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Informationen zum Dokument  BGer 6B_151/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_151/2014 vom 04.12.2014
 
{T 0/2}
 
6B_151/2014
 
 
Urteil vom 4. Dezember 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Boog.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Karl Tschopp,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Kosten- und Entschädigungsregelung (Verkehrsregelverletzung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Nidwalden, Strafabteilung,
 
vom 7. November 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 1.1
 
1.1.1. Die Vorinstanz erwägt, bei einem Teilfreispruch seien die Verfahrenskosten anteilsmässig zwischen Staat und beschuldigter Person aufzuteilen. Der beschuldigten Person dürften jedoch die gesamten Kosten auferlegt werden, wenn die ihr zur Last gelegten Handlungen in einem engen und direkten Zusammenhang stünden und sämtliche Untersuchungshandlungen hinsichtlich jedes Anklagepunktes notwendig gewesen seien. Der Beschwerdeführer sei im vorliegenden Strafverfahren nur teilweise freigesprochen worden. Seine Ausführungen zur Kostentragungspflicht der beschuldigten Person bei einem Freispruch nach Art. 426 Abs. 2 StPO stiessen daher ins Leere (angefochtenes Urteil S. 10).
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1.1.2. Das Kantonsgericht nahm demgegenüber an, da der Beschwerdeführer vom Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von aArt. 90 Ziff. 2 i.V.m. Art. 26 Abs. 2 SVG freigesprochen worden sei, seien die Verfahrenskosten vollumfänglich dem Staat zu überbinden. Der überwiegende Teil der Untersuchungshandlungen sei in Zusammenhang mit der Abklärung dieses Vorwurfs erfolgt. Die auf die Einhaltung eines ungenügenden Abstands zu anderen Strassenbenützern entfallenden Verfahrenshandlungen, derer er schuldig gesprochen worden sei, seien nur marginal gewesen. So habe der Verkehrsunfall und nicht die Einhaltung eines ungenügenden Abstands im Zentrum der Befragungen des Beschwerdeführers, des Unfallbeteiligten sowie der Auskunftsperson bzw. des Zeugen gestanden. Nur in zwei Einvernahmen des Beschwerdeführers und des Unfallbeteiligten sei die Abstandsunterschreitung wesentliches Thema gewesen. Auch im gerichtlichen Verfahren hätten sich die Kosten im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Einhaltung eines ungenügenden Abstands auf ein Minimum beschränkt, zumal der Beschwerdeführer sich nicht gegen einen entsprechenden Schuldspruch gewendet habe. Bei diesem Ausgang sei auch eine vollumfängliche Entschädigung für die Anwaltskosten auszurichten (erstinstanzliches Urteil S. 5 f.; angefochtenes Urteil S. 8 f.).
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1.2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo", seines Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der strafprozessualen Bestimmungen über die Kostenverlegung. Er macht geltend, die Abstandsunterschreitung, bezüglich derer er schuldig gesprochen worden sei, sei dem Verkehrsunfall zeitlich zwar vorausgegangen, stehe mit diesem aber in keinem Zusammenhang. Indem die Vorinstanz ihm trotz des Teilfreispruchs die Verfahrenskosten vollumfänglich auferlege, verletze sie Bundesrecht. Bei einem Teilfreispruch sei eine quotenmässige Aufteilung der Kosten vorzunehmen. Anteilsmässig auf den Anklagepunkt entfallende Verfahrenskosten, in welchem er freigesprochen worden sei, könnten ihm nur unter den Voraussetzungen von Art. 426 Abs. 2 StPO auferlegt werden (Beschwerde S. 6 ff.). Selbst wenn sich bei einem Teilfreispruch die Kostenregelung ausschliesslich nach Art. 426 Abs. 1 StPO richten würde, seien vorliegend die Voraussetzungen für eine vollumfängliche Auferlegung der Kosten nicht erfüllt. Denn die beiden Anklagepunkte basierten auf zwei klar unterscheidbaren Sachverhalten. Gegenstand des Vorwurfs der Abstandsunterschreitung sei ein zu nahes Auffahren auf den voranfahrenden Fahrzeuglenker auf der Tunnelstrecke der Autobahn A8 zwischen Kilometer 85.970 und 86.621 gewesen. Der Verkehrsunfall habe sich unabhängig davon nach dem Wechsel auf die Autobahn A2 bei Kilometer 102.1 ereignet, nachdem sich die beiden Fahrzeuglenker zunächst aus den Augen verloren gehabt hätten. Ausgangspunkt für das Strafverfahren sei das Unfallereignis gewesen. Erst im Rahmen nachträglicher Weiterungen sei die Frage des ungenügenden Abstandes in die Untersuchung miteinbezogen worden. Im Zentrum der meisten polizeilichen und staatsanwaltlichen Befragungen habe der Verkehrsunfall gestanden. Die diesbezüglichen Untersuchungshandlungen seien daher für den Anklagepunkt der Abstandsunterschreitung nicht notwendig gewesen. Das gleiche gelte für die weiteren Kosten, welche im Strafbefehl als Auslagen überwälzt worden seien, namentlich die Fotodokumentation (Beschwerde S. 6 ff.). Die Verfahrenskosten seien mithin keine kausale Folge des tatbestandsmässigen, rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens, dessen er schuldig erklärt worden sei. Denn zur Strafuntersuchung habe nicht die Unterschreitung des Abstands geführt, sondern das Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers, der den Unfall verursacht habe (Beschwerde S. 10 f.). Es treffe auch nicht zu, dass eine Aussonderung der Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen auf den Verkehrsunfall nicht möglich sei, wie die Vorinstanz ohne weitere Begründung annehme. Das erstinstanzliche Kantonsgericht sei hiezu in der Lage gewesen und sei zum Schluss gelangt, der Abstandsunterschreitung komme im Rahmen der gesamten Untersuchung nur marginale Bedeutung zu. Es hätten längst nicht alle einvernommenen Personen Aussagen zum Abstand der beiden Fahrzeuge gemacht. Selbst wenn die Untersuchungskosten nicht bis ins Letzte auf die beiden Anklagepunkte aufteilbar sein sollten, verletze es Bundesrecht, auf eine Kostenausscheidung und die Zusprechung einer Parteientschädigung gänzlich zu verzichten (Beschwerde S. 13 ff.).
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Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer wurde mit Strafbefehl vom 29. August 2012 der vorsätzlichen und fahrlässigen einfachen Verkehrsregelverletzung durch ungenügenden Abstand gegenüber einem anderen Strassenbenützer sowie der fahrlässigen groben Verkehrsregelverletzung wegen mangelnder Vorsicht gegenüber Strassenbenützern, die sich nicht richtig verhalten werden, verurteilt. Im Einspracheverfahren wurde er vom Vorwurf der fahrlässigen groben Verkehrsregelverletzung vollumfänglich freigesprochen und im weniger schwerwiegenden Nebenpunkt wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung verurteilt.
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3.2. Nach der Rechtsprechung sind der beschuldigten Person, die bei mehreren angeklagten Straftaten nur teilweise schuldig gesprochen, im Übrigen aber freigesprochen wird, die Verfahrenskosten nur anteilsmässig aufzuerlegen. Dies gilt jedenfalls, soweit sich die verschiedenen Anklagekomplexe klar auseinanderhalten lassen. Die anteilsmässig auf die mit einem Freispruch endenden Anklagepunkte entfallenden Kosten verbleiben beim Staat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Vollumfänglich kostenpflichtig werden kann die beschuldigte Person bei einem teilweisen Schuldspruch nur, wenn die ihr zur Last gelegten Handlungen in einem engen und direkten Zusammenhang stehen, und alle Untersuchungshandlungen hinsichtlich jedes Anklagepunkts notwendig waren. Bei der Aufteilung der Verfahrenskosten steht der Behörde ein gewisser Ermessensspielraum zu (Urteile des Bundesgerichts 6B_753/2013 vom 17. Februar 2014 E. 3.1; 6B_574/2012 vom 28. Mai 2013 E. 2.3 und 6B_523/2013 vom 10. September 2013 E. 2.2; je mit Hinweisen; vgl. auch Yvona Griesser, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, hrsg. von Donatsch et al., 2. Aufl. 2014, Art. 426 N. 3; Thomas Domeisen, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, Art. 426 N. 3 und 6).
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3.3. Anlass für die dem zu beurteilenden Fall zugrunde liegende Strafuntersuchung war eine Unfallmeldung einer Drittperson an die Einsatzzentrale der Kantonspolizei Nidwalden vom 5. Juni 2012, 17.27 Uhr (Polizeirapport, Untersuchungsakten act. 1.6 ff.). Mit Hilfe der Verkehrsüberwachung im Loppertunnel A8 ermittelte die Polizei sodann, dass der Beschwerdeführer im Vorfeld des Unfalls im Tunnel zum vorausfahrenden Fahrzeug und späteren Unfallbeteiligten über eine Strecke von 651 Metern einen ungenügenden Abstand aufwies (Polizeirapport, Untersuchungsakten act. 1.8). Um 18.45 Uhr desselben Tages wurde der Beschwerdeführer von der Polizei als Auskunftsperson einvernommen. Dabei wurde er ausschliesslich zum Unfallhergang befragt (Untersuchungsakten act. 1.10 ff.). In der Einvernahme vom 11. Juni 2012 wurde er darüber hinaus auch zum Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug im Loppertunnel vernommen (Untersuchungsakten act. 1.15 ff.). Der zu geringe Abstand zum voranfahrenden Fahrzeug bildete auch Gegenstand der Einvernahme durch den Staatsanwaltschaft vom 17. Oktober 2012, bei welcher der Beschwerdeführer einräumte, zu nahe aufgefahren zu sein (Untersuchungsakten act. 1.61. ff.). Der Unfallbeteiligte schilderte in seinen polizeilichen Einvernahmen vom 5. und 7. Juni 2012 das Unfallgeschehen aus seiner Sicht. Dabei wies er zunächst darauf hin, dass der Beschwerdeführer schon im Loppertunnel bei stockendem Kolonnenverkehr mit geringem Abstand hinter ihm hergefahren sei. Im Übrigen bezogen sich diese Einvernahmen zur Hauptsache auf den Unfall (Untersuchungsakten act. 1.20 und 1.25 ff.). Schliesslich wurde auch A.________ befragt, der den Unfall in seinem Lastwagen in einer Distanz von ca. 60 - 80 Metern beobachtet hatte (Untersuchungsakten act. 1.29 ff. und 1.69 ff.).
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3.4. Aus allen Schilderungen ergibt sich, dass die Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen und das vorgängige Einhalten eines ungenügenden Abstands während der Fahrt im Loppertunnel zwei verschiedene, voneinander unabhängige Vorgänge waren. Die Kollision hat sich nicht wegen des zu geringen Abstands des vom Beschwerdeführer gelenkten Fahrzeugs zum späteren Unfallbeteiligten ereignet. Denn beim Unfall auf der Autobahn A2 befand sich der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug nicht mehr wie während seiner Fahrt durch den Loppertunnel auf der A8 hinter dem Unfallbeteiligten, sondern auf der Überholspur, auf welche er von der Einmündungsstrecke direkt nach dem Einbiegen in die A2 gewechselt hatte. Dass hier ein einziger Sachverhaltskomplex vorliegen soll, wie die Vorinstanz (angefochtenes Urteil S.11) und der Oberstaatsanwalt (Vernehmlassung S. 2) annehmen, ist somit nicht ersichtlich. Es lässt sich demnach nicht sagen, dass jede einzelne Verfahrenshandlung der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Kantonsgerichts für die Beurteilung der vorsätzlichen einfachen Verkehrsregelverletzung durch ungenügenden Abstand gegenüber einem anderen Strassenbenützer notwendig gewesen wäre. Die durch die Abklärung des Unfallgeschehens entstandenen Kosten erscheinen daher nicht mehr als adäquat kausale Folgen des zur Verurteilung führenden strafbaren Verhaltens. Dass der Beschwerdeführer die Einleitung des Verfahrens in Bezug auf den Unfall rechtswidrig oder schuldhaft bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hätte (Art. 426 Abs. 2 StPO), nimmt die Vorinstanz nicht an. Die Auferlegung der gesamten Kosten der Untersuchung und des kantonalgerichtlichen Verfahrens hält daher vor Bundesrecht nicht stand. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Entscheid die auf den Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen groben Verkehrsregelverletzung entfallenden Verfahrens- und Gerichtskosten im Sinne von Art. 426 Abs. 1 StPO auszuscheiden haben und dem Beschwerdeführer lediglich diejenigen Kosten auferlegen, welche im Zusammenhang mit der Abklärung der vorsätzlichen einfachen Verkehrsregelverletzung entstanden sind. Dabei ist, wie der Oberstaatsanwalt zu Recht einwendet, die Bestimmung von Art. 428 Abs. 1 StPO, welche sich auf die Kostenverteilung im Rechtsmittelverfahren bezieht, unbeachtlich (Vernehmlassung S. 2). Im Weiteren wird die Vorinstanz dem Beschwerdeführer nach den selben Grundsätzen auch eine Parteientschädigung gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO zuzusprechen haben.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 4. Dezember 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Boog
 
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