VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 6B_315/2015  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 6B_315/2015 vom 07.09.2015
 
{T 0/2}
 
6B_315/2015
 
 
Urteil vom 7. September 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Faga.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Konrad Jeker,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Franziskanerhof, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Mehrfache grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Anklageprinzip, willkürliche Beweiswürdigung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 28. Januar 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
1. 
1
1.1. Der Beschwerdeführer sieht betreffend das Überholmanöver das Anklageprinzip verletzt. Er macht zusammengefasst geltend, die Vorinstanz unterstelle ihm ein Verhalten, welches ihm die Staatsanwaltschaft nicht vorwerfe. Es sei von Relevanz, ob das fragliche Überholmanöver lediglich auf der Fläche der Bushaltestelle erfolgt oder ob zusätzlich das daran anschliessende Trottoir und der Radstreifen mitbenutzt worden seien. Er habe die Sachverhaltsdarstellung in der Anklage dahingehend verstanden, dass das Manöver am Ende der Bushaltestelle abgeschlossen gewesen sei. Indem die Vorinstanz annehme, dass das Überholmanöver auf dem nach der Bushaltestelle folgenden Radstreifen und Trottoir habe fortgesetzt werden können, lege sie ihrem Urteil einen gegenüber der Anklageschrift erweiterten respektive abgeänderten Sachverhalt zugrunde (Beschwerde S. 6 ff.).
2
1.2. Nach dem Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion; Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV; Art. 9 und Art. 325 StPO; Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK). Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden (Immutabilitätsprinzip), nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (vgl. Art. 350 StPO). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe im objektiven und subjektiven Bereich genügend konkretisiert sind. Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 140 IV 188 E. 1.3 S. 190; 133 IV 235 E. 6.2 und 6.3 S. 244 ff.; Urteil 6B_130/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 6.2, nicht publ. in: BGE 138 IV 209; je mit Hinweisen).
3
1.3. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn vom 20. Februar 2014 wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe am 1. August 2013 um ca. 18.00 Uhr auf der Luzernstrasse in Derendingen in Richtung Subingen den von A.________ gelenkten Personenwagen Kia rechts via die Ausbuchtung der Bushaltestelle "Freiheit" überholt. Der Beschwerdeführer habe rücksichtslos gehandelt und eine ernsthafte Gefahr für die Sicherheit anderer, insbesondere der Insassen des überholten Personenwagens oder allfälliger Fussgänger und Busreisende, in Kauf genommen. Zumindest habe er bewusst grobfahrlässig gehandelt.
4
 
Erwägung 2
 
2.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 140 III 16 E. 2.1 S. 18 f.; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen).
5
2.2. Die Vorinstanz gelangt zur Überzeugung, der Beschwerdeführer habe während der Fahrt durch die Unterführung auf das Fahrzeug von A.________ so nahe aufgeschlossen, dass diese im Rückspiegel nicht mehr die ganze Front seines Fahrzeugs sehen konnte, und der Beschwerdeführer den Minimalabstand (6.66 Meter bei 40 km/h) bei weitem unterschritt. In der Folge überholte der Beschwerdeführer den Personenwagen rechts via die Bushaltestelle "Freiheit". Für das Überholmanöver stand ihm auch nach der Bushaltestelle im Bereich des Trottoirs und des Radstreifens genügend Raum zur Verfügung, falls die Strecke der Bushaltestelle nicht ausgereicht hätte.
6
2.3. Die Vorinstanz legt im Einzelnen dar, weshalb sie keine Zweifel am angeklagten Sachverhalt hegt. Was der Beschwerdeführer ihrer Beweiswürdigung entgegenhält, vermag weder Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung noch eine Verletzung der Unschuldsvermutung zu begründen. Diesbezüglich reicht nicht aus, wenn der Beschwerdeführer zum Beweisergebnis wie in einem appellatorischen Verfahren frei plädiert und ausführt, wie seiner Auffassung nach die vorhandenen Aussagen richtigerweise zu würdigen gewesen wären. Der Beschwerdeführer bringt beispielsweise vor, die Zeugin habe das nahe Auffahren in der zweiten Einvernahme dramatischer als in der ersten Befragung geschildert. Damit zeigt der Beschwerdeführer keine Willkür auf. Die Vorinstanz fasst die entsprechenden Schilderungen anlässlich der Befragungen vom 2. August 2013 und 4. Juni 2014 zutreffend zusammen (Entscheid S. 10). Sie sieht darin zu Recht keine Widersprüche. A.________ schilderte den Vorfall im Kerngeschehen zweifelsohne gleich. Was der Beschwerdeführer betreffend das Kontrollschild geltend macht, überzeugt ebenso wenig. Er bringt vor, A.________ habe anlässlich der ersten Einvernahme zu Protokoll gegeben, dass an seinem Auto das vordere Kontrollschild gefehlt habe, was sich als korrekt erwiesen habe. Es sei nicht verständlich, weshalb sie sich zehn Monate später nicht mehr daran habe erinnern können. Die Vorinstanz übersieht diesen Umstand nicht, schätzt die Aussagen zum Kontrollschild als nebensächliches Detail ein und misst ihnen deshalb eine unwesentliche Bedeutung bei. Diese Würdigung ist mit Blick auf das dynamische Geschehen durchaus nachvollziehbar. Auf jeden Fall kann sie nicht als offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden. Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer auf weitere Diskrepanzen hinweist (etwa die Frage, wann der Beifahrer von A.________ mit einer Geste an die Adresse des Beschwerdeführers reagierte) oder meint, die Zeugin habe in der ersten Einvernahme die Situation als ungefährlich eingeschätzt. Eine solche Argumentation vermag das vorinstanzliche Beweisergebnis nicht in Frage zu stellen, geschweige denn zu erschüttern. Wenngleich A.________ auf die Frage nach einer allfällig gefährlichen Situation festhielt, es seien keine Passanten oder Fahrradfahrer vor Ort gewesen, schilderte sie in derselben polizeilichen Befragung, dass der Beschwerdeführer sehr nahe aufgeschlossen, sie bedrängt, rechts überholt und dabei massiv beschleunigt hatte.
7
2.4. Der Beschwerdeführer sieht im Verzicht, ein verkehrstechnisches Gutachten einzuholen, eine Verletzung seines Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV). Er stellt sich zusammengefasst auf den Standpunkt, das ihm vorgeworfene Fahrmanöver sei unter Berücksichtigung der tatsächlich verfügbaren Strecke nicht möglich gewesen. Dies hätte ein Gutachten feststellen können. Die Rüge ist unbegründet. Der Beweisantrag fusst auf der Argumentation, dem Beschwerdeführer hätten für den Überholvorgang lediglich 2.88 Sekunden zur Verfügung gestanden (Beschwerde S. 5), was einer Strecke von 40 Metern (nämlich ca. der Länge der Bushaltestelle) entspreche (vgl. Berufungserklärung S. 2 mit Verweis auf den Schlussbericht der Staatsanwaltschaft). Diese Prämisse hat die Vorinstanz nach durchgeführtem Augenschein verworfen. Sie stellte vor Ort fest, dass das Trottoir nicht mit einem erhöhten Randstein begrenzt ist, Trottoir und Radstreifen nach der Bushaltestelle fortgesetzt werden und die Fahrbahn in Richtung Subingen nach der Bushaltestelle 
8
 
Erwägung 3
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. September 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Faga
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).