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Informationen zum Dokument  BGer 6B_55/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_55/2015 vom 07.04.2015
 
{T 0/2}
 
6B_55/2015
 
 
Urteil 7. April 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Schär.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Lämmli,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen, Bahnhofstrasse 29, 8200 Schaffhausen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Mord und versuchter Mord; Strafzumessung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 22. Mai 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde richtet sich in erster Linie gegen die Qualifikation der Tat als Mord respektive versuchter Mord und gegen die Strafzumessung. In ihren rechtlichen Ausführungen weicht die Beschwerdeführerin indessen mehrfach vom vorinstanzlichen Sachverhalt ab, ohne diesen als willkürlich anzufechten (vgl. Beschwerde S. 5 Ziff. 1.2, S. 9 Ziff. 1.4 und 1.5, S. 10 Ziff. 2.2 und S. 12 f. Ziff. 2.6). Darauf ist nicht einzutreten (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG).
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1.2. Konkrete Ausführungen macht die Beschwerdeführerin lediglich in Bezug auf die familiäre Situation. Die Vorinstanz bagatellisiere die schwierigen familiären Verhältnisse und die lebenslange, dauernde und schwere Verletzung einer Kinderseele in schwer erträglicher Weise. Durch die Schläge des Vaters und sein jahrelanges, ständiges Heruntermachen, Kritisieren und Entmutigen sei sie depressiv geworden und habe die Informatikerschule nicht abschliessen können. Sie habe sich in einer ausweglosen Situation gewähnt und aus tiefer innerer Not heraus gehandelt. Die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz in diesem Zusammenhang seien offensichtlich unrichtig.
2
 
Erwägung 2
 
2.1. Eine vorsätzliche Tötung ist als Mord zu qualifizieren, wenn der Täter besonders skrupellos handelt, namentlich wenn sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind (Art. 112 StGB). Mord zeichnet sich nach der Rechtsprechung durch eine aussergewöhnlich krasse Missachtung fremden Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten aus. Es geht um die besonders verwerfliche Auslöschung eines Menschenlebens. Für die Qualifikation verweist das Gesetz in nicht abschliessender Aufzählung auf äussere (Ausführung) und innere Merkmale (Beweggrund, Zweck). Diese müssen nicht alle erfüllt sein, um Mord anzunehmen. Entscheidend ist eine Gesamtwürdigung der äusseren und inneren Umstände der Tat. Eine besondere Skrupellosigkeit kann beispielsweise entfallen, wenn das Tatmotiv einfühlbar und nicht krass egoistisch war, so etwa wenn die Tat durch eine schwere Konfliktsituation ausgelöst wurde. Für Mord typische Fälle sind die Tötung eines Menschen zum Zwecke des Raubes, Tötungen aus religiösem oder politischem Fanatismus oder aus Geringschätzung. Die für eine Mordqualifikation konstitutiven Elemente sind jene der Tat selber, während Vorleben und Verhalten nach der Tat nur heranzuziehen sind, soweit sie tatbezogen sind und ein Bild der Täterpersönlichkeit geben (zur Publikation bestimmtes Urteil 6B_600/2014 vom 23. Januar 2015 E. 4.1; BGE 127 IV 10 E. 1a S. 13 f.; je mit Hinweisen).
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2.2. Die Vorinstanz hat die Hintergründe der Tat und deren Ausführung eingehend beleuchtet und zieht zutreffende Schlussfolgerungen. Darauf kann grundsätzlich verwiesen werden. Fraglich ist einzig, ob der Umstand, dass die Beschwerdeführerin mit dem ihr überlassenen Schlüssel in die Wohnung gelangte, als heimtückisch bezeichnet werden kann. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin diesbezüglich das Vertrauen der Eltern erschlichen hätte. Jedoch liegen auch ohne diese Feststellung mehrere Qualifikationsmerkmale von Art. 112 StGB vor.
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Erwägung 3
 
3.1. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung wiederholt dargelegt. Darauf kann verwiesen werden (vgl. BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. S. 59 ff. mit Hinweisen). Es liegt im Ermessen des Sachgerichts, in welchem Umfang es die verschiedenen Strafzumessungsfaktoren berücksichtigt. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. durch Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61 mit Hinweis).
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3.2. Die Beschwerdeführerin beanstandet das methodische Vorgehen der Vorinstanz. Das Asperationsprinzip (Art. 49 Abs. 1 StGB) gelange vorliegend nicht zur Anwendung, denn es handle sich nicht um zwei verschiedene Taten. Vielmehr seien die Taten auf denselben Vorsatz und dieselbe Handlung zurückzuführen. Sie bildeten somit einen Deliktskomplex. Die Beschwerdeführerin verweist zur Begründung auf das Urteil 6B_496/2011 vom 19. November 2011. Aus dem zitierten Entscheid kann sie jedoch nichts zu ihren Gunsten ableiten. Im erwähnten Fall fuhr der Täter mit seinem Personenwagen in eine dicht gedrängte Menschenmenge, wobei er in Kauf nahm, Personen auf diese oder jene Art zu erfassen und ihnen tödliche Verletzungen zuzufügen. Das Bundesgericht hielt fest, die Tat bilde zeitlich, sachlich und situativ eine Einheit. Der Taterfolg zum Nachteil von vier Opfern sei durch ein und dieselbe Handlung aufgrund desselben Tatentschlusses verwirklicht worden. Wenn die Vorinstanz die Einsatzstrafe unter diesen Umständen anhand des Deliktskomplexes der mehrfachen versuchten Tötung bilde bzw. diese als Grundlage für die Bildung der Einsatzstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB heranziehe, widerspreche dieses Vorgehen nicht den Regeln der Methodik bei der Strafzumessung. Der vorliegende Fall unterscheidet sich davon insofern, dass die Taten nicht durch eine einzige Handlung verwirklicht wurden. Vielmehr wurden sie nacheinander verübt und richteten sich gezielt gegen zwei unterschiedliche Rechtsgutträger. Es kann daher nicht von einem Deliktskomplex gesprochen werden (vgl. dazu DONATSCH/TAG, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 9. Aufl. 2013, S. 412 f.).
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3.3. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz verletze das Doppelverwertungsverbot, indem sie die mordqualifizierenden Merkmale beim Tatverschulden erneut berücksichtige.
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3.4. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz hätte die schwierigen familiären Verhältnisse, ihre Geständigkeit sowie die verminderte Schuldfähigkeit stärker zu ihren Gunsten berücksichtigen müssen. Die Vorinstanz berücksichtigt sämtliche erwähnten Faktoren leicht strafmindernd. Sie hält der Beschwerdeführerin zwar zugute, dass sie sich in Bezug auf den Mordversuch an der Mutter selbst belastete. Der Sachverhalt sei jedoch bereits durch andere Strafuntersuchungshandlungen erstellt gewesen. Zudem zeige die Beschwerdeführerin keinerlei Reue und Einsicht in das begangene Unrecht. Insgesamt berücksichtigt sie die Kooperationsbereitschaft leicht strafmindernd. Die vorinstanzlichen Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Dass sie die einzelnen Strafzumessungsfaktoren weniger stark gewichtet als es die Beschwerdeführerin für richtig hält, stellt für sich allein keine Verletzung von Bundesrecht dar.
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3.5. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, ihr jugendliches Alter sei strafmindernd zu berücksichtigen. Entscheidend ist, ob die Beschwerdeführerin volle Einsicht in das Unrecht ihrer Tat besass (vgl. Urteile 6B_32/2008 vom 13. Mai 2008 E. 1.2; 6S.84/2005 vom 20. Oktober 2005 E. 3.4). Die Vorinstanz erwägt, es sei kein Zusammenhang zwischen der Tat und dem jugendlichen Alter der Beschwerdeführerin erkennbar. Sie habe die Tat nicht aus jugendlichem Leichtsinn begangen. Aus den Akten ergibt sich nichts Gegenteiliges. Es sei noch auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. Dieter Böhm vom 9. Februar 2012 hingewiesen. Demnach wurde bei der Beschwerdeführerin zwar eine Persönlichkeitsstörung mit unreifen Zügen diagnostiziert. Ihre Einsichtsfähigkeit sei deswegen jedoch nicht aufgehoben (act. 425 ff.; act. 435).
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3.6. Schliesslich bemängelt die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz hätte die Tatsache, dass sie im Vorfeld der Tat sämtliche Hilfsangebote ausgeschlagen habe, nicht straferhöhend berücksichtigen dürfen. Es handle sich dabei um eine Folge ihrer Persönlichkeitsstörung. Vielmehr hätte dieser Umstand verschuldensmindernd berücksichtigt werden müssen. Der Beschwerdeführerin kann nicht gefolgt werden. Die verminderte Schuldfähigkeit, welche mit ihrer psychischen Erkrankung einhergeht, wurde bereits leicht strafmindernd berücksichtigt. Eine weitere Reduktion ist nicht angezeigt. Die Vorinstanz wirft der Beschwerdeführerin vor, sämtliche Hilfsangebote und Therapien abgelehnt und sich nicht ernsthaft um eine Praktikumsstelle bemüht zu haben. Im weitesten Sinne zielen die vorinstanzlichen Erwägungen darauf ab, der Beschwerdeführerin eine allgemeine Lebensführungsschuld vorzuwerfen, was zumindest in der Lehre für unzulässig befunden wird ( WIPRÄCHTIGER/KELLER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 3. Aufl. 2013, N. 123 zu Art. 47 StGB mit Hinweisen). Im Ergebnis ist die Strafzumessung der Vorinstanz allerdings, selbst wenn die ablehnende Haltung gegenüber Hilfsangeboten nicht straferhöhend berücksichtigt werden dürfte, nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz berücksichtigt sämtliche relevanten Strafzumessungskriterien. Ihre Erwägungen und die daraus gezogenen Schlüsse sind nachvollziehbar. Sie verletzt das ihr bei der Strafzumessung zustehende Ermessen nicht.
10
 
Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
5. 
 
Lausanne, 7. April 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär
 
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