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Informationen zum Dokument  BGer 1C_475/2014  Materielle Begründung
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BGer 1C_475/2014 vom 16.12.2014
 
{T 0/2}
 
1C_475/2014
 
 
Urteil vom 16. Dezember 2014
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
 
Bundesrichter Aemisegger, Karlen,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Fürsprech Jürg Walker,
 
gegen
 
Bundesamt für Migration, Quellenweg 6, 3003 Bern.
 
Gegenstand
 
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 21. August 2014
 
des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ wurde 1979 geboren und stammt aus Guinea. Er gelangte im August 1999 als Asylsuchender in die Schweiz. Im September 2001 heiratete er die Schweizerin B.________, erhielt daraufhin im Kanton Solothurn eine Aufenthaltsbewilligung und zog sein Asylgesuch zurück. Im Juni 2001 und im Januar 2006 kamen ihre beiden Kinder zur Welt.
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B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 1. Oktober 2014 beantragt A.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung seien aufzuheben.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Auch die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
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Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt, das Bundesverwaltungsgericht habe die Beweise falsch gewürdigt, indem es zum Schluss gekommen sei, dass die Ehe bereits im Zeitpunkt der erleichterten Einbürgerung nicht mehr intakt gewesen sei. Zumindest er selbst habe immer an der Ehe festhalten wollen. Eine Krise im Jahr 2003 hätten er und seine damalige Ehefrau überwinden können und im Januar 2006 sei die jüngere Tochter zur Welt gekommen. Erst nach der erleichterten Einbürgerung hätten die Schwierigkeiten begonnen. Seine Ehefrau habe sich nur noch mit vermeintlichen Freundinnen abgegeben und die Kinder vernachlässigt. Sie sei es gewesen, die ausgezogen sei. Dies alles habe er nicht voraussehen können. Schliesslich habe auch seine Ehefrau angegeben, den Entschluss zur Trennung erst nach der erleichterten Einbürgerung gefasst zu haben.
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Erwägung 2.2
 
2.2.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einem Schweizer Bürger ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt. Art. 26 Abs. 1 BüG setzt ferner in allgemeiner Weise voraus, dass der Bewerber in der Schweiz integriert ist (lit. a), die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. b) und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. c). Alle Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch bei der Einbürgerung selbst erfüllt sein (BGE 140 II 65 E. 2.1 S. 67 mit Hinweis).
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2.2.2. Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht. Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist. Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren. Über eine nachträgliche Änderung in seinen Verhältnissen, von der er weiss oder wissen muss, dass sie einer Einbürgerung entgegensteht, muss der Betroffene die Behörden unaufgefordert informieren. Diese Pflicht ergibt sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 5 Abs. 3 BV sowie aus der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht nach Art. 13 Abs. 1 lit. a VwVG (SR 172.021). Die Behörde darf sich ihrerseits darauf verlassen, dass die einmal erteilten Auskünfte bei passivem Verhalten des Gesuchstellers nach wie vor zutreffen (BGE 140 II 65 E. 2.2 S. 67 f. mit Hinweisen).
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2.2.3. In verfahrensrechtlicher Hinsicht gilt bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung der Untersuchungsgrundsatz (Art. 12 VwVG). Es ist deshalb von der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen, von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden. Der Betroffene ist auch im Verfahren betreffend die Nichtigerklärung bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135 II 161 E. 3 S. 165 f. mit Hinweisen).
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2.3. Zu prüfen ist nach dem Ausgeführten, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Einbürgerung einen intakten Ehewillen besass und ob er auf das Fortbestehen einer stabilen ehelichen Gemeinschaft vertrauen durfte. Da sich die Ehegatten am 28. Mai 2008, also knapp 18 Monate nach der erleichterten Einbürgerung, endgültig trennten, ging das Bundesverwaltungsgericht richtigerweise von der Vermutung aus, dass dies nicht zutraf.
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2.4. Das Bundesverwaltungsgericht erwog, es sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Eheschlusses in einer kritischen Aufenthaltssituation gewesen sei. Auch hätten die Eheleute auf gemeinsame Ferien oder sonstige gemeinsame Aktivitäten verzichtet und offenbar unterschiedliche Vorstellungen über die Haushaltsführung und Kinderbetreuung gehabt. Nach den Stellungnahmen der früheren Beiständin der Ex-Ehefrau und der Vormundschaftsbehörde Stüsslingen vom 30. und 31. Januar 2007 habe der Beschwerdeführer seine Frau beleidigt, bedroht, geschlagen und wiederholt sexuell genötigt. Im Sommer 2003 habe die Ex-Ehefrau Strafanzeigen wegen Tätlichkeiten, Drohung und Beschimpfung erhoben. Es sei vor dem Hintergrund der Ausführungen der Beiständin nachvollziehbar, dass die Ex-Ehefrau die Strafanzeigen deshalb wieder zurückgezogen habe, weil sie Angst vor dem Beschwerdeführer und vor dem Verlust des Sorgerechts über die ältere Tochter hatte. Nicht von Relevanz für die Beurteilung der Intaktheit der Ehe sei dagegen, dass der Ex-Ehefrau im Scheidungsverfahren die Obhut über die Kinder entzogen wurde, ebenso wenig, wer sich während der Ehe hauptsächlich um diese gekümmert habe. Insgesamt erscheine der Auszug der Ex-Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung nicht als die Folge eines ausserordentlichen Ereignisses, sondern als das Ende eines Prozesses, der sich schon lange abgezeichnet habe.
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2.5. Der Beschwerdeführer hält daran fest, dass er im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht habe wissen können, dass sich seine Ehefrau später von ihm trennen würde. Es sei zwar bereits früher zu einer Trennung gekommen. Dass seine Ehefrau zu ihm zurückkam und später eine zweite Tochter geboren wurde, sei jedoch ein Indiz dafür, dass die Ehe im Zeitpunkt der Einbürgerung intakt gewesen sei. Zudem habe seine Ehefrau bestätigt, dass die Geburt der ersten Tochter der Anlass für die Heirat gewesen sei.
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2.6. Es trifft im Grundsatz zu, dass eine Ehe trotz bestehender Beziehungsprobleme als intakt bezeichnet werden kann, insbesondere wenn sich die Ehegatten bemühen, die Probleme zu überwinden. Der Beschwerdeführer verkennt jedoch, dass Verwaltungs- und Gerichtsbehörden im Verfahren der Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung nicht umhin können, von objektiv feststellbaren Umständen auf die Bewusstseinslage und den Willen des Beschwerdeführers zu schliessen. Wenn objektive Umstände auf seit längerem andauernde, gravierende Eheprobleme hinweisen und die Überlebensfähigkeit der Ehe im Zeitpunkt der Einbürgerung als fraglich erscheint, ist es wie bereits dargelegt am Beschwerdeführer aufzuzeigen, weshalb er dennoch Grund hatte, auf die Beständigkeit der Ehe zu vertrauen. Der Hinweis des Beschwerdeführers, er habe an der Ehe festhalten wollen und habe sich nicht bewusst sein können, dass seine Ehefrau sich von ihm trennen wollte, reicht dafür nicht (vgl. Urteil 1C_340/2008 vom 18. November 2008 E. 2.3.2).
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3. Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
 
5. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 16. Dezember 2014
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Fonjallaz
 
Der Gerichtsschreiber: Dold
 
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