VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2C_516/2014  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2C_516/2014 vom 24.03.2015
 
{T 0/2}
 
2C_516/2014
 
 
Urteil vom 24. März 2015
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Petry.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
B.A.________, Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Fürsprecher André Vogelsang,
 
gegen
 
Amt für Migration und Personenstand des Kantons Bern,
 
Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des
 
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
 
vom 11. April 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
1
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 116). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).
2
 
Erwägung 3
 
3.1. Gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. a AuG (SR 142.20) i.V.m. Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn die ausländische Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe, d.h. zu einer solchen von mehr als einem Jahr, verurteilt worden ist (BGE 137 II 297 E. 2.1 S. 299; 135 II 377 E. 4.2 S. 381). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Freiheitsstrafe bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde (Urteil 2C_147/2014 vom 26. September 2014 E. 3.1 mit Hinweis). Der Widerrufsgrund von Art. 62 lit. b AuG gilt auch für Personen, welche - wie der Beschwerdeführer - mehr als 15 Jahre ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz gelebt haben (vgl. Art. 63 Abs. 2 AuG).
3
3.2. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss überdies dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit standhalten (vgl. dazu BGE 139 I 16 E. 2.2.2; 135 II 377 E. 4.3 u. 4.5), was eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls erfordert.
4
 
Erwägung 4
 
4.1. Ausgangspunkt und Massstab für die fremdenpolizeiliche Interessenabwägung ist die Schwere des Verschuldens, die sich in der Dauer der Freiheitsstrafe niederschlägt (BGE 134 II 10 E. 4.2 S. 23, 129 II 215 E. 3.1 S. 216). Bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz besteht regelmässig ein wesentliches öffentliches Interesse daran, die Anwesenheit des Ausländers zu beenden (BGE 139 I 31 E. 2.3.1 f. S. 33 ff.). Erst recht wenn die Straftaten an Kindern und Jugendlichen verübt wurden, ist angesichts der durch den traumatisierenden Übergriff oftmals hervorgerufenen Entwicklungsstörungen und langjährigen, schweren psychischen Leiden der Betroffenen eine strenge Praxis gerechtfertigt und angezeigt (in BGE 137 II 233 nicht publizierte E. 3.1 des Urteils 2C_903/2010 vom 6. Juni 2011). Sodann ist zu beachten, dass schwere Sexualdelikte zu den in Art. 121 Abs. 3 lit. a BV genannten Anlasstaten gehören, deren Begehung dazu führen soll, dass die ausländische Person "unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz" verliert. Dieser Absicht des Verfassungsgebers trägt das Bundesgericht bei der Auslegung des geltenden Ausländergesetzes insoweit Rechnung, als dies zu keinem Widerspruch mit übergeordnetem Recht führt und mit gleichwertigen Verfassungsbestimmungen, namentlich dem Verhältnismässigkeitsprinzip, im Einklang steht (sog. "praktische Konkordanz"; vgl. BGE 139 I 16 E. 4.2, 4.3 und 5.3, 31 E. 2.3.2 S. 34).
5
4.2. Der Beschwerdeführer wurde im September 2010 wegen sexueller Handlungen mit einem Kind, sexueller Nötigung und versuchter sexueller Handlungen mit einem Kind, unter Einbezug des gleichzeitig widerrufenen Vollzugs einer früher wegen eines qualifizierten SVG-Delikts verhängten Geldstrafe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt. Im Herbst 2007 hatte er erfolglos versucht, einen 14-jährigen Jugendlichen dazu zu bewegen, ihm gegen Geld sein Glied zu zeigen. Im Januar 2008 hatte der Beschwerdeführer einen ebenfalls 14-jährigen Jugendlichen unter einem Vorwand in das Warenhaus X.________ in U.________ gelockt und ihn dann unter Einsatz eines Messers dazu gebracht, ihn auf die Herrentoilette zu begleiten, um dort mit ihm sexuelle Handlungen vorzunehmen.
6
4.3. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen, die Vorinstanz sei zu Unrecht von einem relevanten Rückfallrisiko ausgegangen. Er reicht in diesem Zusammenhang neu den Verlaufsbericht des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes der Universität Bern vom 4. April 2014 ein, welcher der Vorinstanz zum Urteilszeitpunkt (11. April 2014) nicht vorlag. Daraus gehe hervor, dass das Behandlungsziel voll erreicht worden sei. Daher könne ein Rückfallrisiko ausgeschlossen werden.
7
4.3.1. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt ("unechte" Noven gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG). Ob der vom Beschwerdeführer eingereichte Therapiebericht vom 4. April 2014 als zulässiges unechtes Novum zu berücksichtigen ist, kann vorliegend offen bleiben, da - wie nachfolgend erläutert - dem Bericht im Gesamtergebnis keine entscheidwesentliche Bedeutung zukommt.
8
4.3.2. Zum einen geht aus dem betreffenden Therapiebericht lediglich hervor, dass die Behandlung erfolgreich abgeschlossen wurde. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich daraus aber nicht entnehmen, dass von keiner Rückfallgefahr mehr auszugehen sei.
9
4.3.3. Die Vorinstanz hat bei ihrer Einschätzung des Rückfallrisikos die bis April 2013 erstellten Therapieberichte berücksichtigt. Dabei hat sie die erzielten Therapieerfolge des Beschwerdeführers durchaus anerkannt. Sie ging jedoch davon aus, dass selbst bei einer erfolgreich abgeschlossenen Behandlung eine Rückfallgefahr nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Diese Einschätzung ist im Lichte der zitierten Rechtsprechung nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführer kann somit aus dem Therapiebericht vom 4. April 2014 nichts zu seinen Gunsten ableiten. Auch die übrigen Vorbringen des Beschwerdeführers, namentlich betreffend sein Wohlverhalten seit Tatbegehung, sind nicht geeignet, die vorinstanzliche Einschätzung in Frage zu stellen. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt - und entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - kommt dem Wohlverhalten praxisgemäss während der strafrechtlichen Probezeit bzw. unter dem Druck eines hängigen Widerrufverfahrens nur untergeordnete Bedeutung zu. Es besteht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
10
4.4. Nach dem Gesagten besteht ein sehr gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers.
11
 
Erwägung 5
 
5.1. Der Beschwerdeführer lebt seit über 25 Jahren in der Schweiz. Aufgrund dieser langen Aufenthaltsdauer stellt der Widerruf der Niederlassung zweifellos eine besondere Härte dar. Diese wird aber dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer erst im Alter von 25 Jahren in die Schweiz gekommen ist. Zwar hat er die prägenden Kinder- und Jugendjahre im heutigen Bosnien-Herzegowina und nicht in seinem Heimatland Kroatien verbracht, jedoch hat er gemäss den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen Bezüge zu Kroatien: In der Schweiz ist er Mitglied in einem kroatischen Verein. Er hat zudem vorübergehend in Kroatien gelebt und kennt das Land auch von Ferienaufenthalten. Schliesslich hat er auch noch Familie in Kroatien. Dass - wie der Beschwerdeführer vorbringt - sein dortiges soziales Netz nicht mit dem hiesigen vergleichbar ist, lässt eine Rückkehr ins Heimatland nicht unzumutbar erscheinen.
12
5.2. Der Beschwerdeführer beruft sich auf die enge Beziehung zu seiner Familie in der Schweiz. Mit seiner Ehegattin sei er seit mehr als 25 Jahren verheiratet; seine beiden Töchter seien noch auf seine Unterstützung angewiesen.
13
5.2.1. Gemäss der Rechtsprechung umfasst der Schutzbereich des Familienlebens nach Art. 8 EMRK in erster Linie die Kernfamilie (Ehegatten und minderjährige Kinder). Andere familiäre Beziehungen, namentlich diejenige zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, fallen nur ausnahmsweise unter den Schutz von Art. 8 EMRK. Dabei genügt nicht, dass eine enge Bindung zu den erwachsenen Kindern besteht. Der Schutzbereich von Art. 8 EMRK ist in solchen Konstellationen nur berührt, wenn ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht (BGE 139 II 393 E. 5.1; 135 I 143 E. 3.1; 129 II 11 E. 2; 120 Ib 257 E. 1d).
14
5.2.2. Da die ältere Tochter des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils bereits volljährig war und - wie der Beschwerdeführer selbst einräumt - kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zum Vater vorliegt, kommt dieser Beziehung im Rahmen der Interessenabwägung kein entscheidendes Gewicht zu. Damit fällt nur die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner Ehegattin und seiner 17-jährigen Tochter unter den Schutzbereich von Art. 8 EMRK.
15
 
Erwägung 6
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. März 2015
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Petry
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).