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Informationen zum Dokument  BGer 1C_29/2015  Materielle Begründung
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BGer 1C_29/2015 vom 24.04.2015
 
{T 0/2}
 
1C_29/2015
 
 
Urteil vom 24. April 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Chaix,
 
Gerichtsschreiberin Pedretti.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Fürsprecher Harold Külling,
 
gegen
 
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
 
Postfach, 5001 Aarau 1 Fächer.
 
Gegenstand
 
Entzug des Führerausweises,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 27. November 2014 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
Daraufhin verfügte das Strassenverkehrsamt mit in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 25. Mai 2012 einen vorsorglichen Sicherungsentzug des Führerausweises auf unbestimmte Zeit ab dem 25. Mai 2012 und ordnete erneut eine verkehrspsychologische Begutachtung an (publiziert im Amtsblatt des Kantons Aargau vom 13. Juli 2012). Dieser unterzog sich A.________ am 7. Februar 2013. Das Gutachten vom 14. Februar 2013 ergab, dass er in charakterlicher Hinsicht zum Lenken eines Motorfahrzeugs ungeeignet sei.
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Mit rechtskräftiger Verfügung vom 5. April 2013 ordnete das Strassenverkehrsamt gestützt auf das Gutachten einen definitiven Entzug des Führerausweises auf unbestimmte Zeit sowie eine 12-monatige Sperrfrist ab dem 12. Januar 2013 an, da A.________ am 11. Januar 2013 in Zürich trotz Ausweisentzug ein Motorfahrzeug führte. Zusätzlich wurde die Wiedererlangung des Führerausweises von mehreren Bedingungen abhängig gemacht (Ablauf der Sperrfrist; Absolvieren von mindestens 15 Sitzungen Verkehrstherapie; erneute verkehrspsychologische Begutachtung mit positivem Ergebnis; Vorbehalt weiterer Abklärungen).
2
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
Das Strassenverkehrsamt und das Bundesamt für Strassen (ASTRA) schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht und das DVI verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Bundesrecht - mit Ausnahme der Grundrechte - von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Mindestentzugsdauer von zwei Jahren beginne ab dem Zeitpunkt des vorsorglichen Sicherungsentzugs, das heisst ab dem 25. Mai 2012, allenfalls dem 13. Juli 2012 (s. lit. B hiervor), nicht jedoch - wie von den Vorinstanz bestätigt - ab dem 8. November 2013 (s. oben lit. C). Er beruft sich dabei auf Art. 16c Abs. 3 und Abs. 4 SVG. Gemäss Abs. 3 tritt die Dauer des Ausweisentzugs wegen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Ausweisentzug (Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG) an die Stelle der noch verbleibenden Dauer des laufenden Entzugs. Dagegen bestimmt Abs. 4, dass eine Sperrfrist verfügt wird, die der für die Widerhandlung vorgesehenen Mindestentzugsdauer entspricht, wenn die betroffene Person trotz eines Führerausweisentzugs wegen fehlender Fahreignung (Art. 16d SVG) ein Motorfahrzeug führt. Indem die Vorinstanz für den Beginn auf den Zeitpunkt der letzten aktenkundigen Widerhandlung (7. November 2013) abstelle, verletze sie, so der Beschwerdeführer, die entsprechenden Bestimmungen des SVG. Ausserdem handle sie ohne gesetzliche Grundlage, womit auch gegen das Legalitätsprinzip in Art. 5 Abs. 1 BV verstossen werde.
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2.2. Das Verwaltungsgericht erwog, für die zweijährige Mindestentzugsdauer liege mit Art. 16c Abs. 2 lit. d i.V.m. Abs. 4 SVG eine gesetzliche Grundlage vor. Es stellte zudem in Frage, ob das Additionsverbot in Art. 16c Abs. 3 SVG überhaupt auf den vorliegenden Fall anwendbar sei: Zum einen behandle diese Bestimmung die gesamthafte Dauer eines Ausweisentzuges und regle nicht den Beginn eines solchen; zum anderen sei sie auf Warnungsentzüge auf bestimmte Zeit zugeschnitten und nicht - wie hier - auf Fälle des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit. Da dieser grundsätzlich so lange dauere, bis die betroffene Person wieder fahrgeeignet sei, könne eine allfällige Wiedererteilung des Führerausweises nur mittels einer Sperrfrist nach Art. 16c Abs. 4 SVG hinausgezögert werden. Es sei deshalb sachgerecht, für den Beginn der Mindestentzugsdauer auf den Zeitpunkt der letzten bekannten Widerhandlung am 7. November 2013, welche (noch) unter die Kaskade von Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG falle, abzustellen. Dies auch unter Gleichbehandlungsaspekten, denn sich auf einen früheren Zeitpunkt zu beziehen, würde bedeuten, dass die mehrfachen Fahrten des Beschwerdeführers trotz Führerausweisentzug "folgenlos" blieben.
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2.3. Die Argumentation des Beschwerdeführers, der Zeitpunkt des Beginns der zweijährigen Mindestentzugsdauer ergebe sich aus Art. 16c Abs. 3 SVG, ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen unbehelflich. Zudem wäre das vom Beschwerdeführer gewünschte Resultat nicht herbeizuführen, selbst wenn man diese Bestimmung anwenden würde: Art. 16c Abs. 3 SVG erlaubt lediglich, die verbleibende durch die neue Ausweisentzugsdauer zu ersetzen, ab dem Tag der Feststellung der Verkehrsregelverletzung (vgl. Cédric Mizel, Les nouvelles dispositions légales sur le retrait du permis de conduire, RDAF 2004 N. 62). Eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Anordnung des vorsorglichen Sicherungsentzugs ist somit ausgeschlossen.
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Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die zweijährige Mindestentzugsdauer ergebe sich aus Art. 16c Abs. 2 lit. d i.V.m. Abs. 4 SVG, bringt zutreffend zum Ausdruck, dass sich nicht die Art des Sicherungsentzugs per se, sondern lediglich die Grundlage für die Mindestentzugsdauer aufgrund der Kaskadenwirkung in Art. 16c Abs. 2 SVG geändert hat. Der am 5. April 2013 rechtskräftig verfügte definitive Sicherungsentzug auf unbestimmte Zeit wurde gestützt auf eine Fahreignungsabklärung aufgrund des Charakters des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG angeordnet. Dieser ist vom Sicherungsentzug nach Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG zu unterscheiden, bei welchem die charakterliche Fahrungeeignetheit unwiderlegbar gesetzlich vermutet wird, wenn die betroffene Person innerhalb einer gewissen Zeitspanne rückfällig wird, nachdem sie bereits mehrere schwere oder mittelschwere Widerhandlungen gegen Verkehrsvorschriften begangen hat (BGE 139 II 95 E. 3.4.2 f. S. 103 f.; RÜTSCHE/D'AMICO, in: Basler Kommentar, Strassenverkehrsgesetz, 2014, N. 50 zu Art. 16d). Der Beschwerdeführer führte unbestrittenermassen mehrfach trotz Sicherungsentzug nach Art. 16d SVG ein Motorfahrzeug und beging damit, zuletzt am 7. November 2013, eine schwere Widerhandlung (Art. 16c Abs. 1 lit. f SVG). Da ein solches Verhalten nicht ohne Folgen bleiben soll, ist gemäss Art. 16c Abs. 4 SVG eine Sperrfrist zu verfügen, die der Mindestentzugsdauer für die begangene Widerhandlung entspricht. Diese beträgt hier aufgrund des Kaskadensystems zwei Jahre gemäss Art. 16c Abs. 2 lit. d SVG (und nicht mehr nur 12 Monate nach Art. 16c Abs. 2 lit. c SVG). Dadurch wird die allfällige Wiedererteilung des Führerausweises hinausgeschoben (vgl. Art. 17 Abs. 3 SVG; BBl 1999 4491).
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Damit wird aber noch kein genauer Zeitpunkt für den Beginn der Mindestentzugsdauer bestimmt. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, wenn sie hierfür auf den Zeitpunkt der letzten aktenkundigen (schweren) Widerhandlung abstellt: Bereits aus Art. 16c Abs. 2 SVG ergibt sich, dass der Führerausweis nach einer schweren Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften entzogen wird. Die Anlasstat für die Anordnung der zweijährigen Sperrfrist ist somit der Vorfall vom 7. November 2013, weshalb es gerechtfertigt ist, auf diesen Zeitpunkt abzustellen. Dieser fällt in die mit dem definitiven Sicherungsentzug verfügte 12-monatige Sperrfrist mit Wirkung ab dem 12. Januar 2013. Die Vorinstanz hat dabei diese (bestehende) Sperrfrist durch die neue ersetzt und Art. 16c Abs. 3 SVG analog angewendet, welcher eine Addition ausschliesst (so auch CÉDRIC MIZEL, Droit et pratique illustrée du retrait du permis de conduire, 2015, S. 609). Dies wirkt sich zugunsten des Beschwerdeführers aus und ist deshalb vorliegend nicht zu überprüfen.
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Erwägung 3
 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Da er seine finanzielle Bedürftigkeit ausreichend glaubhaft macht, die Beschwerde nicht zum Vornherein aussichtslos erschien und er auf die Vertretung durch einen Anwalt angewiesen war, ist dem Gesuch stattzugeben (Art. 64 BGG). Es werden deshalb keine Kosten erhoben und dem Vertreter des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Fürsprecher Harold Külling, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'000.-- ausgerichtet.
 
5. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres, dem Strassenverkehrsamt, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. April 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti
 
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