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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1035/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_1035/2014 vom 27.08.2015
 
{T 0/2}
 
2C_1035/2014
 
 
Urteil vom 27. August 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Zähndler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.A.________,
 
2. B.A.________,
 
3. C.A.________,
 
Beschwerdeführer, alle drei vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
 
gegen
 
Oberstufenschulpflege Regensdorf,
 
vertreten durch Rechtsanwaltin Ofebia Wettstein.
 
Gegenstand
 
Genugtuungs- und Schadenersatzforderung (Staatshaftung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 10. Oktober 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 8. Juli 2007 unternahm die damals knapp 15 ½-jährige D.A.________ aus Regensdorf/ZH mit ihrer Schulklasse und ihrem Lehrer im Rahmen der Abschlussreise eine Riverrafting-Tour auf der Saane. Die Fahrt wurde mit drei Booten, je einem Führer pro Boot, und insgesamt 21 Teilnehmenden durchgeführt. In der Vanel-Schlucht, wo der Fluss in der Mitte durch einen Felsen geteilt wird, ereignete sich ein Unfall. Die erste Gruppe kam von der Fahrlinie ab und geriet auf die langsamer fliessende linke Flussseite. Ihr Boot touchierte anschliessend den Felsen und verkeilte sich in der Verengung zwischen Fels und rechtem Ufer. Das zweite Boot, mit D.A.________ an Bord, kollidierte mit dem ersten Boot und kenterte, wobei sämtliche Insassen ins Wasser fielen. D.A.________ blieb mit der Schwimmweste an einem Gegenstand im Wasser hängen und wurde durch den Wasserdruck unter die Wasseroberfläche gedrückt. Rettungsversuche der Bootsführer und der Teilnehmer aus den anderen Booten scheiterten zunächst. Erst als die Schwimmweste von D.A.________ durchschnitten werden konnte, gelang es, sie aus dem Wasser zu ziehen und mit der Rettungsflugwacht ins Inselspital Bern zu überführen. Dort erlag D.A.________ jedoch ihren Verletzungen.
1
B. Die Eltern von D.A.________, A.A.________ und B.A.________, sowie die Schwester C.A.________ stellten bei der Oberstufenschulpflege Regensdorf ein Haftungsbegehren. Nach Ablehnung des selbigen erhoben A.A.________, B.A.________ und C.A.________ mit Eingabe vom 30. November 2010 Klage beim Bezirksgericht Dielsdorf und beantragten, die Oberstufenschulpflege Regensdorf sei kostenfällig zu verpflichten, an A.A.________ eine Genugtuung von einstweilen Fr. 68'100.--, an B.A.________ eine Genugtuung von einstweilen Fr. 60'000.-- und an C.A.________ eine Genugtuung von einstweilen Fr. 30'000.--, jeweils zuzüglich 5 % Zins seit dem Unfalltag, zu leisten. Für die vorprozessual entstandenen Anwaltskosten seien die Kläger mit Fr. 20'000.-- zu entschädigen.
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C. Hiergegen beschwerten sich A.A.________, B.A.________ und C.A.________ beim Bundesgericht. Mit Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 2C_795/2013 vom 16. Juni 2014 hiess dieses die Beschwerde wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs gut und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht des Kantons Zürich zurück: Das Bundesgericht erachtete es als erstellt, dass die Betroffenen - entgegen den Annahmen des Obergerichts - im erstinstanzlichen Verfahren einen Beweisantrag betreffend ergänzende Befragungen und Expertisen zur Gefährlichkeit resp. zur Eignung der für das Rafting gewählten Route gestellt haben, über den das Bezirksgericht Dielsdorf und in der Folge auch das Obergericht nicht befunden hätten.
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D. Mit Eingabe vom 14. November 2014 führen A.A.________, B.A.________ und C.A.________ abermals Beschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragen im Wesentlichen, es sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 10. Oktober 2014 aufzuheben, und es sei die Oberstufenschulpflege Regensdorf zu verpflichten, A.A.________, B.A.________ und C.A.________ jeweils einen Betrag nach richterlichem Ermessen auszurichten (Streitwert einstweilen Fr. 68'100.--, Fr. 60'000.-- und Fr. 30'000.--), jeweils zuzüglich Schadenszins ab Unfalltag in Höhe von 5 %. Eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2; Art. 90 BGG) auf dem Gebiet der Staatshaftung, welcher mittels Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 lit. a BGG), sofern - wie vorliegend - die Streitwertgrenze von Fr. 30'000.-- erreicht ist (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG). Auf die form- und fristgerecht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten (unter Vorbehalt von E. 1.2 und E. 1.3 sowie von E. 4 und E. 5 hiernach), zumal die Beschwerdeführer als Adressaten des angefochtenen Entscheids ohne Weiteres zur Ergreifung dieses Rechtsmittels legitimiert sind (Art. 89 Abs. 1 BGG).
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1.2. Mit der Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f. m.H.). Die Verletzung von kantonalemRecht ist dagegen grundsätzlich kein zulässiger Beschwerdegrund. Überprüft werden kann diesbezüglich nur, ob der angefochtene Entscheid auf willkürlicher Gesetzesanwendung beruht oder sonstwie gegen übergeordnetes Recht verstösst (BGE 136 I 241 E. 2.4 und E. 2.5.2 S. 249 f.; 133 II 249 E. 1.2.1 S. 151 f.). Bundesrecht, das gestützt auf einen Verweis in einer kantonalen Rechtsgrundlage Anwendung findet, gilt alssubsidiäreskantonalesRecht (Urteil 2C_795/2013 vom 16. Juni 2014 E. 2.1 m.H.)
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1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445; 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f.). Die betroffene Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt in diesem Sinne mangelhaft erscheint und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung genügt den Begründungs- bzw. Rügeanforderungen nicht (vgl. BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 m.H.).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführer beanstanden vorab, die Begründung des angefochtenen Urteils sei ungenügend, zumal dieses an keiner Stelle die auf die Beurteilung der im Streit liegenden Genugtuungsforderungen anwendbare Rechtsnorm nenne.
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2.2. Weiter rügen die Beschwerdeführer in formeller Hinsicht, das angefochtene Urteil verletze (erneut) das Recht auf Beweis und damit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV. Sie verweisen dabei auf den bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid vom 16. Juni 2014 im Verfahren 2C_795/2013 (vgl. Sachverhalt Lit. C hiervor) und bringen vor, dass das Obergericht es abermals unterlassen habe, über den im erstinstanzlichen Verfahren gestellten Beweisantrag zu befinden.
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3. In der Sache selbst rügen die Beschwerdeführer im Wesentlichen eine willkürliche Anwendung des kantonalen Haftungsgesetzes, indem die Vorinstanz eine haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung der verantwortlichen Lehrperson verneint hat.
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3.1. Die Beschwerdeführer erblicken eine Sorgfaltspflichtverletzung insbesondere in der Auswahl einer zu gefährlichen Raftingstrecke.
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3.2. Sodann behaupten die Beschwerdeführer, eine Sorgfaltspflichtverletzung liege auch in der unterlassenen persönlichen Risikoevaluation durch den Lehrer. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf die Empfehlungen des Volksschulamtes des Kantons Zürich zum Schwimmunterricht. Diese führen unter dem Stichwort "Gefahrenabschätzung" was folgt aus: "Das Gefahrenpotential hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn die örtlichen Verhältnisse nicht oder kaum bekannt sind, hat die Lehrperson die notwendigen Abklärungen vorgängig zu treffen". Die Beschwerdeführer machen geltend, der Lehrer hätte sich mithin nicht auf Angaben des Veranstalters oder auf eine Rekognoszierung eines anderen Lehrers verlassen dürfen.
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3.3. Die Beschwerdeführer machen schliesslich geltend, der Lehrer hätte einschreiten und den Ausflug abbrechen müssen, als der Tourveranstalter den Schülern kurz vor dem Einwassern eine Einverständniserklärung zur Unterschrift vorlegte: Zum einen habe sich aufgrund dieser Einverständniserklärung eine andere Einschätzung der Gefahrenlage und der Risiken aufgedrängt, zum andern hätten die Jugendlichen diese Erklärung gar nicht rechtsverbindlich unterschreiben können. Das Nichteinschreiten des Lehrers stelle ebenfalls eine haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung dar, was die Vorinstanz jedoch in willkürlicher Weise verneint habe.
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Die den Teilnehmern der Riverrafting-Tour vorgelegte Einverständniserklärung weist im Wesentlichen darauf hin, dass mit dem Riverrafting naturgemäss einige Gefahren verbunden seien, diese jedoch bei guter körperlicher Verfassung und bei Befolgen der Anweisungen des Aktivitätenleiters auf ein Minimum reduziert werden könnten; trotz fachkundiger und sorgfältiger Organisation und Durchführung der Aktivitäten könnten jedoch Unfälle nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Erklärung fordert die Unterzeichner sodann auf, mit ihrer Unterschrift insbesondere zu bestätigen, dass sie die Anweisungen des Aktivitätenleiters strikt befolgen werden, dass sie auf eigenes Risiko und in eigener Verantwortung an der Veranstaltung teilnehmen und darauf verzichten, den Veranstalter bei Unfällen mit Haftungsansprüchen zu belangen.
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4. Weiter rügen die Beschwerdeführer eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung durch das Obergericht: Dieses sei zu Unrecht zum Schluss gelangt, der Lehrer habe ihnen, den Beschwerdeführern, im Vorfeld der Riverrafting-Tour die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie ein Informationsblatt zu Wasseraktivitäten des Veranstalters zukommen lassen; richtig sei vielmehr, dass sie nie solche Unterlagen erhalten hätten.
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5. Abschliessend werfen die Beschwerdeführer dem Obergericht in zwei weiteren Punkten Willkür vor: Einerseits habe es die Informationspflicht des Lehrers zu Unrecht bereits dann als erfüllt erachtet, wenn dieser den Schülern Informationen zwecks Weiterleitung an die Eltern abgibt. Andererseits sei die Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen, die Beschwerdeführer 1 und 2 als Eltern der verunglückten Schülerin hätten der Teilnahme ihrer Tochter selbst bei genügender Information zugestimmt (hypothetische Einwilligung).
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Abgesehen davon, dass die Relevanz dieser Vorbringen angesichts des Obenstehenden nicht mehr ohne Weiteres ersichtlich ist (vgl. E. 4 hiervor) zeigen die Beschwerdeführer nicht auf, welche Norm des kantonalen Rechts die Vorinstanz willkürlich angewendet haben soll. Mit ihrem Vorgehen genügen sie den ihnen obliegenden Substantiierungslasten bei Verfassungsrügen nicht (vgl. E. 1.2 hiervor). Auch diese Rügen sind somit nicht zu hören.
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6. Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Das Gesuch der Beschwerdeführer 1 und 2 um unentgeltliche Verbeiständung wird gutgeheissen. Rechtsanwalt David Husmann, Zürich, wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand der Beschwerdeführer 1 und 2 bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von gesamthaft Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. August 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Zähndler
 
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