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Informationen zum Dokument  BGer 4F_9/2015  Materielle Begründung
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BGer 4F_9/2015 vom 27.07.2015
 
{T 0/2}
 
4F_9/2015
 
 
Urteil vom 27. Juli 2015
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
 
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Hohl,
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ Ltd,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas Binder und Rechtsanwältin Dr. Christine Hehli Hidber,
 
Gesuchstellerin,
 
gegen
 
OAO B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwälte
 
Dr. Jodok Wicki und Dr. Axel Buhr,
 
Gesuchsgegnerin,
 
Gegenstand
 
Anerkennung und Vollstreckbarerklärung,
 
Revisionsgesuch gegen das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts 4A_203/2014 vom 9. April 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Mit Eingabe vom 28. Januar 2013 gelangte die OAO B.________ (Gesuchsgegnerin) an das Bezirksgericht Zürich. Sie beantragte, die Entscheidung des Arbitragegerichtes der Stadt Moskau vom 22. Juli 2011 " in Verbindung mit" der Verordnung des Neunten Arbitrage- und Appellationsgerichts vom 30. November 2011, der Verordnung des Föderalen Arbitragegerichtes der Moskauer Region vom 16. Mai 2012 und dem Beschluss des Obersten Arbitragegerichts der Russischen Föderation vom 11. Dezember 2012 gegen die A.________ Ltd (Gesuchstellerin) anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Mit Urteil vom 14. Oktober 2013 gab das Einzelgericht Audienz am Bezirksgericht dem Begehren statt und sprach die beantragte Vollstreckbarerklärung "für das Gebiet der Schweiz" aus.
1
 
B.
 
Die A.________ Ltd verlangt mit Revisionsgesuch vom 20. April 2015, das Urteil des Bundesgerichts vom 9. April 2015 sei "aufzuheben und neu zu entscheiden".
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Das - auf Art. 121 lit. d BGG gestützte - Revisionsgesuch ist rechtzeitig beim Bundesgericht eingereicht worden (vgl. Art. 124 Abs. 1 lit. b BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Gemäss Art. 121 lit. d BGG kann die Revision eines Entscheids des Bundesgerichts verlangt werden, wenn das Gericht in den Akten liegende erhebliche Tatsachen aus Versehen nicht berücksichtigt hat.
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2.2. Ein Versehen im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn eine Tatsache oder ein bestimmtes Aktenstück übersehen oder mit einem falschen Wortlaut wahrgenommen worden ist. Davon zu unterscheiden ist die allenfalls unzutreffende Würdigung von Beweisen. Sie berechtigt so wenig zu einer Revision wie die angeblich unrichtige rechtliche Würdigung eines Sachverhaltes. Der Revisionsgrund von Art. 121 lit. d BGG ist demnach nicht gegeben, wenn das Bundesgericht die fraglichen Aktenstellen und Vorbringen zwar durchaus berücksichtigt, aber nicht so gewürdigt und beurteilt hat, wie die gesuchstellende Partei dies wünscht und im Beschwerdeverfahren beantragt hatte. Die Revision dient auch nicht dazu, allfällige Versäumnisse im vorinstanzlichen Verfahren oder bei der Begründung der Beschwerde an das Bundesgericht nachträglich zu beheben (Urteile 4F_16/2014 vom 27. Februar 2015 E. 2.2; 5F_6/2007 vom 7. April 2008 E. 2.2; vgl. auch BGE 122 II 17 E. 3 S. 18). Der Revisionsgrund von Art. 121 lit. d BGG setzt naturgemäss voraus, dass das Bundesgericht die fraglichen Tatsachen in seinem Entscheid überhaupt hätte berücksichtigen 
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2.3. Sodann kann die Revision nur verlangt werden, wenn
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Erwägung 3
 
3.1. Im Urteil 4A_203/2014 vom 9. April 2015 befand das Bundesgericht, es widerspreche jedenfalls unter den konkret gegebenen Umständen dem Gebot von Treu und Glauben sowie dem Rechtsmissbrauchsverbot, wenn die Gesuchstellerin im Exequaturverfahren unter dem Gesichtspunkt der Anerkennungsverweigerung überhaupt erstmals Bestechungsvorwürfe gegen die russischen Gerichte erhoben habe (Urteilserwägung 5.1). Zusammengefasst sei die Gesuchstellerin bewusst eine Zuständigkeitsvereinbarung zu Gunsten der russischen Gerichte für Streitigkeiten aus dem abgeschlossenen Rückversicherungsvertrag eingegangen, habe in der Folge vor den prorogierten Gerichten als Beklagte und Widerklägerin über vier Instanzen bis zu ihrem rechtskräftigen Unterliegen prozessiert, um dann erstmals im Anerkennungsverfahren in der Schweiz - aufgrund einzelner, nicht eindeutiger Indizien - pauschale Korruptionsvorwürfe gegen die urteilenden russischen Gerichte zu erheben. Ein derartiges Verhalten sei widersprüchlich und treuwidrig, zumal nicht ersichtlich sei, aus welchem Grund die Gesuchstellerin die entsprechenden Bedenken nicht bereits im russischen Entscheidverfahren in geeigneter Form hätte zum Ausdruck bringen können. Der Ordre-public-Einwand der Gesuchstellerin erweise sich in einer Gesamtbetrachtung als offenbar rechtsmissbräuchlich und verdiene nach Art. 2 Abs. 2 ZGB keinen Rechtsschutz (Urteilserwägung 5.3.3). Die Vorinstanz - so der Schluss des Bundesgerichts - habe jedenfalls im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht verstossen, wenn sie der Gesuchstellerin die Berufung auf Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG wegen Verspätung verwehrt habe und in der Folge nicht weiter auf die Argumentation eingegangen sei, die Gesuchsgegnerin habe die am russischen Entscheidverfahren mitwirkenden Richter bestochen. Das Bundesgericht befand, die von der Gesuchstellerin in diesem Zusammenhang gerügten Rechtsverletzungen seien nicht gegeben. Bei dieser Sachlage könne der erhobene Korruptionsvorwurf auch im bundesgerichtlichen Verfahren inhaltlich unbeurteilt bleiben (Urteilserwägung 5.5).
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3.2. Die Gesuchstellerin rügt, das Bundesgericht habe in seinem Urteil offensichtlich übersehen, dass sich ihr Informationsstand "zur Zeit der in Russland laufenden Gerichtsverfahren" und der "für das vorliegende Exequaturverfahren massgebende Informationsstand" betreffend die Bestechung der russischen Richter stark voneinander unterschieden. Sie meint, das Bundesgericht habe seinem Urteil "von insgesamt zwölf Indizien für die Bestechung der russischen Richter lediglich vier zugrunde gelegt, welche allesamt der Gesuchstellerin zur Zeit des russischen Gerichtsverfahrens bekannt waren". Die übrigen acht Indizien habe das Bundesgericht seinem Urteil nicht zugrunde gelegt und offensichtlich übersehen.
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Erwägung 4
 
4.1. Die Gesuchstellerin verkennt, dass das Bundesgericht im Beschwerdeverfahren grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheids, hier des Urteils des Obergerichts vom 26. Februar 2014, gebunden ist, unter Vorbehalt rechtsgenügend begründeter Sachverhaltsrügen. Dies hat das Bundesgericht in Erwägung 2.2 des Urteils 4A_203/2014 vom 9. April 2015 ausführlich erläutert, worauf verwiesen werden kann.
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4.2. Entsprechend stützte sich das Bundesgericht in Urteilserwägung 5.3.1 hinsichtlich der Begründung des Bestechungsvorwurfs durch die Gesuchstellerin im kantonalen Verfahren auf das - in tatsächlicher Hinsicht - verbindliche Urteil des Obergerichts. So wurde denn in dieser Urteilserwägung auch mit der (in Klammern gesetzten) Präzisierung "unter anderem" - wie schon im angefochtenen Urteil - ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die konkret genannten Argumente der Gesuchstellerin keine abschliessende Aufzählung darstellten, sondern dass sich die Wiedergabe insofern auf die vom Obergericht ausdrücklich genannten Elemente beschränkte. Wenn das Bundesgericht sodann ausführte, die von der Gesuchstellerin vorgetragenen Anhaltspunkte auf Korruption gingen "nicht über vage Indizien" hinaus, hielt sich diese Beurteilung somit an die verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen. Andererseits setzte sich das Bundesgericht in einer selbständigen Urteilserwägung 5.4.1 mit den von der Gesuchstellerin (im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren) genannten Umständen auseinander, "die von ihr im kantonalen Verfahren geltend gemacht worden, aber von der Vorinstanz mit keinem Wort beachtet worden seien". Es erwog, selbst wenn die dahingehenden Ausführungen als wahr unterstellt würden, vermöchten sie das prozessuale Verhalten der Gesuchstellerin nicht zu rechtfertigen.
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4.3. Dass die von der Gesuchstellerin im Revisionsgesuch vorgetragenen Indizien im Verfahren 4A_203/2014 
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Erwägung 5
 
5.1. Ohnehin ist aber nicht erkennbar, inwiefern die ausdrückliche Berücksichtigung der nun vorgetragenen Indizien einen anderen Ausgang des Verfahrens hätte nach sich ziehen können (vgl. Erwägung 2.3) :
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5.2. So behauptet die Gesuchstellerin als 
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5.3. Im Weiteren führt die Gesuchstellerin hinsichtlich der 
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5.4. Auch die übrigen Umstände, welche die Gesuchstellerin unter Hinweis auf ihre kantonalen Rechtsschriften ab der erstinstanzlichen Duplik behauptet, vermöchten dem Rechtsmissbrauchsvorwurf von vornherein nicht den Boden zu entziehen, zumal es sich dabei im Wesentlichen nicht um neue Erkenntnisse, sondern lediglich um eine Erweiterung ihrer Argumentation unter Würdigung des prozessualen Verhaltens und der Ausführungen der Gesuchsgegnerin im kantonalen Verfahren handelt. Dies gilt etwa, wenn die Gesuchstellerin vorbringt, die Gesuchsgegnerin habe nach Rechtskraft des letzten russischen Urteils "ohne jeglichen vernünftigen Grund und somit wohl einzig zwecks Verhinderung, dass die korrupten Machenschaften entdeckt werden", auf die Geltendmachung der Parteientschädigung in Russland verzichtet, obwohl hierfür in Russland ein einfaches und kostengünstiges Verfahren zur Verfügung gestanden habe ( 
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5.5. Schliesslich behauptet die Gesuchstellerin als 
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5.6. Insgesamt widersprechen die von der Gesuchstellerin zur Begründung des Revisionsbegehrens gemachten Behauptungen in keiner Weise der bundesgerichtlichen Urteilserwägung 5.3.2, wonach die Gesuchstellerin nach eigenen Angaben bereits nach dem erstinstanzlichen russischen Erkenntnisverfahren überzeugt davon gewesen sei, dass das gegen sie eingeleitete Verfahren nicht in rechtsstaatlichen Bahnen ablaufe. Im zweitinstanzlichen Verfahren hätten sich die entsprechenden Gerüchte und Indizien langsam zu verdichten begonnen. Dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage gewesen wäre, entsprechende prozessuale Schritte zu unternehmen, weil ihr bestimmte erhebliche Tatsachen oder Beweismittel noch nicht vorgelegen hätten, tat sie im Beschwerdeverfahren nicht dar. Die von der Gesuchstellerin nun in den Vordergrund gerückten Indizien vermöchten, wenn sie denn prozessual berücksichtigt werden könnten (Erwägung 4), die Beurteilung des Bundesgerichts nicht umzustossen.
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Erwägung 6
 
Nach dem Gesagten verbleibt von der Kritik der Gesuchstellerin bloss ihr Versuch, das Bundesgericht dazu zu bewegen, von seiner dem Urteil vom 9. April 2015zugrundeliegenden Rechtsauffassung abzuweichen. Zu diesem Zweck wiederholt sie einzelne Argumente und Behauptungen aus ihrer ausserordentlich umfangreichen Beschwerdeschrift und stellt diese den Erwägungen des Bundesgerichts entgegen, um damit für einen abweichenden Verfahrensausgang zu werben. Damit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben (vgl. Erwägung 2). Es liegt kein Revisionsgrund vor.
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Erwägung 7
 
Das Revisionsgesuch ist abzuweisen. Mit dem Entscheid in der Sache wird die Frage der aufschiebenden Wirkung und allfälliger vorsorglicher Massnahmen gegenstandslos, und es braucht nicht über die diesbezüglichen Begehren der Parteien entschieden zu werden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Das Revisionsgesuch wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 55'000.-- werden der Gesuchstellerin auferlegt.
 
3. Die Gesuchstellerin hat die Gesuchsgegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. Juli 2015
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Kiss
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
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