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Informationen zum Dokument  BGer 4A_51/2015  Materielle Begründung
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BGer 4A_51/2015 vom 20.04.2015
 
{T 0/2}
 
4A_51/2015
 
 
Urteil vom 20. April 2015
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Kiss, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Klett, Hohl,
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Martin Basler,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Schlichtungsverfahren, Vergleich,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichterin im Obligationenrecht, vom 18. Dezember 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
B.________ (Mieterin) mietete mit Verträgen vom 7./8. November 2012 von A.________ (Vermieterin, Beschwerdeführerin) eine 4 1/2-Zimmerwohnung und einen Parkplatz in der Liegenschaft U.________. C.________ unterzeichnete die Verträge als Vertreterin der Vermieterin, wobei sich ihre Vertretungsbefugnis aus einem "Verwaltungsvertrag" betreffend die besagte Liegenschaft ergab, den sie am 28. August 2006 mit der Vermieterin und deren damaligen Miteigentümerin, D.________, abgeschlossen hatte.
1
Vertretung der Auftraggeber gegenüber Behörden, Amtsstellen wie Baubehörden, Schlichtungsstellen und Mietamt etc."
2
 
B.
 
Am 8. Mai 2014 beantragte die Vermieterin der Schlichtungsstelle mittels Revisionsgesuch gemäss Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO, "der Abschreibungsbeschluss" vom 12. Februar 2014 sei aufzuheben, und es sei festzustellen, dass "der vorbezeichnete Beschluss einschliesslich des in diesem aufgenommenen Vergleichs" nichtig sei. Die Schlichtungsverhandlung sei unter persönlicher Anwesenheit der Vermieterin erneut durchzuführen. Das Revisionsgesuch war im Wesentlichen damit begründet, C.________ sei nicht - wie in Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO vorgeschrieben - schriftlich zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt gewesen, weshalb die Vermieterin an der Schlichtungsverhandlung vom 12. Februar 2014 nicht rechtsgültig vertreten gewesen sei. Die Schlichtungsverhandlung sei "demnach formell mangelhaft durchgeführt" worden mit der Folge, dass der Vergleich und der Abschreibungsbeschluss unwirksam respektive nichtig seien.
3
 
C.
 
Die Vermieterin begehrt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben, und es sei festzustellen, dass "der Abschreibungsbeschluss" vom 12. Februar 2014 "einschliesslich des in diesem aufgenommenen Vergleichs" nichtig sei. Die Schlichtungsstelle sei anzuweisen, die Schlichtungsverhandlung unter persönlicher Anwesenheit der Beschwerdeführerin erneut durchzuführen.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Der angefochtene Entscheid des Kantonsgerichts, mit dem die Beschwerde gegen den Entscheid der Schlichtungsstelle über das Revisionsgesuch abgewiesen wurde, ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (vgl. BGE 139 III 133 E. 1.2-1.4) einer letzten kantonalen Instanz gemäss Art. 75 BGG. Weiter übersteigt der Streitwert die nach Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG in mietrechtlichen Fällen geltende Grenze (vgl. BGE 137 III 389 E. 1.1). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich einzutreten.
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Erwägung 2
 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Entsprechende Rügen sind überdies bloss zulässig, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
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Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 204 ZPO. Sie hält an ihrem Standpunkt aus dem kantonalen Verfahren fest, wonach C.________ nicht über eine schriftliche Ermächtigung zum Abschluss eines Vergleichs im Sinne von Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO verfügt habe. Sie meint, der vor der Schlichtungsstelle abgeschlossene Vergleich hätte aus diesem Grund nicht genehmigt werden dürfen, und der Abschreibungsbeschluss sei zu Unrecht erfolgt. Die Vorinstanz - so die Beschwerdeführerin - wäre vielmehr gehalten gewesen, so zu verfahren, wie wenn keine Einigung zustande gekommen wäre (Art. 206 Abs. 2 ZPO). Der dennoch abgeschlossene Vergleich erweise sich "ebenso als ungültig wie der Abschreibungsbeschluss".
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3.2. Gemäss Art. 204 Abs. 1 ZPO müssen die Parteien persönlich zur Schlichtungsverhandlung erscheinen. Hintergrund der gesetzlichen Regelung war der Gedanke, dass eine Schlichtungsverhandlung meist dann am aussichtsreichsten ist, wenn die Parteien persönlich erscheinen, da nur so "eine wirkliche Aussprache" stattfinden kann. Durch die bereits im kantonalen Verfahrensrecht bekannte Pflicht zum persönlichen Erscheinen zur Schlichtungsverhandlung soll ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien vor der allfälligen Klageeinreichung ermöglicht werden. Art. 204 Abs. 1 ZPO zielt in diesem Sinne - wie das Schlichtungsverfahren überhaupt - darauf ab, diejenigen Personen zu einer Aussprache zusammenzubringen, die sich miteinander im Streit befinden und die über den Streitgegenstand auch selber verfügen können (BGE 140 III 70 E. 4.3 S. 71 f. mit Hinweisen auf die Gesetzesmaterialien).
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3.3. Die Beschwerdeführerin verkennt die - dem dargelegten Regelungszweck entsprechende - Tragweite von Art. 204 ZPO, wenn sie annimmt, ein während der Schlichtungsverhandlung geschlossener Vergleich sei bereits aus dem Grunde ungültig, dass eine der Parteien in Missachtung der Bestimmung nicht persönlich anwesend war. Indem Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO einen schriftlichen Ausweis über die Vergleichsberechtigung des Vertreters verlangt, wird nicht der Schutz der Parteien vor unberechtigter Vertretung im Schlichtungsverfahren und somit ihrer Entscheidungsfreiheit beabsichtigt, sondern es soll die wirksame Durchführung des Schlichtungsversuchs gewährleistet und dadurch die einvernehmliche Streitbeilegung gefördert werden. Dementsprechend kann eine Partei, die nicht persönlich zur Schlichtungsverhandlung erschienen ist, sondern sich hat vertreten lassen, von vornherein nicht einwenden, der an der Schlichtungsverhandlung von ihrem Vertreter abgeschlossene und gemäss Art. 208 Abs. 1 ZPO zu Protokoll genommene Vergleich sei unwirksam, da die Voraussetzungen der Delegation gemäss Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO nicht erfüllt gewesen seien.
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Erwägung 4
 
4.1. Entscheidend für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens betreffend das Revisionsgesuch der Beschwerdeführerin ist einzig, ob C.________ an der Schlichtungsverhandlung vom 12. Februar 2014 im Rahmen ihrer Vertretungsmacht handelte und ob der abgeschlossene Vergleich in diesem Sinne zivilrechtlich gültig ist. Die Beschwerdeführerin stellt auch dies in Abrede.
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4.2. Ist die Ermächtigung durch Rechtsgeschäft eingeräumt, so beurteilt sich ihr Umfang nach dessen Inhalt (Art. 33 Abs. 2 OR). Nach den allgemeinen Grundsätzen hat die subjektive gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang (BGE 138 III 659 E. 4.2.1 S. 666; 137 III 145 E. 3.2.1). Sofern nicht feststeht, dass der Vertreter den Vertretenen tatsächlich richtig verstanden hat, ist die Bevollmächtigung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen (Urteil 5A_136/2008 vom 25. September 2008 E. 3.2 mit Hinweisen). Dabei ist massgeblich, wie der Bevollmächtigte die Erklärung des Vollmachtgebers nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen nach Treu und Glauben verstehen durfte und musste (siehe BGE 140 III 134 E. 3.2 mit Hinweisen). Während das Bundesgericht die objektivierte Vertragsauslegung als Rechtsfrage prüfen kann, beruht die subjektive Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der Ausnahmen von Art. 97 und 105 BGG (dazu Erwägung 2) der bundesgerichtlichen Überprüfung entzogen ist (BGE 135 III 410 E. 3.2; 132 III 626 E. 3.1 mit Hinweisen).
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4.3. Die Vorinstanz erwog, die Schlichtungsstelle sei "soweit ersichtlich" schon aufgrund einer subjektiven Auslegung des Verwaltungsvertrags vom 28. August 2006 zum Schluss gelangt, die C.________ in Ziffer 2.1 erteilte Ermächtigung zur Vertretung der Vermieterschaft gegenüber Schlichtungsstellen habe sich auch auf Vergleichsabschlüsse erstreckt. Die entsprechende erstinstanzliche Auffassung bestätigte sie, wobei sie zur Begründung namentlich erwähnte, dass der Verwaltungsvertrag vor Inkrafttreten von Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO abgeschlossen worden sei und das sankt-gallische Verfahrensrecht keine entsprechende Bestimmung enthalten habe. Sodann hielt sie für erheblich, dass C.________ im Verwaltungsvertrag weitgehende Verwaltungsbefugnisse inklusive dem Recht zum Abschluss sowie der Kündigung und Änderung von Mietverträgen übertragen worden seien. Die Vorinstanz folgerte, dies lasse darauf schliessen, dass die Vertretungsbefugnis gegenüber den Schlichtungsstellen in der Annahme eingeräumt worden sei, C.________ sei "prädestiniert, die Vermieterschaft künftig in allfälligen Schlichtungsverfahren vollumfänglich zu vertreten". Dies alles lege nahe, dass die Vertretungsbefugnis "sich auf sämtliche Aspekte des Schlichtungsverfahrens und somit namentlich auch auf Vergleichsabschlüsse erstrecken sollte".
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4.4. Die Beschwerdeführerin beanstandet unter dem Titel "Unrichtige Anwendung des Vertrauensgrundsatzes im Rahmen der Vertragsauslegung", die Vorinstanz habe ihre (die subjektive Vertragsauslegung betreffenden) im Rahmen der Beschwerde erstmals vorgebrachten Tatsachenbehauptungen und Beweisanträge unter Verweis auf Art. 326 Abs. 1 ZPO als ausgeschlossen erachtet und die Vertragsauslegung "alleine gestützt auf den Liegenschaftenvertrag vorgenommen". Sie habe damit den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt und "gegen Bundesrecht verstossen (Art. 326 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 99 Abs. 1 BGG) ".
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4.5. Die Rüge verfängt nicht:
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4.5.1. Im Beschwerdeverfahren sind neue Anträge, neue Tatsachenbehauptungen und neue Beweismittel gemäss Art. 326 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen. Noven müssen aber zumindest so weit vorgebracht werden können, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (BGE 139 III 466 E. 3.4 S. 471).
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4.5.2. Die Beschwerdeführerin behauptet, erst die Erwägungen im Entscheid der Schlichtungsstelle vom 4. Juni 2014 hätten Anlass zu den Tatsachenbehauptungen und Beweisanträgen in ihrer Beschwerde an das Kantonsgericht gegeben. Denn sie (die Beschwerdeführerin) habe sich in ihrem Revisionsgesuch "aufgrund des klaren Wortlautes von Art. 204 Abs. 3 lit. c ZPO alleine auf die fehlende schriftliche Vollmacht von C.________ zum Abschluss eines Vergleichs berufen".
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4.5.3. In Wahrheit hatte die Beschwerdeführerin durchaus Anlass, bereits in der Begründung ihres auf Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO gestützten Revisionsgesuchs vom 8. Mai 2014 sämtliche Gründe darzulegen, aufgrund derer sie den Vergleich für unwirksam hält. Namentlich hätte sie in einem Eventualstandpunkt aufzeigen können, inwiefern der Vergleich mangels (zivilrechtlicher) Vertretungsbefugnis von C.________ unwirksam sein soll. Zur Begründung des Revisionsgesuchs hätte sie sich bereits auf die dahingehenden, in der Beschwerde erwähnten Sachverhaltselemente berufen können, so etwa die angeblich von ihr erteilten Weisungen, ihren dringenden Eigenbedarf sowie das Verhalten von C.________ vor und nach der Schlichtungsverhandlung. Inwiefern erst der Entscheid der Schlichtungsstelle Anlass zu den entsprechenden Sachvorbringen gegeben haben soll, ist nicht erkennbar. Wenn die Vorinstanz diese Ausführungen und die zugehörigen Beweisanträge als verspätet erachtete und sie im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigte, ist dies nicht zu beanstanden.
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4.6. Nachdem die subjektive Auslegung der Vollmacht durch die Vorinstanz trägt, erweist sich die objektivierte Auslegung aufgrund des Vertrauensprinzips als gegenstandslos (Erwägung 4.2). Es braucht somit nicht auf die Ausführungen in der Beschwerde eingegangen zu werden, mit denen die Beschwerdeführerin die Auslegung der Willenserklärungen der Parteien nach Treu und Glauben kritisiert.
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4.7. Nach dem Gesagten ist es von Bundesrechts wegen nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz die Abweisung des Revisionsgesuchs durch die Schlichtungsstelle schützte und die dagegen gerichtete kantonale Beschwerde abwies.
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Erwägung 5
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist hingegen nicht zuzusprechen, da der Gegenpartei kein Aufwand für eine Vernehmlassung entstanden ist (Art. 68 Abs. 2 BGG).
20
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichterin im Obligationenrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. April 2015
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Kiss
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
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