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Informationen zum Dokument  BGer 4A_256/2015  Materielle Begründung
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BGer 4A_256/2015 vom 17.09.2015
 
{T 0/2}
 
4A_256/2015
 
 
Urteil vom 17. September 2015
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
 
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Hohl,
 
Gerichtsschreiber Brugger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Erben der A.________, bestehend aus:
 
1. B.________,
 
2. C.________,
 
3. D.________,
 
4. E.________,
 
5. F.________,
 
6. G.________,
 
7. H.________,
 
8. I.________,
 
9. J.________,
 
10. K.________,
 
alle vertreten durch Rechtsanwältin Irène Spirig,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
L.________ AG,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Maag,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Mietzins; Rückforderung, Rechtsmissbrauch,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 8. April 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Mit Mietvertrag vom 27. September 1954 mietete M.________, Ehemann von A.________ und Vater bzw. Grossvater der Kläger, von der L.________ AG (Beklagte, Beschwerdegegnerin) eine 7-Zimmerwohnung in Zürich. Zum Mietobjekt gehörten laut Mietvertrag ein Mansardenzimmer (Mädchenzimmer Nr. 1) und ein Estrichraum (Kofferraum) auf der Winde sowie ein Kellerabteil. Nach dem Tod von M.________ ging das Mietverhältnis auf die am 30. August 2012 ebenfalls verstorbene A.________ (im Folgenden: die Mieterin) über. Im Jahre 2004 wurden sowohl das Mansardenzimmer als auch der Estrichraum von der Mieterin an die Beklagte zurückgegeben. Das Mietverhältnis wurde am 18. Oktober 2012 per 31. Januar 2013 aufgelöst und bis am 31. Juli 2013 erstreckt.
1
 
B.
 
Nach einem erfolglosen Schlichtungsversuch beantragten die Kläger (Erben der Mieterin) mit Klage vom 18. März 2013 beim Mietgericht Zürich, die Beklagte sei zu verpflichten, ihnen Fr. 38'595.-- nebst Zins für zu viel bezahlte Mietzinse zu bezahlen. Mit Urteil vom 29. September 2014 wies das Mietgericht die Klage ab.
2
 
C.
 
Die Kläger verlangen mit Beschwerde in Zivilsachen, es sei das Urteil des Obergerichts vom 8. April 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen Fr. 27'720.-- zu bezahlen zuzüglich Verzugszinsen von 5 % ab 14. November 2012.
3
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Die Sachurteilsvoraussetzungen der Beschwerde in Zivilsachen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Allerdings steht das Eintreten unter dem Vorbehalt zulässiger und rechtsgenügend begründeter Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. Erwägung 2).
4
 
Erwägung 2
 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Entsprechende Rügen sind überdies bloss zulässig, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
5
 
Erwägung 3
 
Strittig ist, ob den Beschwerdeführern gegenüber der Beschwerdegegnerin nach der Rückgabe des Mansarden- und Kofferzimmers im Jahre 2004 eine Forderung aus Mietzinsreduktion infolge Leistungsverminderung zusteht.
6
3.1. Die Vorinstanz erwog, der Rückgabe der genannten Nebenräume liege eine Mietvertragsänderung zu Grunde. Diese unterstehe im vorliegenden Fall der Formularpflicht i.S.v. Art. 269d OR und sei unbestrittenermassen mangels Einhaltung dieser Formvorschrift nichtig. Den Beschwerdeführern stehe daher grundsätzlich ein Anspruch zu, allfällig zu viel bezahlte Mietzinse nach den Grundsätzen über die ungerechtfertigte Bereicherung von der Beschwerdegegnerin zurückzufordern.
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3.2. Die Beschwerdeführer rügen, dass diese Auffassung der Vorinstanz dem Sinn und Zweck der Formvorschrift von Art. 269d OR widerspreche. Da keine Vermutung bestehe, dass der Mieter seine Rechte kenne, müsse dieser bei jeder Mietzinserhöhung oder Leistungsverminderung mit einem amtlich genehmigten Formular auf seine Anfechtungsmöglichkeit aufmerksam gemacht werden. Die für einen Rechtsmissbrauch vorausgesetzte Kenntnis des Formmangels könne nicht schon aus dem Umstand abgeleitet werden, dass dem Mieter später formgültige Vertragsänderungen mitgeteilt worden seien. Die Vorinstanz stelle damit im Kern die Frage, ob die Mieterin die Formnichtigkeit der Vertragsänderung bei gehöriger Sorgfalt hätte entdecken können und stelle dabei sehr hohe Anforderungen an deren Sorgfaltspflicht. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten liege überdies erst vor, wenn die Mieterin die Formnichtigkeit tatsächlich kannte und nicht schon, wenn sie diese bei gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können.
8
 
Erwägung 3.3
 
3.3.1. Nach Art. 269d Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 OR hat der Vermieter einseitige Änderungen des Mietvertrags zu Lasten des Mieters mit einem vom Kanton genehmigten Formular mitzuteilen. Eine solche Änderung ist nichtig, wenn sie nicht mit dem vorgeschriebenen Formular mitgeteilt wird (Art. 269d Abs. 2 lit. a i.V.m. Abs. 3 OR). Zahlt der Mieter gestützt auf eine nichtige Vertragsänderung einen zu hohen Mietzins, leistet er ohne Rechtsgrund und ihm steht für die zu viel bezahlten Mietzinsen ein Rückforderungsanspruch nach Art. 62 ff. OR zu (BGE 140 III 583 E. 3.2.3; 130 III 504 E. 6.2; je mit Hinweisen).
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3.3.2. Eine Rückforderung des zu viel bezahlten Mietzinses ist nach ständiger Rechtsprechung aber ausgeschlossen, wenn sich die Berufung des Mieters auf einen Formmangel bei der Mitteilung der Mietzinserhöhung bzw. einseitigen Änderungen des Mietvertrags zu Lasten des Mieters als rechtsmissbräuchlich erweist (BGE 140 III 583 E. 3.2.4 mit weiteren Hinweisen). Ob die Berufung auf den Formmangel gegen Treu und Glauben verstösst und damit einen offenbaren Rechtsmissbrauch gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB darstellt, ist in Würdigung aller Umstände des konkreten Falls und nicht nach starren Regeln zu prüfen (BGE 140 III 583 E. 3.2.4; 140 III 200 E. 4.2; 138 III 123 E. 2.4.2; je mit Hinweisen). Die Beweislast für die Umstände, die auf Rechtsmissbrauch schliessen lassen, trägt derjenige, der sich auf Rechtsmissbrauch beruft (BGE 138 III 425 E. 5.2; 134 III 52 E. 2.1 S. 58 f.; je mit Hinweis).
10
3.3.3. Damit stellt sich die Frage, ob die Vorinstanz zu Recht annahm, die Mieterin hätte vom Formmangel wissen können und müssen, da ihr nachfolgend an die formlos erfolgte Mietvertragsänderung zwei weitere Mietvertragsänderungen formgerecht angezeigt wurden.
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3.4. Die Vorinstanz erwog allerdings darüber hinaus, dass zwar eine nachfolgende formgültige und unangefochten gebliebene Vertragsänderung einen Formmangel einer vorgehenden (nichtigen) Vertragsänderung nicht heile (anders dagegen Raymond Bisang und Andere, Das schweizerische Mietrecht, SVIT-Kommentar, 3. Aufl. 2008, N. 58 zu Art. 269d OR), indessen "konsequenterweise" in diesem Umfang den Vertrag ändere; ein Rückforderungsanspruch dürfte danach bis längstens zu diesem Zeitpunkt (d.h. bis zur nachfolgenden Vertragsänderung) bestehen.
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3.5. Zusammenfassend verneinte die Vorinstanz einen Rückforderungsanspruch der Beschwerdeführer für die Zeit nach dem 1. April 2008 zu Recht (Erwägung 3.4 vorne).
13
 
Erwägung 4
 
Die Beschwerdeführer obsiegen mit ihrem Standpunkt der grundsätzlichen Berechtigung ihres geltend gemachten Mietzinsrückforderungsanspruchs vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2013 knapp zur Hälfte. Diesem Ausgang des Verfahrens entsprechend rechtfertigt es sich, die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG), den Beschwerdeführern für ihren Anteil unter solidarischer Haftbarkeit (Art. 66 Abs. 5 BGG), und die Parteikosten wettzuschlagen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
14
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 8. April 2015 aufgehoben, soweit damit die erstinstanzliche Klageabweisung betreffend die Mietzinsrückforderungsansprüche der Beschwerdeführer für die Zeit vor dem 1. April 2008 bestätigt wird. Die Sache wird in diesem Umfang zur weiteren Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt, den Beschwerdeführern für ihren Anteil unter solidarischer Haftbarkeit.
 
3. Die Parteikosten für das bundesgerichtliche Verfahren werden wettgeschlagen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 17. September 2015
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Kiss
 
Der Gerichtsschreiber: Brugger
 
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