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Informationen zum Dokument  BGer 2C_368/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_368/2014 vom 19.12.2014
 
{T 0/2}
 
2C_368/2014
 
 
Urteil vom 19. Dezember 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Donzallaz, Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Genner.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
 
gegen
 
1.  Kantonale Kommission für Qualifikationsverfahren,
 
2.  Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Qualifikationsprüfung zum Tierpflegen EFZ, Fachrichtung Wildtiere,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 4. Abteilung, vom 17. März 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das angefochtene Urteil wurde als Endentscheid einer kantonal letztinstanzlich zuständigen Gerichtsbehörde erlassen (Art. 86 lit. d, Art. 86 Abs. 2 und Art. 90 BGG). Die berufliche Grundbildung ist im Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, BBG; SR 412.10), in der Verordnung vom 19. November 2003 über die Berufsbildung (Berufsbildungsverordnung, BBV; SR 412.101) und in den Bildungsverordnungen im Sinn von Art. 19 BBG geregelt. Der Entscheid über die Erteilung eines EFZ betrifft somit eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts, welche gemäss Art. 82 lit. a BGG der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt.
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1.2. Auf die mit den gleichen Anträgen erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten. Dieses Rechtsmittel stünde nur offen, wenn die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unzulässig wäre (Art. 113 BGG). Der Verstoss gegen kantonale Bestimmungen kann im Rahmen beider Rechtsmittel nur als Verletzung des Willkürverbots nach Art. 9 BV gerügt werden (vgl. Art. 95 lit. a und Art. 116 BGG).
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Erwägung 2
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. S. 415). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
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2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2). Die beschwerdeführende Partei kann die Feststellung des Sachverhalts unter den gleichen Voraussetzungen beanstanden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Eine entsprechende Rüge ist substanziiert vorzubringen; auf rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsfeststellung geht das Bundesgericht nicht ein (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 f.).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer leidet unbestrittenermassen an einer psychischen Erkrankung mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Diese Erkrankung hatte den Vorsteher des Bildungs- und Kulturdepartements dazu bewogen, den Beschwerdeführer ausserordentlich zum Qualifikationsverfahren zuzulassen. Der Beschwerdeführer gilt aufgrund seiner psychischen Einschränkung, welche gemäss psychiatrischem Gutachten vom 10. Januar 2012 eine Arbeitsfähigkeit von 50 % im Bereich der Tierpflege zulässt, als Mensch mit Behinderung im Sinn von Art. 2 Abs. 1 BehiG, was ebenfalls unbestritten ist.
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3.2. Gemäss Art. 2 Abs. 5 BehiG liegt eine Benachteiligung bei der Inanspruchnahme von Aus- und Weiterbildung insbesondere vor, wenn die Verwendung behindertenspezifischer Hilfsmittel oder der Beizug notwendiger persönlicher Assistenz erschwert werden (lit. a) oder die Dauer und Ausgestaltung des Bildungsangebots sowie Prüfungen den spezifischen Bedürfnissen Behinderter nicht angepasst sind (lit. b). Wer durch das Gemeinwesen im Sinn von Art. 2 Abs. 5 BehiG benachteiligt wird, kann beim Gericht oder bei der Verwaltungsbehörde verlangen, dass das Gemeinwesen die Benachteiligung beseitigt oder unterlässt (Art. 8 Abs. 2 BehiG). Im Bereich der beruflichen Grundbildung statuiert Art. 35 Abs. 3 BBV zur Vermeidung von Benachteiligungen im Sinn von Art. 2 Abs. 5 BehiG folgenden Grundsatz: "Benötigt eine Kandidatin oder ein Kandidat bei einer Abschlussprüfung auf Grund einer Behinderung besondere Hilfsmittel oder mehr Zeit, so wird dies angemessen gewährt."
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3.3. Der Vollzug von Art. 35 Abs. 3 BBV obliegt den Kantonen (Art. 66 BBG). Im Berufsbildungsrecht des Kantons Luzern gibt es keine Gesetzes- oder Verordnungsbestimmung, welche die Modalitäten des Nachteilsausgleichs regeln würde. Die Umsetzung erfolgt durch die Dienststelle Berufs- und Weiterbildung, welche gemäss § 38 lit. a des Gesetzes des Kantons Luzern vom 12. September 2005 über die Berufsbildung und die Weiterbildung (SRL Nr. 430) i.V.m. § 60 Abs. 1 der Verordnung des Kantons Luzern vom 6. Juni 2006 zum Gesetz über die Berufsbildung und die Weiterbildung (SRL Nr. 432) zuständig ist für alle Vollzugsaufgaben im Bereich der Berufsbildung und der Weiterbildung, welche durch Gesetz oder Verordnung des Bundes oder des Kantons nicht anderen Organen übertragen sind.
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Erwägung 4
 
4.1. Er beanstandet, die Vorinstanz habe eine "Pflicht zur Nachfrage bei fehlendem Gesuch um Nachteilsausgleich" der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung zu Unrecht verneint. Dies sei besonders stossend, da sowohl der Chefexperte als auch die zuständige Person bei der Dienststelle über seine psychiatrische Diagnose im Bild gewesen seien. Der Chefexperte habe seinem Rechtsvertreter am 11. Juni 2012 per E-Mail mitgeteilt, die für den folgenden Tag vorgesehenen praktischen Prüfungen könnten aufgrund seines - des Beschwerdeführers - angeschlagenen Gesundheitszustands nicht stattfinden. Der Chefexperte und die zuständige Person bei der Dienststelle seien übereingekommen, dass nach einer valablen Lösung gesucht werden solle, damit er - der Beschwerdeführer - eine faire Chance habe. Bei dieser Sachlage sei es willkürlich, wenn die Vorinstanz der Dienststelle keine Hinweispflicht auferlegt habe. Nachdem die praktische Prüfung auf den 9. Oktober 2012 verschoben worden sei, hätte die Dienststelle vier Monate Zeit gehabt, den Beschwerdeführer auf die Möglichkeit des Nachteilsausgleichs hinzuweisen. Im blossen Nachfragen könne entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen keine Persönlichkeitsverletzung erblickt werden, weil es ihm - dem Beschwerdeführer - nach wie vor frei gestanden hätte, ein solches Gesuch einzureichen oder darauf zu verzichten.
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4.2. Der Beschwerdeführer trägt vor, die Tatsache, dass ihn die Dienststelle Berufs- und Weiterbildung wider besseres Wissen nicht auf das fehlende Gesuch aufmerksam gemacht habe, stelle eine behördliche Nichtauskunft dar, welche gegen Treu und Glauben verstosse. In analoger Anwendung von Art. 27 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) sei eine behördliche Informations- und Auskunftspflicht zu bejahen.
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4.3. Der Beschwerdeführer moniert, das "Beharren auf der Formalität des Gesuchs" sei überspitzt formalistisch.
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4.4. Das Vorbringen, die Antipathie der verantwortlichen Person in der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung habe "evident vorgelegen", ist offensichtlich unbehelflich. Soweit der Beschwerdeführer damit einen Ausstandsgrund geltend macht, ist die Rüge verspätet (vgl. Urteil 2C_389/2012 vom 12. November 2012 E. 4.2 mit Hinweisen); eine andere Rüge als die Verletzung von Ausstandsgründen ist nicht ersichtlich. Das Gleiche gilt für die Dienststelle Berufs- und Weiterbildung als Behörde, welche nach Ansicht des Beschwerdeführers "offensichtlich keine Lust verspürt" habe, ihm "bei der Prüfung zum Erfolg zu verhelfen".
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4.5. Der Beschwerdeführer beruft sich auf das Merkblatt des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie "Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderungen bei Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen", wonach die Prüfungskommission im Fall einer kommentarlosen Einreichung eines Arztzeugnisses bei der Prüfungsanmeldung die Pflicht hat, den Kandidaten oder die Kandidatin umgehend auf die fehlenden Begehren aufmerksam zu machen und darauf hinzuweisen, dass ansonsten das Arztzeugnis nicht weiter beachtet werde.
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4.6. Dem Beschwerdeführer kann auch in seiner Auffassung nicht gefolgt werden, wonach die Verneinung der Hinweispflicht gegenüber der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung unverhältnismässig sei. Der Beschwerdeführer kann die praktische Prüfung (als Ganzes) wiederholen, ohne die schriftliche Prüfung nochmals ablegen zu müssen (Art. 20 Abs. 1 der Verordnung des SBFI vom 8. Juli 2009 über die berufliche Grundbildung Tierpflegerin/Tierpfleger mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis [EFZ], Text einzusehen unter www.sbfi.admin.ch, i.V.m. Art. 33 Abs. 1 BBV). Dies ist durchaus zumutbar. Zudem steht es dem Beschwerdeführer frei, den Nachteilsausgleich zu beantragen.
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Erwägung 5
 
5.1. Im Sinn einer Eventualbegründung macht der Beschwerdeführer geltend, die Prüfungsexperten hätten das Qualifikationsverfahren während der Prüfung abbrechen müssen. Die Blockade an der praktischen Prüfung sei als akut auftretende Manifestierung des Krankheitsbildes unter lit. c des Merkblatts zu subsumieren, wonach bei Vorhandensein einer Behinderung, eines Unfalls oder einer Krankheit während des Qualifikationsverfahrens die lernende Person sofort die anwesenden Prüfungsexperten zu informieren hat und die Prüfung abbricht.
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5.2. Gemäss dem Wortlaut von lit. c des Merkblatts geht der Abbruch der Prüfung nicht von den Prüfungsexperten, sondern vom Kandidaten oder der Kandidatin aus, wenn während des Qualifikationsverfahrens eine Behinderung, ein Unfall oder eine Krankheit "vorhanden ist". Im Normalfall soll also die Prüfung nicht gegen den Willen des Kandidaten abgebrochen werden. Zudem wird im Merkblatt sinngemäss darauf hingewiesen, dass die Geltendmachung bereits bekannter Behinderungen, Krankheiten, Lernstörungen etc. im Rahmen des Nachteilsausgleichs zwingend mit der Anmeldung erfolgen muss (vgl. auch E. 3.3 zweiter Abschnitt am Ende). Daraus ergibt sich, dass eine bereits bekannte gesundheitliche Störung, auch wenn sie sich auf die Prüfungsleistung auswirkt, grundsätzlich nicht mehr zum Abbruch der Prüfung berechtigt, es sei denn, ein akuter Vorfall mache eine Fortsetzung der Prüfung unmöglich. Dies war hier nicht der Fall: Die Überforderung des Beschwerdeführers an der praktischen Prüfung war keine akut auftretende gesundheitliche Störung. Vielmehr hätte er, der seine Behinderung kannte, mit derartigen Schwierigkeiten rechnen müssen. Indem er geltend macht, er habe aufgrund der erfolgreich absolvierten Theorieprüfung "nicht zwingend" mit "solchen Blockaden" beim praktischen Prüfungsteil rechnen müssen, räumt er implizit ein, dass er davon ausging, die Prüfung ohne Erleichterungen zu bestehen. Eine nachträgliche Berufung auf die psychische Einschränkung ist daher unbehelflich (vgl. auch Urteil 2D_7/2011 vom 19. Mai 2011 E. 4.6).
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Erwägung 6
 
6.1. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zwar sind Verfahren betreffend Streitigkeiten nach Art. 8 Abs. 2 BehiG - wie die vorliegende - gemäss Art. 10 Abs. 1 BehiG grundsätzlich unentgeltlich. Indessen erklärt Art. 10 Abs. 3 BehiG für das entsprechende Verfahren vor Bundesgericht das BGG für anwendbar. Art. 65 Abs. 4 lit. d BGG sieht für Streitigkeiten nach Art. 7 und Art. 8 BehiG reduzierte Gerichtskosten zwischen Fr. 200.-- und Fr. 1'000.-- vor.
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6.2. Ausgangsgemäss ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 19. Dezember 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Genner
 
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