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Informationen zum Dokument  BGer 6B_136/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_136/2015 vom 08.05.2015
 
{T 0/2}
 
6B_136/2015
 
 
Urteil vom 8. Mai 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. René Schwarz,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Vernachlässigung von Unterhaltspflichten; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 9. Dezember 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und rechtliche Würdigung. Indem die Vorinstanz die Verfügung der IV-Stelle Aargau nicht berücksichtige, wonach er die ihm zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten ausgeschöpft habe, stelle sie den Sachverhalt aktenwidrig fest und verletze Art. 217 Abs. 1 StGB.
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2.2. Gemäss Art. 217 Abs. 1 StGB wird auf Antrag bestraft, wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte. Erfasst wird unter anderem auch, wer zwar nicht über ausreichende Mittel zur Pflichterfüllung verfügt, es jedoch unterlässt, ihm offen stehende und zumutbare Möglichkeiten zum Geldverdienen zu ergreifen. Der Unterhaltspflichtige muss in einem Umfang einer entgeltlichen Tätigkeit nachgehen, der es ihm ermöglicht, seine Unterhaltspflichten zu erfüllen. Gegebenenfalls muss er sogar seine Stelle oder seinen Beruf wechseln, wobei diese Pflicht durch den generellen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit begrenzt ist (BGE 126 IV 131 E. 3a S. 133 mit Hinweis).
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2.3. Die Vorinstanz erwägt, die 1. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Aargau habe am 25. Oktober 2011 festgestellt, dass die Unterhaltsbeiträge gemäss dem Scheidungsurteil vom 23. April 2008 nach wie vor rechtmässig seien und sich keine Änderung rechtfertige. Gestützt auf die Ausführungen in diesem Urteil stehe fest, dass sich der Beschwerdeführer ab August 2009 nur ungenügend um die Erzielung eines Erwerbseinkommens in früherer Höhe bemüht und zudem über namhafte finanzielle Mittel verfügt habe, die er zweckwidrig verwendet habe. Für die Zeit nach dem Urteil des Zivilgerichts seien hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers keine Veränderungen auszumachen. Obwohl er eine besser bezahlte Stelle hätte suchen müssen, habe er sich mit der im April 2011 angetretenen Stelle als Verkaufsberater mit einem unregelmässigen Einkommen auf Provisionsbasis von netto durchschnittlich Fr. 5'000.-- zuzüglich Spesen begnügt. Entgegen seiner Auffassung sei nicht ersichtlich, weshalb für die Monate unmittelbar nach dem Zivilurteil eine neue Berechnung seiner wirtschaftlichen Lage hätte erfolgen müssen. Er mache keine wesentliche Veränderung seiner Verhältnisse geltend, sondern versuche aufzuzeigen, dass es ihm mit seinen heutigen Einnahmen nicht möglich sei, Unterhalt zu bezahlen. Auf seine Erwerbsaussichten im Falle eines Stellenwechsels gehe er zwar ein, vermöge aber nicht aufzuzeigen, weshalb es ihm ab April 2011 nicht möglich gewesen sein sollte, sich um eine besser bezahlte Stelle zu bewerben. Zusammengefasst habe der Beschwerdeführer auch unmittelbar nach dem 25. Oktober 2011 bis zum 28. Februar 2012 wissentlich und willentlich darauf verzichtet, sich um eine besser bezahlte Stelle zu bemühen, um seinen Unterhaltspflichten vollständig nachkommen zu können (Urteil S. 8 ff.).
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2.4. Mit Schreiben an das Bezirksgericht Zofingen vom 5. März 2013 (Akten Bezirksgericht, act. 211 f.) reichte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verfügung der IV-Stelle der Suva Aargau, datierend vom 6. April 2006, zu den Akten. Daraus ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer die selbstständige Tätigkeit im Bereich Getränkehandel und Partyservice noch zu 50%, eine wechselbelastende Tätigkeit ohne Tragen von schweren Lasten dagegen vollzeitlich zumutbar sei. Eine mögliche Invalidentätigkeit sei eine Stelle als Verkaufsberater, vorzugsweise in der Lebensmittelbranche. Schliesslich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer einen Invaliditätsgrad von 29% aufweist, weshalb das Leistungsbegehren abgewiesen werde (Akten Bezirksgericht, Einleger-act. 17c). Aus zwei weiteren Schreiben ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2012 (Invaliden-) Renten erhielt (Akten Bezirksgericht, Einleger-act. 17a und b). Der Beschwerdeführer hat vor beiden kantonalen Instanzen vorgebracht, dass er seit April 2011 genau diejenige Tätigkeit ausübe, welche ihm von der IV-Stelle Aargau empfohlen worden sei, womit er die ihm zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfe (Akten Obergericht, Berufungsbegründung vom 9. September 2014 S. 8; Akten Bezirksgericht, act. 211 f., 226 und 228). Weder geht die Vorinstanz auf die Argumentation des Beschwerdeführers ein noch erwähnt sie das Schreiben der IV-Stelle, obwohl dieses möglicherweise geeignet wäre, zu belegen, dass es ihm nicht zuzumuten war, eine besser bezahlte Erwerbsmöglichkeit zu suchen. Indem sie ungeachtet dessen feststellt, der Beschwerdeführer vermöge nicht aufzuzeigen, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, sich um eine besser bezahlte Stelle zu bemühen, beziehungsweise er habe wissentlich und willentlich darauf verzichtet, stellt sie den Sachverhalt unvollständig sowie willkürlich fest. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Urteil unter Berücksichtigung der gesamten Akten prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer die ihm zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten ausschöpfte oder ob er es bewusst unterliess, ihm offen stehende und zumutbare Möglichkeiten zum Geldverdienen zu ergreifen.
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Erwägung 3
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 9. Dezember 2014 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-- auszurichten.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 8. Mai 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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