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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1094/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_1094/2014 vom 12.06.2015
 
{T 0/2}
 
2C_1094/2014
 
 
Urteil vom 12. Juni 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Donzallaz, Stadelmann, Haag,
 
Gerichtsschreiber Klopfenstein.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Prof. Dr. Urs Behnisch,
 
gegen
 
Amt für Militär und Zivilschutz Graubünden.
 
Gegenstand
 
Wehrpflichtersatz,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
 
vom 9. September 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Dagegen erhob A.________ am 29. September 2009 Einsprache und beantragte, mit der definitiven Veranlagung zuzuwarten, bis die direkte Bundessteuer rechtskräftig veranlagt sei; diesbezüglich sei nämlich ein Einspracheverfahren hängig.
1
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
Das Verwaltungsgericht, das Amt für Militär und Zivilschutz des Kantons Graubünden und die Eidgenössische Steuerverwaltung beantragen Abweisung der Beschwerde.
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F.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den kantonal letztinstanzlichen Endentscheid ist zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG), da kein Ausnahmegrund vorliegt; namentlich fallen Entscheide betreffend Wehrpflichtersatz nicht unter die Ausnahmebestimmung von Art. 83 lit. i BGG (vgl. auch Art. 31 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 über die Wehrpflichtersatzabgabe, WPEG, SR 661).
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1.2. Der von der Vorinstanz festgestellte und vorne unter "Sachverhalt" dargelegte Verfahrensablauf ist unbestritten und für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 BGG). Streitig ist einzig, ob unter diesen Umständen die Wehrpflichtersatzforderung 2002 verjährt ist.
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Erwägung 2
 
2.1. Für die Beantwortung dieser Frage sind folgende Regelungen relevant:
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2.1.1. Schweizer Bürger, die ihre Wehrpflicht nicht oder nur teilweise durch persönliche Dienstleistung (Militär- oder Zivildienst) erfüllen, haben einen Ersatz in Geld zu leisten (Art. 1 WPEG). Gemäss Art. 2 Abs. 1 WPEG ersatzpflichtig sind die Wehrpflichtigen mit Wohnsitz im In- oder Ausland, die im 
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2.1.2. Unter dem Marginale 
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"1 Die Ersatzabgabe wird jährlich veranlagt:
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2.1.3. Die Ersatzabgabe wird nach den Grundlagen der direkten Bundessteuer veranlagt, wenn der Ersatzpflichtige diese Steuer für das ganze Ersatzjahr vom Gesamteinkommen zu bezahlen hat (Art. 26 Abs. 2 WPEG). Bemessungsperiode für die Ersatzabgabe von Ersatzpflichtigen, die für das ganze Ersatzjahr die direkte Bundessteuer vom Gesamteinkommen zu bezahlen haben, ist die Bemessungsperiode der Bundessteuer (Art. 8 Abs. 1 der Verordnung vom 30. August 1995 über die Wehrpflichtersatzabgabe (WPEV; SR 661.1). Bemessungsperiode für die Ersatzabgabe der übrigen Ersatzpflichtigen ist die Bemessungsperiode der für das Ersatzjahr erhobenen kantonalen Steuer (Art. 8 Abs. 2 WPEV). Ist weder Absatz 1 noch Absatz 2 anwendbar, so bildet das Einkommen im Ersatzjahr die Bemessungsgrundlage (Art. 8 Abs. 3 WPEV).
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2.1.4. In der bis zum 31. Dezember 2003 gültigen Fassung bestimmt Art. 28 Abs. 2 WPEG (Marginale 
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Mit der Revision vom 4. Oktober 2002 wurde das System der provisorischen und definitiven Veranlagungen aufgehoben und in Anlehnung an das Recht der direkten Bundessteuer nur noch eine definitive anfechtbare Veranlagung, dafür aber ein provisorischer Bezug eingeführt (vgl. BBl 2002 863, 887). Dieser wird im neu aufgenommenen Art. 32a WPEG geregelt (Marginale: "Provisorischer und definitiver Bezug" ). Dessen Abs. 1 lautet:
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2.1.5. Art. 38 WPEG schliesslich regelt die 
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"1. Die Ersatzabgaben verjähren fünf Jahre nach Ablauf des Veranlagungsjahres. Eine hinterzogene Ersatzabgabe verjährt nicht, bevor Strafverfolgung und Strafvollstreckung verjährt sind.
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2.2. Die Vorinstanz hat erwogen, gemäss Art. 26 Abs. 2 WPEG werde die Ersatzabgabe nach den Grundlagen der direkten Bundessteuer veranlagt, wenn der Ersatzpflichtige diese Steuer für das ganze Ersatzjahr vom Gesamteinkommen zu bezahlen habe, was vorliegend zutreffe. In diesem Fall sei unter Veranlagungsjahr im Sinne von Art. 25 Abs. 2 WPEG dasjenige Jahr zu verstehen, in welchem die definitive rechtskräftige Veranlagung der direkten Bundessteuer vorliege, im vorliegenden Fall also 2014. Erst Ende 2014 habe die Verjährungsfrist begonnen. Die Abgabe sei damit nicht verjährt.
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2.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 25 Abs. 2 WPEG enthalte keinen Verweis auf eine andere Gesetzgebung, namentlich nicht auf das Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11), dies im Unterschied etwa zu Art. 16 Abs. 1 Satz 2 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG, SR 831.10). Veranlagungsjahr sei das Jahr 2003, in dem auch die provisorische Veranlagung erfolgt sei. Die Verjährungsfrist habe nach Art. 38 Abs. 1 WPEG bis Ende 2008 gedauert, sei mit dem Schreiben vom September 2008 unterbrochen worden, aber gemäss Art. 38 Abs. 4 WPEG maximal bis Ende 2013. Die Berichtigungsverfügung vom 18. März 2014 sei daher verspätet erfolgt und die Abgabe verjährt.
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Erwägung 3
 
3.1. Das Gesetz ist nach seinem Sinn und Zweck auszulegen, wobei vom Wortlaut auszugehen ist (BGE 137 IV 290 E. 3.3 S. 293). Die Gesetzesmaterialien sind gegebenenfalls beizuziehen (BGE 137 IV 249 E. 3.2 S. 251 f.). Eine Bestimmung ist indes nicht nur nach ihrem Wortlaut auszulegen; vielmehr befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus (siehe Näheres in BGE 134 I 184 E. 5.1 S. 193; 133 III 175 E. 3.3.1 S. 178, 497 E. 4.1 S. 499 mit Hinweisen).
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3.2. Der Wortlaut von Art. 38 WPEG ist insoweit klar, als die fünfjährige Verjährungsfrist nach Ablauf des Veranlagungsjahres zu laufen beginnt, dass diese Verjährungsfrist stillstehen und unterbrochen werden kann, dass sie dadurch aber um nicht mehr als fünf Jahre hinausgeschoben werden kann. Auch die insgesamt maximal zehnjährige Frist gemäss Art. 38 Abs. 4 WPEG beginnt somit mit dem Ablauf des Veranlagungsjahres zu laufen. Entscheidend ist damit, was unter dem Veranlagungsjahr zu verstehen ist.
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3.2.1. Das Veranlagungsjahr ist gemäss Art. 25 Abs. 2 WPEG "in der Regel" das auf das Ersatzjahr folgende Jahr. Dieser Wortlaut impliziert, dass grundsätzlich das dem Ersatzjahr folgende Jahr das Veranlagungsjahr ist (hier somit 2003), dass es davon aber Ausnahmen geben kann. Die Frage ist, ob - wie die Vorinstanz annimmt - eine solche Ausnahme dann vorliegt, wenn die Bundessteuerveranlagung noch nicht rechtskräftig ist.
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3.2.2. Entstehungsgeschichtlich ergibt sich folgendes:
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3.2.3. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist Art. 26 Abs. 2 WPEG nicht so zu verstehen, dass für die Veranlagung der Ersatzabgabe einfach auf die rechtskräftige Bundessteuerveranlagung abzustellen wäre; die Anknüpfung an die Bundessteuer hat nur prozessökonomische Gründe, schliesst aber nicht aus, dass auch eine rechtskräftige Bundessteuerveranlagung für die Zwecke des Militärpflichtersatzes in Frage gestellt wird (BGE 92 I 123 E. 1 S. 124 f.; Urteile A.299/1982 vom 6. April 1984, E. 3a, Rep 1985 S. 80; 2A.440/2001 vom 6. Februar 2002 E. 2b, ASA 71 322). Insbesondere bestimmt Art. 26 Abs. 2 WPEG nicht, dass die Veranlagung für den Wehrpflichtersatz erst erfolgen dürfte, wenn eine rechtskräftige Bundessteuerveranlagung vorliegt. Im Urteil A.399/1987 vom 9. März 1988 erwog das Bundesgericht (E. 3) :
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3.2.4. Eine systematische Herangehensweise führt ebenso wenig dazu, dass eine Ausnahme von der Regel, wonach das Veranlagungsjahr das auf das Ersatzjahr folgende Jahr ist, dann anzunehmen wäre, wenn noch keine rechtskräftige Bundessteuerveranlagung vorliegt: Zwar ist richtig, dass die ursprüngliche Fassung von Art. 25 WPEG eine den heutigen Abs. 3 und 4 entsprechende Regelung noch nicht enthielt und erst mit der Revision vom 17. Juni 1994 (im Zusammenhang mit der Neuregelung des Auslandersatzes [Botschaft vom 12. Mai 1993 zur Revision des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz, BBl 1993 II 736 f., 740]) eingeführt wurde. Die Ausnahme in Abs. 3 (wonach die Ersatzabgabe für Wehrpflichtige, die ins Ausland verreisen wollen, vor Antritt des Auslandaufenthalts veranlagt wird), gab es - jedenfalls in ähnlicher Form - aber bereits in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes: Nach Art. 35 konnte die Erteilung oder Verlängerung eines militärischen Auslandurlaubes, die Ausstellung oder Verlängerung des Schweizerpasses und die Visierung oder Legalisierung von anderen Ausweisschriften von der Bedingung abhängig gemacht werden, dass die Ersatzabgabe des laufenden und aller früheren Ersatzjahre bezahlt oder sichergestellt werden. Zudem gab es bereits in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes weitere Ausnahmen vom Grundsatz, dass das Veranlagungsjahr das dem Ersatzjahr folgende Kalenderjahr ist. Das heisst also, das Gesetz sah bereits von Anfang den genannten Grundsatz vor und bestimmte auch Ausnahmen davon. Eine solche anzunehmen und zu folgern, in den Fällen fehlender rechtskräftiger Bundessteuerveranlagungen sei das Veranlagungsjahr nicht das dem Ersatzjahr folgende Kalenderjahr, sondern das Jahr, in welchem die Bundessteuerveranlagung rechtskräftig wird, findet hingegen systematisch keinerlei Grundlage im Gesetz.
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3.2.5. Ein Vergleich mit der AHV-Gesetzgebung führt zu keinem anderen Ergebnis, weil diese die Verjährung ausdrücklich anders regelt als das Gesetz über den Wehrpflichtersatz (vgl. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 AHVG, wonach die Verjährung ausdrücklich auf die Rechtskraft der Steuerveranlagung abstellt).
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3.2.6. Auch die Revision von 2002 (Wechsel von der möglichen provisorischen Veranlagung zu einem bloss provisorischen Bezug) hat mit Blick auf die Verjährung der Ersatzabgabe nichts geändert. Nach Art. 38 Abs. 3 lit. b WPEG kann die Verjährung weiterhin durch jede einem Zahlungspflichtigen zur Kenntnis gebrachte Amtshandlung unterbrochen und dadurch die Verjährung um nicht mehr als fünf Jahre hinausgeschoben werden (Abs. 4).
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3.3. Die Auslegung der hier relevanten Regelungen (vorne E. 2.1.1 - 2.1.5) ergibt unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen bundesgerichtlichen Rechtsprechung folgende Konzeption:
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Erwägung 4
 
 
Erwägung 5
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 9. September 2014 aufgehoben. Der Antrag auf Rückerstattung des aufgrund der provisorischen Veranlagung vom 24. April 2003 bezahlten Betrages wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Kanton Graubünden auferlegt.
 
3. Der Kanton Graubünden wird verpflichtet, den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'200.-- zu entschädigen.
 
4. Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens wird die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden zurückgewiesen.
 
5. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 12. Juni 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein
 
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