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Informationen zum Dokument  BGer 2C_1086/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_1086/2014 vom 11.06.2015
 
{T 0/2}
 
2C_1086/2014
 
 
Urteil vom 11. Juni 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiberin Hänni.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Ariane Bessire,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Solothurn,
 
Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn
 
vom 23. Oktober 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide über die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen ausgeschlossen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Gegen Entscheide über den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung ist die Beschwerde zulässig, weil grundsätzlich ein Anspruch auf das Fortbestehen dieser Bewilligung besteht (BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4).
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1.2. Das Bundesgericht ist an die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz gebunden, soweit sie sich nicht als offensichtlich unrichtig erweisen oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62; 133 II 249 E. 1.2.2 S. 252; 133 III 393 E. 7.1 S. 398). Zudem ist vom Beschwerdeführer aufzuzeigen, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Die Niederlassungsbewilligung kann widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer solchen von mehr als einem Jahr, verurteilt worden ist (Art. 63 Abs. 1 lit. a i.V.m. Art. 62 lit. b AuG; BGE 135 II 377 E. 4.2 S. 381; 137 II 297 E. 2) oder wenn der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat bzw. diese gefährdet (Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG). Hiervon ist auszugehen, wenn die ausländische Person durch ihre Handlungen besonders hochwertige Rechtsgüter verletzt oder in Gefahr bringt oder sie sich von strafrechtlichen Massnahmen nicht beeindrucken lässt und damit zeigt, dass sie auch künftig weder gewillt noch fähig erscheint, sich an die Rechtsordnung zu halten, was jeweils im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu prüfen ist (BGE 139 I 16 E. 2.1 S. 18 f., 31 E. 2.1 S. 32 f., 137 II 297 E. 3.3 S. 304; Urteile 2C_162/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 2.1; 2C_562/2011 vom 21. November 2011 E. 3.2 und 2C_310/2011 vom 17. November 2011 E. 5). Die genannten Widerrufsgründe gelten auch für Niederlassungsbewilligungen ausländischer Personen, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten (Art. 63 Abs. 2 AuG).
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2.2. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss in jedem Fall verhältnismässig sein (vgl. dazu BGE 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20 f.; 135 II 377 E. 4.3 S. 381). Dabei sind namentlich die Schwere des Delikts und des Verschuldens des Betroffenen, der seit der Tat vergangene Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, der Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (BGE 135 II 377 E. 4.3 S. 381; vgl. auch das Urteil des EGMR i.S. 
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Erwägung 3
 
3.1. Die Vorinstanz hat gestützt auf die Verurteilung von 2012 unter anderem wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz zu Recht festgestellt, dass der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG und Art. 63 Abs. 2 AuG vorliegt. Der Beschwerdeführer bestreitet dies nicht, bringt jedoch vor, das Verwaltungsgericht habe eine unter dem Gesichtswinkel von Art. 8 EMRK und Art. 96 Abs. 1 AuG qualifiziert unrichtige Interessenabwägung vorgenommen.
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3.2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz den hiervor (in E. 2.1) genannten, massgeblichen Kriterien Rechnung getragen. Sie hat die widerstreitenden Interessen sorgsam gewichtet, in zulässiger Weise gegeneinander abgewogen und den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers zurecht als verhältnismässig erachtet:
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3.2.1. Ausgangspunkt und Massstab der fremdenpolizeilichen Güterabwägung ist in erster Linie die Schwere des Verschuldens, das sich in der Dauer der Freiheitsstrafe niederschlägt (Urteil 2C_295/2009 vom 25. September 2009 E. 5.3, nicht publ. in: BGE 135 II 377 ff.; BGE 129 II 215 E. 3.1 S. 316). Der Beschwerdeführer wurde am 9. Mai 2012 zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten unter anderem wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Nach dem Beweisergebnis des Amtsgerichts Olten-Gösgen verkaufte er 5 Gramm Kokaingemisch, besass 55,8 Gramm Kokain und traf Anstalten zum Verkauf von 11.3 Gramm Kokaingemisch (Reinheitsgrad von jeweils 42%). In subjektiver Hinsicht erwog das Strafgericht, der Beschwerdeführer habe zwar auch Drogen konsumiert, aufgrund der kurzen Konsumzeitspanne sei aber nicht von einer schweren Abhängigkeit auszugehen. Der von ihm betätigte Umsatz von Drogen sei nicht lediglich zur Sicherstellung seines Konsums erfolgt, sondern vielmehr aus finanziellen Interessen. Die Verurteilung erfolgte wegen erheblichen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz, was generell als schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Gesundheit zu bewerten ist (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34; 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20; 129 II 215 E. 6 und 7 S. 220 ff.; 125 II 521 E. 4a S. 527 mit Hinweisen; vgl. die EGMR-Urteile 
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3.2.2. Dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung sind die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers gegenüberzustellen. Der Beschwerdeführer lebt seit über zwanzig Jahren in der Schweiz, was ein erhebliches privates Interesse an einem weiteren Verbleib im Land begründet. Soweit der Beschwerdeführer hingegen rügt, durch den vorinstanzlichen Entscheid würde die Beziehung zu seinen Kindern in unzulässiger Weise beeinträchtigt, kann dem nicht gefolgt werden. Unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht die Kernfamilie (BGE 135 I 143 E. 1.3.2 S. 146 mit Hinweis; Urteile 2C_1119/2012 vom 4. Juli 2013 E. 6.1; 2C_288/2013 vom 27. Juni 2013 E. 2.5.1). Durch diese Bestimmung wird indessen nicht primär ein rechtlich begründetes, sondern ein intaktes und tatsächlich gelebtes Familienleben geschützt (vgl. BGE 137 I 284 E. 1.3 S. 287; 135 I 143 E. 3.1 S. 148; 122 II 1 E. 1e S. 5). Die Vorinstanz stellte keine regelmässige Beziehung des Beschwerdeführers zu seinen Kindern fest. Auch kam der Beschwerdeführer den Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern nur unregelmässig nach; im Jahr 2013 musste er offenbar wegen der Bevorschussung der Alimente im Umfang von Fr. 14'800.-- betrieben werden. Das älteste Kind des Beschwerdeführers war zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils bereits volljährig; die beiden Zwillinge sind es seit Februar 2015. Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, er pflege zu den Kindern eine intensive Beziehung und sei ihnen beim Berufseinstieg behilflich. Indessen belegt er eine besonders intensive Beziehung zu seinen älteren Kindern nicht weiter (vgl. BGE 137 I 284 E. 1.3 S. 287; 135 I 143 E. 3.1 S. 148; 122 II 1 E. 1e S. 5; sog. Abhängigkeitsverhältnis). Gegenüber dem jüngsten Kind verfügt der Beschwerdeführer über das gemeinsame Sorgerecht mit seiner von ihm getrennt lebenden Gattin. Das Kind lebt unter der Obhut der Mutter (vgl. hierzu BGE 140 I 145 ff.). Nach den Sachverhaltsfeststellungen des Strafgerichts, auf die sich die Vorinstanz stützt, besteht auch zu ihm kein regelmässiger Kontakt. Der Beschwerdeführer legt weder dar, wie oft noch in welcher Form er das noch minderjährige Kind sehe. Seine Rüge vermag die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, wonach ein nur unregelmässiger Kontakt besteht, nicht entscheidwesentlich zu relativieren (vgl. hiervor E. 1.2).
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3.2.3. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, er lebe seit fast sechs Jahren im Konkubinat mit C.________. Das Verwaltungsgericht hat zunächst festgehalten, dass dieses Vorbringen im vorinstanzlichen Verfahren erstmals geltend gemacht wurde, was in Anbetracht der behaupteten Dauer der Beziehung erstaune. Sodann handle es sich bei Frau C.________ um die Hauptmieterin in der vom Beschwerdeführer bewohnten Liegenschaft; der Beschwerdeführer sei Untermieter. Ebenso sei Frau C.________ im Rahmen des Strafprozesses gegen den Beschwerdeführer als Belastungszeugin aufgetreten. Der Beschwerdeführer bringt vor, dies widerlege kein gefestigtes Konkubinatsverhältnis zu ihr, belegt ein solches seinerseits aber - wie bereits vor der Vorinstanz - nicht weiter. Dass die erwähnte Beziehung damit ein Konkubinat im Sinne der Rechtsprechung darstellt, durfte die Vorinstanz gestützt auf ihre Sachverhaltsfeststellungen als nicht erwiesen erachten (BGE 135 I 143 E. 1.3.2 und 3.1 S. 146 und 148).
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3.2.4. Von Juni 2009 bis Oktober 2013 hat der Beschwerdeführer gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen fast durchgehend auf dem Bau gearbeitet. Ausgenommen waren - branchenbedingt - die Wintermonate. Ab Oktober 2013 war der Beschwerdeführer arbeitslos und 45 Tage im Strafvollzug (Vollzug diverser Ersatzfreiheitsstrafen und Bussen). Ab dem 1. September 2014 war er wieder als Lagermitarbeiter angestellt. Wie die Vorinstanz zurecht festhält, bemühte sich der Beschwerdeführer stets um Arbeit. Er kam jedoch trotz seines in den Jahren 2009 bis 2013 regelmässigen Erwerbseinkommens für den Unterhalt seiner Familie kaum auf; die Kinderalimente mussten regelmässig bevorschusst und die Familie des Beschwerdeführers musste von 2003 bis 2008 in erheblichem Umfang von der Sozialhilfe unterstützt werden (Fr. 183'763.40). Gegen den Beschwerdeführer bestanden zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils offene Verlustscheine in der Höhe von insgesamt Fr. 240'000.--. Dass er trotz Erwerbstätigkeit in diesem Ausmass Schulden machte, fällt in der Interessenabwägung negativ ins Gewicht.
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3.2.5. Der Beschwerdeführer rügt schliesslich, ob er in seinem Heimatland über ein tragfähiges Beziehungsnetz verfüge, sei "fraglich". Er macht indessen keine spezifischen Hindernisse für eine Rückkehr in seine Heimat geltend, und solche sind auch nicht ersichtlich. Wie er selbst vorbringt, hat er seine Grundbildung im Kosovo absolviert und reiste erst mit 24 Jahren in die Schweiz ein. Er ist mit den sozio-kulturellen Gegebenheiten in seiner Heimat bestens vertraut. Entgegen seinen Vorbringen vermögen demnach seine privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz die öffentlichen Fernhalteinteressen aufgrund der Delinquenz im Betäubungsmittelbereich nicht zu überwiegen.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwältin Ariane Bessire, Olten, als Rechtsbeiständin beigegeben. Ihr wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'472.65 ausgerichtet.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Juni 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni
 
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