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Informationen zum Dokument  BGer 6B_123/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_123/2014 vom 02.12.2014
 
{T 0/2}
 
6B_123/2014
 
 
Urteil vom 2. Dezember 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Denys, Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan A. Buchli und Rechtsanwalt Dr. Guido Hensch,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
2. A.________, 
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Mehrfache qualifizierte Freiheitsberaubung und Entführung, mehrfaches Entziehen von Minderjährigen; örtliche Zuständigkeit,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 13. Januar 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, es fehle an der örtlichen Zuständigkeit der schweizerischen Gerichte zur Strafverfolgung. Bezüglich der Freiheitsberaubung werde ihm vorgeworfen, seine Familienangehörigen in Nigeria nicht angewiesen zu haben, die Kinder in die Schweiz zurückzuführen. Erforderlich sei ein Tun in Nigeria, womit kein Handlungsort in der Schweiz bestehe. Ferner könne ihm sowohl bei der Freiheitsberaubung als auch beim Entziehen von Minderjährigen - diesbezüglich allerdings erst nach seiner Verhaftung - höchstens Gehilfenschaft durch Unterlassen vorgeworfen werden, weshalb gemäss dem Grundsatz der Akzessorietät nigerianisches Recht anwendbar sei (vgl. Art. 25 i.V.m. 11 Abs. 3 StGB).
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2.2. Die Vorinstanz führt aus, dem Beschwerdeführer werde Untätigkeit in der Schweiz vorgeworfen, weshalb die schweizerischen Gerichte zuständig seien und das schweizerische Recht anwendbar sei. Daran ändere nichts, dass ihm am 20. Oktober 2011 von einem nigerianischen Gericht das Sorgerecht zugesprochen worden sei (Urteil S. 16 f.). Ferner sei der Beschwerdeführer nicht Gehilfe, sondern zumindest Mittäter (Urteil S. 20). Mit der ersten Instanz sei davon auszugehen, dass er die Rückführung der Kinder in die Schweiz veranlassen könnte, er dies aber bis a nhin willentlich unterlassen habe. Der rechtswidrige Zustand werde durch den fortdauernden Willen des Beschwerdeführers aufrechterhalten und erneuere sich fortlaufend (Urteil S. 10 f.; erstinstanzliches Urteil S. 36 ff.). Es sei nicht zu beanstanden, wenn die erste Instanz gestützt auf die in der Zelle des Beschwerdeführers beschlagnahmten Notizzettel für erstellt erachte, dass er die Rückführung der Kinder nicht veranlasse, obwohl er über Tatherrschaft verfüge. Ihm werde dadurch kein "versuchtes Tun" vorgeworfen, das in der Anklage nicht umschrieben wäre (Urteil S. 16; erstinstanzliches Urteil S. 42 ff.).
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2.3. Gemäss Art. 3 Abs. 1 StGB ist dem schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder ein Vergehen begeht. Nach Art. 8 Abs. 1 StGB gilt ein Verbrechen oder ein Vergehen als da begangen, wo der Täter es ausführt oder pflichtwidrig untätig bleibt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung erscheint es im internationalen Verhältnis zur Vermeidung negativer Kompetenzkonflikte grundsätzlich als geboten, auch in Fällen ohne engen Bezug zur Schweiz die schweizerische Zuständigkeit zu bejahen (BGE 133 IV 171 E. 6.3 S. 177).
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Eine in der Schweiz begangene Anstiftung oder Gehilfenschaft begründet nach der Rechtsprechung keinen eigenen Ausführungsort. Nach dem Grundsatz der Akzessorietät gilt die Teilnahme als dort verübt, wo der Haupttäter gehandelt hat (BGE 108 Ib 301 E. 5 S. 304; 104 IV 77 E. 7b S. 86; Urteil 6B_90/2009 vom 29. Oktober 2009 E. 3.3; je mit Hinweisen).
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2.4. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Recht nicht, dass er die Kinder in der Schweiz hätte zurückgeben müssen, womit bezüglich des Tatbestands des Entziehens von Minderjährigen ein schweizerischer Begehungsort im Sinne von Art. 8 Abs. 1 StGB vorliegt (siehe BGE 125 IV 14 E. 2c/cc S. 17). Hinsichtlich des Tatbestands der Freiheitsberaubung hätte er von seinem Aufenthaltsort in der Schweiz aus Anweisungen erteilen sollen. Indem er dies nicht tat, blieb er in der Schweiz pflichtwidrig untätig. Dass seine unterlassenen Anweisungen in Nigeria einen Erfolg gezeigt hätten, ist unbeachtlich.
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer ficht den Schuldspruch wegen mehrfachen Entziehens von Minderjährigen an. Der Tatbestand von Art. 220 StGB sei nicht erfüllt, da er und die Kindsmutter die Obhut gemeinsam innegehabt hätten und das Besuchsrecht nicht rechtlich bindend geregelt gewesen sei. Sofern die Vorinstanz aktenwidrig etwas anderes annehme, ohne dies zu begründen, stelle sie den Sachverhalt offensichtlich unrichtig fest und verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Als die elterliche Sorge und das Obhutsrecht der Mutter zugeteilt worden seien, habe er sich bereits in Haft befunden.
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3.2. Die Vorinstanz erwägt, da sich die Kinder vor ihrer Ausreise nach Nigeria rechtmässig in der Obhut des Beschwerdeführers befunden hätten, entfalle ein Entziehen als tatbestandsmässige Handlung. Indem dieser die Rückgabe der Söhne verweigert und sie nach Nigeria verbracht habe, habe er zum Ausdruck gebracht, dass er die Wiederherstellung der elterlichen Sorge der Kindsmutter verhindern wolle. Auch nach seiner Verhaftung hätte der Beschwerdeführer die Rückführung der Kinder veranlassen können, was er jedoch unterlassen habe. Er habe das Besuchsrecht nicht nur vorübergehend überschritten (Urteil S. 9 ff.; erstinstanzliches Urteil S. 12 ff.).
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3.3. Gemäss aArt. 220 StGB (in der vom 1. Januar 1990 bis 31. Dezember 2012 gültigen Fassung; AS 1989 2449) wird auf Antrag bestraft, wer eine unmündige Person dem 
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3.4. Weil die Kinder zum Zeitpunkt der Wegnahme durch den Beschwerdeführer am 15. Oktober 2011 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz hatten, unterstehen die Beziehungen zwischen Eltern und Kind gestützt auf Art. 82 Abs. 1 IPRG (SR 291) dem schweizerischen Recht. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, ihm sei am 20. Oktober 2011 von einem nigerianischen Gericht das Sorgerecht zugesprochen worden. Dieser Entscheid ist in der Schweiz jedoch nicht anerkennbar. Nigeria ist nicht Vertragsstaat des Übereinkommens vom 19. Oktober 1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Massnahmen zum Schutz von Kindern (Haager Kindesschutzübereinkommen; SR 0.211.231.011). Art. 85 Abs. 4 IPRG sieht für diesen Fall vor, dass Massnahmen anerkannt werden, wenn sie im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ergangen sind oder dort anerkannt werden. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. b IRPG hat eine natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat, in dem sie während längerer Zeit lebt, selbst wenn diese Zeit zum vornherein befristet ist. Die Kinder wurden am 15. Oktober 2011 nach Nigeria gebracht. Als am 20. Oktober 2011 der Entscheid des nigerianischen Gerichts erging, hatten sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Nigeria. Eine kurze Dauer von fünf Tagen genügt nicht, um den neuen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zu begründen (vgl. BGE 117 II 334 E. 4b S. 338). Die Sorgerechtszuteilung vom 20. Oktober 2011 erfolgte demnach nicht durch den Staat des gewöhnlichen Aufenthalts (weiterführend Urteil 6B_694/2012 vom 27. Juni 2013 E. 2.3.1).
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verurteilung wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung. Die Vorinstanz lege das Tatbestandsmerkmal der Freiheitsberaubung zu extensiv aus, wenn sie diese im Umstand erblicke, dass die Kinder nicht zu ihrer Mutter gelangen können.
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4.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe spätestens seit dem 13. Dezember 2011 gewusst, dass die alleinige elterliche Sorge der Kindsmutter zugeteilt worden und er nicht befugt sei, über den Aufenthaltsort der Kinder zu bestimmen. Er habe unrechtmässig gehandelt, indem er die Rückführung der Kinder nicht veranlasst habe. Wenn 3½- und 5-jährige Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen und in einem fremden Land bei nicht näher bekannten Personen zurückgelassen würden, seien sie gehindert, den aktuellen Aufenthaltsort zu verlassen und zu ihrer Mutter zurückzukehren. Dies schränke ihre Fortbewegungsfreiheit unzulässig ein. Bei Kleinkindern sei es unerheblich, ob sie gefesselt oder eingesperrt würden, da sie sich ohne erwachsene Personen ohnehin nicht nach ihrem Belieben fortbewegen und alleine kaum überleben könnten. Der Beschwerdeführer verwehre mit seinem Verhalten der Kindsmutter als Schutzberufene den Zugang zu den Kindern und beschränke deren Fortbewegungsfreiheit unzulässig. Ferner könnten sich die Kinder nicht unabhängig von seinem Willen bewegen (Urteil S. 18 f.).
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4.3. Gemäss Art. 183 StGB wird bestraft, wer jemanden unrechtmässig festnimmt oder gefangen hält oder jemandem in anderer Weise unrechtmässig die Freiheit entzieht (Freiheitsberaubung; Ziff. 1 Abs. 1) oder wer jemanden durch Gewalt, List und Drohung entführt oder wer jemanden entführt, der urteilsunfähig, widerstandsunfähig oder noch nicht 16 Jahre alt ist (Entführung; Ziff. 1 Abs. 2 und Ziff. 2). Das geschützte Rechtsgut ist die körperliche Fortbewegungsfreiheit. Bei der Freiheitsberaubung wird das Opfer unrechtmässig festgehalten, während es bei der Entführung umgekehrt von einem Ort an einen anderen verbracht wird (BGE 119 IV 216 E. 2e S. 220; 118 IV 61 E. 2b S. 63 und E. 3a S. 64; Delnon/Rüdy, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 20 und 23 zu Art. 183 StGB). Erschwerende Umstände im Sinne von Art. 184 Abs. 4 StGB liegen vor, wenn der Entzug der Freiheit mehr als zehn Tage dauert (BGE 119 IV 216 E. 2d und e S. 219 ff.).
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Erwägung 4.4
 
4.4.1. Freiheitsberaubung ist die Aufhebung der körperlichen Bewegungsfreiheit (Trechsel/Fingerhuth, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 183 StGB). Unrechtmässig ist eine Freiheitsberaubung, wenn rechtfertigende Umstände fehlen. Als solche kommen nebst den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen nach Art. 14 ff. StGB auch Einwilligungen in Betracht (Delnon/Rüdy, a.a.O., N. 53 f. zu Art. 183 StGB). Die unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit liegt nach Rechtsprechung und Lehre darin, dass jemand daran gehindert wird, sich selbstständig, mit Hilfsmitteln oder mit Hilfe Dritter nach eigener Wahl vom Ort, an dem er sich befindet, an einen anderen Ort zu begeben oder bringen zu lassen (BGE 101 IV 154 E. 3b S. 160; Delnon/Rüdy, a.a.O., N. 20 zu Art. 183 StGB). Demgegenüber erfüllt den Tatbestand nicht, wer jemanden zwingt, einen Ort zu verlassen (BGE 101 IV 154 E. 3b S. 161). Ebenfalls keine unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit liegt vor, wenn eine Person einen bestimmten Ort überhaupt nicht oder nicht auf dem gewünschten Weg erreichen kann. Eine partielle Beeinträchtigung der Freiheit, den Aufenthaltsort zu wählen, ist keine Freiheitsberaubung. Nur eine umfassende Aufhebung dieser Freiheit erfüllt den Tatbestand. Wird eine Person gezwungen, einen Ort zu verlassen, oder an dessen Betreten gehindert, wird sie allenfalls im Sinne von Art. 181 StGB genötigt (zum Ganzen Andreas Donatsch, Strafrecht III, Delikte gegen den Einzelnen, 10. Aufl. 2013, S. 454; Delnon/Rüdy, a.a.O., N. 20 zu Art. 183 StGB; Stratenwerth/Jenny/Bommer, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, 7. Aufl. 2010, § 5 N. 35; Bernard Corboz, Les infractions en droit suisse, Bd. I, 3. Aufl. 2010, N. 20 zu Art. 183 und 184 StGB; Martin Schubarth, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Bd. III: Delikte gegen die Ehre, den Geheim- oder Privatbereich und gegen die Freiheit, Art. 173-186 StGB, 1984, N. 16 zu Art. 183 StGB; zum Verhältnis von Freiheitsberaubung und Entführung Hans-Peter Egli, Freiheitsberaubung, Entführung und Geiselnahme nach der StGB-Revision vom 9. Oktober 1981, 1986, S. 78 mit Hinweisen). Die Freiheitsberaubung kann durch unrechtmässige Festnahme, Gefangenhalten oder unrechtmässige Freiheitsentziehung auf andere Weise geschehen (Generalklausel).
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4.4.2. Der Schuldspruch wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung verletzt Bundesrecht. Die körperliche Fortbewegungsfreiheit der Kinder ist entgegen den Ausführungen der Vorinstanz nicht aufgehoben. Aus den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ergibt sich einzig, dass den Kindern der Zugang zum Wohnort ihrer Mutter verwehrt wird. Dass ihre Fortbewegungsfreiheit auch in anderer Weise eingeschränkt wäre, ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Vorinstanz im Rahmen der Strafzumessung fest, die Kinder könnten sich in Nigeria frei bewegen und seien nicht eingesperrt (Urteil S. 22; erstinstanzliches Urteil S. 50). Nach geltender Lehre und Rechtsprechung liegt keine unzulässige Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit vor, wenn ein bestimmter Ort, beispielsweise der Wohnort der Mutter, nicht erreicht werden kann (vgl. E. 4.4.1 Absatz 1). Die Vorinstanz weist zwar zu Recht darauf hin, dass sich Kleinkinder in der Regel mit Hilfe von dazu berufenen Personen fortbewegen (vgl. Urteil S. 19). Dies muss jedoch nicht zwingend die sorgeberechtigte Mutter sein. Ebenso können Familienangehörige und Bekannte ein Kind von einem Ort an einen anderen bringen. Ferner können sich Kinder ab einem gewissen Alter selbstständig über eine beschränkte Strecke fortbewegen. Folglich führt die Trennung von der Mutter nicht dazu, dass die Fortbewegungsfreiheit der Kinder aufgehoben ist. Der objektive Tatbestand der Freiheitsberaubung ist vorliegend nicht erfüllt. Die weiteren Rügen zum Schuldspruch wegen Freiheitsberaubung können bei diesem Ausgang offengelassen werden.
14
 
Erwägung 4.5
 
4.5.1. Die Vorinstanz sprach den Beschwerdeführer unter anderem wegen mehrfacher qualifizierter Freiheitsberaubung gemäss Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 4 StGB schuldig. Den alternativen Tatbestand der Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 2 StGB erachtete sie nicht als erfüllt. Freiheitsberaubung und Entführung erscheinen aufgrund der gesetzlichen Regelung als prinzipiell gleichwertige Eingriffe in das geschützte Rechtsgut (siehe Stratenwerth/ Jenny/Bommer, a.a.O., § 5 N. 54). Nachdem das Bundesgericht entgegen der Vorinstanz die Tatbestandsmerkmale von Art. 183 Ziff. 1 Abs. 1 StGB nicht als erfüllt erachtet, kann es prüfen, ob jene von Art. 183 Ziff. 2 StGB vorliegen, ohne das Verbot der "reformatio in peius" zu verletzen.
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4.5.2. Nach Art. 183 Ziff. 2 StGB macht sich strafbar, wer jemanden entführt, der urteilsunfähig, widerstandsunfähig oder noch nicht 16 Jahre alt ist. Der Tatbestand der Entführung setzt voraus, dass sich als Folge des Verbringens an einen anderen Ort eine Machtposition des Täters über sein Opfer ergibt (BGE 118 IV 61 E. 3a S. 64). Erforderlich ist zudem, dass die Ortsveränderung für eine gewisse Dauer vorgesehen und das Opfer in seiner persönlichen Freiheit tatsächlich beschränkt ist, es insbesondere nicht die Möglichkeit hat, unabhängig vom Willen des Täters an seinen gewohnten Aufenthaltsort zurückzukehren (BGE 83 IV 152 S. 154). Die Urteilsfähigkeit bzw. -unfähigkeit im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB muss sich auf das geschützte Rechtsgut, d.h. die freie Selbstbestimmung des Aufenthaltsorts beziehen (Stratenwerth/Jenny/Bommer, a.a.O., § 5 N. 51). Die Entführung von Urteilsunfähigen, Widerstandsunfähigen oder Personen, die noch nicht 16 Jahre alt sind, verlangt für die Verbringung an einen anderen Ort kein besonderes Tatmittel (Delnon/Rüdy, a.a.O., N. 23, 33, 47 f. und 52 zu Art. 183 StGB; Stratenwerth/Jenny/Bommer, a.a.O., § 5 N. 51).
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4.5.3. Die Vorinstanz erwägt mit Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. BGE 126 IV 221 E. 1b S. 222 f.), es liege keine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB vor. Als der Beschwerdeführer die Kinder nach Nigeria verbracht habe, habe er die elterliche Sorge zusammen mit der Kindsmutter innegehabt. Die Vormundschaftsbehörde habe die Obhutsfrage nicht geregelt, weder als sie die elterliche Sorge den Eltern gemeinsam übertragen habe noch als der Beschwerdeführer die gemeinsame Wohnung verlassen habe und ein begleitetes Besuchsrecht eingeführt worden sei. Es sei zwar aufgrund der Akten davon auszugehen, dass die Kindsmutter bis zu einem gewissen Grad faktisch alleine die Obhut über die Kinder innegehabt habe, als diese bei ihr gelebt und vom Beschwerdeführer getrennt gewohnt hätten. Die Anklage basiere jedoch nicht auf diesem Umstand. Auch könne der Staatsanwaltschaft nicht gefolgt werden, wonach das Verbringen der Kinder nach Nigeria nach Aufhebung der elterlichen Sorge durch den Beschwerdeführer rückwirkend als Entführung zu werten sei (Urteil S. 14; erstinstanzliches Urteil S. 30).
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4.5.4. Das von Art. 183 Ziff. 2 StGB geschützte Rechtsgut ist die körperliche Bewegungsfreiheit des Kindes. Auf dessen Willen kommt es indes nicht an; das Gesetz schützt es unabhängig davon, ob es Widerstand leistet oder ob es in die Entführung einwilligt (BGE 83 IV 152 S. 153).
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4.5.5. An dieser Rechtsprechung kann in dieser Absolutheit nicht festgehalten werden. Der Grundsatz, wonach derjenige Elternteil, der das Recht hat, über den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen, keine Entführung im Sinne von Art. 183 Ziff. 2 StGB begehen kann, behält Gültigkeit. Vorliegend drängt es sich jedoch auf zu prüfen, ob dem Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern (zivilrechtliche) Schranken gesetzt sind. So hielt bereits Robert Kober zur altrechtlichen Kindesentführung (aArt. 185 StGB in der bis am 30. September 1982 gültig gewesenen Fassung [AS 54 757], wonach bestraft wurde, wer ein Kind unter 16 Jahren zum Zweck der Gewinnsucht oder der Unzucht entführte) fest, eine Entführung aus Gewinnsucht oder zu einem unzüchtigen Zweck sei ein so starker Eingriff in die Freiheit der körperlichen Integrität und der Entwicklung des Kindes, dass eine solche Tat niemals im Rahmen der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt, die in erster Linie zum Nutzen des Kindes gedacht ist, vorgenommen werden könnte (Robert Kober, Die Entführung nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch, 1953, S. 56, vgl. auch S. 60). Auch Hans-Peter Egli führte zum revidierten Art. 183 StGB aus, Freiheitsberaubungen und Entführungen seien so schwerwiegende Eingriffe in die körperliche Integrität auch eines Kindes, dass das elterliche Züchtigungsrecht keinesfalls extensiv zu interpretieren sei (Egli, a.a.O., S. 116).
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4.5.6. Vorliegend sind die objektiven Tatbestandsmerkmale der Entführung gemäss Art. 183 Ziff. 2 StGB erfüllt. Indem der Beschwerdeführer seine damals 3½- und 5-jährigen Söhne an einen unbekannten Ort in Nigeria verbrachte, erlangte er über sie eine Machtposition. Die Ortsveränderung ist dauerhaft und die Kinder können nicht unabhängig vom Willen des Beschwerdeführers an ihren gewohnten Aufenthaltsort zurückkehren. Auf den Willen der Kinder kommt es nicht an. Daher braucht auf die im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Freiheitsberaubung vorgebrachte Rüge nicht eingegangen zu werden, die Vorinstanz verletze das Anklageprinzip und das Willkürverbot, wenn sie annehme, die Kinder weilten nicht freiwillig in Nigeria. Die Verbringung der Kinder lässt sich nicht mehr durch das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Beschwerdeführers rechtfertigen. Gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen hat er die Interessen und das Wohl seiner Kinder in eklatanter Weise verletzt. Er verbrachte sie an einen unbekannten Ort in Nigeria, zu ihnen nicht näher bekannten Personen, fernab von ihrer Mutter, bei der sie bis dahin ununterbrochen lebten. Weder konnten sie sich von ihr verabschieden noch haben sie Kontakt zu ihr (Urteil S. 21; erstinstanzliches Urteil S. 49). Dieser abrupte und langandauernde Verlust der eigenen Mutter und das Herausreissen aus der vertrauten Umgebung kommt einer Entwurzelung gleich. Hinzu kommt, dass die Kinder nach der Verhaftung des Beschwerdeführers auch ohne Vater aufwachsen mussten. Folglich befanden sie sich im vorliegend zu beurteilenden Zeitraum ohne elterlichen Beistand bei fremden Personen in einem ihnen fremden Land. Dies widerspricht ihren Interessen und ihrem Wohl in krasser Weise (vgl. Urteil 6S.360/1998 vom 30. November 1999 E. 2d).
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4.5.7. Ob der Tatbestand von Art. 183 Ziff. 2 StGB auch in subjektiver Hinsicht erfüllt ist, kann aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz nicht abschliessend beurteilt werden. Es obliegt ihr, darüber und über den (neuen) Schuldpunkt zu entscheiden. Dabei wird sie dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör gewähren müssen.
21
 
Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
6.1. Mit dem Entscheid im Hauptpunkt erübrigt es sich grundsätzlich, auf die übrigen Anträge einzugehen. Die Vorinstanz wird die Strafzumessung auf jeden Fall neu vorzunehmen und die Nebenfolgen zu regeln haben. Aus prozessökonomischen Gründen rechtfertigt es sich jedoch, auf die vom Beschwerdeführer kritisierte Kostenauflage einzugehen. Er argumentiert, da er sich nicht in günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befinde, verletze die Vorinstanz Art. 426 Abs. 4 StPO, wenn sie ihm die Kosten für die unentgeltliche Verbeiständung der Beschwerdegegnerin 2 auferlege.
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6.2. Die Vorinstanz auferlegt dem Beschwerdeführer die Kosten des Berufungsverfahrens, exklusive der Kosten der amtlichen Verteidigung, jedoch inklusive der Kosten der unentgeltlichen Vertretung der Beschwerdegegnerin 2. Die Kosten der amtlichen Verteidigung nimmt sie einstweilen auf die Gerichtskasse, unter Vorbehalt der Rückzahlungspflicht im Sinne von Art. 135 Abs. 4 StPO (Urteil S. 31 f. Dispositivziffer 8).
23
6.3. Gemäss Art. 426 Abs. 4 StPO trägt die beschuldigte Person die Kosten für die unentgeltliche Verbeiständung der Privatklägerschaft nur, wenn sie sich in günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen befindet. Der Wortlaut der Bestimmung könnte darauf schliessen lassen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse im Entscheidzeitpunkt massgebend seien. Nach der Rechtsprechung kann jedoch der Staat die Kosten für die unentgeltliche Verbeiständung der Privatklägerschaft von der beschuldigten Person unter den gleichen Voraussetzungen zurückfordern, wie jene für die amtliche Verteidigung (vgl. Art. 426 Abs. 1 und 4, Art. 138 Abs. 1 und Art. 135 Abs. 4 StPO). Demnach wird die bedürftige beschuldigte Person grundsätzlich zur Kostentragung verurteilt, gleichzeitig wird jedoch im Urteil festgehalten, dass die Kosten für die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Verbeiständung der Privatklägerschaft unter Vorbehalt der Rückzahlungspflicht gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO einstweilen auf die Gerichtskasse genommen werden (zum Ganzen Urteile 6B_150/2012 vom 14. Mai 2012 E. 2.1 und 6B_112/2012 vom 5. Juli 2012 E. 1.2 f.; je mit Hinweisen).
24
6.4. Indem die Vorinstanz mit den Kosten für die unentgeltliche Verbeiständung der Beschwerdegegnerin 2 anders verfährt als mit jenen für die amtliche Verteidigung und sie dem Beschwerdeführer direkt zur Bezahlung auferlegt, ohne dies zu begründen, verletzt sie Art. 426 Abs. 4 StPO. Die Beschwerde ist in diesem Punkt begründet.
25
 
Erwägung 7
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
5. 
 
6. 
 
Lausanne, 2. Dezember 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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