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Informationen zum Dokument  BGer 2C_997/2016  Materielle Begründung
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BGer 2C_997/2016 vom 10.11.2016
 
{T 0/2}
 
2C_997/2016
 
 
Urteil vom 10. November 2016
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Gerichtsschreiber Kocher.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Steuerverwaltung des Kantons Basel-Landschaft.
 
Gegenstand
 
Staats- und Gemeindesteuer des Kantons Basel-Landschaft, Vermögenssteuer 2013,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
 
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht,
 
vom 10. August 2016.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Nach § 47 Abs. 1 des Gesetzes (des Kantons Basel-Landschaft) vom 7. Februar 1974 über die Staats- und Gemeindesteuern (StG/BL; SGS 331) unterlagen 
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1.2. Mit Urteil 2C_337/2011 vom 1. Mai 2012 (= BGE 138 II 311) hielt das Bundesgericht in einem den Kanton Zürich betreffenden Fall fest, die dort geübte Praxis, das Rentenstammrecht rückkaufsfähiger Leibrenten während der Dauer der Laufzeit von der Vermögenssteuer auszunehmen, widerspreche den harmonisierungsrechtlichen Vorgaben (insbesondere Art. 13 f. StHG). Richtigerweise sei das jeweilige Rentenstammrecht seitens des Rentengläubigers durchwegs mit der Vermögenssteuer zu erfassen, also 
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1.3. In der Folge revidierte der Landrat des Kantons Basel-Landschaft am 25. April 2013 den bisherigen § 47 StG/BL. Seither lautet Abs. 1 folgendermassen: "Kapital- und Rentenversicherungen unterliegen der Vermögenssteuer mit ihrem jeweiligen Rückkaufswert"; Abs. 2 wurde ersatzlos aufgehoben. Die Änderung trat rückwirkend auf den 1. Januar 2013 in Kraft (GS 38 209) und sah kein Übergangsrecht vor.
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1.4. Am 16. Oktober 2014 veranlagte die KSTV/BL die Eheleute A.A.________ und B.A.________ geb. C.________ (nachfolgend: die Steuerpflichtigen) für das Jahr 2013. Abweichend von den Vorjahren, erfasste sie auch den Rückkaufswert der Rentenversicherungen, welche die Steuerpflichtigen zwischen 1998 und 2010 abgeschlossen hatten und die nunmehr zu Rentenleistungen führten. Die Summe aller Rückkaufswerte belief sich per Ende 2013 auf Fr. 820'390.--. Die Steuerpflichtigen erhoben erfolglos Einsprache (Entscheid der KSTV/BL vom 7. April 2015) und Rekurs (Entscheid des Steuer- und Enteignungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 25. April 2015). Das Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, wies die Beschwerde der Steuerpflichtigen mit Entscheid 810 15 361 vom 10. August 2016 ab.
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1.5. Mit Eingabe vom 26. Oktober 2016 erheben die Steuerpflichtigen beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Sie ersuchen um Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Der Abteilungspräsident als Instruktionsrichter (Art. 32 Abs. 1 BGG) hat von Instruktionsmassnahmen abgesehen.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Voraussetzungen der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sind erfüllt (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG [SR 173.110] i. V. m. Art. 73 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [StHG; SR 642.14]). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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2.2. Beschlägt die aufgeworfene Rechtsfrage den Bereich des harmonisierten Steuerrechts (StHG) und entspricht die streitbetroffene kantonale Steuernorm der harmonisierungsrechtlichen Vorgabe, so prüft das Bundesgericht die Rechtsfrage von Amtes wegen (Art. 106 Abs. 1 BGG) und mit voller Kognition (Art. 95 lit. a BGG). Ist die kantonale Steuerrechtsnorm derart durch das Harmonisierungsrecht abgedeckt ("immunisiert"), entfällt folglich die Möglichkeit einer bundesgerichtlichen Normenkontrolle (Art. 190 BV; BGE 136 I 49 E. 3.2 S. 55 [hauptfrageweise] bzw. 136 I 65 E. 3.3 S. 71 [vorfrageweise], je zum Teilbesteuerungsverfahren; 131 II 710 E. 5.4 S. 721 [Einelterntarif]; zum Ganzen Urteil 2C_770/2016 / 2C_771/2016 vom 26. September 2016 E. 3.2.3 mit Hinweisen, in: ASA 85 S. 222).
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2.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 155 E. 4.4.3 S.156).
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Erwägung 3
 
3.1. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 105 Abs. 1 BGG) liegen Versicherungsverhältnisse vor, die unstreitig unter die rückkaufsfähigen Leibrentenverträge fallen (zu Begriff und Funktionsweise insbesondere Urteil 2C_711/2012 vom 20. Dezember 2012 E. 3, in: RDAF 2013 II 366, StE 2013 B 26.21 Nr. 7, StR 68/2013 S. 384). Aus den Umständen und der Korrespondenz (Art. 105 Abs. 2 BGG) ergibt sich sodann, dass der Rentenlauf bereits eingesetzt hat. Streitig und zu prüfen ist die Frage nach der zutreffenden vermögenssteuerlichen Erfassung des Rentenstammrechts. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage des harmonisierten Steuerrechts von Kantonen und Gemeinden, die mit freier Kognition und von Amtes wegen anzugehen ist (vorne E. 2.2).
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3.2. Im zitierten Urteil 2C_337/2011 vom 1. Mai 2012 (= BGE 138 II 311) hat das Bundesgericht die aufgeworfene Rechtsfrage abschliessend erörtert (vorne E. 1.2). Dem ist nichts beizufügen. Anders als die Steuerpflichtigen annehmen, handelt es sich dabei um die Klärung einer harmonisierungsrechtlichen Frage, die für alle Kantone in gleicher Weise verbindlich ist. Dies ergibt sich aus Art. 13 f. StHG, der hinsichtlich derartiger Versicherungen keinen kantonalen Gestaltungsspielraum zulässt.
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Erwägung 3.3
 
3.3.1. Die Steuerpflichtigen halten das Vorgehen der KSTV/BL für treuwidrig (Art. 5 Abs. 3 BV). Sie machen geltend, sie hätten im Vertrauen auf die damalige Zusicherung in die Versicherungsverträge investiert und seien in ihrem Vertrauen zu schützen.
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3.3.2. Nach Art. 9 BV sind staatliche Organe, nach Art. 5 Abs. 3 BV staatliche Organe und Private zum Handeln nach Treu und Glauben aufgerufen (Urteil 2C_334/2014 vom 9. Juli 2015 E. 2.5.1 mit zahlreichen Hinweisen, in: ASA 84 S. 252). Die Beurteilung der Rechtsverbindlichkeit eines steuerlichen "Rulings" unterscheidet sich in nichts von der Rechtsbeständigkeit anderer individuell-konkreter verwaltungsrechtlicher Zusicherungen, weshalb die Bestimmungen des allgemeinen Vertrauensschutzes greifen (BGE 141 I 161 E. 3.1 S. 164). Voraussetzung für die Bindungswirkung eines behördlichen Zusicherung (und damit auch eines "Rulings" seitens der Veranlagungsbehörde) ist, dass: (a) sich die Auskunft der Behörde auf eine konkrete, den Rechtsuchenden berührende Angelegenheit bezieht; (b) die Behörde, welche die Auskunft gegeben hat, hiefür zuständig war oder der Rechtsuchende sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; (c) der Rechtsuchende die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können; (d) er im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; (e) und die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung (BGE 141 V 530 E. 6.2 S. 538; 137 II 182 E. 3.6.2 S. 193; ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/ MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel suisse, Band II: Les droits fondamentaux, 3. Aufl. 2013, N. 1174 ff.).
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3.3.3. Von einer unveränderten Rechtslage (lit. e hiervor) kann nicht (mehr) gesprochen werden, wenn das positive Recht seit Erteilung der auf einen Dauerzustand gerichteten Zusicherung eine Änderung erfahren hat. Erlasse stellen grundsätzlich keine Vertrauensgrundlage dar. Es muss dem Gesetz- und Verordnungsgeber allzeit möglich sein, das Recht weiterzuentwickeln (BGE 130 I 26 E. 8.1 S. 60). Dies ist "selbstverständlicher Ausdruck des Demokratieprinzips" (PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/MARKUS MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2014, § 24 N. 12). Daher müssen die Rechtsunterworfenen, darin enthalten auch die Steuerpflichtigen, mit Revisionen der Gesetzgebung rechnen (vgl. BGE 134 I 23 E. 7.6.1 S. 40; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, N. 640).
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3.3.4. Der verfassungsmässige Anspruch auf Treu und Glauben bindet aber auch den Gesetzgeber. Für eine Gesetzesänderung ist zu verlangen, dass das öffentliche 
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3.3.5. Der Landrat des Kantons Basel-Landschaft ist im Anschluss an das Urteil 2C_337/2011 vom 1. Mai 2012 zur Revision des kantonalen Steuergesetzes geschritten. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 setzte er den revidierten § 47 StG/BL in der Fassung vom 25. April 2013 in Kraft (vorne E. 1.3). Der Gesetzgeber durfte sich bei Vornahme der Revision auf ein erhebliches öffentliches Änderungsinteresse stützen: Das Bundesgericht hatte im Urteil 2C_337/2011 vom 1. Mai 2012 erstmals Gelegenheit, die Rechtsfrage aus dem Bereich des positiven, harmonisierten Steuerrechts (insbesondere Art. 13 und 14 StHG) zu entscheiden, wobei es abweichend von der bisherigen Gesetzgebung des Kantons Basel-Landschaft entschied. Dabei handelte es sich nicht etwa um eine Praxisänderung, die unter Umständen nach einer Übergangsfrist rufen könnte (BGE 141 II 297 E. 5.5.1 S. 303; 135 II 78 E. 3.2 S. 85; 130 I 26 E. 8.1 S. 60), sondern um die erstmalige Klärung einer Frage des materiellen Rechts. Ebenso wenig ging mit dem Urteil eine Änderung oder Klarstellung der Rechtsprechung zur Auslegung verfahrensrechtlicher Bestimmungen einher, die vorgängig anzukündigen gewesen wäre (BGE 140 II 334 E. 8 S. 342).
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3.3.6. Hier massgebend ist aber einzig, dass der kantonale Gesetzgeber mit Wirkung ab dem 1. Januar 2013 die Gesetzgebung an die herrschende Praxis anpasste und damit in Einklang mit dem Harmonisierungsrecht brachte. Das öffentliche Interesse an dieser Massnahme war unstreitig gegeben. Dass ihnen konkrete Zusicherungen hinsichtlich der Weitergeltung des bisherigen Rechts gemacht worden wären, machen die Steuerpflichtigen vorliegend nicht geltend, ebenso wenig, wie sie sich auf wohlerworbene Rechte berufen. Die Rechtsänderung, die der kantonale Gesetzgeber verfassungskonform in Kraft setzen durfte, ohne eine Übergangsfrist vorzusehen, entfaltet generell-abstrakte Wirkung und erfasst damit auch die streitbetroffenen Eheleute.
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Erwägung 3.4
 
3.4.1. Die Steuerpflichtigen berufen sich auf die Rechtslage in den Kantonen Basel-Stadt, Nidwalden und Wallis, die nach Ansicht der Steuerpflichtigen aufzeigen soll, dass der Leitentscheid vom 1. Mai 2012 "unverbindlich interpretierbar" sei.
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3.4.2. Was zunächst § 46 Abs. 5 des Gesetzes (des Kantons Basel-Stadt) vom 12. April 2000 über die direkten Steuern (StG/BS; SG 640.100) betrifft, der seine heutige Fassung am 7. November 2007 erlangte und weitgehend § 47 Abs. 1 StG/BL in der Fassung vom 25. April 2013 entspricht, trifft es zu, dass der Kanton eine Übergangsvorschrift vorgesehen hat. Gemäss § 241a StG/BS unterliegen Rentenversicherungen und ähnliche Forderungen auf periodische Leistungen, bei denen die Leistungen im Zeitpunkt der Steuerbemessung bereits laufen, der Vermögenssteuer nicht, sofern sie vor dem 1. Januar 2008 abgeschlossen worden sind. Die intertemporale Regelung geht aber auf eine Revision vom 7. November 2007 zurück und ist schon seit dem 23. Dezember 2007 wirksam. Es fehlt ihr mithin der sachliche und zeitliche Zusammenhang zum Urteil 2C_337/2011 vom 1. Mai 2012. Ob die Übergangsregelung heute noch rechtsbeständig ist, kann hier, da nicht Streitgegenstand, offen bleiben.
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3.4.3. Ebenso zutreffend ist die Rüge, gemäss Art. 48 Satz 2 des Gesetzes (des Kantons Nidwalden) vom 22. März 2000 über die Steuern des Kantons und der Gemeinden (StG/NW; NG 521.1) erfolge keine Besteuerung, "solange der Bezug der Rente aufgeschoben ist". Diese Formulierung datiert aber vom 21. September 2005 und steht seit dem 1. Januar 2007 in Kraft. Auch dieser Erlass ist nicht Streitgegenstand, er ist nur vergleichsweise heranzuziehen, wobei offen bleibt, in welcher Weise die kantonale Praxis überhaupt geübt wird.
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3.4.4. Schliesslich wollen die Steuerpflichtigen Rechte aus der Gesetzgebung des Kantons Wallis ableiten. Gemäss Art. 56 Abs. 6 des Steuergesetzes (des Kantons Wallis) vom 10. März 1976 (StG/VS; SGS 642.1) werden Lebensversicherungen "zu ihrem Rückkaufswert besteuert". Diese Fassung geht auf den 9. März 2016 zurück und ist  rückwirkend auf den 1. Januar 2016 in Kraft getreten (Abl. Nr. 15/2016). Wiederum gilt, dass die Steuerpflichtigen für das Steuerjahr 2013 keine abweichende kantonale Praxis nachzuweisen vermögen, sondern sich mit einem pauschalen Hinweis begnügen, der die angebliche Bundesrechtswidrigkeit des angefochtenen Entscheids in keiner Weise aufzuzeigen vermag.
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3.4.5. Entgegen den Vorbringen der Steuerpflichtigen lässt sich aus keinem der drei kantonalen Gesetze etwas ableiten, das für eine vielfältige kantonale Veranlagungspraxis sprechen könnte.
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3.5. Damit erweist die Beschwerde sich als unbegründet, weshalb sie abzuweisen ist.
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Erwägung 4
 
4.1. Nach dem Unterliegerprinzip (Art. 65 i. V. m. Art. 66 Abs. 1 BGG) sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens den Steuerpflichtigen aufzuerlegen. Diese tragen die Kosten zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftung (Art. 66 Abs. 5 BGG).
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4.2. Dem Kanton Basel-Landschaft, der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegt, steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens von Fr. 2'000.-- werden zu gleichen Teilen und unter solidarischer Haftbarkeit den Beschwerdeführern auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 10. November 2016
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher
 
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