vom 10. September 2018 E. 1.2, zur Publikation vorgesehen; SVR 2012 AHV Nr. 15 S. 55, 9C_171/2012 E. 3.3; PETRA FLEISCHANDERL, Die Anfechtbarkeit von Vor- und Zwischenentscheiden gemäss Art. 92 f. BGG, insbesondere im Sozialversicherungsrecht, SZS 2013 S. 334). Dass sie erfüllt sein sollen, ist denn auch nicht ersichtlich, wie sich aus dem Folgenden ergibt. Selbst wenn die Verwaltung infolge des vorinstanzlichen Entscheids gezwungen wäre, einen Anspruch auf Assistenzbeitrag ab Mai 2016 (vgl. Art. 42septies Abs. 1 IVG) im Grundsatz zu bejahen (vgl. Art. 39g Abs. 1 IVV) und in diesem Sinn eine ihres Erachtens rechtswidrige Verfügung zu erlassen (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.), würde ihr daraus kein nicht wieder gutzumachender Nachteil resultieren: Die Versicherte legt in ihrer Beschwerdeantwort dar, dass sie schon seit geraumer Zeit "eine Assistenz einstellen möchte", und in den Unterlagen findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass sie bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit (im Januar 2017) tatsächlich eine Assistenzperson im Sinne von Art. 42quinquies IVG beschäftigte. Folglich scheint eine Leistungspflicht im Zusammenhang mit der vorinstanzlichen Beurteilung von Art. 39a IVV ausgeschlossen, denn einerseits besteht Anspruch auf Assistenzbeitrag nur für Hilfeleistungen, die innert zwölf Monaten nach deren Erbringen gemeldet werden (vgl. Art. 42septies Abs. 2 IVG und Art. 39i IVV), und anderseits setzt auch der auf Art. 39b lit. d IVV gestützte Anspruch einer volljährigen Versicherten mit eingeschränkter Handlungsfähigkeit den tatsächlichen Leistungsbezug als Minderjährige nach Art. 39a lit. c IVV voraus (Urteil 9C_753/2016 vom 3. April 2017 E. 5). Sodann könnte zwar mit der Beschwerdegutheissung sofort ein Endentscheid herbeigeführt werden, von der Ersparnis eines bedeutenden Aufwandes für ein weitläufiges Beweisverfahren (vgl. zur Abklärung des Assistenzbedarfs BGE 140 V 543 E. 3.2.1 S. 546 f.) kann indessen nicht gesprochen werden (vgl. Urteile 9C_560/2018 vom 30. November 2018 E. 1.5; 8C_896/2017 vom 27. April 2018 E. 3.3; SVR 2011 IV Nr. 57, 8C_958/2010 E. 3.3.2.2 betreffend die Einholung eines medizinischen Gutachtens).
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2.4. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde unzulässig.
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3. Mit diesem Urteil wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.
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4. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die anwaltlich vertretene Beschwerdegegnerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'400.- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 24. Januar 2019
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Pfiffner
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann
 
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