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Informationen zum Dokument  BGer 6B_571/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_571/2015 vom 14.12.2015
 
{T 0/2}
 
6B_571/2015
 
 
Urteil vom 14. Dezember 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Boog.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Fürsprecher René Firmin,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Bundesanwaltschaft, Taubenstrasse 16, 3003 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Versuchte Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht, Anrechnung des vorzeitigen Strafantritts,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 7. Oktober 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Das Bundesstrafgericht erklärte X.________ mit Urteil vom 7. Oktober 2014 der versuchten Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht (Art. 224 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, mit bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von 3 Jahren. In einem Punkt sprach es ihn frei. Für die Dauer der Probezeit ordnete es Bewährungshilfe an und wies X.________ an, sich psychotherapeutisch behandeln zu lassen. Die ausgestandene Polizei- und Untersuchungshaft rechnete es im Umfang von 149 Tagen auf die Strafe an. Ferner entliess es X.________ aus dem vorzeitigen Strafvollzug. Als Vollzugskanton bestimmte es den Kanton Zürich.
1
 
B.
 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen, mit welcher er beantragt, Ziff. 3.3 des angefochtenen Urteils sei aufzuheben und es seien sowohl die Polizei- und Untersuchungshaft von 149 Tagen als auch die Zeit des vorzeitigen Strafvollzuges, insgesamt 457 Tage, vollumfänglich auf die Strafe anzurechnen. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege unter Beiordnung von Fürsprecher René Firmin als amtlichen Anwalt.
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C.
 
Das Bundesstrafgericht beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der Beschwerde. Die Bundesanwaltschaft hat auf Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz wurde der Beschwerdeführer am 8. Juli 2013 verhaftet und in Untersuchungshaft versetzt. Am 3. Dezember 2013 wurde er auf sein Gesuch hin in den vorzeitigen Strafvollzug verlegt (angefochtenes Urteil S. 4). In der vorinstanzlichen Verhandlung beantragten der Beschwerdeführer und die Bundesanwaltschaft übereinstimmend die Anrechnung der gesamten Dauer des Freiheitsentzuges von insgesamt 457 Tagen (angefochtenes Urteil S. 2 und 3).
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Die Vorinstanz rechnet gemäss Art. 51 StGB lediglich die ausgestandene Polizei- und Untersuchungshaft von 149 Tagen auf die Strafe an. Sie nimmt an, der vorzeitige Strafantritt falle als vorweggenommener Strafvollzug nicht unter diese Norm (angefochtenes Urteil S. 33).
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1.2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Bundesrecht. Obwohl das Gesetz in Art. 51 StGB ausschliesslich von Untersuchungshaft spreche, müssten auch andere Formen des Freiheitsentzuges, namentlich der vorzeitige Strafvollzug auf die Strafe angerechnet werden. Würde der vorzeitige Strafantritt nicht mehr an die auszufällende Strafe angerechnet, müsste die beschuldigte Person in Untersuchungshaft verbleiben, um sicher zu gehen, dass die Zeit des Freiheitsentzuges angerechnet werde. Dies würde die Haftanstalten vor unlösbare Probleme stellen (Beschwerde S. 5 ff.).
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Erwägung 2
 
2.1. Gemäss Art. 236 Abs. 1 StPO kann die Verfahrensleitung der beschuldigten Person bewilligen, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehende Massnahmen vorzeitig, d.h. vor einem rechtskräftigen Urteil anzutreten, sofern der Stand des Verfahrens es erlaubt (vgl. auch aArt. 75 Abs. 2 StGB [in Kraft bis 31. Dezember 2010]).
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Nach Art. 51 StGB rechnet das Gericht die Untersuchungshaft, die der Täter während dieses oder eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an (vgl. auch aArt. 69 StGB [in Kraft bis 31. Dezember 2006]). Nach Art. 110 Abs. 7 StGB ist Untersuchungshaft jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft. Die Untersuchungshaft ist auch anzurechnen, wenn sie in einem anderen Verfahren angeordnet wurde. Das entspricht dem Grundsatz, dass der Freiheitsentzug im Untersuchungsverfahren einen Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit darstellt, der - wenn ein Schuldbeweis erbracht werden kann - durch Anrechnung der Haft entschädigt werden muss (BGE 135 IV 126 E. 1.3.6; 133 IV 150 E. 5.1, mit Hinweisen; Urteil 6S.421/2005 vom 23. März 2006 E. 3.2; vgl. auch 141 IV 236 E. 3.8 [Anrechnung der Untersuchungshaft auf eine stationäre therapeutische Massnahme]).
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2.2. Das Bundesgericht hat in seiner früheren Rechtsprechung explizit festgehalten, der vorzeitig angetretene Strafvollzug sei ohne jede Einschränkung anzurechnen (BGE 133 IV 150 E. 5.1; Urteile 6B_346/2009 vom 16. Juni 2009 E. 1.1). Damit bringt die Rechtsprechung zum Ausdruck, was sich im Grunde von selbst versteht. Denn aus dem Begriff des vorzeitigen Strafvollzuges bzw. Strafantritts ergibt sich in klarer Weise, dass der in dieser Form vollzogene Freiheitsentzug die vorweggenommene Vollstreckung der Strafe selbst darstellt (vgl. auch Art. 220 Abs. 1 StPO; METTLER/SPICHTIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Aufl. 2013, Art. 51 N 28) d.h. dass die Strafe im Umfang des erstandenen vorzeitigen Strafvollzuges effektiv verbüsst ist. Für den zu beurteilenden Fall, in welchem die Zuständigkeit für den Vollzug beim Kanton Zürich liegt, ergibt sich dies auch aus § 19 Abs. 1 der Justizvollzugsverordnung vom 6. Dezember 2006 (JVV/ZH; GS 331.1), nach welchem der vorzeitige Strafvollzug im Sinne von Art. 236 StPO der Vollzug einer unbedingten Freiheitsstrafe oder des unbedingten Teils einer teilbedingten Freiheitsstrafe vor dem Vorliegen eines rechtskräftigen und vollstreckbaren Urteils ist.
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Etwas anderes nimmt im Grunde auch die Vorinstanz nicht an, zumal sie ausdrücklich festhält, der vorzeitige Strafantritt sei ein vorweggenommener Strafvollzug. Sie verweist für ihre Rechtsauffassung im angefochtenen Entscheid auf ein früheres Urteil ihrer Strafkammer (SK.2012.48 vom 22. März 2013 E. 4.7), in welchem sie sich für diesen Punkt auf eine Stelle im Praxiskommentar Trechsel/Pieth beruft. Im zitierten Passus wird ausgeführt, der vorzeitige Strafantritt falle als vorweggenommener Vollzug nicht unter Art. 51 StGB, sondern sei zwingend und uneingeschränkt als Strafvollstreckung anzuerkennen (TRECHSEL/AFFOLTER-EIJSTEIN, Schweizerisches Strafgesetzbuch Praxiskommentar, 2008, Art. 51 N 5 [ebenso 2. Aufl. 2013 ebenda]). Daraus schliesst sie, dass die Dauer des vorläufigen Strafvollzuges nicht formell an die Strafe angerechnet werden muss.
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2.3. Wird die vorzeitig verbüsste Strafe im Urteil nicht explizit angerechnet bzw. wird der vorzeitige Vollzug nicht ausdrücklich als Strafvollstreckung anerkannt, kann für den Betroffenen dann ein Nachteil entstehen, wenn er, wie im zu beurteilenden Fall, zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und der bedingte Strafvollzug wegen erneuter Straffälligkeit widerrufen werden muss (Art. 46 Abs. 1 StGB). Denn wenn der in Form des vorzeitigen Strafantritts erstandene Freiheitsentzug im Urteilsdispositiv nicht ausdrücklich als Strafvollstreckung anerkannt wird, können sich über die Dauer des zu vollziehenden Strafrests Unklarheiten ergeben, zumal im Strafregister lediglich die Dauer der angerechneten Untersuchungshaft in Tagen verzeichnet wird (Verordnung über das Strafregister [VOSTRA-Verordnung] vom 29. September 2006 Anhang 1 Ziff. 4.18).
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Für den zu beurteilenden Fall ist demnach ausdrücklich festzuhalten, dass der vorzeitige Strafvollzug von 308 Tagen als Strafvollstreckung anerkannt wird. Damit sind zusammen mit der von der Vorinstanz angerechneten Untersuchungshaft von 149 Tagen insgesamt 457 Tage an die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Strafe anzurechnen. Da die Angelegenheit spruchreif ist sowie sofort und endgültig zum Abschluss gebracht werden kann, ist die Sache nicht an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägung 3
 
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die Eidgenossenschaft hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos; die Entschädigung ist jedoch dem Vertreter des Beschwerdeführers zuzusprechen.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, Ziff. 3.3 des Urteils des Bundesstrafgerichts vom 7. Oktober 2014 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
 
Die ausgestandene Polizei- und Untersuchungshaft sowie der vorzeitige Strafvollzug von insgesamt 457 Tagen werden auf die Strafe angerechnet.
 
2. Es werden keine Kosten erhoben.
 
3. Die Eidgenossenschaft (Bundesanwaltschaft) hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Dezember 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Boog
 
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