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Informationen zum Dokument  BGer 6B_249/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_249/2015 vom 11.06.2015
 
{T 0/2}
 
6B_249/2015
 
 
Urteil vom 11. Juni 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber M. Widmer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Yann Moor,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür; Verletzung des Beschleunigungsgebots,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 27. November 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt. Sie nehme ohne nähere Begründung und insbesondere ohne konkrete Distanzangabe an, die Strecke zwischen dem vordersten Personenwagen auf der rechten Fahrspur der Schaffhauserstrasse und dem Beginn der Sicherheitslinie vor dem Kreisverkehrsplatz Scheidegg sei zu kurz gewesen, damit der Beschwerdeführer den Fahrstreifen habe wechseln können, ohne die Sicherheitslinie zu überfahren. Die Vorinstanz lasse bei der Würdigung der Aussagen der Unfallbeteiligten zudem die Eigeninteressen von B.________ unberücksichtigt. Dieser habe sich als Lenker des vordersten Autos der Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen verkehrsregelwidrig verhalten. Weiter ignoriere sie den Umstand, dass B.________ ausgesagt habe, der Verkehr im Kreisverkehrsplatz Scheidegg sei zum Erliegen gekommen.
1
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 S. 228 mit Hinweis). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; je mit Hinweisen).
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Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7 S. 82 mit Hinweisen).
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1.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Hierbei handelt es sich um unechte Noven. Echte Noven, das heisst Tatsachen, die sich zugetragen haben, nachdem vor der Vorinstanz keine neuen Tatsachen mehr vorgetragen werden durften, sind vor Bundesgericht unbeachtlich (BGE 139 III 120 E. 3.1.2 S. 123; 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.; je mit Hinweisen).
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Soweit der Beschwerdeführer sein Vorbringen, wonach genügend Platz vorhanden gewesen sei, um vor Beginn der Sicherheitslinie von der linken auf die rechte Fahrspur der Schaffhauserstrasse zu wechseln, mit dem im bundesgerichtlichen Verfahren eingereichten Kurzbericht eines Unfallsachverständigen vom 9. März 2015 begründet, ist darauf nicht einzutreten. Es handelt sich dabei um ein echtes Novum, das im Verfahren vor Bundesgericht nicht zulässig ist.
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1.4. Die Vorinstanz erwägt, B.________ habe als Lenker des vordersten Personenwagens der Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen angehalten, um A.________ das Einbiegen in die Schaffhauserstrasse zu ermöglichen. Dabei habe sich B.________ mindestens auf der Höhe der Haltelinie des Lichtsignals befunden. Die Vorinstanz kommt mit Blick auf die Distanz zwischen der Haltelinie des Lichtsignals und dem Beginn der Sicherheitslinie vor dem Kreisverkehrsplatz zum Schluss, dass der Beschwerdeführer den Spurwechsel nicht vollzogen haben konnte, ohne die Sicherheitslinie zu überfahren. Obwohl die Stelle des Spurwechsels des Beschwerdeführers von B.________ und A.________ nicht deckungsgleich geschildert werde, hätten jedenfalls beide ausgesagt, dieser habe die Fahrbahn nicht vor Beginn der Sicherheitslinie gewechselt.
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Der Beschwerdeführer bestreitet den von der Vorinstanz festgestellten Geschehensablauf nicht. Er dementiert lediglich, die Sicherheitslinie überfahren zu haben.
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Die Rüge ist unbegründet. Entgegen seiner Ansicht kommt die Vorinstanz nicht ausschliesslich aufgrund der von ihr geschätzten Distanz zwischen der Haltelinie des Lichtsignals und dem Beginn der Sicherheitslinie zum Schluss, dass der Beschwerdeführer die Sicherheitslinie überfahren hat. Sie berücksichtigt vielmehr auch die Aussagen von B.________ und A.________. Diese haben übereinstimmend ausgesagt, der Beschwerdeführer habe sein Manöver nicht vor Beginn der Sicherheitslinie abgeschlossen (Urteil, S. 10 E. 3.4.2). Auch wenn ihre Angaben zur genauen Stelle des Spurwechsels nicht vollständig übereinstimmen, sind sie jedenfalls nicht widersprüchlich. Die Vorinstanz durfte aufgrund der gesamten Umstände willkürfrei schliessen, dass der Beschwerdeführer beim Spurwechsel die Sicherheitslinie überfahren hat. Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus den Aussagen von A.________ und dessen Ehefrau gegenüber der Polizei unmittelbar nach der Streifkollision. Aufgrund der im Wesentlichen gleichlautenden Angaben von B.________ und A.________ kann dahingestellt bleiben, ob es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, die Fahrbahn rechtzeitig zu wechseln.
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Inwiefern B.________ aufgrund eines eigenen Verkehrsregelverstosses ein Interesse gehabt haben sollte, den Darstellungen des Beschwerdeführers zu widersprechen, ist unerfindlich. B.________ wurde - soweit ersichtlich - nie ein verkehrsregelwidriges Verhalten vorgeworfen. Wenn der Beschwerdeführer ein allfällig strafbares Verhalten von B.________ aufgrund eigener Sachverhaltsdarstellungen annimmt, ist darauf nicht einzutreten (vgl. Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Für die Beurteilung des Sachverhalts nicht entscheidend ist, ob der Verkehr im Kreisverkehrsplatz Scheidegg vor der Streifkollision zum Erliegen gekommen ist oder nicht. B.________ sprach anlässlich seiner Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft lediglich von 2-3 Fahrzeugen, die sich im Kreisverkehrsplatz befunden hätten (act. 52). Gemäss den Akten hat niemand je behauptet, der Beschwerdeführer habe seine Fahrt nach der Streifkollision ohne jede Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer fortgesetzt, sodass auch darin kein Widerspruch zu erkennen ist.
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Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend und beruft sich auf Art. 84 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 StPO. Zum einen habe es die Staatsanwaltschaft versäumt, die Unfallbeteiligten zeitnah einzuvernehmen. Zum andern habe das erstinstanzliche Gericht die Frist für die Zustellung des schriftlich begründeten Entscheids nicht eingehalten.
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2.2. Die Vorinstanz stellt fest, das erstinstanzliche Gericht habe Art. 84 Abs. 4 StPO i.V.m. Art. 5 Abs. 1 StPO verletzt, weil zwischen dem Eingang der Berufungsanmeldung und dem Versand des schriftlich begründeten Urteils fast sieben Monate vergingen. Für den Beschwerdeführer sei diese Verzögerung aber nicht besonders belastend gewesen, weshalb sich eine Strafreduktion nicht rechtfertige.
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2.3. Der Beschwerdeführer bringt vor Bundesgericht erstmals vor, die Staatsanwaltschaft habe das Beschleunigungsgebot verletzt, indem sie es unterlassen habe, die Unfallbeteiligten zeitnah einzuvernehmen. Darauf ist mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht einzutreten (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Zudem wäre die Rüge verspätet und würde dem Grundsatz von Treu und Glauben widersprechen, wonach es nicht zulässig ist, verfahrensrechtliche Einwendungen, die in einem früheren Verfahrensstadium hätten geltend gemacht werden können, später noch vorzubringen (BGE 135 III 334 E. 2.2 S. 336; 134 I 20 E. 4.3.1 S. 21; je mit Hinweisen).
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2.4. Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 14 Ziff. 3 lit. c UNO-Pakt II (SR 0.103.2) und Art. 5 StPO garantierte Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um die beschuldigte Person nicht unnötig über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Es gilt für das ganze Verfahren. Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den konkreten Umständen ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Kriterien hierfür bilden etwa die Schwere des Tatvorwurfs, die Komplexität des Sachverhalts, die dadurch gebotenen Untersuchungshandlungen, das Verhalten der beschuldigten Person und dasjenige der Behörden sowie die Zumutbarkeit für die beschuldigte Person (BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170; 130 I 269 E. 3.1 S. 273; je mit Hinweisen).
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2.5. Muss das Gericht das Urteil begründen, so stellt es innert 60 Tagen, ausnahmsweise 90 Tagen, der beschuldigten Person und der Staatsanwaltschaft das vollständige begründete Urteil zu (Art. 84 Abs. 4 StPO). Dabei handelt es sich um Ordnungsfristen, welche das Beschleunigungsgebot konkretisieren (Urteil 6B_855/2013 vom 5. November 2013 E. 3.2). Deren Nichteinhaltung kann ein Indiz für eine Verletzung des Beschleunigungsgebots sein (Urteil 6B_1036/2013 vom 1. Mai 2014 E. 3.3.3 mit Hinweisen).
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2.6. Wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt und auch die Vorinstanz feststellt, hat das erstinstanzliche Gericht das Beschleunigungsgebot verletzt, indem es die Frist für die schriftliche Urteilsbegründung gemäss Art. 84 Abs. 4 StPO nicht einhielt. Die Dauer von fast sieben Monaten für die Urteilsbegründung ist klar zu lange, zumal der zu beurteilende Sachverhalt keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Natur aufwies. Das schriftlich begründete Urteil des erstinstanzlichen Gerichts umfasste sodann lediglich 13 Seiten. Es sind daher keine Gründe ersichtlich, weshalb es nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist hätte zugestellt werden können.
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Der Beschwerdeführer beantragt, aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots sei von einer Bestrafung Umgang zu nehmen oder die Strafe zu reduzieren. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Verletzung wiegt nicht derart schwer, dass ein Verzicht auf eine Bestrafung angezeigt wäre. Inwiefern der Beschwerdeführer durch die Verfahrensverzögerung "schwer belastet" sein sollte, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass ein hängiges Strafverfahren wegen eines Strassenverkehrsunfalls, bei welchem keine Personen zu Schaden gekommen sind, zu einem Verlust an Lebensfreude und -qualität führt. Daran vermag auch ein allfällig aufgeschobenes Administrativverfahren nichts zu ändern. Von einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zwecks Neufestsetzung der Strafe ist abzusehen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots eine Reduktion der (Einsatz-) Strafe angezeigt wäre, kann jedenfalls vorliegend auf eine Rückweisung verzichtet werden. Die Vorinstanz bezeichnet die vom erstinstanzlichen Gericht ausgefällte Strafe als sehr mild. Aufgrund der Bindung an das Verschlechterungsverbot war es ihr jedoch verwehrt, diese zu erhöhen (vgl. Urteil, S. 14 E. 5.7). Es ist daher zu erwarten, dass die Vorinstanz selbst bei einer (geringfügigen) Reduktion der Einsatzstrafe aufgrund der Verletzung des Beschleunigungsgebots keine tiefere Strafe aussprechen würde. Dies ist nicht zu beanstanden, zumal die Strafe im Ergebnis auch bei einer strafreduzierenden Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebots innerhalb des Ermessens der Vorinstanz liegt (vgl. Urteil 6B_980/2014 vom 2. April 2015 E. 2.4.3). Dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde, muss nicht im Urteilsdispositiv festgehalten werden (vgl. Urteil 6B_1036/2013 vom 1. Mai 2014 E. 3.4.3 mit Hinweis).
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Erwägung 3
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Juni 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: M. Widmer
 
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