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Informationen zum Dokument  BGer 6B_72/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_72/2015 vom 27.05.2015
 
{T 0/2}
 
6B_72/2015
 
 
Urteil vom 27. Mai 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Robert Frauchiger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Urkundenfälschung, Widerhandlung gegen das Ausländergesetz,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 20. November 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Erstinstanz habe ihn in dubio pro reo freigesprochen, weil die Darstellung der Anklage, dass er und der Privatkläger im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung wussten, dass der Arbeitsvertrag so nicht eingehalten würde, es sich also um eine unwahre Urkunde handelte, lediglich eine Vermutung sei. Dieser Beurteilung folge die Vorinstanz im Wesentlichen mit zwei Argumenten nicht.
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Erwägung 1.2
 
1.2.1. Die Vorinstanz stellt fest, der Privatkläger wisse nach seiner Aussage nicht mehr, ob der Vertag mit Stunden- oder Monatslohn abgeschlossen worden sei, und habe nach Vorlage des Arbeitsvertrags erklärt, dies könne schon sein, sie hätten nachträglich einen Stundenlohn abgemacht. Das Arbeitsverhältnis habe mit dem Vorfall vom 9. März 2012 geendet (dabei ging es um den Streit eines Verwandten des Beschwerdeführers mit dem Privatkläger um noch geschuldeten Lohn, woran der Beschwerdeführer beteiligt war; Anklage, Urteil S. 3). Vor der Erstinstanz sei der Privatkläger dabei geblieben, den Arbeitsvertrag wegen des schlechten Wetters geändert zu haben, und habe erklärt, für die Arbeitsbewilligung reiche auch die Vereinbarung eines Stundenlohns.
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1.2.2. Die Vorinstanz führt weiter aus, der Beschwerdeführer habe angegeben, keinen schriftlichen Vertrag erhalten zu haben. B.________ habe in der Konfrontationseinvernahme erklärt, der Beschwerdeführer könne kein Deutsch und habe wohl nicht gewusst, um was es gehe. Er habe alles für ihn erledigt. Dieser habe den Vertrag nur erhalten, damit er an ein Visum komme. Als Lohn sei einfach irgend eine Summe genannt worden. Der Beschwerdeführer habe in der Folge ausgesagt, er habe einfach unterschrieben, aber nicht gelesen. Mündlich seien Fr. 25.-- vereinbart worden. Vor der Erstinstanz habe der Beschwerdeführer angegeben, er habe einen Arbeitsvertrag unterschrieben, bei welchem er netto Fr. 4'000.-- verdienen sollte. Mündlich sei Stundenlohn vereinbart gewesen.
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1.2.3. Für die Vorinstanz erscheint die Abänderung des Vertrags wenig glaubhaft. Nach den Aussagen sei anfänglich ein Stundenlohn vereinbart gewesen. Der Beschwerdeführer habe sogar angegeben, er habe keinen Arbeitsvertrag erhalten und schwarz gearbeitet. Diese falschen Angaben seien wohl auf seine fehlenden Deutschkenntnisse zurückzuführen. Bezeichnenderweise sei das einzige, was er genau wusste, die Vereinbarung des Stundenlohnes von Fr. 25.-- gewesen. Der Privatkläger sei seit längerer Zeit im Baugewerbe tätig. Nur wenige Tage nach Vertragsschluss wolle er gemerkt haben, dass kaltes Wetter komme und er weniger Arbeitskräfte brauche. Das sei lebensfremd und schlicht nicht glaubhaft. Als Beweisergebnis sei festzuhalten, dass die Parteien einen Arbeitsvertrag mit Festanstellung mit 42,5 Stunden-Woche und Fr. 4'600.-- Lohn abschlossen, diese Regelung aber nicht ihrem wirklichen Willen entsprach (Urteil S. 24).
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1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet willkürlich. Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3; 137 IV 1 E. 4.2.3). Dem Grundsatz in dubio pro reo kommt - in der vorliegend einzig in Betracht fallenden Funktion - als Beweiswürdigungsmaxime im bundesgerichtlichen Verfahren keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 138 V 74 E. 7; 127 I 38 E. 2a).
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1.3.1. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind jedenfalls im Ergebnis unbegründet. Weder unterschlägt noch ignoriert die Vorinstanz die Aussagen, auf welche er hinweist (oben E. 1.1). Soweit er geltend macht, im Arbeitsvertrag stehe "nichts von einem Monatslohn", zitiert er selber aus dem Vertrag, wonach der Grundlohn einen "Bruttomonatslohn von 4'600.00" ergibt. Dass dieser Betrag aufgrund eines Stundenlohns von Fr. 25.-- und einer 42,5-Stundenwoche errechenbar ist, lässt die Sache in keinem wesentlich anderen Licht erscheinen. Insoweit ist keine willkürliche, das heisst schlechterdings unhaltbare (Urteil 6B_630/2014 vom 20. Januar 2015 E. 3.3), Beweiswürdigung ersichtlich. Die Vorinstanz übersieht auch nicht, dass der Beschwerdeführer die Abmachung eines Stundenlohns behauptete (oben E. 1.2.3). Wie es sich mit der behaupteten nachträglichen Änderung des Arbeitsvertrags verhält, kann offenbleiben. Jedenfalls beachteten die Beteiligten die in den Arbeitsvertrag aufgenommene Klausel nicht, wonach Vertragsänderungen in der Schriftform zu erfolgen hatten.
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1.3.2. Die Vorinstanz führt bei ihrer Beurteilung unter dem Gesichtspunkt einer Urkundenfälschung zudem aus, die unwahren Angaben seien einzig in den Arbeitsvertrag aufgenommen worden, um dem Beschwerdeführer die Bewilligung zu erleichtern, weshalb Täuschungsabsicht gegeben sei. Wer bewusst ungelesene Urkunden unterzeichne, könne sich im Übrigen nicht darauf berufen, ihren wahren Inhalt nicht gekannt zu haben (mit Hinweis auf BGE 135 IV 12 E. 2.3.1). Dass der Beschwerdeführer die Falschbeurkundung zumindest in Kauf nahm, zeige sich deutlich dadurch, dass sein "Berater" B.________ wusste, dass der Inhalt des Vertrages nicht stimmen könne. Daher sei davon auszugehen, dass dies auch der Beschwerdeführer wusste. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer genau wusste, dass er den Arbeitsvertrag unterzeichnen musste, damit er die Arbeitsbewilligung erhalte (Urteil S. 25 f.).
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1.3.3. Der Beschwerdeführer nimmt zu der Konfrontationseinvernahme von B.________ nicht Stellung. Er bestreitet die vorinstanzliche Vertragsauslegung sowie die Annahme einer Urkundenfälschung gemäss Art. 251 StGB.
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1.4. Die zivilrechtliche Vorfrage der Auslegung des Arbeitsvertrags erscheint durchaus heikel. Keine Vertragspartei äussert sich eindeutig über dessen Inhalt. Der Privatkläger wusste nicht mehr, ob der Vertag mit Stunden- oder Monatslohn abgeschlossen wurde, und machte eine einvernehmliche Vertragsänderung geltend (oben E. 1.2.1), die aber jedenfalls nicht vertragskonform vorgenommen worden wäre (oben E. 1.3.1). Der Beschwerdeführer seinerseits konnte den schriftlichen Vertrag nicht lesen. Sein "Berater" wusste, dass der Inhalt des Vertrages nicht stimmen konnte. Der Beschwerdeführer habe den Vertrag nur erhalten, damit er an ein Visum komme (oben E. 1.2.2).
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1.5. Zu prüfen ist die Frage einer Falschbeurkundung (nicht einer Urkundenfälschung im engeren Sinn). Die Falschbeurkundung (Art. 251 StGB) betrifft die Errichtung einer echten, aber unwahren Urkunde, bei welcher der wirkliche und der in der Urkunde enthaltene Sachverhalt nicht übereinstimmen. Die Falschbeurkundung erfordert eine qualifizierte schriftliche Lüge. Eine solche nimmt die Rechtsprechung nur an, wenn dem Schriftstück eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt und der Adressat diesem ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Das ist der Fall, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit der Erklärung gegenüber Dritten gewährleisten, die gerade den Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserungen genügen dagegen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben verlässt (vgl. BGE 132 IV 12 E. 8.1 S. 14 f.; 129 IV 130 E. 2.1 S. 133 f.; Urteil 6B_1105/2013 vom 18. Juli 2014 E. 3.2.2).
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1.5.1. Die Vorinstanz geht sachlich von einem simulierten Arbeitsvertrag aus, d.h. einem Scheinvertrag zur Erlangung der Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Der Vereinbarung eines schlichten Einzelarbeitsvertrags gemäss Art. 319 OR kommt unter dem Gesichtspunkt der Falschbeurkundung kein Urkundencharakter zu (vgl. BGE 123 IV 61 E. 5c/cc S. 69 oben). Dies gilt ebenso für dessen Simulation. An dieser Rechtslage ändert die Tatsache nichts, dass die Vertragsurkunde nach der Feststellung der Vorinstanz verfasst wurde, um durch die "Täuschung der Behörden" (Art. 118 AuG) eine Arbeitsbewilligung zu erlangen bzw. dass der Beschwerdeführer die Mitwirkungspflichten gemäss Art. 90 AuG verletzte. Die Täuschung der Behörde wird in Art. 118 AuG spezialgesetzlich mit einer Vergehensstrafandrohung sanktioniert (unten E. 2). Ob diese Bestimmung gegebenenfalls durch die Urkundendelikte konsumiert wird, erscheint zweifelhaft und kann offenbleiben.
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1.5.2. Es ist das Wesen der Simulation, dass sie "in der Absicht gebraucht wird, die wahre Beschaffenheit des Vertrages zu verbergen" (Art. 18 Abs. 1 OR). Es handelt sich um den Fall der absichtlichen Nichtübereinstimmung von Wortlaut und Wille. Bloss scheinbare Erklärungen werden ausgetauscht, und zwar Falscherklärungen. Das simulierte Geschäft ist völlig unwirksam ( JÄGGI/GAUCH/HARTMANN, in: Zürcher Kommentar, Obligationenrecht, 4. Aufl. 2014, NN. 103 f. und 137 zu Art. 18 OR). Auch bei der Beurteilung des simulierten Vertrags ist gemäss Art. 18 Abs. 1 OR der übereinstimmende wirkliche Wille "zu beachten", nämlich das grundsätzlich gültige dissimulierte Rechtsgeschäft (vgl. a.a.O., N. 156).
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1.5.3. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz bestand der massgebende wirkliche Wille in der Errichtung einer Vertragsurkunde zur Täuschung der Migrationsbehörde zwecks Erschleichung einer Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz (unten E. 2.3). Dieser Zweck wurde erreicht. Die Auslegung des Wortlauts der abgefassten Vertragsurkunde bzw. ihrer Vereinbarungen im Einzelnen erweist sich somit als müssig, da sie ohnehin nicht dem gemäss Art. 18 Abs. 1 OR zu beachtenden wirklichen Willen entsprachen, weshalb darauf nicht weiter einzutreten ist.
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1.6. Es ist demnach von einem simulierten Einzelarbeitsvertrag auszugehen. Das dissimulierte Geschäft bestand in der Errichtung einer Urkunde zur Täuschung der Migrationsbehörde. Gemäss Art. 18 Abs. 1 OR ist das dissimulierte Geschäft grundsätzlich gültig. Angesichts dieser gesetzlichen Normierung kann in der Errichtung eines entsprechenden Vertrags mithin keine Urkundenfälschung liegen. Allerdings wird dieses Vorgehen zur Erreichung eines strafrechtlich verpönten Erfolgs aus anderen Gründen auch zivilrechtlich unwirksam sein (so genannte "Verbrechensabrede"). Das kann ebenfalls offenbleiben. Denn selbst dieser Sachverhalt macht die Erstellung des Einzelarbeitsvertrags nicht zur Falschbeurkundung. Der Beschwerdeführer ist vom Vorwurf der Urkundenfälschung freizusprechen.
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Erwägung 2
 
2.1. Dem Beschwerdeführer kann nicht gefolgt werden, wenn er geltend macht, mit dem Wegfall der Falschbeurkundung entfalle konsequenterweise auch der Vorwurf der Widerhandlung gegen das AuG.
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2.2. Gemäss Art. 118 Abs. 1 AuG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer die mit dem Vollzug dieses Gesetzes betrauten Behörden durch falsche Angaben oder Verschweigung wesentlicher Tatsachen täuscht und dadurch (u.a.) die Erteilung einer Bewilligung für sich erschleicht.
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2.3. Nach dem Beweisergebnis verwendete der Beschwerdeführer den "unwahren Arbeitsvertrag" beim Migrationsamt in Täuschungsabsicht (Urteil S. 27). Es ist deshalb auch irrelevant, ob im Vertrag ein fester Monatsverdienst von Fr. 4'600.-- oder ein Verdienst, der bei einem Stundenlohn von Fr. 25.-- und 42,5 Wochenstunden diesen monatlichen Lohn ergibt, vereinbart wurde, oder ob der Vertrag, wie behauptet, nachträglich abgeändert wurde, wofür allerdings kein Beleg existiert. Es ist vielmehr von einem simulierten Vertrag auszugehen, d.h. einem Schriftstück, das mit dem Zweck der Täuschung der Migrationsbehörde hergestellt und ihr in der Folge in Täuschungsabsicht eingereicht wurde. Es ging dem Beschwerdeführer einzig um den Erhalt der Bewilligung (Urteil S. 29). Indem er alles tat und unterschrieb, was ihm vorgelegt wurde, im Wissen darum, dass er dafür die Bewilligung erhält, handelte er vorsätzlich, oder, wie die Vorinstanz annimmt, zumindest eventualvorsätzlich (Urteil S. 28). Er erschlich die Erteilung einer Bewilligung für sich und erfüllte damit den Tatbestand von Art. 118 Abs. 1 AuG.
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Erwägung 3
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und im Übrigen abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 20. November 2014 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten auferlegt.
 
4. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
 
5. Der Kanton Aargau hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- auszurichten.
 
6. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. Mai 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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