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Informationen zum Dokument  BGer 1B_218/2016  Materielle Begründung
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BGer 1B_218/2016 vom 03.11.2016
 
{T 0/2}
 
1B_218/2016
 
 
Urteil vom 3. November 2016
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Eusebio, Chaix,
 
Gerichtsschreiber Forster.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Schmid,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 1 Luzern, Eichwilstrasse 2, Postfach 1662, 6011 Kriens.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Berichtigung eines Polizeiberichts,
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 9. Mai 2016
 
des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen mehrfacher Gefährdung des Lebens, mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfachen Betruges und anderen Delikten. Am 25. Februar 2016 (08.30-08.50 Uhr) erfolgte eine von der Staatsanwaltschaft an die Kantonspolizei (Kriminalpolizei) delegierte Einvernahme des Beschuldigten, bei der dieser Aussagen zur Sache verweigerte. In einem separaten Bericht vom 25. Februar 2016 zum Ablauf der Einvernahme hielt der rapportierende Polizeibeamte unter anderem Folgendes fest: "Während der Einvernahme machte" der Beschuldigte "dem Rapportierenden gegenüber einen apathischen Eindruck. Er wirkte teilnahmslos und" (schien) "gedanklich weit entfernt zu sein". Der Beschuldigte "hatte Mühe, seine Augen offen zu halten, und seine Aussprache war geschwächt und leicht lallend".
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B. Am 9. März 2016 beantragte der Beschuldigte die Streichung dieser Passage aus dem genannten Polizeibericht, da sie seiner Ansicht nach tendenziös und unzutreffend sei. Mit Verfügung vom 14. März 2016 lehnte die Staatsanwaltschaft den Antrag ab. Eine vom Beschuldigten dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, mit Beschluss vom 9. Mai 2016 ebenfalls ab.
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C. Zur Hauptsache erwog das Kantonsgericht, der Bericht des protokollierenden Polizisten (über dessen Eindrücke vom Zustand des Beschuldigten bei der Einvernahme vom 25. Februar 2016) sei ein gesetzlich zulässiges Beweismittel; im Übrigen werde es "Sache des erkennenden Gerichts" sein, im Rahmen seiner Beweiswürdigung über den Beweiswert und die Relevanz des Polizeiberichtes zu urteilen. Dem Beschuldigten bleibe es "selbstverständlich freigestellt", die Feststellungen des Polizeiberichtes in Abrede zu stellen oder als nicht beweiskräftig zu kritisieren.
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D. Gegen den Beschluss des Kantonsgerichtes vom 9. Mai 2016 gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde vom 13. Juni 2016 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Streichung der oben genannten Passage im Polizeibericht vom 25. Februar 2016.
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Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft haben am 22. Juni bzw. 1. Juli 2016 auf Stellungnahmen je ausdrücklich verzichtet.
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Erwägungen:
 
1. Zunächst ist der Streitgegenstand des angefochtenen Entscheides zu klären:
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Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer nicht die Berichtigung des Protokolls vom 25. Februar 2016 (08.30-08.50 Uhr) über seine polizeiliche Befragung als Beschuldigter verlangt. Gemäss dem von ihm unterzeichneten Einvernahmeprotokoll hat er das Protokoll durchgelesen und ausdrücklich bestätigt, dass er keine Änderungen daran verlange. In den vorinstanzlichen Verfahren hat er denn auch nicht beanstandet, seine polizeiliche Einvernahme sei unrichtig protokolliert worden. Ebenso wenig hat er diesbezüglich ein Protokollberichtigungsverfahren (Art. 79 Abs. 2-3 StPO) eingeleitet. Der Beschwerdeführer wendet sich vielmehr (nach wie vor) gegen den im Anschluss an seine Einvernahme erfolgten separaten Bericht vom 25. Februar 2016 des einvernehmenden und protokollführenden Kriminalpolizisten.
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Gemäss Art. 307 Abs. 3 StPO hält die Polizei ihre Feststellungen und die von ihr getroffenen Massnahmen laufend in schriftlichen Berichten fest und übermittelt diese nach Abschluss ihrer Ermittlungen (zusammen mit den Anzeigen, Protokollen, weiteren Akten sowie sichergestellten Gegenständen und Vermögenswerten) umgehend der Staatsanwaltschaft. Im hier streitigen Polizeibericht wurden keine Beweisaussagen des Beschwerdeführers (im Sinne von Art. 76-79, Art. 142-146 und Art. 157-161 StPO) inhaltlich protokolliert. Es wurden vielmehr Beobachtungen festgehalten, welche der Protokollführer anlässlich der kurz zuvor durchgeführten Einvernahme selber wahrgenommen hatte. Es handelt sich dabei primär um polizeiliche Wahrnehmungen zum psychischen und gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers bzw. zu seinem Gesprächsverhalten und seiner sprachlich-motorischen Artikulation. Der Beschwerdeführer hat bei der Staatsanwaltschaft und beim Kantonsgericht erfolglos verlangt, der Polizeibericht sei insoweit zu berichtigen bzw. es sei eine von ihm beanstandete Passage zu streichen.
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Streitig ist im vorliegenden Fall somit nicht der Inhalt einer protokollierten Beweisaussage des Beschwerdeführers als Beschuldigter, sondern ein Polizeibericht, in welchem der Protokollführer eigene Wahrnehmungen über Vorgänge während der Einvernahme wiedergibt.
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2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Es handelt sich um einen strafprozessualen Zwischenentscheid im Untersuchungsverfahren. Bei dieser Sachlage ist zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer ein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil droht (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).
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2.1. Zwischenentscheide sind grundsätzlich mit Beschwerde gegen den Endentscheid anzufechten, soweit sie sich auf dessen Inhalt auswirken (Art. 93 Abs. 3 BGG). Als oberste rechtsprechende Behörde des Bundes soll sich das Bundesgericht in der Regel nur einmal mit der gleichen Streitsache befassen müssen. Nach ständiger Praxis zu Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist ein Vor- oder Zwischenentscheid daher nur ausnahmsweise anfechtbar, sofern ein konkreter rechtlicher Nachteil droht, der auch durch einen (für die rechtsuchende Partei günstigen) End- oder anderen Entscheid nachträglich nicht mehr behoben werden könnte (BGE 141 IV 289 E. 1.1-1.2 S. 291; 137 IV 172 E. 2.1 S. 173 f.; 136 IV 92 E. 4 S. 95; 135 I 261 E. 1.2 S. 263; je mit Hinweisen). Ein Ausnahmefall im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG ist hier nicht gegeben.
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2.2. Der streitige Polizeibericht stellt ein gesetzlich zulässiges strafprozessuales Beweismittel dar (Art. 139 Abs. 1 i.V.m. Art. 307 Abs. 3 StPO), dessen "Berichtigung" bzw. Änderung der Beschwerdeführer anstrebt. Er macht geltend, das Beweismittel sei teilweise inhaltlich unrichtig und deshalb zu "berichtigen". Bei im Vorverfahren aufgeworfenen Fragen der Beweiswürdigung und Beweisverwertung droht in der Regel kein Rechtsnachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, da der Beschwerdeführer seine diesbezüglichen Einwände bis zum Abschluss des Strafverfahrens (gegenüber der erkennenden Strafbehörde) erneut vorbringen kann (BGE 141 IV 284 E. 2.2 S. 287; 289 E. 1.2 S. 291 f.; 136 IV 92 E. 4.1 S. 95 f.; je mit Hinweisen).
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2.3. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG muss der Beschwerdeführer die Tatsachen darlegen, aus denen sich seine Beschwerdeberechtigung und der nicht wieder gutzumachende Nachteil ergeben sollen, sofern dies nicht offensichtlich ist (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f., 284 E. 2.3 S. 287, 289 E. 1.3 S. 292; je mit Hinweisen).
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2.4. Der Beschwerdeführer macht in diesem Zusammenhang insbesondere geltend, es werde ihm unter anderem ein Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz bzw. Medikamentenmissbrauch zur Last gelegt. Die Ausführungen im fraglichen Polizeibericht liessen (nach Ansicht des Beschwerdeführers) "auf die Einvernahme von z.B. starken Medikamenten" mit "Rausch- oder erheblich veränderten Bewusstseinszuständen" schliessen. Damit werde der Eindruck erweckt, "dass der Beschwerdeführer sich tatsächlich während der Einvernahme in einem solchen Zustand befunden" haben könnte. Auch werde "sämtlichen in das laufende Strafverfahren involvierten Personen, insbesondere auch der Verfahrensleitung, ein grosser Raum für Interpretationen geboten". Zudem bestehe die Gefahr, dass ein "womöglich urteilendes Gericht die Ausführungen des rapportierenden Beamten" nicht als dessen "subjektive Wahrnehmung" auffassen könnte, sondern "fälschlicherweise" davon ausginge, "es handle sich um objektive Tatsachen".
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2.5. Damit wird kein drohender nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil im Sinne der dargelegten Praxis dargetan:
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2.5.1. Das Bundesrecht sieht keinen Anspruch der Parteien vor, einen ihnen missliebigen Polizeibericht bereits im Vorverfahren nach StPO (in einem selbstständigen gerichtlichen Anfechtungsprozess) inhaltlich zu prüfen und zu "korrigieren". Es ist vielmehr die Aufgabe der den Endentscheid fällenden Strafbehörde, den Beweiswert und die Überzeugungskraft einzelner Beweiselemente (im Lichte der gesamten relevanten Beweisergebnisse nach Abschluss der Untersuchung) zu würdigen (Art. 10 Abs. 2 StPO; vgl. BGE 141 IV 284 E. 2.2 S. 287; 289 E. 1.2 S. 291 f.).
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2.5.2. Im gesamten Vor- und allfälligen Hauptverfahren steht es den Parteien im Übrigen frei, in einem Polizeibericht enthaltene tatsächliche Feststellungen soweit nötig zu bestreiten und gegebenenfalls Beweise anzubieten (z.B. Zeugen, Gutachten, persönliche Befragung des Verfassers des Polizeiberichtes usw.), welche geeignet sein könnten, den Bericht inhaltlich zu widerlegen (vgl. Art. 318 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 sowie Art. 331 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StPO). Eine selbstständige gerichtliche Anfechtung einzelner (gesetzlich zulässiger) Beweismittel bereits im Vorverfahren sieht das Gesetz hingegen (von hier nicht erfüllten Ausnahmen abgesehen) nicht vor. So kann eine Partei beispielsweise auch nicht verlangen, dass formgültige Beweisaussagen von Zeugen, Auskunftspersonen, Experten usw. inhaltlich zu "berichtigen" seien. Eine sofortige förmliche Berichtigung (schon im Vorverfahren) sieht die StPO nur vor, wenn eine Partei geltend macht, bei Einvernahmen seien Protokollierungsfehler aufgetreten (Art. 79 Abs. 2-3 StPO).
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2.5.3. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die sofortige Behebung von Protokollierungsfehlern bei Einvernahmen. Streitig sind vielmehr die inhaltliche Richtigkeit eines Polizeiberichtes und damit Fragen der Beweiswürdigung.
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2.6. Dem Beschwerdeführer bleibt es unbenommen, seine inhaltlichen Einwände gegen den Polizeibericht noch bis zum Abschluss des Strafverfahrens (und nötigenfalls noch bei der Anfechtung des Endentscheides) in geeigneter Weise anzubringen. Insbesondere kann er bei der Strafbehörde, welche den verfahrensabschliessenden Entscheid fällen wird, Beweisanträge stellen, um die tatsächlichen Ausführungen des Polizeiberichtes zu widerlegen. Ebenso kann er gegenüber der Staatsanwaltschaft oder dem erkennenden Strafgericht - im Rahmen seiner Parteivorbringen zum gesamten Beweisergebnis - darlegen, inwiefern ihm der Polizeibericht inhaltlich unrichtig erscheine bzw. Zweifel an seiner Richtigkeit bestünden. Für das Bundesgericht besteht kein Anlass, sich schon im jetzigen Verfahrensstadium mit den betreffenden Vorbringen des Beschwerdeführers zu Fragen der Beweiswürdigung auseinanderzusetzen. Offenbleiben kann auch, inwiefern die beanstandeten Ausführungen im Polizeibericht überhaupt untersuchungs- und entscheidrelevant erscheinen. Wie auch die Vorinstanz zutreffend erwägt, wird sich erst die den Endentscheid fällende Strafbehörde (im Rahmen ihrer Beweiswürdigung) über die Urteilsrelevanz des Polizeiberichtes auszusprechen haben (Art. 10 Abs. 2 StPO). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann dabei sowohl der Staatsanwaltschaft als auch dem erkennenden Gericht ohne weiteres zugetraut werden, zwischen subjektiven Wahrnehmungen eines rapportierenden Polizisten und objektiven Tatsachen ausreichend zu differenzieren.
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2.7. Auch unter dem Gesichtspunkt der strafprozessualen Verwertbarkeit des Polizeiberichtes (vgl. Art. 140-141 StPO) droht im vorliegenden Fall kein nicht wieder gutzumachender Rechtsnachteil:
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Nach der Praxis des Bundesgerichtes führt ein bereits im Vorverfahren angerufenes Beweisverwertungsverbot nur ausnahmsweise zu einem Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, nämlich bloss, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht oder wenn aufgrund des Gesetzes oder der Umstände des Einzelfalles die Rechtswidrigkeit des Beweismittels ohne Weiteres feststeht. Derartige Umstände können nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein besonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Beweises geltend macht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt (vgl. BGE 141 IV 284 E. 2.3 S. 287; 289 E. 1.3 S. 292). Der Beschwerdeführer legt denn auch nicht nachvollziehbar dar, weshalb es einem Polizeibeamten verboten sein sollte, über ihm ermittlungsrelevant erscheinende Wahrnehmungen einen Bericht gemäss Art. 307 Abs. 3 StPO zu erstatten.
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3. Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.
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Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 3. November 2016
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Merkli
 
Der Gerichtsschreiber: Forster
 
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