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Informationen zum Dokument  BGer 8C_911/2015  Materielle Begründung
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BGer 8C_911/2015 vom 03.02.2016
 
{T 0/2}
 
8C_911/2015
 
 
Urteil vom 3. Februar 2016
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Frésard, Wirthlin,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Verwaltungsverfahren, unentgeltliche Rechtspflege),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. Oktober 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Der 1958 geborene A.________ bezog gestützt auf eine Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 5. Juni 2008 seit 1. April 2007 eine ganze Invalidenrente. Mit Verfügung vom 24. Oktober 2012 hob die IV-Stelle die Invalidenrente mit dem ersten Tag des zweiten Monats nach Verfügungszustellung auf. Die hiegegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. Februar 2013 ab.
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A.b. Am 22. Mai 2014 meldete sich der Versicherte bei der IV-Stelle erneut zum Leistungsbezug an. Mit Vorbescheid vom 29. August 2014 bekundete diese die Absicht, auf das Leistungsbegehren nicht einzutreten. Nachdem der Versicherte dagegen am 19. September 2014 Einwand erhoben hatte, setzte ihm die IV-Stelle eine 30-tägige Frist zur allfälligen Einwandbegründung. Am 14. Oktober 2004 gab Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler an, sie vertrete den Versicherten. Am 3. November 2014 erhob sie Einwände gegen den Vorbescheid und ersuchte die IV-Stelle um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung. Die Rechtsvertreterin des Versicherten ergänzte am 3. Dezember 2014 die Einwände gegen den Vorbescheid, informierte die IV-Stelle am 4. Februar 2015 über die bevorstehende Hospitalisation des Versicherten und begründete am 2. März 2015 ihr Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung. Weiter reichte sie am 14. April 2015 den vorläufigen Austrittsbericht des Sanatoriums B.________, vom 11. März 2015 und am 24. April 2015 den Austrittsbericht dieses Sanatoriums vom 12. März 2015 ein. Hierin wurde eine undifferenzierte Schizophrenie (ICD-10 F20.3) diagnostiziert. Am 18. Mai 2015 eröffnete die IV-Stelle dem Versicherten, es sei eine medizinische Abklärung notwendig, deren Kosten sie übernehme. Mit Verfügung vom 5. Juni 2015 wies sie das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung im Verwaltungsverfahren mangels Notwendigkeit ab.
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B. Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. Oktober 2015 ab.
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C. Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm für das Einwandverfahren gegen den Vorbescheid der IV-Stelle die unentgeltliche Vertretung im Betrag von Fr. 3'280.90 - bzw. nach Berichtigung vom 17. Dezember 2015 - von Fr. 3'980.90 zu gewähren; für das bundesgerichtliche Verfahren sei ihm ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege einzuräumen.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.
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Erwägungen:
 
1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 138 V 318 E. 6 S. 320; 135 III 1 E. 1.1 S. 3 mit Hinweisen; 141 II 113 E. 1 S. 116). Gleiches gilt in Bezug auf das vorinstanzliche Verfahren (BGE 140 V 22 E. 4 S. 26; 136 V 7 E. 2 S. 9).
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Der Entscheid, mit dem ein kantonales Versicherungsgericht - wie hier - einzig über den Anspruch der versicherten Person auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren eines Sozialversicherungsträgers (Art. 37 Abs. 4 ATSG) befindet, ist kein End-, sondern ein Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG (BGE 139 V 600 E. 2 S. 601 ff.; SVR 2015 IV Nr. 18 S. 53 E. 2.1 [8C_557/2014]; Urteil 8C_246/2015 vom 6. Januar 2016 E. 1.1). Wird in einem kantonalen Entscheid die unentgeltliche Verbeiständung für das Administrativverfahren verweigert, droht der versicherten Person dadurch in aller Regel ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a. BGG (BGE 126 I 207 E. 2a S. 210), der auch mit einem für die Beschwerde führende Partei günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behebbar wäre (BGE 133 V 645 E. 2.1 S. 647; SVR 2015 IV Nr. 18 S. 53 E. 2.4; Urteil 8C_246/2015 E. 1.3.1). Auf die Beschwerde ist demnach einzutreten.
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2. Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
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3. Die Vorinstanz legte die kumulativen Voraussetzungen für die Bejahung der unentgeltlichen anwaltlichen Verbeiständung im sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsverfahren (sachliche Gebotenheit, Bedürftigkeit der Partei, fehlende Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren) zutreffend dar (Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 37 Abs. 4 ATSG; BGE 132 V 200 E. 4.1, 125 V 32 E. 4b S. 36). Darauf wird verwiesen. Zu wiederholen ist, dass in diesem Verfahren ein Anspruch auf anwaltliche Verbeiständung nur in Ausnahmefällen besteht, in denen schwierige rechtliche oder tatsächliche Fragen dies als notwendig erscheinen lassen und eine Verbeiständung durch Verbandsvertreter, Fürsorger oder andere Fach- oder Vertrauensleute sozialer Institutionen nicht in Betracht fällt. Zu gewichten ist auch die Fähigkeit der versicherten Person, sich im Verfahren zurechtzufinden (vgl. nicht publ. E. 8.2 des Urteils BGE 137 I 327, in SVR 2012 IV Nr. 26 S. 107 [8C_272/2011]). Die Frage nach der sachlichen Erforderlichkeit der anwaltlichen Verbeiständung ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage (SVR 2015 IV Nr. 18 S. 53 E. 4.1 f. [8C_557/2014]).
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Erwägung 4
 
4.1. Die Vorinstanz hat mit einlässlicher Begründung - auf die verwiesen wird - erkannt, die IV-Stelle habe die unentgeltliche Verbeiständung des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren zu Recht mangels Notwendigkeit abgelehnt. Sie stützte sich unter anderem auf das Urteil 8C_996/2012 vom 28. März 2013. Darin wurde in einem Fall gleich entschieden, in dem eine IV-Stelle - wie hier - zunächst vorbescheidweise auf eine Neuanmeldung nicht eintrat, nach Einwänden des Versicherten aber zur materiellen Anspruchsprüfung überging. Die vorinstanzliche Beurteilung hält sich im Rahmen der Rechtsprechung zu Art. 37 Abs. 4 ATSG.
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4.2. Der Versicherte bringt im Wesentlichen vor, die Vorinstanz habe den Umstand, ignoriert, dass keine allgemeine Pflicht bestehe, vor dem Beizug eines Anwalts bzw. einer Anwältin zuerst alle unentgeltlichen Rechtsberatungen anzufragen. Zudem wäre er aufgrund seiner mangelhaften Deutschkenntnisse auf einen Dolmetscher angewiesen gewesen. Deshalb könne es ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sofort eine Anwältin beigezogen habe. Mit der Kontaktierung einer Beratung hätte er sich dem Risiko ausgesetzt, nicht verstanden oder nicht richtig beraten zu werden. Aufgrund seines psychischen Gesundheitszustands meide er soziale Kontakte und sei skeptisch gegenüber unentgeltlichen Beratungsstellen. Diese Einwände sind unbehelflich, wie die folgenden Erwägungen zeigen.
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4.3. Der Versicherte legt neu ein Gutachten des Psychiaters Dr. med. Dr. rer. nat. C.________, vom 7. Oktober 2015 auf. Da es vor dem angefochtenen Entscheid datiert, handelt es sich um ein unechtes Novum, dessen Einreichung im Rahmen von Art. 99 Abs. 1 BGG zulässig ist. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet indessen noch keinen hinreichenden Anlass für die Zulässigkeit unechter Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]). Der Versicherte legt nicht dar, inwiefern der kantonale Entscheid zur Anrufung des obigen Gutachtens Anlass gibt bzw. dass ihm dessen vorinstanzliche Beibringung trotz hinreichender Sorgfalt prozessual unmöglich und objektiv unzumutbar war. Es ist somit unbeachtlich (vgl. auch Urteil 8C_761/2015 vom 8. Januar 2016 E. 4.2).
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4.4. Der Versicherte stand in Kontakt mit der Sozialberatung B.________, welche in seinem Namen die IV-Stelle am 14. April 2014 um Akteneinsicht ersuchte; am 24. Juni 2014 übermittelte ihr die IV-Stelle die Akten. Zudem wurde der Versicherte vom behandelnden Psychiater Dr. med. D.________ betreut, der am 7. Juli 2014 den Verlaufsbericht zu Handen der IV-Stelle verfasste.
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Weiter ist festzuhalten, dass der Versicherte gegenüber der IV-Stelle selbstständig agierte, indem er die Neuanmeldung vom 22. Mai 2014 und die erste Einwanderhebung vom 19. September 2014 gegen den Vorbescheid vom 29. August 2014 noch selber vornahm. Am 1. Oktober 2014 gab ihm die IV-Stelle Gelegenheit zur allfälligen ergänzenden Begründung seines Einwands innert 30 Tagen. Wenn er sich diesbezüglich überfordert fühlte, hätte er sich im sachverhaltlich und rechtlich relativ einfach gelagerten Verwaltungsverfahren (vgl. auch E. 4.5 hienach) erneut an Fach- und Vertrauensleute sozialer Institutionen/ unentgeltlicher Rechtsberatungen - sei es der Sozialberatung B.________, sei es einer anderen Institution - wenden müssen (siehe E. 3 hievor). Dass dies objektiv unmöglich oder unzumutbar und in diesem Rahmen kein kompetenter Dolmetscher verfügbar gewesen wäre, ist auch im Lichte der Vorbringen des Versicherten nicht plausibel. Soweit er geltend macht, er habe ausser der Anwältin niemanden gefunden, der den Einwand gegen den Vorbescheid für ihn begründet hätte, hat er seine diesbezüglichen Suchbemühungen nicht konkret substanziiert.
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4.5. Insgesamt bestehen keine Gründe, den strengen Massstab in Bezug auf die Erforderlichkeit der anwaltlichen Verbeiständung im vorliegenden "Neuanmeldungsverfahren" aufzuweichen. Dies um so weniger, als der Versicherte eine relevante Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nur glaubhaft zu machen hatte (Art. 87 Abs. 2 f. IVV). Selbst wenn ärztliche Beurteilungen in Frage standen, kann allein deswegen nicht von einer komplexen Fragestellung gesprochen werden, die eine anwaltliche Vertretung gebieten würde. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung in praktisch allen Verwaltungsverfahren bejaht werden müsste, was der Konzeption von Art. 37 Abs. 4 ATSG als einer Ausnahmeregelung widerspräche (Urteile 9C_878/2014 vom 6. Juli 2015 E. 5.1 und 8C_996/2012 vom 28. März 2013 E. 4.3.1).
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5. Der unterliegende Versicherte trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm im vorliegenden Verfahren wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 3. Februar 2016
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar
 
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