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Informationen zum Dokument  BGer 6B_546/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_546/2015 vom 22.10.2015
 
{T 0/2}
 
6B_546/2015
 
 
Urteil vom 22. Oktober 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Schär.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Felder,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
2. A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Eric Vultier,
 
3. B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Sprenger,
 
4. C.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Bettoni,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Einstellung (einfache Körperverletzung, Unterlassung der Nothilfe, Amtsmissbrauch),
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 21. April 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
B.a. Mit Verfügung vom 20. Juni 2014 stellte die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl das Strafverfahren ein.
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B.b. Das Obergericht geht von folgendem Sachverhalt aus: Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl führte gegen X.________ ein Strafverfahren wegen diverser Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz und weiterer Delikte. In Zusammenhang mit den Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz wurden bei X.________ rezeptpflichtige Medikamente sichergestellt. Um diese zurückzuerhalten, wurde er verpflichtet, die entsprechenden Rezepte den Strafverfolgungsbehörden vorzulegen. Zu diesem Zweck begab er sich am 8. Januar 2013 auf den Polizeiposten. Dabei wurde X.________ ausfällig gegenüber dem Polizisten A.________ und bezeichnete diesen als "Nigger". Ihm wurde umgehend eine Anzeige wegen Rassendiskriminierung eröffnet. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen wollte X.________ trotz mehrmaliger Aufforderung die Polizeiwache nicht verlassen, weshalb ihn A.________ zum Ausgang begleitete. X.________ führte unvermittelt einen Schlag in dessen Richtung aus. Darauf reagierte dieser mit einem Gegenstoss. X.________ geriet ins Straucheln. Dieses war aber noch auf dem Treppenabsatz abgeschlossen. Trotzdem stürzte er anschliessend drei Stufen hinunter und blieb auf dem Zwischenboden liegen. Eine unmittelbare Lebensgefahr bestand nicht. X.________ war zudem weder bewusstlos noch benötigte er ärztliche Hilfe. Er wurde zwischenzeitlich diverser SVG-Delikte sowie Betäubungsmitteldelikte schuldig gesprochen. In Zusammenhang mit den erwähnten Vorkommnissen wurde er zudem wegen Rassendiskriminierung verurteilt.
2
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG hat die Privatklägerschaft ein rechtlich geschütztes Interesse, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Keine Zivilansprüche im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die sich - wie hier - aus dem öffentlichen Recht, nämlich aus dem Haftungsrecht des Kantons Zürich, ergeben (vgl. BGE 131 I 455 E. 1.2.4; Urteile 6B_220/2014 vom 25. März 2014 E. 2; 1B_355/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 1.2.1; je mit Hinweisen). Die Einstellung des Strafverfahrens kann sich in solchen Fällen nicht auf die Beurteilung von Zivilansprüchen auswirken.
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1.2. Indessen anerkennt die Rechtsprechung gestützt auf Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 3 und 13 EMRK, Art. 7 UNO-Pakt II sowie Art. 13 des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe einen Anspruch des Betroffenen auf wirksamen Rechtsschutz (BGE 138 IV 86 E. 3.1.1 mit Hinweisen). Anspruch auf eine wirksame und vertiefte amtliche Untersuchung hat, wer in vertretbarer Weise geltend macht, von einem Polizeibeamten misshandelt worden zu sein (Urteile 1B_534/2012 vom 7. Juni 2013 E. 1.2.2; 1B_355/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 1.2.2, in: Pra 2013 Nr. 1 S. 1; je mit Hinweisen).
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1.3. Nach den Schilderungen des Beschwerdeführers wurde er von einem der anwesenden Polizisten respektive von einem der Beschwerdegegner geduzt und als Arschloch betitelt. Anschliessend sei er von ihnen grundlos die Treppenstufen beim Haupteingang hinuntergestossen worden. Dabei habe er sich den Kopf gestossen und sei etwa fünf Minuten bewusstlos liegen geblieben. Die Beschwerdegegner hätten ihn ausgelacht und sich geweigert, ihrer Pflicht zur Nothilfe nachzukommen. Gemäss dem Bericht des Universitätsspitals Zürich vom 8. Januar 2013 habe er sich eine Gehirnerschütterung und Schürfwunden zugezogen sowie unter Thoraxkompressionsschmerz gelitten. Entsprechend wird auch im vorinstanzlichen Beschluss festgehalten, beim Beschwerdeführer seien Verletzungen festgestellt worden, die er sich beim Treppensturz zugezogen haben müsse. Damit tut der Beschwerdeführer in vertretbarer Weise dar, Opfer staatlicher Gewalt geworden zu sein. Er hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids, weshalb auf die Beschwerde unter dem Gesichtswinkel der Legitimation einzutreten ist.
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Erwägung 2
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5; 138 I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 139 II 404 E. 10.1; je mit Hinweisen).
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2.2. Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, er habe bereits im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, die Beschwerdegegner hätten sich untereinander abgesprochen, um den Sachverhalt des "Rauswurfs" zu ihren Gunsten darzustellen. Ihre Aussagen seien nicht glaubhaft und die Vorinstanz nehme keine kritische Aussagewürdigung vor. Zudem lasse sich nicht erstellen, dass er den Beschwerdegegner 2 geschlagen habe, was er im vorinstanzlichen Verfahren ebenfalls ausführlich dargelegt habe. Die Vorinstanz setze sich mit seinen Argumenten nicht auseinander.
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2.3. Ausgehend von der ausführlichen Aussagewürdigung in der Einstellungsverfügung vom 20. Juni 2014, erwägt die Vorinstanz, die Aussagen der Beschwerdegegner und des Zeugen D.________ seien in den wesentlichen Punkten übereinstimmend. Die Aussagen des Beschwerdeführers unterzieht sie einer genaueren Betrachtung und zeigt verschiedene Widersprüche auf. Gestützt darauf gelangt sie zum Schluss, die übereinstimmenden Aussagen der Beschwerdegegner sowie des Zeugen D.________ seien glaubhafter als diejenigen des Beschwerdeführers. Die vorinstanzliche Begründung ist nachvollziehbar. Jedenfalls war der Beschwerdeführer ohne weiteres in der Lage, den vorinstanzlichen Entscheid sachgerecht anzufechten. Es war demnach nicht erforderlich, sich mit jedem einzelnen Einwand des Beschwerdeführers im Detail auseinanderzusetzen (vgl. BGE 139 IV 179 E. 2.2; 138 IV 81 E. 2.2; je mit Hinweis). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor.
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2.4. Im Übrigen weicht der Beschwerdeführer in seiner Begründung in unzulässiger Weise vom verbindlichen Sachverhalt der Vorinstanz ab, ohne Willkür darzutun. Dass sich die Beschwerdegegner untereinander abgesprochen haben sollen, begründet der Beschwerdeführer damit, sie hätten bereits im gegen ihn geführten Strafverfahren ungefragt zum "Rausschmiss" ausgesagt, obwohl es in jenem Verfahren lediglich um den Vorwurf der Rassendiskriminierung gegangen sei. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Dass die Beschwerdegegner in jenem Verfahren Aussagen zum gesamten Geschehensablauf und nicht isoliert bezüglich des Vorwurfs der Rassendiskriminierung machten, ist nachvollziehbar und lässt die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht als willkürlich erscheinen. Ebensowenig kann der Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass sein Schlag gegen den Beschwerdegegner 2 "nicht rapportiert" wurde, etwas zu seinen Gunsten ableiten. Unzutreffend ist auch, dass die Vorinstanz offenlasse, ob ein solcher Schlag überhaupt erfolgte. Vielmehr stellt auch sie, wie bereits die Staatsanwaltschaft, explizit fest, der Beschwerdeführer habe einen Schlag gegen den Beschwerdegegner 2 ausgeführt (vgl. vorinstanzlicher Beschluss, S. 11 und S. 12).
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Der Beschwerdeführer wirft den Beschwerdegegnern vor, es absichtlich versäumt zu haben, die Video-Aufnahmen vom Innen- und Aussenbereich der Polizeistation sicherzustellen. Ihm kann nicht gefolgt werden. Bereits in der Einstellungsverfügung vom 20. Juni 2014 wurde erwähnt, gemäss Amtsbericht der Stadtpolizei Zürich vom 31. März 2014 seien sämtliche Videoaufnahmen des Polizeigebäudes nach sieben Tagen gelöscht worden. Der Beschwerdegegner 2 habe sich um die Aufnahmen bemüht, als er von der Strafanzeige Kenntnis erhalten habe. Dies sei jedoch bereits vier Wochen nach dem Vorfall gewesen. Ohnehin habe es im Logenbereich aufgrund von Live-Monitoring gar keine Aufzeichnungen gegeben. Nach dem Gesagten geht der Einwand des Beschwerdeführers ins Leere. Zudem ist damit auch nicht dargetan, inwiefern die Sachverhaltsfeststellung ohne Videoaufnahmen respektive allein gestützt auf die Aussagen der Beteiligten willkürlich sein soll.
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2.5. Die vom Beschwerdeführer am Rande erwähnte Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro duriore" begründet er einzig damit, es obliege einer gerichtlichen Instanz und nicht der Staatsanwaltschaft, die Beweiswürdigung vorzunehmen.
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Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Oktober 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär
 
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