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Informationen zum Dokument  BGer 1C_169/2014  Materielle Begründung
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BGer 1C_169/2014 vom 18.02.2015
 
{T 0/2}
 
1C_169/2014
 
 
Urteil vom 18. Februar 2015
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Merkli, Karlen,
 
Gerichtsschreiberin Pedretti.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Lienhard,
 
gegen
 
Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau,
 
Departement Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Aargau.
 
Gegenstand
 
Entzug des Führerausweises,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 20. Februar 2014 des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 1. Kammer.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
- Deichsellast überschritten um 132 kg bzw. 132 %
1
- Stützlast überschritten um 152 kg bzw. 190 %
2
- Anhängelast überschritten um 250 kg bzw. 12.5 %
3
- Betriebsgewicht des Sachentransportanhängers überschritten um 250 kg bzw. 12.5 %
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C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, das Statthalteramt des Bezirks Winterthur habe ihn mit Strafbefehl vom 21. Januar 2013 zu einer Busse von Fr. 500.-- verurteilt, was eine Übertretung darstelle und folglich auf ein relativ leichtes Verschulden hindeute. Die Administrativmassnahme stehe somit im Widerspruch zum rechtskräftigen Strafentscheid.
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2.2. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung vermag ein Strafurteil die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu binden. Allerdings gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, widersprüchliche Entscheide im Rahmen des Möglichen zu vermeiden. Die Verwaltungsbehörde darf deshalb beim Entscheid über die Massnahme von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters nur abweichen, wenn sie Tatsachen feststellt und ihrem Entscheid zugrunde legt, die dem Strafrichter unbekannt waren, wenn sie zusätzliche Beweise erhebt oder wenn der Strafrichter bei der Rechtsanwendung auf den Sachverhalt nicht alle Rechtsfragen abgeklärt, namentlich die Verletzung bestimmter Verkehrsregeln übersehen hat. In der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts - namentlich auch des Verschuldens - ist die Verwaltungsbehörde demgegenüber frei, ausser die rechtliche Qualifikation hängt stark von der Würdigung von Tatsachen ab, die der Strafrichter besser kennt, etwa weil er den Beschuldigten persönlich einvernommen hat (BGE 136 II 447 E. 3.1 S. 451; 124 II 103 E. 1c/aa und bb S. 106 f.; 119 Ib 158 E. 3a/aa und bb S. 163 f.).
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2.3. Wie aus dem Urteil der Vorinstanz (E. 2.3.2) hervorgeht, hat der Statthalter ausschliesslich aufgrund der Akten entschieden und keine zusätzlichen Abklärungen vorgenommen. Soweit ersichtlich stützte sich der Statthalter nur auf den Polizeirapport inklusiv Waagschein ab. Der Beschwerdeführer macht selbst nicht geltend, er sei persönlich einvernommen worden. Die Verwaltungsbehörde ist somit bei ihrer rechtlichen Würdigung des Sachverhalts nicht an den Strafbefehl gebunden.
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Erwägung 3
 
3.1. Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung (Art. 16a-c SVG). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Eine mittelschwere Widerhandlung begeht, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG). Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Abs. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143 f.). Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237 f.), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a). Die Entzugsdauer beträgt mindestens 12 Monate, wenn in den vorangegangenen fünf Jahren der Ausweis einmal wegen einer schweren Widerhandlung entzogen war (Abs. 2 lit. c).
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3.2. Die Annahme einer schweren Widerhandlung setzt kumulativ eine qualifizierte objektive Gefährdung und ein qualifiziertes Verschulden voraus. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG ist dann erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Auf subjektiver Seite verlangt der Tatbestand ein schweres Verschulden (Urteil 1C_456/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3.1 und E. 3.2). Ist die Gefährdung gering, aber das Verschulden hoch, oder umgekehrt die Gefährdung hoch und das Verschulden gering, liegt nur eine mittelschwere Widerhandlung vor (Urteil 6A.16/2006 vom 6. April 2006 E. 2.1.1, in: JdT 2006 I S. 442; Botschaft vom 31. März 1999 zur Änderung des Strassenverkehrsgesetzes, BBl 1999 4489; CÉDRIC MIZEL, Die Grundtatbestände der neuen Warnungsentzüge des SVG und ihre Beziehung zum Strafrecht, in ZStrR 124/2006, S. 31 ff., insbesondere S. 63 f.).
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Erwägung 4
 
4.1. Fahrzeuge dürfen nur in betriebssicherem Zustand in Verkehr gesetzt werden (Art. 29 SVG). Dies bedingt insbesondere, dass die Fahrzeuge oder Fahrzeugkombinationen nicht überladen werden und die Ladung sachgemäss verteilt und gesichert wird (Art. 30 Abs. 2 SVG). Die Bestimmungen wurden konkretisiert durch Art. 67 VRV, der die maximalen Gewichte und Lasten definiert. Diese Normen tragen zur Sicherheit im Strassenverkehr bei, insbesondere auch auf Autobahnen, wo die Verkehrsteilnehmer mit hohen Geschwindigkeiten unterwegs sind. Es handelt sich dabei um wichtige Verkehrsvorschriften (vgl. Urteile 1C_690/2013 vom 4. Februar 2014; 1C_353/2010 vom 12. Januar 2011), die mit jenen über die Geschwindigkeit (vgl. BGE 123 II 37 E. 1c S. 39) oder die Abstände (vgl. BGE 131 IV 133 E. 3.2.1 S. 137) vergleichbar sind.
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4.2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers, wonach eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer erst bei einer konkreten Gefährdung vorliege, ist der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung erfüllt. Eine solche besteht, wenn die Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung naheliegt (Urteile 1C_746/2013 vom 12. Dezember 2013 E. 2.2; 1C_3/2008 vom 18. Juli 2008 E. 5.2 mit Hinweisen). Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hängt von den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls ab (Urteil 1C_156/2010 vom 26. Juni 2010 E. 4 mit Hinweisen; vgl. auch BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen). Die Qualifizierung der Schwere der Gefahr bedarf jedoch einer rechtlichen Würdigung, welche, wie bereits dargestellt, im vorliegenden Fall losgelöst vom Strafbefehl erfolgen kann (oben E. 2).
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Erwägung 5
 
5.1. Der Beschwerdeführer wendet hierzu ein, er habe den Anhänger nicht selbst beladen und die Überladung sei ihm beim Fahren nicht aufgefallen.
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5.2. Gemäss Art. 57 Abs. 1 VRV hat sich der Fahrzeugführer vor Antritt der Fahrt zu vergewissern, dass sich das Fahrzeug und die Ladung in betriebssicherem Zustand befinden ( PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, N. 4 zu Art. 29 SVG). Aufgrund seines Berufes als Montagebauer und als erfahrener Motorfahrzeugführer, der häufig im Strassenverkehr unterwegs ist, muss erwartet werden, dass der Beschwerdeführer der Ladung, dem Transport und der Montage von Messematerial die nötige Beachtung schenkt. Indem er darauf vertraut hat, dass die Ladung vorschriftsgemäss vorgenommen wurde, ohne sich selbst über deren betriebssicheren Zustand zu vergewissern, hat er klarerweise grobfahrlässig gehandelt. Die Überladung des Anhängers war gemäss Polizeirapport offensichtlich und hätte demnach vom Beschwerdeführer in Ausübung der in dieser Situation erforderlichen Aufmerksamkeit und seiner Kontrollpflicht ohne weiteres erkannt werden können. Angesichts der durch die massive Überschreitung der Stütz- und Deichsellast hervorgerufenen ernstlichen Gefahr für die Verkehrssicherheit, ist das Verhalten des Beschwerdeführers als rücksichtslos einzustufen, womit ein schweres Verschulden vorliegt.
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Erwägung 6
 
 
Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrsamt, dem Departement Volkswirtschaft und Inneres, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 1. Kammer, und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. Februar 2015
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Die Gerichtsschreiberin: Pedretti
 
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