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Informationen zum Dokument  BGer 6B_153/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_153/2015 vom 08.10.2015
 
{T 0/2}
 
6B_153/2015
 
 
Urteil vom 8. Oktober 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Held.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Krapf,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Versuchte schwere Körperverletzung, Gefährdung des Lebens; Strafzumessung; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 19. Dezember 2014.
 
 
Sachverhalt
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch wegen Gefährdung des Lebens und rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung sowie eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die Vorinstanz habe seine Aussagen unvollständig gewürdigt und zu Unrecht angenommen, A.________ habe sich stark gewehrt, als er diesem das Hackmesser bis auf 5 cm an den Hals gehalten habe. Bei Würdigung seiner vollständigen Aussage ergebe sich, dass die Zeugin B.________ ihn von hinten weggezogen habe, bevor A.________ versucht habe, ihn wegzustossen. Da die Zeugin A.________ zuvorgekommen sei, sei ausgeschlossen, dass dieser Abwehrbewegungen gemacht oder sich bewegt habe, als der Beschwerdeführer das Messer in der Nähe des Halses hielt. Ein dynamisches Geschehen habe mithin nicht vorgelegen. Die Vorinstanz habe sich mit diesen Argumenten nicht auseinandergesetzt. Die Beweiswürdigung sei zudem willkürlich, da die Vorinstanz über den in der Anklage umschriebenen Sachverhalt hinausgehe. Das Hin- und Herschwingen des Küchenmessers habe zeitlich früher und in erheblichem Abstand zu A.________ stattgefunden. Die Anklage lege ihm nicht zur Last, hierdurch eine Lebensgefahr für A.________ geschaffen zu haben.
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1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer bestreite - entgegen dem Vorbringen seines Verteidigers - nicht, dass A.________ sich zur Wehr gesetzt habe. Er habe ausgeführt, dass dieser versucht habe, ihn wegzustossen, und damit den äusseren Anklagesachverhalt einer starken Gegenwehr in Übereinstimmung mit den Aussagen von A.________ bestätigt. Mithin sei erstellt, dass es sich um ein dynamisches Geschehen gehandelt habe, bei dem beide Beteiligten ständig in Bewegung gewesen seien.
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Erwägung 1.3
 
1.3.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung bzw. die Beweiswürdigung, wenn das Gericht den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen). Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass die von den Sachgerichten gezogenen Schlüsse nicht mit der Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmen, belegt keine Willkür. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).
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1.3.2. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt die Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt. Die Behörde darf sich aber auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken und muss sich nicht ausdrücklich mit jeder tatsächlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen und diese widerlegen. Es genügt, wenn sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann (vgl. BGE 141 III 28 E. 3.2.4 S. 41; 139 IV 179 E. 2.2 S. 183; 138 IV 81 E. 2.2 S. 84; je mit Hinweisen).
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Erwägung 1.4
 
1.4.1. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind ungeeignet, Willkür in der vorinstanzlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen. Entgegen seiner Ansicht kann aus dem zweiten - von der Vorinstanz nicht ausdrücklich gewürdigten - Satz seiner Aussage nicht (zwingend) gefolgert werden, A.________ habe keine Abwehrbewegungen gemacht oder sich bewegt, als der Beschwerdeführer diesem das Messer bis 5 cm an den Hals hielt. Hätte sich A.________ völlig ruhig verhalten, hätte der Beschwerdeführer nicht den von ihm beschriebenen Versuch des Wegstossens wahrnehmen können. Der Versuch, den Beschwerdeführer wegzustosssen, wäre nicht möglich und ergäbe keinen Sinn, wenn die Zeugin B.________ den Beschwerdeführer bereits von A.________ weggezogen hätte. Die Vorinstanz durfte aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers willkürfrei annehmen, dass es sich um eine dynamische Auseinandersetzung handelte, als er A.________ das Küchenmesser an den Hals hielt. Inwieweit allfällige Übertreibungen in den Aussagen von A.________, der den dynamischen Geschehensablauf bestätigt, entscheidende Bedeutung zukommen soll, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich.
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1.4.2. Die Rüge, die Vorinstanz hätte bei vollständiger Beweiswürdigung das Tatbestandsmerkmal der Skrupellosigkeit nicht bejahen können, erweist sich als unbegründet. Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzustimmen, dass die tatsächlichen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand sehr kurz gehalten sind, diese erweisen sich jedoch nicht als willkürlich. Der Beschwerdeführer verkennt, dass keine Anhaltspunkte für eine drohende Obdachlosigkeit bestanden. Er verfügte nach eigenen Angaben zur Tatzeit über ein monatliches Einkommen von Fr. 4'500.- und hat die eheliche Wohnung nur verlassen, weil er wegen einer nicht bezahlten Busse an seiner Meldeadresse polizeilich gesucht wurde. Zudem haben weder er noch A.________ in ihren Einvernahmen eine angedrohte Wegweisung aus der Wohnung erwähnt, geschweige denn als Grund für die Auseinandersetzung angegeben. Die insoweit anderslautende Aussage der Zeugin B.________ vermag keine Willkür in der Beweiswürdigung zu begründen, insbesondere da sie keinen Aufschluss über die Beweggründe des Beschwerdeführers gibt. Inwieweit die Vorinstanz überhaupt auf Sachbehauptungen der Parteien, die ausserhalb des Beweisverfahrens im Parteivortrag vorgebracht werden (vgl. Art. 346 Abs. 1 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO) und keine Stütze in den Akten finden, eingehen muss und ob ein anfällig angedrohter Rauswurf aus der Wohnung etwas am Verfahrensgang geändert hätte, kann offenbleiben.
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Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer bestreitet, A.________ vorsätzlich verletzt zu haben. Die Verletzungsgefahr sei geringer gewesen, als von der Vorinstanz angenommen. Er habe den Hals von A.________ mit den Händen abgedeckt, und dieser habe sich mit seinen eigenen Händen geschützt. Eventualvorsatz hinsichtlich einer (schweren) Körperverletzung setze einen aktiven Stich in die Nähe lebenswichtiger Organe voraus. Dass er A.________ die Verletzung aktiv zugefügt habe, lege die Vorinstanz dem Beschwerdeführer jedoch nicht zur Last. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, die auf eine Verletzungsabsicht oder darauf schliessen liessen, dass er eine schwere Verletzung in Kauf genommen habe.
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2.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe billigend in Kauf genommen, A.________ lebensgefährlich zu verletzen. Auch wenn für diesen keine unmittelbare Lebensgefahr bestanden habe, wäre durch einen nur wenig anderen Schnittverlauf eine Verletzung der in unmittelbarer Nähe liegenden Strukturen (Gesichtsnerv; grosse Blutgefässe; Luftröhre; Speiseröhre; Nervenbahn im Hals; Augapfel; Schläfenknochen) erfolgt und Lebensgefahr oder eine bleibende Schädigung eingetreten. Es sei naheliegend, dass durch das derart nahe Hinhalten des Messers an den Hals während eines dynamischen Geschehens mit unbedachten Bewegungen A.________ lebensgefährlich hätte getroffen werden können. Es sei dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen, das Messer still zu halten, da A.________ nach seinen Händen gegriffen habe. Das habe auch dem Beschwerdeführer bewusst sein müssen.
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2.3. Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die Verwirklichung des Tatbestandes für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB), sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis).
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2.4. Die Vorbringen des Beschwerdeführers erweisen sich als unbegründet, soweit sie überhaupt den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG genügen (vgl. vorstehend E. 1.3.1). Der Beschwerdeführer setzt sich mit den vorinstanzlichen Erwägungen nur oberflächlich auseinander. Er beschränkt sich weitgehend darauf zu schildern, wie sich das Geschehen nach seiner Ansicht abgespielt haben soll und legt nicht dar, dass und inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung unhaltbar sein soll und sich ein anderes Beweisergebnis geradezu aufdrängt. Das Bundesgericht ist jedoch keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Die appellatorische Kritik, es habe keine Verletzungsgefahr bestanden, ist durch die Schnittwunde, die A.________ erlitten hat, zudem widerlegt. Der Beschwerdeführer wusste um die Gefährlichkeit seines Vorgehens und konnte aufgrund der Dynamik des Geschehens nicht darauf vertrauen, A.________ nicht zu verletzen. Da die Gefahr von Schnittverletzungen im Gesicht bestand, verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie eventualvorsätzliches Handeln hinsichtlich einer schweren Körperverletzung bejaht. Einer aktiven Stichbewegung bedurfte es nicht. Dass es nicht seine Absicht gewesen sei, A.________ zu verletzen, ist unbeachtlich, denn die Vorinstanz legt dem Beschwerdeführer nur Eventualvorsatz zur Last.
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Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. Oktober 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Held
 
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