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Informationen zum Dokument  BGer 5A_898/2014  Materielle Begründung
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BGer 5A_898/2014 vom 18.05.2015
 
{T 0/2}
 
5A_898/2014
 
 
Urteil vom 18. Mai 2015
 
 
II. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Marazzi, Herrmann,
 
Gerichtsschreiber Zingg.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________ AG,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Leu,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Nichteröffnung Konkurs (Art. 190 SchKG),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
 
des Kantons Bern, Zivilabteilung, 2. Zivilkammer,
 
vom 13. Oktober 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Am 20. Mai 2014 ersuchte die A.________ AG (Beschwerdeführerin) beim Regionalgericht Oberland um Eröffnung des Konkurses über die B.________ AG (Beschwerdegegnerin) gestützt auf Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG (Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung wegen Zahlungseinstellung), allenfalls gestützt auf Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG (Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung wegen betrügerischer Handlungen). Mit Entscheid vom 8. Juli 2014 wies das Regionalgericht das Gesuch ab.
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B. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin am 21. Juli 2014 Beschwerde an das Obergericht des Kantons Bern. Sie verlangte die Aufhebung des Entscheids des Regionalgerichts und die Eröffnung des Konkurses über die Beschwerdegegnerin, allenfalls die Rückweisung an das Regionalgericht. Mit Entscheid vom 13. Oktober 2014 wies das Obergericht die Beschwerde ab.
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C. Am 14. November 2014 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht erhoben. Sie verlangt die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts und die Eröffnung des Konkurses über die Beschwerdegegnerin; allenfalls sei die Sache an das Obergericht zurückzuweisen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist binnen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid des als Rechtsmittelinstanz urteilenden Obergerichts (Art. 75 und Art. 90 BGG) in einer Konkurssache (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen steht ohne Rücksicht auf den Streitwert zur Verfügung (Art. 74 Abs. 2 lit. d BGG).
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1.2. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG geltend gemacht werden. Zwar wendet das Bundesgericht das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; vgl. für Ausnahmen Abs. 2 dieser Norm) und prüft mit freier Kognition, ob der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Es befasst sich aber nur mit formell ausreichend begründeten Rügen (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104 f.). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Allgemein gehaltene Einwände, die ohne aufgezeigten oder erkennbaren Zusammenhang mit bestimmten Entscheidungsgründen vorgebracht werden, genügen nicht (BGE 137 III 580 E. 1.3 S. 584 mit Hinweisen). Strengere Anforderungen gelten bei der Rüge der Verletzung von Grundrechten. Entsprechende Rügen müssen in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 135 III 397 E. 1.4 S. 400 f.; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).
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1.3. Der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt ist für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn die Feststellung offensichtlich unrichtig - d.h. willkürlich (BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 130 mit Hinweis) - ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Bei der Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 137 II 353 E. 5.1 S. 356). Das Bundesgericht prüft in diesem Fall nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266 mit Hinweisen).
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2. Die Beschwerdeführerin rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Regionalgericht.
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2.1. Vor Obergericht hatte die Beschwerdeführerin diesbezüglich geltend gemacht, das Regionalgericht habe das rechtliche Gehör verletzt, indem es ihr an der Konkursverhandlung nicht ermöglicht habe, auf eine 41-seitige schriftliche Stellungnahme und 24 Beilagen der Beschwerdegegnerin angemessen zu reagieren.
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2.2. Vor Bundesgericht hält die Beschwerdeführerin daran fest, dass sie prozessunerfahren und nicht anwaltlich vertreten sei. Der obergerichtlichen Feststellung über die Unterstützung und Beratung durch Rechtsanwalt C.________ hält sie jedoch nichts Konkretes entgegen. Stattdessen beschränkt sie sich darauf, die obergerichtlichen Feststellungen über ihre Prozesserfahrung als Mutmassungen abzutun, die sich bloss auf einige juristisch einigermassen qualifizierte Äusserungen in ihren Eingaben stützten. Darauf ist nicht einzutreten. Die Beschwerdeführerin macht sodann geltend, jedenfalls im entscheidenden Zeitraum, nämlich während der Konkursverhandlung, sei sie nicht anwaltlich vertreten gewesen. Dies trifft zwar zu, ist jedoch nicht entscheidend: Sie muss sich nämlich allgemein den Eindruck zurechnen lassen, prozesserfahren zu sein. Da sich die Beschwerdeführerin nie formell durch einen Rechtsanwalt vertreten liess, kann nicht aufgeschlüsselt werden, ob und inwiefern der entsprechende Eindruck einzig dem Wirken von Rechtsanwalt C.________ im Hintergrund geschuldet ist oder ob ihre statutarischen Organe dazu beigetragen haben. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Erwägung des Regionalgerichts (unter Hinweis auf den Handelsregistereintrag), wonach die Beschwerdeführerin ein Finanzdienstleistungsunternehmen sei und bereits deshalb über (prozess-) rechtliche Kenntnisse verfügen müsse. Die Beschwerdeführerin behauptet sodann selber nicht, sie habe etwa an der Konkursverhandlung darauf hingewiesen, sie habe bisher im Hintergrund anwaltliche Unterstützung gehabt, müsse darauf aber in der Verhandlung verzichten und verfüge selber über keine prozessuale Erfahrung. Die Vorinstanzen durften demnach zu Recht davon ausgehen, die Beschwerdeführerin sei nicht gänzlich (prozess-) rechtlich unerfahren. Da die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Gehörsrüge auf der gegenteiligen Annahme ihrer Prozessunerfahrenheit beruhen, braucht auf sie nicht eingegangen zu werden.
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3. Umstritten ist sodann, ob über die Beschwerdegegnerin wegen Zahlungseinstellung (Art. 190 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG) oder betrügerischer Handlungen zum Nachteile der Gläubiger (Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG) der Konkurs zu eröffnen ist.
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3.1. Das Obergericht hat zunächst allgemein erwogen, der Entscheid über die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung erfolge im summarischen Verfahren (Art. 251 lit. a ZPO). Dem Zweck dieses Verfahrens entsprechend seien nur sofort greifbare, liquide Beweismittel zulässig. Da das Gericht den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen habe, gebe es zwar keine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel (Art. 254 Abs. 2 lit. c ZPO), doch stehe der Urkundenbeweis im Vordergrund. Der antragstellende Gläubiger trage die Beweislast für das Vorliegen eines materiellen Konkursgrundes, wobei das Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit anzuwenden sei. Die Beschwerdeführerin habe ihre kantonale Beschwerde im Wesentlichen damit begründet, dass die Buchhaltungsunterlagen der Beschwerdegegnerin offensichtlich falsch seien und ihre wahren wirtschaftlichen Verhältnisse beschönigt darstellten. Sie mache in der Beschwerde umfangreiche technische Ausführungen in buchhalterischer Hinsicht und betreffend das hoch komplexe und verflochtene Verhältnis der Beschwerdegegnerin zu den im Konzern vorhandenen Mutter- und Tochtergesellschaften. Ihre Begründung umfasse über zehn Seiten und sei nicht leicht verständlich, so dass von einer offensichtlichen und leicht erkennbaren Unrichtigkeit der Buchhaltungsunterlagen nicht gesprochen werden könne. Um die finanzielle Situation im Konzern zweifelsfrei beurteilen zu können, bedürfte es eines umfangreichen Beweisverfahrens (z.B. Bewertungsgutachten, Einvernahme der Revisoren etc.), was den Rahmen des Summarverfahrens sprengen würde. Eine Konkurseröffung ohne vorgängige Betreibung könne jedoch nur in liquiden Fällen ausgesprochen werden, anderenfalls seien die Gläubiger auf den Weg der ordentlichen Konkursbetreibung zu verweisen.
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Erwägung 3.2
 
3.2.1. Hinsichtlich der Zahlungseinstellung macht die Beschwerdeführerin geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht einzig auf den Betreibungsregisterauszug der Beschwerdegegnerin abgestellt, und die übrigen Beweismittel weitgehend ausser Acht gelassen (namentlich den Jahresabschluss per 31. Dezember 2013, den Zwischenabschluss per 30. Juni 2014 sowie protokollierte Aussagen des Verwaltungsratsmitglieds der Beschwerdegegnerin). Beispielsweise ergebe sich aus ihnen ohne weiteres, dass die Beschwerdegegnerin im Urteilszeitpunkt mutmasslich fällige Verpflichtungen von mehreren hunderttausend Franken hatte, dass sie offene Verpflichtungen in Millionenhöhe hatte, die sie bestritt, aber nicht bilanzierte, und sie demnach die Buchhaltungsgrundsätze der Vorsicht, Wahrheit und Vollständigkeit (Art. 958c OR) verletzte, dass sie Liquiditätsreserven von lediglich ein paar hundert Franken hatte, dass sie über keine laufenden Einnahmen verfügte, sie ihr einziges Geschäftsmodell aufgrund eines Zerwürfnisses mit dem wichtigsten Geschäftspartner (G.________) verloren hatte und die letzten nennenswerten Zahlungen Ende Januar 2014 geleistet habe. Verfüge eine Gläubigerin über solche Informationen und Belege, die aussagekräftiger als ein Betreibungsregisterauszug seien, sei es ihr nicht zuzumuten, länger zuzuwarten. Das Obergericht verkenne Sinn und Zweck von Art. 190 SchKG, nämlich den Gläubigerschutz, wenn es etwa ausführe, dass im Zweifelsfall der Konkurs nicht zu eröffnen sei.
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3.2.2. Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Annahme des Obergerichts sei willkürlich, dass bernische Konkursrichter in buchhalterischen Fragen nicht fachkundig seien. Wahlvoraussetzung sei ein Anwalts- oder ein bernisches Notariatspatent und beides setze Buchhaltungskenntnisse voraus. Richter kennten demnach zumindest die elementaren Bilanzierungsgrundsätze und könnten diese - gerade auch im Rahmen eines Summarverfahrens - anwenden.
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3.2.3. Schliesslich macht die Beschwerdeführerin geltend, das Obergericht habe den Sachverhalt bei der Frage betrügerischer Handlungen willkürlich festgestellt. Die Betrugshandlungen der Beschwerdegegnerin lägen auf der Hand. Dabei handle es sich - neben den bereits genannten Punkten (oben E. 3.2.1) - etwa um die Falschbehauptung, C.________ als Darlehensgläubiger sei im Verhandlungszeitpunkt bezahlt, was aber effektiv erst einen Monat später erfolgt sei, oder die Beschwerdegegnerin erwarte gestützt auf Aktienkaufverträge Geldzuflüsse in siebenstelliger Höhe. In den vorgelegten Bilanzen seien systematisch Forderungen nicht ausgewiesen worden. Sie (die Beschwerdeführerin) habe ausführlich dargelegt, wie die Beschwerdegegnerin ihre Buchhaltungen zu führen pflege. Zusammengefasst würden Erträge auf Stufe Muttergesellschaft behalten, Aufwendungen in unbedeutende Tochtergesellschaften verschoben und diese dadurch ausgehöhlt.
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4. Insgesamt ist die Beschwerde somit abzuweisen, soweit auf sie eingetreten werden kann.
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5. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Zivilabteilung, 2. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Mai 2015
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Escher
 
Der Gerichtsschreiber: Zingg
 
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