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Informationen zum Dokument  BGer 9C_931/2015  Materielle Begründung
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BGer 9C_931/2015 vom 24.02.2016
 
9C_931/2015  {T 0/2}
 
 
Urteil vom 24. Februar 2016
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
 
Bundesrichter Meyer, Parrino,
 
Gerichtsschreiber Fessler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Bundesamt für Sozialversicherungen, Effingerstrasse 20, 3003 Bern 3,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Hilfsmittel),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 11. November 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ leidet an einer hereditären spastischen Spinalparalyse mit schubweisem Verlauf, weshalb er in den letzten Jahren zunehmend auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die Invalidenversicherung gab ihm als Hilfsmittel einen Rollstuhl (mit Elektrohilfsantrieb) ab und sprach ihm bauliche Änderungen an seinem Einfamilienhaus, wo er mit Ehefrau und Tochter wohnt. Anpassungen sanitärer Art im Erdgeschoss und Abänderungen in der Küche lehnte die IV-Stelle Luzern hingegen mit Verfügungen vom 30. Januar 2015 mangels Notwendigkeit und 28. April 2015 zufolge fehlenden Eingliederungsbereiches ab.
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B. Dagegen erhob A.________ je Beschwerde, welche das Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, mit Entscheid vom 11. November 2015 guthiess, indem es die angefochtenen Verwaltungsakte aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie in Bezug auf die beantragten baulichen Massnahmen im WC im EG nach weiteren Abklärungen neu verfüge (Dispositiv-Ziffer 2), und die IV-Stelle verpflichtete, für den Küchenumbau Kostengutsprache zu leisten (Dispositiv-Ziffer 3).
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C. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides bezüglich der zugesprochenen baulichen Abänderungen in der Küche; eventualiter sei die Sache "zwecks umfassender Prüfung der Statusfrage und Neubeurteilung des Leistungsanspruchs" an die IV-Stelle zurückzuweisen. 
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Erwägungen:
 
1. Entsprechend den vorinstanzlich angefochtenen Verfügungen vom 30. Januar und 28. April 2015 regelt der kantonale Entscheid - seinerseits  Anfechtungs gegenstand der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht - zwei verschiedene materielle Rechtsverhältnisse: die Hilfsmittelansprüche des Beschwerdegegners gegenüber der Invalidenversicherung auf invaliditätsbedingte Anpassungen im sanitären Bereich einerseits, in der Küche andererseits. Bezüglich des ersten Punktes ficht das BSV den vorinstanzlichen Entscheid nicht an.  Streit gegenstand im Prozess vor Bundesgericht ist daher allein der Anspruch auf invaliditätsbedingte Änderungen der Küche (BGE 125 V 413 E. 2a S. 415).
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2. Der von der Vorinstanz dem Beschwerdegegner zuerkannte Küchenumbau stützt sich auf Ziff. 13.04* HVI-Anhang ("Invaliditätsbedingte bauliche Änderungen am Arbeitsplatz und im Aufgabenbereich") i.V.m. Art. 2 Abs. 2 HVI sowie Art. 14 Abs. 1 IVV und Art. 21 Abs. 1 IVG.
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2.1. Das Kantonsgericht hat dem Versicherten wegen der auswärtigen Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau (mindestens 50 %) und dem Umstand, dass an vier Mittagen der schulpflichtigen Tochter das Essen zuzubereiten ist, zugebilligt, dass er im Aufgabenbereich Haushalt tätig ist:
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"Es ist nicht einzusehen, warum dem nunmehr im Erwerbsbereich zu 100% nicht mehr einsetzbaren Beschwerdeführer Haushaltarbeiten nicht zugemutet werden können, soweit sie ihm möglich sind, zumal in allen medizinischen Abklärungen immer wieder grosses Gewicht auf ergonomische Therapie gesetzt wurde. Die Versorgung der Tochter mit vier Mittagessen in der Woche sowie weitere Möglichkeiten, sich in der Küche zu betätigen, bedeutet eine nicht unwesentliche Steigerung im Aufgabenbereich Haushalt. Deshalb kann dem Beschwerdeführer der 'Aufgabenbereich Haushalt' nicht einfach abgesprochen werden. Dies führt dazu, dass ihm auch für den Küchenumbau Kostengutsprache zuzusprechen ist, zumal sich auch diese Kosten im Verhältnis zu den dadurch geschaffenen Möglichkeiten nicht als unverhältnismässig ausnehmen."
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2.2. Das Bundesamt bestreitet, dass sich der Beschwerdegegner über einen Aufgabenbereich ausweisen kann. Der Versicherte, welcher vor Eintritt des Gesundheitsschadens zu 100 % als Metzger tätig gewesen sei, beziehe seit 1. Juli 2012 eine ganze Invalidenrente, wobei er im Rahmen der Invaliditätsbemessung (Art.16 ATSG i.V.m. 28 ff. IVG) ausschliesslich als Erwerbstätiger behandelt worden sei. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Ehefrau sei deutlich nach Eintritt der Invalidität des Ehemannes erfolgt. Gemäss BGE 141 V 15 verhielten sich Erwerbstätigkeit und Aufgabenbereich grundsätzlich komplementär zueinander; beide Bereiche zusammen ergäben ein Total von 100 %. Das Kantonsgericht führe nichts darüber aus, wie plötzlich neben der 100%-igen ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfalle, auf welcher die ganze Invalidenrente beruhe, ein Aufgabenbereich entstehen konnte. Dadurch würde sich unweigerlich die Statusfrage stellen. Die laufende IV-Rente wäre entsprechend nach Art. 17 Abs. 1 ATSG in Revision zu ziehen. Es sei rechtsfehlerhaft, für die Rentenfrage von einer 100%-igen ausserhäuslichen Erwerbstätigkeit, für den Anspruch auf Hilfsmittel jedoch von einem (nichterwerblichen) Aufgabenbereich (im Haushalt) auszugehen.
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2.3. Mit diesen Vorbringen verkennt das Bundesamt die Rechtslage. Zur Frage, ob eine versicherte Person, welcher als Erwerbstätige   (Art. 8 Abs. 1 ATSG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und Art. 28, 28a Abs. 1 IVG) eine (ganze) Invalidenrente zugesprochen worden ist, 
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2.4. Ist der Beschwerdegegner somit berechtigt, in den Haushaltbereich eingegliedert zu werden, bringt das Bundesamt alsdann nichts vor, was Zweifel an der vorinstanzlich bejahten Eingliederungswirksamkeit (Steigerung von 10 % in der Verrichtung der anfallenden Haushaltsarbeiten; Urteil 8C_961/2009 vom 17. Juni 2010 E. 7.2 mit Hinweisen u.a. auf BGE 129 V 67) und finanziellen Verhältnismässigkeit wecken würde. Das Kantonsgericht verweist in E. 4.2 seines Entscheids auf die Angaben der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft Hilfsmittelberatung für Behinderte und Betagte (SAHB), welche in ihrem Bericht vom 15. September 2014 Schubladen und Spültischmischer mit Auszugsbrause als sinnvolle Anpassungen in der Küche bezeichnet, was Fr. 3'297.05 kostet und den Versicherten befähigt, seiner Tochter an vier Schultagen das Mittagessen zuzubereiten. Darin ist mit der Vorinstanz eine in jeder Beziehung verhältnismässige Eingliederung in den Aufgabenbereich Haushalt zu erblicken.
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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3. Dem Bundesamt sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66   Abs. 4 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und der IV-Stelle Luzern schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 24. Februar 2016
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Glanzmann
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler
 
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