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Informationen zum Dokument  BGer 4A_188/2015  Materielle Begründung
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BGer 4A_188/2015 vom 31.08.2015
 
{T 0/2}
 
4A_188/2015
 
 
Urteil vom 31. August 2015
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
 
Bundesrichterin Klett, Bundesrichter Kolly, Bundesrichterinnen Hohl, Niquille,
 
Gerichtsschreiber Leemann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Wagner,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Raphael Haltiner,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Berichtigung von Personendaten,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer,
 
vom 11. Februar 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Am 22. Februar 2011 verfassten B.________ (Beklagter, Beschwerdegegner) und C.________ im Auftrag der kantonalen Sozialversicherungsanstalt Aargau einen Überwachungsbericht über A.________ (Kläger, Beschwerdeführer). Die IV-Stelle stützte sich u.a. auf diesen Bericht und hob mit Verfügung vom 17. November 2011 die IV-Rente des Klägers mit Wirkung ab 1. Oktober 2011 auf. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau und das Bundesgericht schützten diese Aufhebung (Urteil des Bundesgerichts 9C_645/2012 vom 16. August 2013).
1
A.b. Der Kläger reichte am 24. April 2014 beim Friedensrichterkreis X (Bezirk Laufenburg) ein Schlichtungsgesuch gegen den Beklagten, C.________ und die Versicherung X.________ ein, worin er vom Beklagten und von C.________ die Berichtigung des "Überwachungsberichts" vom 22. Februar 2011 sowie von allen drei Beklagten "in solidarischer Verbindung" Schadenersatz aus unerlaubter Handlung bzw. aus Versicherungsvertrag im Betrag von Fr. 30'000.-- verlangte.
2
Am 30. Juni 2014 reichte er beim Bezirksgericht Laufenburg eine Teilklage gegen die Versicherung X.________ ein und verlangte Fr. 30'000.-- aus Versicherungsvertrag. Dieses Verfahren (VZ.2014.10) ist noch beim Bezirksgericht Laufenburg hängig.
3
 
B.
 
B.a. Mit Klage vom 23. Juni 2014 (VZ.2014.9) gegen B.________ stellte der Kläger beim Bezirksgericht Laufenburg die folgenden Begehren:
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"1. Es sei der Beklagte zu verurteilen, den über den Kläger verfassten 'Überwachungsbericht' vom 22. Februar 2011 wie folgt zu berichtigen, eventuell mit entsprechenden Bestreitungsvermerken zu versehen:
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[es folgen die beanstandeten Passagen des Überwachungsberichts]
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2. Es sei davon Vormerk zu nehmen, dass es sich bei der vorliegenden Klage um eine Teilklage (Berichtigung von Personendaten) handelt und dass weitere Forderungen im Zusammenhang mit der Verfassung des 'Überwachungsberichtes' vom 22. Februar 2011 vorbehalten bleiben.
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3. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zuzügl. MwSt) zulasten des Beklagten.
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- ..]
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4. Es sei dem Kläger für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege mit dem Unterzeichneten als gerichtlich bestelltem Rechtsbeistand zu gewähren".
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B.b. Gegen dieses Urteil erhob der Beklagte Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau mit im Wesentlichen den gleichen Begehren. Zudem beantragte er die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auch für das Verfahren vor Obergericht. Dieses wies mit Urteil vom 11. Februar 2015 die Beschwerde wie auch das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab.
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C.
 
Mit Beschwerde in Zivilsachen, eventuell subsidiärer Verfassungsbeschwerde, beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht unter Aufrechterhaltung seiner im kantonalen Verfahren gestellten Anträge die Aufhebung des Urteils des Obergerichts des Kantons Aargau vom 11. Februar 2015. Auch vor Bundesgericht beantragt er sodann die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Das angefochtene Urteil erging in Anwendung des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz (DSG; SR 235.1). Es geht um eine zivilrechtliche Klage zur Durchsetzung eines Berichtigungsanspruchs nach Art. 15 DSG zwischen zwei Privatpersonen. In einer solchen Konstellation mit zwei privaten Parteien handelt es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit, weshalb die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich das zulässige Rechtsmittel an das Bundesgericht ist (Art. 72 BGG). Das Streitwerterfordernis gilt nicht, da die Angelegenheit als nicht vermögensrechtlich zu betrachten ist (Urteile 4A_506/2014 vom 3. Juli 2015 E. 3; 4A_406/2014 / 4A_408/2014 vom 12. Januar 2015 E. 2.1, nicht publ. in: BGE 141 III 119; 4A_688/2011 vom 17. April 2012 E. 1 mit Hinweis, nicht publ. in: BGE 138 III 425). Das angefochtene Urteil bildet überdies einen Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in Zivilsachen einzutreten. Damit ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde unzulässig (Art. 113 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Vorinstanz führte aus, ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch nach Art. 15 DSG setze ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse im Sinn des Nachweises einer fortdauernden Persönlichkeitsverletzung voraus. Die betroffene Person müsse somit nachweisen, dass der Beklagte ihre Personendaten in persönlichkeitsverletzender Weise bearbeite und 
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2.2. Dem hält der Beschwerdeführer entgegen, diese Auffassung verletze Art. 15 DSG. Gestützt auf diese Bestimmung bestehe ein Anspruch auf Datenberichtigung, solange der Beschwerdegegner weiterhin uneingeschränkt und auch gegenüber Dritten an den von ihm unrichtig beurkundeten rechtlich erheblichen Tatsachen festhalte, was hier der Fall sei. Dem Inhaber eines absoluten Rechts stehe während der ganzen Zeit, während der die Verletzung anhalte, ein Abwehrrecht zu und nicht nur bei deren Beginn.
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Erwägung 3
 
Der Beschwerdeführer beantragte mit seinem Schlichtungsbegehren vom 24. April 2014 einerseits vom Beschwerdegegner und C.________ sowie der Versicherung X.________ die Verpflichtung zur Zahlung von Fr. 30'000.-- "in solidarischer Verbindung " aus unerlaubter Handlung bzw. Versicherungsvertrag Nr. xxx und andererseits vom Beschwerdegegner und C.________ die Berichtigung des Überwachungsberichts vom 22. Februar 2011. Das Schlichtungsgesuch enthielt somit sowohl eine objektive (Art. 90 ZPO) wie eine subjektive (Art. 71 ZPO) Klagenhäufung. Der Beschwerdeführer prosequierte die Klagebewilligung vom 12. Juni 2014 dann mit zwei verschiedenen Klagen: einerseits der vorliegenden (Verfahren VZ.2014.9) und andererseits einer Klage lediglich gegen die Versicherung X.________ auf Zahlung von Fr. 30'000.-- (Verfahren VZ.2014.10), die nach wie vor beim Bezirksgericht hängig ist. Das wirft die Frage auf, ob der Beschwerdeführer überhaupt gegenüber dem Beschwerdegegner einen selbstständigen Anspruch gestützt auf das Datenschutzgesetz geltend machen kann. Denn gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG ist das Gesetz nicht anwendbar u.a. auf "hängige Zivilprozesse ". Diese Frage ist vorweg zu prüfen.
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3.1. Die Ausnahmebestimmung von Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG beruht auf der Idee, dass hier der Persönlichkeitsschutz durch die Spezialbestimmungen des Prozessrechts hinreichend gesichert und geregelt wird. Käme das Datenschutzgesetz ebenfalls zur Anwendung, würden sich zwei Gesetze mit zum Teil gleicher Zielsetzung überlagern, was zu Rechtsunsicherheiten, zu Koordinationsproblemen und zu Verfahrensverzögerungen führen würde (BGE 138 III 425 E. 4.3 S. 429 mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat es abgelehnt, den Begriff "hängige Zivilprozesse" in 
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3.2. Wäre es bei der subjektiven und objektiven Klagenhäufung gemäss Schlichtungsgesuch geblieben, also so wie die Klage im Sinn von Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG ursprünglich anhängig gemacht wurde, wäre ohne Zweifel davon auszugehen, dass das Berichtigungsbegehren 
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3.2.1. Hintergrund des Prozesses VZ.2014.10 ist, dass die Versicherung X.________ ihre Leistungen aus dem mit dem Beschwerdeführer abgeschlossenen Versicherungsvertrag mit der Policen-Nr. xxx gestützt auf den Überwachungsbericht vom 22. Februar 2011 eingestellt hat, wie der Beschwerdeführer selber dargelegt hat (vgl. Schlichtungsgesuch vom 24. April 2014, Ziff. 4 und 6). In diesem hängigen Zivilprozess soll somit der Überwachungsbericht (bzw. die damit zusammen erstellten Videoaufnahmen, vgl. Urteil 9C_645/2012 vom 16. August 2013 E. 4.3.2) offensichtlich als Beweismittel der Beklagten dienen. Gleichzeitig - aber ausserhalb des Verfahrens VZ.2014.10 - macht der Beschwerdeführer den Überwachungsbericht bzw. dessen Würdigung zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Es geht somit um die Frage, ob 
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3.2.2. Vorweg ist festzuhalten, dass das Bundesgericht bereits entschieden hat, dass sich auch in einen hängigen Prozess einbezogene Zu Recht wird in der Lehre darauf hingewiesen, es gehe bei Art. 2 Abs. 2 lit. c DSG um die Verhinderung einer Normenkollision (Wiget/Schoch, a.a.O., S. 1007; Rosenthal/Jöhri, a.a.O., N. 32 zu Art. 2 DSG; Philippe Meier, Protection des données, 2011, Rz. 389 S. 189). Die vom Gesetzgeber bezweckte Koordination (vgl. E. 3.1) bezieht sich nicht nur auf Akteneinsichts-, Auskunfts- und Mitwirkungsrechte der Betroffenen. Die Botschaft erwähnt ausdrücklich, Prozessgesetze enthielten auch "Bestimmungen über die Informationsbearbeitung", indem sie etwa festlegten, "wie der Prozessstoff gesammelt und gewürdigt wird" (Botschaft vom 23. März 1988 zum Bundesgesetz über den Datenschutz, BBl 1988 II 442). Auch im Hinblick auf die Beweiswürdigung kann es zu einer Normenkollision kommen, wenn das Datenschutzgesetz ausserhalb des hängigen Prozesses, aber im Hinblick auf im Verfahren zu würdigende Beweismittel anwendbar bleibt.
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Erwägung 4
 
Überdies wäre die Beschwerde auch abzuweisen, selbst wenn das Datenschutzgesetz anwendbar wäre.
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Erwägung 5
 
Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils auch insofern, als ihm die unentgeltliche Rechtspflege für die Verfahren vor Bezirks- und Obergericht nicht gewährt wurde. Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Vorinstanzen im Ergebnis zu Recht von der Aussichtslosigkeit der Klage ausgingen. Die Beschwerde ist somit auch insofern abzuweisen und entsprechend auch das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das Verfahren vor Bundesgericht.
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Erwägung 6
 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, da keine Vernehmlassung eingeholt wurde.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Die Beschwerde in Zivilsachen wird abgewiesen.
 
3. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.
 
4. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 31. August 2015
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Kiss
 
Der Gerichtsschreiber: Leemann
 
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