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Informationen zum Dokument  BGer 1C_61/2015  Materielle Begründung
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BGer 1C_61/2015 vom 01.05.2015
 
{T 0/2}
 
1C_61/2015
 
 
Urteil vom 1. Mai 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch
 
Rechtsanwalt Giuseppe Dell'Olivo-Wyss,
 
gegen
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
 
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau.
 
Gegenstand
 
Entzug des Führerausweises,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. November 2014 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer wirft dem Verwaltungsgericht vor, den Sachverhalt falsch festgestellt zu haben. Unter den vorliegenden Umständen hätte es Anlass gehabt, von den Feststellungen im Strafverfahren abzuweichen. Konkret macht er geltend, die Strasse vor dem Kreisel habe Fahrrillen aufgewiesen, die wegen des Regens mit Wasser gefüllt gewesen seien. Trotz einer starken Bremsung hätte er deshalb die Kollision nicht vermeiden können. Die Unebenheit der Strasse sei auch auf den Fotos der Polizei ersichtlich, denn darauf sei ein Teil der Strasse noch nass, der Rest jedoch schon trocken. Auch die Lenkerin des Kleinbusses habe ausgesagt, der Regen sei schuld gewesen, was klar auf eine Unebenheit der Strasse hinweise. Seine eigene Aussage, wonach er einen erheblichen Weg geschlittert sei, weise ebenfalls auf in Vertiefungen gesammeltes Wasser hin. Kurz nach dem Unfall sei denn auch ein entsprechendes Warnschild angebracht worden. Die Gemeinde Niederwil habe in den Niederwiler Nachrichten Nr. 05/2014 bekannt gemacht, dass der Kreisel tiefe Spurrinnen und Risse im Belag aufweise und deshalb saniert werde. Die Sanierungsbedürftigkeit zeige sich auch in der Verfügung des kantonalen Departements Bau, Verkehr und Umwelt vom 27. März 2014.
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2.2. Das Verwaltungsgericht hält fest, der Beschwerdeführer sei direkt nach dem Vorfall von der Polizei befragt worden. Er habe kein Wort über Fahrrillen verloren und ausdrücklich erklärt, er sei am Unfall schuld. Vertreten durch seinen Rechtsanwalt habe er später vorsorglich Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben, die Akten eingesehen und in der Folge seine Einsprache wieder zurückgezogen. Es sei für ihn vorhersehbar gewesen, dass auf ihn noch ein Administrativverfahren zukommen würde und dabei die Sachverhaltsfeststellungen im Strafverfahren relevant sein würden. An diese sei die Verwaltungsbehörde unter den vorliegenden Umständen gebunden.
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2.3. Die Verwaltungsbehörde darf beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat (BGE 124 II 103 E. 1c/aa S. 106 mit Hinweis). Die Verwaltungsbehörde ist grundsätzlich auch an einen Strafentscheid gebunden, der nicht im ordentlichen Verfahren, sondern im Strafbefehlsverfahren gefällt wurde, sofern die beschuldigte Person wusste oder angesichts der Schwere der ihr vorgeworfenen Delikte voraussehen musste, dass gegen sie ein Führerausweisentzugsverfahren eröffnet würde, und sie es trotzdem unterlässt oder darauf verzichtet, im Rahmen des (summarischen) Strafverfahrens die ihr garantierten Verteidigungsrechte geltend zu machen. Unter diesen Umständen darf die betroffene Person nicht das Verwaltungsverfahren abwarten, um allfällige Rügen vorzubringen und Beweisanträge zu stellen, sondern ist nach Treu und Glauben verpflichtet, dies bereits im Rahmen des (summarischen) Strafverfahrens zu tun, sowie allenfalls die nötigen Rechtsmittel zu ergreifen (BGE 123 II 97 E. 3c/aa S. 103 f.; zum Ganzen: Urteil 1C_263/2011 vom 22. August 2011 E. 2.3; je mit Hinweisen).
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2.4. Wenn der Beschwerdeführer die Fahrrillen als ursächlich für den Unfall ansah, hätte er entgegen seiner Darstellung Anlass gehabt, den Strafbefehl anzufechten. Selbst wenn dies, wie er glaubt, an der Anwendbarkeit von Art. 90 Abs. 1 SVG nichts geändert hätte, wäre dieser Umstand bei der Bemessung der Busse zu berücksichtigen gewesen (Art. 47 StGB). Die Vorinstanz ist daher zu Recht von dem im Strafmandatsverfahren festgestellten Sachverhalt ausgegangen.
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2.5. Im Übrigen überzeugt der angefochtene Entscheid auch insofern, als es in den Akten keine Anhaltspunkte für Fahrrillen im Zufahrtsbereich zum Kreisel gibt. Weder die Aussagen des Beschwerdeführers noch jene der Kleinbuslenkerin deuten auf solche hin. Nichts anderes gilt für die in den Akten liegenden Fotos: Fahrrillen lassen sich darauf nicht erkennen. Dass die Fahrspurbereiche schneller trocknen als der Rest der Strasse, trifft auch auf ebene Beläge zu. Der Auszug aus dem Publikationsorgan der Gemeinde Niederwil enthält schliesslich nur Hinweise auf den Belag des Kreisels selber, aber nicht auf den Zufahrtsbereich, auf welchen es hier ankommt. Vor diesem Hintergrund kann der Beschwerdeführer auch aus dem nachträglich in kurzer Distanz vor dem Kreisel angebrachten Signalschild "unebene Fahrbahn" nichts für sich ableiten.
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Erwägung 3
 
3.1. Streitig ist weiter, ob der vom Beschwerdeführer begangene Verstoss gegen das SVG als mittelschwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG oder als leichter Fall im Sinne von Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG einzustufen ist. Die Vorinstanz führt dazu aus, die Missachtung des Vortrittsrechts am Kreisel durch den Beschwerdeführer habe eine frontal-seitliche Kollision mit Sachschaden zur Folge gehabt. Die Unaufmerksamkeit hätte ohne Weiteres, namentlich auch bei Beteiligung eines schwächeren Verkehrsteilnehmers, beispielsweise eines anderen Motorradfahrers oder eines Fahrradfahrers, erhebliche Körperverletzungen der Unfallbeteiligten verursachen können. Letztlich müsse das Mass der Gefährdung jedoch nicht genau bestimmt werden, da jedenfalls das Verschulden des Beschwerdeführers nicht mehr leicht wiege. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass die schwierigen Verhältnisse (verspritzter Helm, Maisfeld, Sträucher) nicht entlastend wirkten. Vielmehr wäre der Beschwerdeführer aus diesen Gründen gezwungen gewesen, vorsichtiger zu fahren. Da er sein Fahrzeug nicht unter Kontrolle und seine Fahrweise nicht den Umständen angepasst habe, sei es ihm nicht möglich gewesen, dem sich im Kreisverkehr befindlichen Kleinbus die Vorfahrt zu lassen, und sei mit ihm kollidiert. Sein Verschulden sei nicht mehr als nur leicht zu beurteilen.
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3.2. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, ein Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit sei ihm nicht vorgeworfen worden. Darüber hinaus sei nicht jede irrtümlicherweise ungenügende Geschwindigkeitsanpassung bei Regen bereits als nicht mehr leichtes Verschulden zu qualifizieren. Die Beschädigungen an den beiden Fahrzeugen würden nicht auf eine hohe Geschwindigkeit hinweisen. Es sei damit erstellt, dass er alles Zumutbare unternommen habe, um sein Fahrzeug unter Kontrolle zu bringen. Dass die schlechten Bodenverhältnisse zur Kollision geführt hätten, könne damit nicht von der Hand gewiesen werden. Die Einschränkung der Sicht aufgrund der Sträucher und des Maisfeldes könnten ihm nicht zum Vorwurf gereichen, ebensowenig das verspritzte Helmvisier. Andernfalls dürfte sich ein Motorfahrzeugfahrer bei (starkem) Regen nicht mehr auf die Strasse wagen. Schliesslich habe auch die Kleinbuslenkerin ausgesagt, dass der Regen an der Kollision schuld gewesen sei.
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3.3. Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Nach der Rechtsprechung müssen eine geringe Gefahr und ein leichtes Verschulden kumulativ gegeben sein (BGE 135 II 138 E. 2.2.3 S. 141 mit Hinweisen). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3). Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a). Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Ziff. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143 f. mit Hinweisen).
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3.4. Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker verlangt wird, richtet sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen (Urteil 1C_266/2014 vom 17. Februar 2015 E. 3.6).
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3.5. Wenn der Beschwerdeführer argumentiert, die Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten zu haben, übersieht er, dass diese von vornherein nur unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen ausgefahren werden darf (Art. 4a Abs. 1 VRV). Vorliegend kommt hinzu, dass der Beschwerdeführer auf einen Kreisel zufuhr, bei dessen Einfahrt ihm kein Vortritt zukam. Gemäss Art. 41b VRV muss der Fahrzeugführer vor der Einfahrt in einen Kreisverkehrsplatz die Geschwindigkeit mässigen und den im Kreis von links herannahenden Fahrzeugen den Vortritt lassen. Sein Tempo hätte der Beschwerdeführer somit rechtzeitig drosseln müssen. Eine unangemessene Fahrweise beim Befahren eines Kreisels kann insbesondere Fahrradfahrer gefährden ( WALTER/ACHERMANN STÜRMER/SCARAMUZZA/NIEMANN/CAVEGN, Fahrradverkehr, bfu-Sicherheitsdossier Nr. 08/2012, S. 256 f.).
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, sowie dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 1. Mai 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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