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Informationen zum Dokument  BGer 5A_429/2015  Materielle Begründung
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BGer 5A_429/2015 vom 22.06.2015
 
{T 0/2}
 
5A_429/2015
 
 
Urteil vom 22. Juni 2015
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
 
Bundesrichter Marazzi, Bovey,
 
Gerichtsschreiber Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Silvio Mayer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Fabienne Brunner,
 
Beschwerdegegnerin,
 
C.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Oliver Bulaty.
 
Gegenstand
 
Kindesrückführung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
 
des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, vom 6. Mai 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ und B.________, beide Jahrgang 1975, sind die Eltern der am xx.xx.2005 als ihr eheliches Kind in Acapulco geborenen Tochter C.________. Im Juni 2014 reiste der Vater mit der Tochter im Einverständnis der Mutter für Ferien in die Schweiz. Er versprach der Mutter, das Kind am 16. September 2014 wieder zurück nach Mexiko zu bringen. Am 24. August 2014 teilte er ihr mit, er werde C.________ nicht mehr nach Mexiko reisen lassen. Die Mutter stellte ein Gesuch nach dem Haager Rückführungsübereinkommen.
1
B. Das Obergericht des Kantons Aargau wies das Gesuch mit Entscheid vom 19. Februar 2015 ab. In dahingehender Gutheissung der Beschwerde der Mutter wies das Bundesgericht mit Urteil vom 30. April 2015 (Verfahren 5A_229/2015) die Sache mit der verbindlichen Vorgabe der Rückführung von C.________ zur weiteren Behandlung im Sinn der Erwägungen (konkrete Regelung der Rückführung) an das Obergericht zurück. Mit Entscheid vom 6. Mai 2015 ordnete dieses in Gutheissung des Rückführungsgesuchs die Rückführung von C.________ nach Mexiko an und regelte die konkreten Modalitäten der Rückführung.
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C. Gegen diesen Entscheid hat der Vater am 21. Mai 2015 eine Beschwerde erhoben mit den Begehren um Abweisung des Rückführungsgesuches und Verzicht auf eine Rückführung. Am 1. Juni 2015 reichte die Mutter ihre Beschwerdeantwort ein, mit welcher sie verlangte, auf die Beschwerde sei, soweit nicht ohnehin gegenstandslos, nicht einzutreten. Mit Schreiben vom 1. Juni 2015 wies das Obergericht darauf hin, dass zwischenzeitlich das Rückführungsverfahren sistiert und ein Abänderungsverfahren eingeleitet worden sei, in welchem es mit Entscheiden vom 23. und 29. Mai 2015 die Begutachtung des Kindes im Zusammenhang mit der Rückreise angeordnet sowie dessen Platzierung und Kontakte im Anschluss an die Entführung nach Frankreich durch die Grossmutter geregelt habe. Mit Eingabe vom 2. Juni 2015 verlangte der Vater unverzügliche Besuchs- und Kontaktrechte mit C.________. Mit Präsidialverfügung vom 4. Juni 2015 wurde ihm mitgeteilt, dass diese einen neuen Regelungsgegenstand betreffende Eingabe nicht im vorliegenden Verfahren beurteilt werden könne, und Frist gesetzt zur Äusserung, ob die Eingabe als Beschwerde gegen den obergerichtlichen Entscheid vom 29. Mai 2015 entgegenzunehmen sei. Am 8. Juni 2015 hat der Kindesvertreter seine Stellungnahme, wovon er je ein Exemplar direkt den Parteien zustellte, eingereicht mit den Begehren, die Beschwerde sei gutzuheissen, soweit sie nicht gegenstandslos sei. Der Vater hielt mit Eingabe vom 15. Juni 2015 an seinen Beschwerdeanträgen vom 21. Mai 2015 fest und beantragte, die Begehren der Mutter abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Im Übrigen erklärte er, dass seine Eingabe vom 2. Juni 2015 nicht als Beschwerde gegen den obergerichtlichen Entscheid entgegenzunehmen sei, und bestand darauf, dass das Bundesgericht ihm im vorliegenden Verfahren unverzügliche Besuchs- und Kontaktrechte einräumen solle. Mit Verfügung vom 17. Juni 2015 trat der Präsident auf letzteres Begehren nicht ein.
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Erwägungen:
 
1. Fristgerecht angefochten ist ein kantonaler Rückführungsentscheid, gegen den die Beschwerde in Zivilsachen gegeben ist (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 1 BGG, Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 BG-KKE, Art. 90 BGG und Art. 100 Abs. 2 lit. c BGG).
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2. Der Beschwerdeführer verlangt die Sistierung des vorliegenden Verfahrens, soweit das Obergericht auf sein kantonales Wiedererwägungsgesuch eingehe. Diese beiden Eingaben beschlagen indes verschiedene Regelungsgegenstände, so dass kein Grund für die Sistierung der vorliegenden Beschwerde besteht, zumal die erhobenen Gehörsrügen mit Blick auf das weitere kantonale Verfahren nach einer sofortigen Beurteilung verlangen.
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3. Zum Sachverhalt bringt der Beschwerdeführer vor, angesichts des bundesgerichtlichen Urteils vom 30. April 2015, welches ihm am 5. Mai 2015 zugestellt worden sei, habe C.________ gedroht, aus dem Fenster zu springen. In der Folge habe Dr. D.________ eine Suizidalität und Reiseunfähigkeit des Kindes festgestellt. Den ärztlichen Bericht habe er am 6. Mai 2015 beim Obergericht eingereicht und er habe im Sinn eines Wiedererwägungsgesuches verlangt, dass auf eine Rückführung zu verzichten und eine Begutachtung des Kindes zur Klärung der Reisefähigkeit und der schweren psychischen Schädigung bei einer Rückführung nach Mexiko anzuordnen sei.
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4. In rechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Diese Rüge ist wegen ihrer formellen Natur vorweg zu prüfen.
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4.1. Zum einen bezieht sich die Gehörsrüge auf die Erwägung im angefochtenen Entscheid, aufgrund der bisherigen unmissverständlichen Weigerungshaltung des Vaters und der sich daraus ergebenden Gefahr der Kooperationsverweigerung würden die Vorbereitungen der Rückführungsmodalitäten ohne seinen Einbezug stattfinden; sein bisheriges Verhalten schliesse namentlich eine freiwillige und durch ihn begleitete Rückführung der Tochter aus.
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4.2. Zum anderen bezieht sich die Gehörsrüge des Beschwerdeführers auf die Reisefähigkeit von C.________.
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4.3. Der Beschwerdeführer rügt ferner eine Verletzung der Begründungspflicht als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs. Indes sind im angefochtenen Entscheid die Überlegungen genannt, von welchen sich das Obergericht hat leiten lassen, und es durfte sich dabei auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88; 138 IV 81 E. 2.2 S. 84; 139 IV 179 E. 2.2 S. 183).
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5. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit erneut Themen aufgerollt werden, welche Gegenstand des bundesgerichtlichen Urteils vom 30. April 2015 bildeten (Situation in Mexiko; Anhörung von C.________ bzw. Abklärung des Kindeswillens), und diesbezüglich eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 HKÜ geltend gemacht wird. Diese Themen waren nicht Gegenstand der mit dem angefochtenen Entscheid vorgenommenen Regelung des Vollzuges.
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6. Kein Erfolg kann der Beschwerde schliesslich beschieden sein, soweit im Zusammenhang mit sämtlichen vorstehenden Vorbringen auch eine Verletzung des Willkürverbotes gerügt wird. Weder liegt im obergerichtlichen Vorgehen Willkür begründet noch können später eingetretene Sachverhaltselemente den ergangenen Entscheid rückwirkend willkürlich machen.
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7. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, das Obergericht habe die "kann-Vorschrift" von Art. 26 Abs. 4 HKÜ unrichtig angewandt, indem es ihm sämtliche Kosten (welche mit separater Verfügung noch im Einzelnen bestimmt werden) auferlegt habe.
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8. Mit dem vorliegenden Entscheid wird der prozessuale Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos. Sodann ist aufgrund der zwischenzeitlich ergangenen Entscheide des Obergerichtes auch der Antrag auf Begutachtung von C.________ im Hinblick auf die Reisefähigkeit und eine allfällige Traumatisierung durch die Reise gegenstandslos.
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9. Es werden keine Gerichtskosten erhoben und die Rechtsvertreter der Beteiligten sind aus der Gerichtskasse zu entschädigen (Art. 26 Abs. 2 HKÜ).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
 
2. Rechtsanwalt Silvio Mayer, Rechtsanwältin Fabienne Brunner und Rechtsanwalt Oliver Bulaty werden aus der Bundesgerichtskasse mit je Fr. 1'000.-- entschädigt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, C.________, dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, dem Bundesamt für Justiz, Zentralbehörde für Kindesentführungen, und dem Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Bürgerrecht und Personenstand, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 22. Juni 2015
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: von Werdt
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli
 
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