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Informationen zum Dokument  BGer 6B_215/2015  Materielle Begründung
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BGer 6B_215/2015 vom 07.04.2015
 
{T 0/2}
 
6B_215/2015
 
 
Urteil vom 7. April 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Bundesrichterin Jametti,
 
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Wiesendanger,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Vollzug der Restfreiheitsstrafe nach Aufhebung einer Massnahme,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 23. Januar 2015.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 62c Abs. 2 StGB. Zu Unrecht ordne die Vorinstanz den Vollzug der Rest- bzw. aufgeschobenen Freiheitsstrafen an. Lägen in Bezug auf die Reststrafe die Voraussetzungen der bedingten Entlassung oder der bedingten Freiheitsstrafe vor, so sei der Vollzug aufzuschieben. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung sei beim Entscheid über die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug die Prognose über das künftige Wohlverhalten in einer Gesamtwürdigung zu erstellen. Nebst Vorleben, Persönlichkeit und Verhalten des Täters während des Strafvollzugs seien dabei vor allem dessen neuere Einstellung zu seinen Taten, seine allfällige Besserung sowie die nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen. Die Vorinstanz setze sich nicht mit allen wesentlichen Faktoren auseinander. Sie stütze ihren Entscheid massgeblich auf das psychiatrische Gutachten vom 30. Juni 2011 sowie den Massnahmeschlussbericht des Amts für Justizvollzug und komme zum Schluss, unter Würdigung der gesamten Umstände sei eine schlechte Legalprognose zu stellen. Mit seiner neueren Einstellung zu seinen Taten, seiner allfälligen Besserung sowie seinen nach der Entlassung zu erwartenden Lebensverhältnissen habe sie sich praktisch gar nicht befasst. Sie habe sich lediglich auf einzelne (für ihn negative) Elemente abgestützt und keine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorgenommen. Damit habe sie ihr Ermessen überschritten und Bundesrecht verletzt.
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1.2. Nach Art. 62c Abs. 2 StGB wird die Reststrafe vollzogen, wenn der mit der Massnahme verbundene Freiheitsentzug kürzer als die aufgeschobene Freiheitsstrafe ist. Liegen in Bezug auf die Reststrafe die Voraussetzungen der bedingten Entlassung oder der bedingten Freiheitsstrafe vor, so ist der Vollzug aufzuschieben.
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1.3. Die Vorinstanz erwägt, das Amt für Justizvollzug habe die Massnahme für junge Erwachsene wegen Aussichtslosigkeit aufgehoben. Bereits deswegen könne dem Beschwerdeführer kaum eine günstige Prognose gestellt werden. Denn solchenfalls sei die Massnahme gescheitert, und dies wiederum bedeute, dass der Grund für deren Anordnung grundsätzlich noch bestehe. Das psychiatrische Gutachten vom 30. Juni 2011 bescheinige dem Beschwerdeführer eine mittelschwere dissoziale Persönlichkeitsstörung und eine schwere Suchtmittelabhängigkeit betreffend Benzodiazepine und Alkohol sowie eine leichte hinsichtlich Kokain. Es attestiere ihm ohne Behandlung eine hohe Rückfallgefahr. Ausserdem habe dem Beschwerdeführer am 20. April 2014 wegen Nichtzurückkehrens aus der Vollzugsöffnung die 15. Disziplinarverfügung eröffnet werden müssen (nach früheren wegen Entweichens, Bedrohung und Beleidigung, Besitz eines Mobiltelefons, Konsums von harten Drogen etc.). Gemäss Massnahmenschlussbericht des Amts für Justizvollzug vom 14. Mai 2014 habe der Beschwerdeführer seine Vollzugsöffnungen wiederholt zum Konsum von Suchtmitteln (Alkohol und Kokain) missbraucht, was zu impulsiven Durchbrüchen (Bedrohung und Beschimpfungen seiner Freundin) und Gewaltanwendung gegenüber Dritten (Schlägerei mit einem Dealer) geführt habe. Diese Problembereiche hätten bis anhin kaum bearbeitet werden können, der Beschwerdeführer habe kein Interesse gezeigt, sich mit seinem Verhalten auseinanderzusetzen. Nach einem Therapeutenwechsel habe er sich gut erkennbar um ein verbessertes Engagement in der Therapie bemüht, und es habe ihm eine gute Introspektionsfähigkeit attestiert werden können. Trotz intensiver Auseinandersetzung mit möglichen Risikofaktoren und Risikosituationen sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, die angestrebte Suchtmittelabstinenz auch unter Progressionsbedingungen aufrecht zu erhalten. Insgesamt ergäben sich Zweifel daran, ob dem Beschwerdeführer wirklich nur die Fähigkeit oder nicht vielmehr auch der Wille fehle, Konsumimpulse zu kontrollieren und zu steuern. Auch die Ausprägung seiner inneren Veränderungsbereitschaft sei fraglich. Positiv sei immerhin vermerkt worden, dass es dem Beschwerdeführer im Gegensatz zu früher offenbar gelungen sei, die Situation trotz Suchtmittelkonsum jeweils nicht eskalieren zu lassen. Das Rückfallrisiko werde dennoch unverändert als moderat bis deutlich ausgeprägt eingeschätzt. Insbesondere der Problembereich "Suchtmittelkonsum" stelle unverändert ein erhebliches Risiko für strafrechtliche Rückfälle dar.
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1.4. Mit diesen Ausführungen hat die Vorinstanz die für die Entscheidung zu berücksichtigenden prognoserelevanten Umstände einer Gesamtwürdigung unterzogen. Sie legt in vertretbarer Weise dar, weshalb sie im Rahmen ihres weiten Ermessens zum Schluss gelangt, dass eine hinreichend günstige Prognose für den Aufschub der Freiheitsstrafen jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gestellt werden kann. Dass und inwiefern sie ihr Ermessen missbraucht oder verletzt haben soll und die Verweigerung der bedingten Entlassung damit bundesrechtswidrig sein könnte, ist nicht ersichtlich.
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Erwägung 2
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. April 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler
 
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