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Informationen zum Dokument  BGer 6B_580/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_580/2014 vom 13.02.2015
 
{T 0/2}
 
6B_580/2014
 
 
Urteil vom 13. Februar 2015
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Denys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Schweizerische Bundesanwaltschaft, 3003 Bern,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Tanja Knodel,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
versuchter wirtschaftlicher Nachrichtendienst (Art. 273 Abs. 2 StGB), Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesstrafgerichts, Strafkammer, vom 10. Dezember 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung (Beschwerde, S. 4 ff.). Die Vorinstanz habe bei der Entscheidfindung nicht berücksichtigt, dass die vom Beschwerdegegner an Rechtsanwalt B.________ gesandten Daten von diesem nicht nur entgegengenommen, sondern auch verwendet und weitergegeben worden seien. Infolge dieser unvollständigen Feststellung des Sachverhalts komme sie zum irrigen Schluss, das Delikt des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sei nicht vollendet worden, weil es sich bei Rechtsanwalt B.________ in tatsächlicher Hinsicht nicht um einen Agenten im Sinne des Gesetzes handle.
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich im Sinne von Art. 9 BV ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5; 138 I 49 E. 7.1; je mit Hinweisen) oder wenn sie auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge muss klar vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 mit Hinweisen). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 139 II 404 E. 10.1; 137 IV 1 E. 4.2.3; je mit Hinweisen).
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1.3. Dass Rechtsanwalt B.________ die vom Beschwerdegegner erhaltenen Daten als Beweismittel im Rahmen seiner Strafanzeige verwendete, mag von der Vorinstanz in ihrer Sachverhaltsfeststellung nicht erwähnt worden sein. Allerdings ist dieser Umstand auch nicht entscheidend für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens (vgl. nachfolgend E. 2.4.2). Auf diesen Punkt ist deshalb nicht weiter einzugehen.
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Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführerin macht weiter eine Verletzung von Art. 273 Abs. 2 StGB geltend. Der Beschwerdegegner sei zu Unrecht lediglich wegen des Versuchs zum wirtschaftlichen Nachrichtendienst verurteilt worden (Beschwerde, S. 6 f.).
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2.2. Die Vorinstanz erwägt (Urteil, S. 17), der Beschwerdegegner sei fälschlicherweise davon ausgegangen, Rechtsanwalt B.________ fungiere als Agent einer ausländischen Unternehmung im Sinne von Art. 273 StGB. Deshalb habe er sich lediglich des versuchten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes schuldig gemacht. Rechtsanwalt B.________ sei im relevanten Zeitraum zwar Rechtsvertreter der D.________ LLC sowie von deren Hauptaktionär und Geschäftsführer C.________ gewesen. Aus diesem Umstand allein dürfe aber nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass er als Agent im Sinne von Art. 273 StGB gehandelt habe. Als Mitglied des Zürcher und Schweizer Anwaltsverbandes unterstehe er den entsprechenden Standesregeln. Diesen gemäss habe er seinen Beruf im Einklang mit der Rechtsordnung sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Mit der Preisgabe der vom Beschwerdegegner erhaltenen Informationen an die D.________ LLC oder C.________ hätteer selbst tatbestandsmässig im Sinne von Art. 273 StGB agiert, weshalb solches Handeln keine im Rahmen des Anwaltsmandats ausgeübte Interessenvertretung darstellen könne. Hinweise dafür, dass er ausserhalb des Mandats im Interesse der D.________ LLC und von C.________ tätig geworden sein könnte, lägen keine vor. Im Gegenteil sei er auf das Angebot des Beschwerdegegners nur zum Schein eingegangen und habe die Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet. Damit habe er nicht als Anlaufstelle für ausländische Endabnehmer des verratenen Geheimnisses fungiert und könne folglich nicht als Agent im Sinne von Art. 273 StGB gelten.
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2.3. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verneint die Vorinstanz die Agentenqualität von Rechtsanwalt B.________ zu Unrecht. Ihr zufolge ist der Agentenbegriff weit auszulegen. Jeder Vertreter, der für einen Endabnehmer tätig sei, könne in Frage kommen. Agent sei, wer mit oder ohne Auftrag im Interesse eines ausländischen Unternehmens als dessen Anlaufstelle handle. Rechtsanwalt B.________ weise sämtliche Merkmale eines tauglichen Adressaten auf. Zunächst stehe er mit C.________ und dessen russischen Unternehmen D.________ LLC in einem anwaltlichen Vertretungsverhältnis. Als bevollmächtigter Rechtsvertreter habe er gemäss Standardvollmacht volle Vertretungsbefugnis und dürfe sämtliche Handlungen vornehmen. Davon habe er nachweislich Gebrauch gemacht, etwa mit dem Einreichen der Strafanzeige vom 6. März 2012. Ausserdem habe Rechtsanwalt B.________ die vom Beschwerdegegner erhaltenen Unterlagen nicht nur entgegengenommen, sondern für die Belange seiner russischen Klientschaft verwendet. Damit erfülle er sämtliche Kriterien eines Agenten im Sinne von Art. 273 Abs. 2 StGB, und der Beschwerdegegner sei zu Unrecht nur des versuchten wirtschaftlichen Nachrichtendienstes für schuldig befunden worden.
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Erwägung 2.4
 
2.4.1. Gemäss Art. 273 Abs. 2 StGB macht sich schuldig, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis einer fremden amtlichen Stelle, einer ausländischen Organisation oder privaten Unternehmung oder ihren Agenten zugänglich macht.
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2.4.2. Wenn die Beschwerdeführerin gestützt darauf argumentiert, Rechtsanwalt B.________ habe bei der Annahme und Verwendung der gestohlenen Daten im Interesse seiner Klientschaft und folglich als deren Agent gehandelt, lässt sie unberücksichtigt, dass er die Daten weder an seine russische Klientel aushändigte (vgl. vorne E. 1.3), noch sie für diese entgegennahm. Als er auf das Angebot des Beschwerdegegners einging, tat er dies lediglich zum Schein und in Absprache mit den Strafverfolgungsbehörden. Er handelte nicht in der Absicht, die Daten zuhanden von C.________ oder der D.________ LLC zu erwerben. Dagegen spricht schon der Umstand, dass er die Bundesanwaltschaft über das Angebot des Beschwerdegegners informierte. Im Gegensatz zu diesem sah er seine russische Klientschaft nie als Endabnehmerin des Handels, er hat nicht als "Anlaufstelle" für diese agiert. Daran ändert nichts, dass er die Daten später als Beweismittel für seine Strafanzeige verwendete, die er als Rechtsvertreter von C.________ sowie der D.________ LLC einreichte. Dabei vertrat er zwar deren Interessen, liess die Daten aber nicht ihnen, sondern der Strafverfolgungsbehörde des Bundes zukommen.
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Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich eine Verletzung von Art. 273 Abs. 3 StGB. Die Vorinstanz verneine zu Unrecht das Vorliegen eines schweren Falls des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes.
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3.2. Die Vorinstanz erwägt unter Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (Urteil, S. 21 f.), für die Qualifikation als schwerer Fall sei massgebend, ob der Verrat wirtschaftlicher Geheimnisse wegen ihrer grossen Bedeutung bzw. wegen ihres erheblichen industriellen Werts die nationale Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich in bedeutendem Ausmass (wenn auch nur abstrakt) gefährde. Bei der Bank A.________ handle es sich - ausgehend von der Bilanzsumme im Jahr 2012 - um eine vergleichsweise kleine Privatbank, von der nicht gesagt werden könne, dass ihr Name international eng mit dem Ruf der Schweizer Banken verknüpft sei. Bei dieser Sachlage sei nicht davon auszugehen, dass die illegale Preisgabe der fraglichen Bankdaten ans Ausland geeignet wäre, das Vertrauen in den Schweizer Finanzplatz und damit die wirtschaftlichen Gesamtinteressen der Schweiz in bedeutendem Ausmass zu gefährden. Die Schwelle zum schweren Fall des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sei daher nicht überschritten.
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3.3. Dagegen wendet die Beschwerdeführerin ein (Beschwerde, S. 7 ff.), Art. 273 StGB ahnde ein Delikt gegen den Staat. Dieser sei interessiert daran, dass die unter seiner Hoheit stehenden Unternehmen gegen Auskundschaftung und den Verrat von wirtschaftlichen Belangen geschützt seien. Wer einer ausländischen amtlichen Stelle, Organisation oder Unternehmung bzw. deren Agenten ein Geschäftsgeheimnis preisgebe, beeinträchtige schon dadurch die Interessen der nationalen Volkswirtschaft. Die Argumentation der Vorinstanz gehe fehl, wenn sie einen schweren Fall nur im Zusammenhang mit Grossunternehmen oder solchen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung annehmen wolle. Bei Art. 273 Abs. 3 StGB sei massgebend, ob der Verrat der wirtschaftlichen Geheimnisse für das entsprechende Unternehmen von grosser Bedeutung sei und somit indirekt die nationale Sicherheit im wirtschaftlichen Bereich in bedeutendem Ausmass zu gefährden vermöge. Die Grösse oder weltweite Bedeutung des Unternehmens spiele dabei keine wesentliche Rolle.
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3.4. Da es sich bei Art. 273 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt (BGE 98 IV 209 E. 1.c), hält die Beschwerdeführerin zwar zutreffend fest, dass die Interessen der nationalen Volkswirtschaft bereits dadurch beeinträchtigt sind, dass ein Geschäftsgeheimnis an eine ausländische amtliche Stelle, Organisation oder Unternehmung bzw. deren Agenten preisgegeben wird, ohne dass eine konkrete Schädigung oder Gefährdung nachgewiesen werden müsste. Damit ist allerdings erst der Tatbestand des (einfachen) wirtschaftlichen Nachrichtendienstes erfüllt. Für die Annahme eines schweren Falls müssen zusätzliche Kriterien vorliegen.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Es werden keine Kosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesstrafgericht, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 13. Februar 2015
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Denys
 
Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler
 
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