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Informationen zum Dokument  BGer 8C_942/2015  Materielle Begründung
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BGer 8C_942/2015 vom 07.07.2016
 
8C_942/2015  {T 0/2}
 
 
Urteil vom 7. Juli 2016
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine,
 
Bundesrichter Wirthlin,
 
Gerichtsschreiber Krähenbühl.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Dätwyler, Bielstrasse 3, 4500 Solothurn,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Taggeld; Unfallkausalität),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 12. November 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ (Jg. 1955) zog sich am 21. März 2014 beim Sturz von einem Tisch eine Fussverletzung (Fersenbeintrümmerfraktur links) zu. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) teilte ihm am 27. März 2015 - auf dessen ausdrückliches Verlangen hin - verfügungsweise mit, angesichts der schon vor diesem Unfall vorhanden gewesenen krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit von 50 % werde sie ergänzende Taggelder auf der Basis einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit - mithin Fr. 74.60 pro Kalendertag - ausrichten. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 18. Mai 2015.
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B. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 12. November 2015 ab.
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C. A.________ lässt mit Beschwerde ans Bundesgericht beantragen, unter Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die SUVA zu verpflichten, ihm "mit Wirkung ab 8. August 2014 das ganze Taggeld für den am 21. März 2014 erlittenen Unfall zukommen zu lassen". Zudem ersucht er gleichentags mit separater Eingabe um unentgeltliche Rechtspflege.
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Die SUVA schliesst unter Hinweis auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid auf Abweisung der Beschwerde. Auch die Vorinstanz sieht von einer materiellen Stellungnahme zur Sache ab. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft indessen - unter Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen, also auch solche, die vor Bundesgericht nicht (mehr) aufgeworfen werden, zu untersuchen (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
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2. Im angefochtenen kantonalen Entscheid werden die nach Gesetz und Rechtsprechung massgeblichen Rechtsgrundlagen für den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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Es betrifft dies namentlich die für Leistungen der Unfallversicherung kumulativ erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen des natürlichen und des adäquaten Kausalzusammenhanges zwischen versichertem Unfallereignis und verbliebener Gesundheitsschädigung (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181 mit Hinweisen). Richtig ist grundsätzlich auch der Hinweis auf den - hier nicht zur Anwendung gelangenden (vgl. nachstehende E. 4.1 und E. 4.2) - Art. 36 Abs. 1 UVG (in der seit 1. Januar 2003 geltenden Fassung), wonach unter dem Titel "Zusammentreffen verschiedener Schadensursachen" festgehalten wird, dass unter anderem Taggelder nicht gekürzt werden, wenn die Gesundheitsschädigung nur teilweise Folge eines Unfalles ist (vgl. BGE 113 V 54 E. 2 S. 58 mit Hinweisen; Urteil U 427/05 vom 21. September 2006 E. 2.3.2).
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3. 
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3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, beim Beschwerdeführer bestehe seit dem Unfall vom 21. März 2014 eine vollständige (100%ige) Arbeitsunfähigkeit, wobei er allerdings schon zuvor aufgrund eines im Dezember 2010 erlittenen Herzinfarktes zu 50 % arbeitsunfähig gewesen sei. Unfallbedingt sei deshalb lediglich die darüber hinausgehende 50%ige Verminderung des Leistungsvermögens. Diese habe als Grundlage für die Berechnung des vom Unfallversicherer geschuldeten Taggeldes zu gelten. Dass die Swica Gesundheitsorganisation, welche als Krankenversicherer bis anhin für die wegen der Folgen des erlittenen Herzinfarktes krankheitsbedingte 50%ige Arbeitsunfähigkeit Taggelder ausgerichtet hatte, ihre Leistungen zufolge Ablaufs der vertraglich vereinbarten Bezugsdauer per 8. August 2014 eingestellt hatte, änderte nach Ansicht der Vorinstanz nichts an der fehlenden Unfallkausalität der durch die Krankenversicherung gedeckten Leistungseinbusse, weshalb die SUVA für diese - nach wie vor - nicht einzustehen habe. Art. 36 Abs. 1 UVG erachtete das kantonale Gericht als nicht einschlägig, weil beim Beschwerdeführer zwei voneinander unterscheidbare Gesundheitsschäden vorlägen und nicht ein einziger Gesundheitsschaden mit verschiedenen Ursachen. Eine erfolgreiche Berufung auf die laut dieser Bestimmung untersagte Kürzung von Taggeldern der Unfallversicherung bei bloss teilweiser Unfallkausalität eines Gesundheitsschadens fiel für die Vorinstanz damit im Fall des Beschwerdeführers nicht in Betracht.
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3.2. Der Beschwerdeführer stellt sich im bundesgerichtlichen Verfahren erneut auf den Standpunkt, dass nach dem Dahinfallen des Taggeldanspruches gegenüber dem Krankenversicherer nunmehr die SUVA für die - insgesamt unverändert vollständige - Arbeitsunfähigkeit Taggeldleistungen in vollem Umfang zu erbringen habe. Er vertritt also die Ansicht, die Taggelder der Unfallversicherung seien unter der Annahme einer - rein unfallbedingt - 100%igen Arbeitsunfähigkeit zu berechnen. Dabei beruft er sich - wie sich aus nachstehenden Überlegungen ergibt - fälschlicherweise auf Art. 36 Abs. 1 UVG.
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4. 
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4.1. Art. 36 UVG, welche Norm eine Kürzung von Leistungen der Unfallversicherung beim Zusammentreffen verschiedener Schadensursachen zum Gegenstand hat, schliesst in Abs. 1 - unter anderem auch für Taggelder - eine Leistungskürzung für den Fall aus, dass eine Gesundheitsschädigung nur teilweise Folge des versicherten Unfallereignisses ist. Wie das seinerzeitige Eidgenössische Versicherungsgericht (seit 1. Januar 2007: I. und II. sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts) in BGE 113 V 54 festgehalten und auch das kantonale Gericht im Ergebnis richtig erkannt hat, kommen die Kürzungsregeln in Art. 36 UVG nur zum Zuge, wenn ein Unfall und ein unfallfremdes, im Unfallversicherungsbereich nicht versichertes Ereignis eine bestimmte Gesundheitsschädigung gemeinsam verursacht haben. Nicht anwendbar ist Art. 36 UVG hingegen, wenn solche Vorkommnisse voneinander unabhängige Schäden bewirkt haben, so etwa wenn ein Unfall und ein - in der Unfallversicherung nicht versichertes Geschehen - verschiedene Körperteile betreffen und sich die Beschwerdebilder demnach nicht überschneiden. Die Folgen eines versicherten Unfalles sind diesfalls für sich alleine zu bewerten (vgl. BGE 113 V 54 E. 2 S. 58 mit Hinweisen).
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4.2. Beim Beschwerdeführer lassen sich die Fersenbeintrümmerfraktur links einerseits und die auf den Herzinfarkt vom Dezember 2010 zurückzuführende Beeinträchtigung des Leistungsvermögens andererseits klar auseinanderhalten. Sie können isoliert gewürdigt werden und darauf basierende Versicherungsleistungen können losgelöst voneinander separat bestimmt werden. Bei richtiger Betrachtungsweise fällt die hier zu beurteilende Konstellation denn auch nicht in den Anwendungsbereich von Art. 36 UVG. Eine Kürzung von Unfallversicherungsleistungen zufolge Zusammentreffens verschiedener Schadensursachen steht nicht zur Diskussion. Die Verminderung des Leistungsvermögens aufgrund der bestehenden Körperschädigungen ist vom Unfallversicherer einzig so weit zu prüfen, als sie unfallkausal sind. Auswirkungen von Leistungseinbussen, die schon mit Krankentaggeldern abgegolten werden - hier im Umfang von 50 % einer vollständigen, uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit - fallen nicht darunter. Insoweit trifft die Feststellung in der Verwaltungsverfügung vom   27. März 2015, dass krankheits- und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit zusammen nicht mehr als 100% betragen können, im Ergebnis durchaus zu.
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4.3. Ist von der Krankenversicherung rechtskräftig entschieden worden, dass krankheitsbedingt eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % vorliegt und werden dafür - wie hier - entsprechende Taggeldleistungen erbracht, kann im Unfallversicherungsbereich nur die damit noch nicht gedeckte Teilarbeitsfähigkeit von ebenfalls 50 % versichert sein. Die Rechtfertigung der Leistungsausrichtung durch die Krankenversicherung ist einer Überprüfung im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren nicht zugänglich. Es kann daher, entgegen dem Vorgehen des Beschwerdeführers, hier nicht geltend gemacht werden, das Gutachten des Schweizerischen Instituts für Versicherungsmedizin (SIVM) vom 9. September 2013 erweise sich rückblickend als nicht stichhaltig und die gestützt darauf erfolgte Anerkennung einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % durch die Krankenversicherung als falsch. Dies hätte, wenn schon, in einem Rechtsmittelverfahren gegen den Krankentaggeldversicherer vorgebracht werden müssen, was nicht geschehen ist. Für den Unfallversicherer bleibt Tatsache, dass die Krankenversicherung - ob zu Recht oder nicht, sei dahingestellt - Taggeldleistungen aufgrund einer 50%igen Arbeitsunfähigkeit erbracht hat, womit für ihn lediglich noch die darüber hinausgehende - maximal ebenfalls 50%ige - Arbeitsunfähigkeit als unfallkausal in Betracht fallen kann. Nur diese war von der unfallversicherungsrechtlichen Deckung noch erfasst. Die Festsetzung der Höhe der für den Unfallversicherer relevanten Arbeitsunfähigkeit hatte denn auch unabhängig vom Entscheid des Krankenversicherers allein aufgrund der Auswirkungen der unfallbedingten Körperschädigung zu erfolgen. Die Rechtfertigung der von der Krankenversicherung anerkannten Verminderung des Leistungsvermögens spielt demgegenüber für die Unfallversicherung keine Rolle. Sie hatte sich nur für die Höhe der unfallkausalen Beeinträchtigung des Leistungsvermögens zu interessieren, welche im Übrigen auch weniger als 50 % hätte ausmachen können, nach dem Gesagten nach oben aber auf 50 % beschränkt bleiben musste.
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4.4. Daran ändert nichts, dass die Swica ihre Taggeldleistungen zufolge Ablaufs der vertraglich vereinbarten Bezugsdauer per 8. August 2014 eingestellt hat. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, für welche der Unfallversicherer mangels Unfallkausalität nicht aufzukommen hat, besteht unverändert fort, auch wenn dafür seitens der Krankenversicherung keine Leistungen mehr erbracht werden. Für eine Erhöhung des Taggeldes der Unfallversicherung besteht aufgrund der zufolge Erschöpfung der Bezugsdauer erfolgten Leistungseinstellung des Krankenversicherers kein Anlass. Die diese Arbeitsunfähigkeit bewirkende Gesundheitsschädigung wird allein dadurch nicht zu einer unfallkausalen. Eine unrichtige Sachverhaltsfeststellung - wie der Beschwerdeführer meint - ist darin nicht zu erblicken.
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5. Den Auswirkungen einer - sicher nicht unfallkausalen - Intelligenzminderung auf das Leistungsvermögen kommt im Unfallversicherungsbereich keine Bedeutung zu. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerdeschrift zielen von vornherein ins Leere. Ebenso wenig schliesst die Verneinung einer von einem Herzinfarkt herrührenden Arbeitsunfähigkeit im Invalidenversicherungsbereich eine - unter Umständen auch fälschlicherweise - erfolgte Anerkennung einer solchen durch die Krankenversicherung aus. Erbringt letztere tatsächlich entsprechende Taggeldleistungen, kann im Unfallversicherungsbereich nur die damit nicht gedeckte Teilarbeitsfähigkeit abgesichert sein, ohne dass die Rechtfertigung der krankenversicherungsrechtlichen Leistungsausrichtung hier noch einer Überprüfung zugänglich wäre. Dass eine wegen eines Herzinfarktes bestehende Arbeitsfähigkeit einerseits von der Krankenversicherung bejaht, andererseits jedoch im Invalidenversicherungsbereich (zumindest für körperlich leichte Tätigkeiten) verneint wird, insofern also zwei miteinander nicht in Einklang stehende unterschiedliche Beurteilungen vorliegen, ist im aktuellen Verfahrensstadium hinzunehmen. Zufolge Rechtskraft beider Entscheidungen kann - jedenfalls in einem die Unfallversicherung betreffenden Rechtsmittelverfahren - keine Anpassung mehr erfolgen. In diesem Zusammenhang mag die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid - obschon dies die vorhandene Diskrepanz nicht in befriedigender Weise zu erklären vermag - denn auch darauf hingewiesen haben, dass sich Taggelder der Unfall- und der Krankenversicherung nach der jeweiligen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit richten, während es für Rentenleistungen der Invalidenversicherung auf Einbussen der - davon zu unterscheidenden - Erwerbsfähigkeit ankommt.
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6. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Gerichtskosten (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG) wären daher vom Beschwerdeführer als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung ist indessen zu entsprechen, da die Bedürftigkeit als ausgewiesen gelten kann, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen war und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin geboten erschien (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Ausdrücklich wird jedoch auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwalt Alfred Dätwyler wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen.
 
4. Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 7. Juli 2016
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl
 
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