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Informationen zum Dokument  BGer 6B_54/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_54/2015 vom 03.06.2015
 
{T 0/2}
 
6B_54/2015
 
 
Urteil vom 3. Juni 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Gregor Marcolli,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Einfache Verletzung von Verkehrsregeln; Beweiswürdigung, rechtliches Gehör,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 25. November 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilte X.________ am 2. Dezember 2013 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung durch Überschreiten der allgemeinen Höchstgeschwindigkeit zu einer Busse von Fr. 400.--.
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B. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 25. November 2014 aufzuheben, ihn wegen Überschreitens der signalisierten Höchstgeschwindigkeit um 15 km/h schuldig zu erklären und zu einer Busse von Fr. 160.-- zu verurteilen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung der Unschuldsvermutung. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe den Tempomaten auf 142 km/h gesetzt, was einer effektiven Geschwindigkeit von nicht mehr als 135 km/h entspreche. Zudem sei sein "Tempolimiter" fix auf 145 km/h eingestellt. Er habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit daher höchstens um 15 km/h überschritten. Eine korrekte Messung mit dem Gerät SAT-Speed setze voraus, dass der Abstand zwischen Patrouillenfahrzeug und verfolgtem Fahrzeug während der Messung nicht abnehme. Die starke Geschwindigkeitsschwankung gemäss Messprotokoll sei darauf zurückzuführen, dass das Patrouillenfahrzeug während der Messung wie von ihm beobachtet rasant zu seinem Fahrzeug aufgeschlossen habe und der Abstand am Ende der Messung daher geringer gewesen sei. Er habe darauf bereits unmittelbar nach seiner Anhaltung hingewiesen. Der Polizist, der die Messung vorgenommen habe, habe die Geschwindigkeitsschwankung nicht erklärt. Die Erklärungsversuche der Vorinstanz würden Unstimmigkeiten und Widersprüche aufweisen. Zudem habe die Messung nicht wie von der Vorinstanz festgestellt kurz (800 m) nach dem Brünnentunnel begonnen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass diese kurz vor seiner Anhaltung rund 10 km nach dem angeblichen Messort stattgefunden habe. Nicht erklärbar sei, wie es dem Polizisten im kurvigen Tunnel und in der anschliessenden Kurve nach Tunnelausgang überhaupt gelungen sein solle, sein (des Beschwerdeführers) Fahrzeug im Blickfeld zu behalten. Die Vorinstanz argumentiere mit Hypothesen, bei welchen es sich um blosse Mutmassungen handle und die von den Aussagen des Polizisten nicht gedeckt würden.
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Erwägung 1.2
 
1.2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 IV 36 E. 1.4.1; vgl. zum Begriff der Willkür: BGE 140 III 167 E. 2.1; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen).
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1.2.2. Bilden wie vorliegend ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, prüft das Berufungsgericht den von der ersten Instanz festgestellten Sachverhalt nur auf Willkür. Neue Behauptungen und Beweise können nicht vorgebracht werden (vgl. Art. 398 Abs. 4 StPO; Urteil 6B_362/2012 vom 29. Oktober 2012 E. 5.2 mit Hinweisen). In diesem Fall prüft das Bundesgericht frei, ob die Vorinstanz auf eine gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachte Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung hin zu Unrecht Willkür verneint und diese Verfassungsverletzung nicht behoben hat. Der Beschwerdeführer muss sich bei der Begründung der Rüge, die Vorinstanz habe Willkür zu Unrecht verneint, daher auch mit den Erwägungen der ersten Instanz auseinandersetzen (Urteile 6B_515/2014 vom 26. August 2014 E. 2.3; 6B_186/2013 vom 26. September 2013 E. 1.2 mit Hinweisen).
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1.3. Die Vorinstanz stellt für den Ort der Messung mit dem Regionalgericht auf die Angaben in der Anzeige und die Aussagen des Polizeibeamten ab, der die Nachfahrmessung vornahm. Danach fand die Messung bei km 157.800 kurz nach dem Brünnentunnel statt. Sie erwägt dazu u.a., Anhaltspunkte, dass der Polizeibeamte bereits zum Anzeigezeitpunkt bewusst derart falsche Angaben gemacht habe, lägen keine vor. Ein Motiv für eine Falschbezichtigung sei ebenfalls nicht ersichtlich. In objektiver Hinsicht sei zudem nachvollziehbar, weshalb die Messung kurz nach dem Tunnel begonnen habe. An dieser Stelle werde die Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben und der Beschwerdeführer habe unbestrittenermassen sein Fahrzeug beschleunigt (angefochtenes Urteil S. 6).
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1.4. Der Polizeibeamte machte glaubhafte Angaben zur Messstrecke sowie zur Distanz zum Fahrzeug des Beschwerdeführers zu Beginn und am Ende der Messung. Die vorinstanzliche Beweiswürdigung basiert auf diesen Aussagen und kann folglich jedenfalls nicht als offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden. Auch bezüglich des Sichtkontakts durfte die Vorinstanz ohne Willkür auf die Schilderung des Polizeibeamten abstellen, zumal der Beschwerdeführer lediglich darlegt, die Strecke sei im Tunnel und unmittelbar danach kurvenreich gewesen, womit er nicht die Messstrecke anspricht. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, seine Aussagen denjenigen des Polizeibeamten gegenüberzustellen. Damit vermag er keine Willkür darzutun.
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Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer beanstandet, die Anklage lege sich nicht auf eine der mehreren infrage kommenden Varianten für die grosse Geschwindigkeitsschwankung beim Patrouillenfahrzeug fest. Er sieht darin eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 9 StPO). Dadurch werde ihm erschwert, Widersprüche und Aktenwidrigkeiten aufzuzeigen.
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2.2. Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie aus Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten und nunmehr in Art. 9 Abs. 1 StPO festgeschriebenen Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der angeschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; Urteil 6B_818/2014 vom 8. April 2015 E. 3.4.1, zur Publikation vorgesehen; BGE 133 IV 235 E. 6.2 f.; 126 I 19 E. 2a; je mit Hinweisen). Gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung.
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2.3. Entscheidend ist nach dem Gesagten, dass die beschuldigte Person den ihr vorgeworfenen Sachverhalt kennt. Die Anklageschrift musste sich vorliegend namentlich zum Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung sowie zum Ort und zum Zeitpunkt der Messung äussern. Nicht ersichtlich ist demgegenüber, woraus der Beschwerdeführer eine Pflicht der Anklagebehörde ableitet, sich in der Anklageschrift bereits mit den Einwänden der Verteidigung auseinanderzusetzen und sich auf eine Begründung festzulegen, weshalb der angeklagte Sachverhalt erfüllt sein soll. Die Beweiswürdigung obliegt dem Gericht und nicht der Staatsanwaltschaft. Die Rüge des Beschwerdeführers ist unbegründet.
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 6 StPO) geltend. Die kantonalen Gerichte hätten abklären müssen, wie die durch das Messprotokoll ausgewiesene Geschwindigkeitsschwankung zu erklären sei. Sie hätten dazu von Amtes wegen Beweiserhebungen vornehmen müssen. Daran ändere nichts, dass die Verteidigung keine entsprechenden Anträge gestellt habe.
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3.2. Der Einwand ist unbegründet. Das Gericht kann in antizipierter Beweiswürdigung auf die Abnahme von Beweisen verzichten, wenn es aufgrund bereits abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür annehmen kann, diese werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (vgl. Art. 139 Abs. 2 StPO; BGE 136 I 229 E. 5.3 mit Hinweisen). Dies war vorliegend der Fall. Die Vorinstanz legt mit ihrer willkürfreien Beweiswürdigung dar, dass die für einen Entscheid notwendigen Beweise erhoben wurden und zusätzliche Abklärungen an ihrer Überzeugung nichts zu ändern vermöchten. Offen bleiben kann damit, ob der Beschwerdeführer mit seinem Einwand vor Bundesgericht überhaupt zu hören ist, da er es unterliess, rechtzeitig entsprechende Beweisanträge zu stellen.
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sodann ein, der angefochtene Entscheid sei ungenügend begründet und verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO). Die Vorinstanz habe sich mit der Verletzung des Anklage- und Untersuchungsgrundsatzes nicht ausreichend auseinandergesetzt.
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4.2. Der Beschwerdeführer rügte im vorinstanzlichen Verfahren, das Regionalgericht habe sich in Verletzung des Anklagegrundsatzes nicht auf eine Sachverhaltshypothese für die Geschwindigkeitsschwankung gemäss Messprotokoll festgelegt (vgl. Beschwerde S. 14). Darin kann von vornherein keine Verletzung des Anklagegrundsatzes gesehen werden, da der Beschwerdeführer weder geltend machte, die Anklageschrift genüge den gesetzlichen Anforderungen nicht, noch beanstandete er, das Regionalgericht gehe von einem anderen als dem angeklagten Sachverhalt aus. Der Vorinstanz kann daher nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie eine Verletzung des Anklagegrundsatzes verneint, ohne sich näher mit den rechtlichen Anforderungen an die Anklage und der Anklageschrift auseinanderzusetzen. Die Rüge des Beschwerdeführers betraf vielmehr die Beweiswürdigung. Dazu äusserte sich die Vorinstanz eingehend.
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5. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 3. Juni 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld
 
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