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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1139/2015  Materielle Begründung
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BGer 2C_1139/2015 vom 12.09.2016
 
{T 0/2}
 
2C_1139/2015
 
 
Urteil vom 12. September 2016
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Camenzind,
 
Gerichtsschreiber Matter.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________ AG,
 
Beschwerdeführerin, vertreten durch bcs steuerexperten ag,
 
gegen
 
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Mehrwertsteuer (Steuerperioden 2008 bis 2011; Gesamtleistung einer Managed-Care-Organisation),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 11. November 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Die X.________ AG ist im Bereich Managed-Care tätig. Im Jahr 2013 führte die Eidgenössische Steuerverwaltung gegenüber der Gesellschaft eine MWST-Kontrolle für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2011 durch. Mit zwei Verfügungen vom 4. Juni 2014 forderte die EStV für nicht versteuerte Umsätze der Jahre 2008 und 2009 Fr. 134'426.-- (plus Verzugszinsen) sowie für solche der Jahre 2010 und 2011 Fr. 191'369.-- (plus Verzugszinsen) nach. Dagegen gelangte die Betroffene erfolglos an das Bundesverwaltungsgericht.
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B. Am 19. Dezember 2015 hat die X.________ AG Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht eingereicht. Sie beantragt, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. November 2015 aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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C. Die EStV schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
1. Gegen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht zulässig (Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 83 u. Art. 86 BGG). Die im vorinstanzlichen Verfahren unterlegene Beschwerdeführerin ist hierzu legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf das von ihr frist- und formgerecht eingereichte Rechtsmittel ist einzutreten.
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2. Gestützt auf den von der Vorinstanz verbindlich festgestellten und unbestrittenen Sachverhalt (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG) ist hier davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin als Managed-Care-Organisation den mit ihr vertraglich verbundenen Krankenkassen ein Netzwerk von Ärzten zur Verfügung stellt und dabei verschiedene Leistungen erbringt. Diese bestehen, wie sich aus dem Zusammenarbeitsvertrag mit der jeweiligen Krankenkasse und den Grundversorgungsleistungsverträgen mit den Ärzten ergibt, in verschiedenen Koordinationsdienstleistungen, Massnahmen zur Qualitätssicherung und Kostensenkung sowie in administrativen und organisatorischen Aufgaben. Die Abgeltung für die erbrachten Leistungen erfolgt einerseits durch ein Entgelt, das variabel und erfolgsabhängig ist, sowie durch eine pauschale Systemkostenentschädigung.
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2.1. Die Beschwerdeführerin vertritt im Wesentlichen die Auffassung, dass die von ihr erbrachten Managed-Care-Leistungen als ärztliche Heilbehandlungen von der Besteuerung ausgenommen seien. Dieser Auffassung ist das Bundesverwaltungsgericht aber zu Recht nicht gefolgt.
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2.1.1. Der Mehrwertsteuer unterliegen die in Art. 5 des hier für den Zeitraum bis Ende 2009 anwendbaren alten Mehrwertsteuergesetzes vom 12. September 1999 (aMWSTG; AS 2000 1300) abschliessend genannten, durch steuerpflichtige Personen getätigten Umsätze, darunter namentlich im Inland erbrachte Dienstleistungen (Art. 7 Abs. 1 aMWSTG), sofern diese Umsätze nicht ausdrücklich von der Steuer ausgenommen sind (Art. 18 aMWSTG; vgl. auch Art. 1 Abs. 2 Bst. a i.V.m. Art. 3 Bst. d u. e bzw. Art. 18 Abs. 1 des vorliegend für die Zeitspanne ab dem 1. Januar 2010 massgeblichen neuen Mehrwertsteuergesetzes vom 12. Juni 2009; MWSTG; AS 2009 5203).
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Die unter den Parteien erbrachten Managed-Care-Leistungen sind als Dienstleistungen steuerbar, wenn und soweit sie nicht unter eine im Gesetz vorgesehene Ausnahme fallen (Art. 18 f. aMWSTG, Art. 21 u. 23 MWSTG). Im Gesundheitswesen sind von der Besteuerung ausgenommen die Spitalbehandlungen, daneben die ärztlichen Heilbehandlungen in Spitälern und Privatkliniken sowie in Zentren für ärztliche Heilbehandlungen und Diagnostik (Art. 18 Ziff. 2 aMWSTG bzw. Art. 21 Abs. 2 Ziff. 2 MWSTG). Weiter ausgenommen sind die sog. übrigen Heilbehandlungen (Art. 18 Ziff. 3 aMWSTG; Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG); Voraussetzung dafür ist objektiv, dass eine Heilbehandlung im Humanmedizinbereich direkt an den Patienten erbracht wird; in subjektiver Hinsicht ist erforderlich, dass die Heilbehandlung von Ärzten erbracht wird, die über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen (vgl. dazu weiter Art. 2 Abs. 1 und Abs. 3 lit. a aMWSTV bzw. Art. 34 Abs. 1 MWSTV).
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Die Beschwerdeführerin erfüllt beide Voraussetzungen nicht. Einerseits behandelt sie keine Patienten; vielmehr werden die unmittelbaren Heilbehandlungen ausschliesslich durch die Ärzte erbracht (und entsprechend fakturiert), die als selbständige Rechtssubjekte gelten und auch als solche gegen aussen auftreten. Andererseits verfügt sie nicht über die notwendige Bewilligung.
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2.1.2. Mehrwertsteuerrechtlich ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin eine eigene juristische Person in Form einer Aktiengesellschaft darstellt und in eigenem Namen Rahmenvereinbarungen mit Krankenkassen abschliesst, welche die Erbringung der damit vereinbarten Dienstleistungen zum Gegenstand haben (vgl. dazu schon oben E. 2 einleitend). Die Krankenkassen als Leistungsempfänger gelten die von der Beschwerdeführerin (als eigenständigem Steuersubjekt) erbrachten Dienstleistungen ab. Damit findet ein mehrwertsteuerrechtlich relevanter Leistungsaustausch (vgl. Art. 3 Bst. c u. f sowie Art. 18 Abs. 1 MWSTG; siehe auch die Praxis zu Art. 5 aMWSTG) statt.
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Die Beschwerdeführerin erbringt und fakturiert ihre Leistungen im Rahmen eines Leistungspakets. Dieses stellt eine Gesamtleistung im Sinne von Art. 36 Abs. 4 aMWSTG bzw. 19 Abs. 3 MWSTG dar, deren Kerngehalt in Management-Leistungen besteht. Gleichzeitig ist das Leistungspaket selbständig zu beurteilen und kann nicht mit den Leistungen der Ärzte (bzw. deren Heilbehandlungen) vermischt werden (vgl. dazu schon oben E. 2.1.1).
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2.2. Aus demselben Grund kann auch nicht von Vorleistungen im Sinne von Art. 21 Abs. 3 und 4 MWSTG gesprochen werden. Mit der Einführung dieser Bestimmungen hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die neu auf den Inhalt der Leistung abstellt und nicht mehr lediglich auf den Leistungsempfänger, wie das praxisgemäss unter dem aMWSTG der Fall war. Damit können aber nicht Leistungen von unterschiedlichen Steuersubjekten vermischt und einheitlich behandelt werden. Erbringt nun eine Managed-Care-Organisation administrative Leistungen gegenüber Krankenkassen, so sind diese steuerbar, weil damit keine Heilbehandlungen verbunden sind, die allenfalls eine andere Qualifizierung rechtfertigen würden.
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2.3. Weiter können die hier massgeblichen Leistungen nicht als Ausbildungsleistungen eingestuft werden, welche gemäss Art. 18 Ziff. 11 aMWSTG oder Art. 21 Abs. 2 Ziff. 11 MWSTG von der Steuer ausgenommen wären. Diese Bestimmungen sehen zwar einen sehr weiten Ausbildungsbegriff vor. Wesentliche Voraussetzung ist jedoch, dass es sich um Leistungen handelt, die im Rahmen eines eigenen Leistungsaustauschs erbracht werden. Anders verhält es sich dann, wenn solche Leistungen als Teile einer Gesamtleistung erfolgen, die aufgrund ihres Kerngehalts steuerbar ist.
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Soweit hier eine Entschädigung für die Fortbildung durch Qualitätszirkel bezahlt wird, geschieht das im Rahmen der Gesamtabgeltung mittels einer Pauschale. Mit dieser werden unterschiedlichste Leistungen beglichen, die neben der Fortbildung insbesondere auch Management-Unterstützungen, die Einführung und Wartung der EQUAM-Zertifizierung, die Erarbeitung von Behandlungsempfehlungen, die Erstellung von Qualitätskontrollwerkzeugen, das Leistungscontrolling mit den dazugehörigen EDV-Software-Hilfsmitteln, sowie weitere Koordinations- und administrative Leistungen umfassen. Die Leistungen stellen - wie bereits hervorgehoben (vgl. oben E. 2.1.2) - ein Leistungspaket dar, das als solches einer Gesamtleistung im gesetzlichen Sinne entspricht und dessen Kerngehalt in steuerbaren Managementdienstleistungen besteht.
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2.4. Die Beschwerdeführerin macht schliesslich eine Verletzung der Wettbewerbsneutralität (vgl. Art 1 Abs. 2 aMWSTG u. Art. 1 Abs. 3 Bst. a MWSTG) und des Gleichbehandlungsgebots (vgl. Art. 8 BV) geltend. Sie vermag aber nicht darzutun, dass Managed-Care-Organisationen wie sie selber durch die EStV unterschiedlich behandelt würden. Das kann insbesondere nicht aus dem von der Beschwerdeführerin ins Recht gelegten Ruling (i.S. mehrwertsteuerrechtliche Qualifikation) abgeleitet werden, nachdem es sich dort nicht um eine identische Struktur handelt. Auch sonst begründet die Beschwerdeführerin nicht, inwiefern im konkreten Fall eine rechtsungleiche Behandlung von Organisationen vorläge, die mit der von ihr gewählten Struktur mittels einer eigenständigen Aktiengesellschaft vergleichbar wären.
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3. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 65 f. BGG)
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 6'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. September 2016
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Der Gerichtsschreiber: Matter
 
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