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Informationen zum Dokument  BGer 2C_928/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_928/2014 vom 09.06.2015
 
{T 0/2}
 
2C_928/2014
 
 
Urteil vom 9. Juni 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Genner.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Munz,
 
gegen
 
Eidgenössische Steuerverwaltung.
 
Gegenstand
 
Verrechnungssteuer,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I,
 
vom 4. September 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
B.a. Am 16. November 2010 teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) der X.________ AG mit, anlässlich einer periodischen Kontrolle der Jahresrechnungen der Gesellschaft sei festgestellt worden, dass die eigenen Aktien immer noch in der Jahresrechnung aufgeführt seien, obwohl die Veräusserungsfrist am 13. April 2006 abgelaufen sei. Mit Ablauf der Frist sei eine Steuerforderung gemäss Art. 12 Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer (VStG; SR 642.21) entstanden und 30 Tage später fällig geworden. Die ESTV forderte die X.________ AG auf, die geschuldete Verrechnungssteuer von Fr. 404'250.-- (bzw. Fr. 621'923.-- bei fehlender Überwälzung auf den Leistungsempfänger) innerhalb von 30 Tagen zu bezahlen oder begründete Einwendungen innerhalb der gleichen Frist vorzubringen.
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B.b. Am 7. November 2012 verfügte die ESTV, die X.________ AG schulde die Verrechnungssteuer von Fr. 404'250.-- bzw. von Fr. 621'923.--, falls die Steuer nicht auf den Begünstigten überwälzt werden könne. Ab dem 13. Mai 2006 sei zudem ein Verzugszins von 5 % bis zum Tag der Entrichtung geschuldet.
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C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das angefochtene Urteil betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) und wurde vom Bundesverwaltungsgericht als einer zulässigen Vorinstanz erlassen (Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Eine sachliche Ausnahme gemäss Art. 83 BGG liegt nicht vor. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist zulässig.
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1.2. Die Beschwerdeführerin, welche die Verrechnungssteuer zu entrichten hat, ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt und hat an dessen Aufhebung oder Änderung ein schutzwürdiges Interesse. Die Beschwerdelegitimation im Sinn von Art. 89 Abs. 1 BGG ist somit gegeben.
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1.3. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten, soweit damit beantragt wird, die Steuerforderung der ESTV sei aufzuheben; dieser Antrag fällt mit dem Eventualantrag zusammen, wonach die ESTV zu verpflichten sei, der Beschwerdeführerin den vorsorglich einbezahlten Betrag von Fr. 620'000.-- zurückzuerstatten. Auf die Feststellungsanträge ist nicht einzutreten, nachdem die Vorinstanz auf diese Anträge nicht eingetreten war und die Beschwerdeführerin diese Begehren ohne Begründung wiederholt.
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Erwägung 2
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen; auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 f.).
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2.3. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Bund erhebt eine Verrechnungssteuer auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens, auf Lotteriegewinnen und auf Versicherungsleistungen (Art. 1 Abs. 1 erster Halbsatz VStG). Gegenstand der Verrechnungssteuer auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens sind die Zinsen, Renten, Gewinnanteile und sonstigen Erträge der von einem Inländer ausgegebenen Aktien, Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaftsanteile, Partizipationsscheine und Genussscheine (Art. 4 Abs. 1 lit. b VStG).
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3.2. Erwirbt eine Gesellschaft oder eine Genossenschaft gestützt auf einen Beschluss über die Herabsetzung des Kapitals oder im Hinblick auf eine Herabsetzung ihres Kapitals eigene Beteiligungsrechte, so unterliegt die Differenz zwischen dem Erwerbspreis und dem einbezahlten Nennwert dieser Beteiligungsrechte der Verrechnungssteuer (Art. 4a Abs. 1 erster Satz VStG). Diese Bestimmung gilt sinngemäss, wenn eine Gesellschaft oder Genossenschaft im Rahmen von Art. 659 oder 783 OR eigene Beteiligungsrechte erwirbt, ohne anschliessend ihr Kapital herabzusetzen, sofern die Gesellschaft oder Genossenschaft diese Beteiligungsrechte nicht innerhalb einer Frist von sechs Jahren wieder veräussert (Art. 4a Abs. 2 VStG). Die Steuerforderung entsteht diesfalls mit Ablauf der dort geregelten Frist (Art. 12 Abs. 1bis VStG).
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3.3. Für die Bestimmung der Frist nach Art. 4a Abs. 2 VStG, mithin für den Zeitpunkt des Erwerbs und der Veräusserung, ist das Zivilrecht massgeblich. Die rechtsgeschäftliche Übertragung von Namenaktien kann durch Übergabe des indossierten Aktientitels an den Erwerber erfolgen (Art. 684 Abs. 2 OR). Mit der Indossierung und der Übergabe der indossierten Urkunde gehen bei allen übertragbaren Wertpapieren, soweit sich aus dem Inhalt oder der Natur der Urkunde nicht etwas anderes ergibt, die Rechte des Indossanten an den Erwerber über (Art. 969 OR). Demnach ist die Übertragung der Namenaktien (Verfügungsgeschäft) - ein gültiges Rechtsgeschäft (Verpflichtungsgeschäft) vorausgesetzt - perfekt, wenn der Erwerber im Besitz der indossierten Aktientitel ist.
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Erwägung 4
 
4.1. Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin ihre 25 eigenen Aktien innerhalb von sechs Jahren seit dem Erwerb veräussert hat. Die Frist nach Art. 4a Abs. 2 VStG beginnt an dem Tag zu laufen, an dem der Kaufvertrag vollzogen wird, d.h. die Gesellschaft die Aktien in ihrem Besitz hat. Aus dem angefochtenen Urteil ist zu schliessen, dass dieser Zeitpunkt mit dem Datum des Kaufvertrags zwischen A.________ und der Beschwerdeführerin vom 13. April 2000 zusammenfällt. Nachdem die Beschwerdeführerin nichts anderes geltend macht, ist davon auszugehen, dass die Frist am 13. April 2000 zu laufen begonnen und am 12. April 2006 geendet hat.
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4.2. Die Vorinstanz begründet ihr Urteil wie folgt: Die ESTV habe festgestellt, dass die Beschwerdeführerin auch nach Ablauf der Frist von sechs Jahren gemäss Art. 4a Abs. 2 VStG die eigenen Aktien im Umfang von 10 % in ihren Jahresrechnungen und in den eingereichten Formularen 103 aufgeführt hatte. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die ESTV gestützt auf diese Tatsachen die Entstehung der Verrechnungssteuerforderung bejaht habe.
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4.3. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, sie habe die 25 eigenen Aktien innerhalb der sechsjährigen Frist der Y.________ AG übereignet. Die ESTV habe zu beweisen, dass die erworbenen Beteiligungsrechte nicht innerhalb von sechs Jahren wieder veräussert wurden. Dies sei der steuerbegründende Sachverhalt, weil diesfalls die Steuerforderung gemäss Art. 4a Abs. 2 VStG entstehe.
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Erwägung 5
 
5.1. In Bezug auf die Beweislast gilt, dass der Nachweis für steuerbegründende Tatsachen der Steuerbehörde, der Beweis für steuermindernde Tatsachen grundsätzlich dem Steuerpflichtigen obliegt; er hat steuermindernde Tatsachen nicht nur zu behaupten, sondern auch zu belegen (BGE 140 II 248 E. 3.5 S. 252). Gemäss dieser Regel obliegt der Beweis, dass die Frist überschritten wurde, grundsätzlich der ESTV, wobei diese auf die Mitwirkung der steuerpflichtigen Person angewiesen ist (vgl. Urteil 2C_440/2014 vom 10. Oktober 2014 E. 10.3).
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5.2. Im Zentrum steht die Frage, ob das Eigentum an den 25 eigenen  Aktien der Beschwerdeführerin bis am 12. April 2006 an die Y.________ AG übergegangen ist (vgl. E. 4.1). Soweit diese Frage anhand der zulässigen Beweismittel (etwa hinsichtlich der Besitzverhältnisse oder der Übertragungsmodalitäten) beantwortet werden kann, ist sie als Tatfrage vom Bundesgericht nur auf Willkür hin zu prüfen (vgl. E. 2.2). Soweit der fragliche Eigentumsübergang aus einer rechtlichen Zuordnung herzuleiten ist (wie etwa die Frage, ob ein Indossament terminiert werden könne), handelt es sich um eine mit freier Kognition zu prüfende Rechtsfrage.
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Erwägung 6
 
6.1. Die hier interessierende Passage der E-Mail, welche B.________ als Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin am 23. November 2010 als Reaktion auf die von der ESTV erhobene Steuerforderung verfasst hatte, lautet folgendermassen:
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6.2. Nachdem die ESTV am 25. Januar 2011 an der Steuerforderung festhielt, obwohl die Beschwerdeführerin am 10. Dezember 2010 die Vereinbarung zwischen ihr selbst, A.________ und B.________ vom 25./26. März 2002 sowie den Kaufvertrag zwischen ihr und der Y.________ AG vom 28. März 2002 eingereicht hatte, liess die Beschwerdeführerin die Jahresrechnungen der Geschäftsjahre 2005 bis 2009 korrigieren und am 21. Februar 2011 von der ausserordentlichen Generalversammlung genehmigen. Es erstaunt, dass die Beschwerdeführerin als Aktiengesellschaft während fünf Jahren nicht bemerkt haben will, dass die Abtretung von 25 eigenen Aktien nie verbucht worden ist. Die Vorinstanz verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf den Grundsatz der formellen Massgeblichkeit der Handelsbilanz (vgl. BGE 137 II 353 E. 6.2 S. 359; 136 II 88 E. 3.1 S. 92) : Die den Steuerbehörden vorgelegte Jahresrechnung enthält eine vorbehaltlose Wissens- und Willenserklärung seitens der steuerpflichtigen Gesellschaft mit dem Antrag, die Steuerfaktoren entsprechend der Steuererklärung festzusetzen. Aufgrund der Verbindlichkeit der Jahresrechnung sollen sich die Steuerbehörden auf die eingereichte Erfolgsrechnung, die Bilanz und den Anhang verlassen können ( MICHAEL BUCHSER, Steueraspekte geldwerter Leistungen, 2004, S. 87 mit weiteren Hinweisen).
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6.3. Am 18. Juni 2011 rief A.________, nach Angaben der Beschwerdeführerin "aufgeschreckt durch eine Orientierung über das Schreiben der ESTV vom 16. November 2010", das Bezirksgericht Kreuzlingen an. Dieses schrieb am 14. Juli 2011 das Begehren von A.________, die Beschwerdeführerin und die Y.________ AG seien zu verpflichten, die von ihm an die Beschwerdeführerin verkauften Aktien mit Wirkung per 31. Dezember 2005 auf die Y.________ AG zu übertragen, aufgrund Gegenstandslosigkeit vom Protokoll ab (Ziff. 1 des Dispositivs). Die Beschwerdeführerin und die Y.________ AG wurden verpflichtet, den kauf- und aktienrechtlichen Vollzug der Übertragung der Aktien von der Beschwerdeführerin auf die Y.________ AG gemäss der Vereinbarung zwischen A.________, B.________ und der Beschwerdeführerin vom 25./26. März 2002 in den Bilanzen der Beschwerdeführerin und der Y.________ AG per 31. Dezember 2005 nachzuvollziehen (Ziff. 2 des Dispositivs). Schliesslich wurden die Beschwerdeführerin und die Y.________ AG verpflichtet, alle möglichen und zumutbaren Vorkehren zu treffen, um A.________ von Steuerfolgen aus dem Aktienverkauf vom 25./26. März 2002 frei zu halten; es seien dies namentlich Verhandlungsbemühungen mit der ESTV und allenfalls die Ergreifung von Rechtsmitteln gegen unliebsame Entscheide derselben (Ziff. 3 des Dispositivs). In den Erwägungen wird festgehalten, die Beschwerdeführerin und die Y.________ AG würden die Rechtsbegehren von A.________ ausdrücklich bzw. grundsätzlich anerkennen, auch dessen Sachverhaltsdarstellung werde von ihnen ausdrücklich als richtig anerkannt. Indessen brächten sie vor, der aktienrechtliche Vollzug der Vereinbarung sei spätestens auf den 31. Dezember 2005 vollzogen worden; lediglich der bilanzmässige Nachvollzug dieses Geschäfts sei unterblieben. Das Gericht erwog im summarischen Verfahren, aus dem Indossament auf den beglaubigten Kopien der Aktienzertifikate ergebe sich klar, dass die besagten Aktien vereinbarungsgemäss per 31. Dezember 2005 von der Beschwerdeführerin auf die Y.________ AG übertragen worden seien. Demgemäss sei das entsprechende Begehren gegenstandslos.
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6.4. Gegen die behauptete Übereignung spricht sodann, dass die Beschwerdeführerin die angeblich erfolgte Kaufpreiszahlung nicht zu belegen vermochte. Die Zahlung wurde erst in den Jahresrechnungen 2011 verbucht, wie die Beschwerdeführerin selbst einräumt. Damit ist der Beweis für die Zahlung des Kaufpreises von Fr. 1'280'00.-- nicht erbracht. Dieses Indiz ist zwar von untergeordneter Bedeutung, wie die Vorinstanz zutreffend festhält. Dennoch reiht es sich ein in die Kette der Umstände, welche eine Übereignung der fraglichen Aktien per Ende 2005 unwahrscheinlich erscheinen lassen.
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6.5. Bei dieser Sachlage ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Kaufvertrag vom 28. März 2002 nicht vollzogen worden ist und die 25 eigenen Aktien der Beschwerdeführerin nach Ablauf der Frist am 13. April 2006 in deren Eigentum gestanden haben.
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Erwägung 7
 
 
Erwägung 8
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 10'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 9. Juni 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Genner
 
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