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Informationen zum Dokument  BGer 6B_820/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_820/2014 vom 27.11.2014
 
{T 0/2}
 
6B_820/2014
 
 
Urteil vom 27. November 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Stalder,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, Leitender Oberstaatsanwalt, An der Aa 4, 6300 Zug,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Auferlegung der Verfahrenskosten, Unschuldsvernutung,
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, vom 4. Juli 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Im Rahmen einer Strafuntersuchung gegen die früheren Stiftungsräte der BVG-Sammelstiftung A.________ wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Veruntreuung sperrte das Untersuchungsrichteramt des Kantons Zug am 17. August 2006 u.a. das Konto Nr. xxx bei der B.________-Bank, lautend auf die C.________ Immobilien AG.
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A.b. X.________ als Vermögensverwalter dieser AG beantragte am 22. September 2006, die Kontosperre im Umfang von Fr. 210'000.-- aufzuheben. Das Konto habe u.a. für Reservationszahlungen von Interessenten der Überbauung D.________ gedient und müsse zur Verfügung stehen, falls sich Interessenten zurückziehen.
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A.c. Am 26. Oktober 2006 wurde bei der B.________-Bank unter der Kunden-Nr. yyy das Kontokorrent Nr. zzz D.________ eröffnet und darauf der Betrag von Fr. 210'000.-- überwiesen.
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B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, entgegen der vorinstanzlichen Annahme seien die fraglichen Verfügungen alles andere als klar. Es sei insbesondere nicht klar, wer berechtigt war, die Zahlungen auszulösen. Es treffe nicht zu, dass der freigegebene Betrag einzig für die Rückzahlung der Reservationsgelder habe benutzt werden dürfen. Auch die Bank habe das Konto mit Zinsen belastet, und diese seien weder von der Staatsanwaltschaft zurückverlangt noch von der Bank zurückgebucht worden. Dennoch sei gegen sie kein Strafverfahren eröffnet worden.
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2.2. Die Vorinstanz führt aus, es stelle sich die Frage, ob dem Beschwerdeführer mit der Zustellung der Freigabeverfügungen durch das Untersuchungsrichteramt bzw. die Staatsanwaltschaft nach Treu und Glauben bekannt sein musste, dass die Gelder einzig für allfällige Rückzahlungen von Reservationszahlungen freigegeben wurden, und er sie somit auch nur für diesen Zweck verwenden durfte.
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2.3. Die Vorinstanz bejaht diese Frage angesichts des im massgebenden Kern klaren Wortlauts der drei Verfügungen willkürfrei (Urteil S. 5). Das Untersuchungsrichteramt begründete die (erste) Verfügung vom 4. Oktober 2006 mit dem Antrag des Verteidigers des Beschwerdeführers auf Freigabe von Fr. 210'000.-- zwecks allfälliger Rückzahlung der Reservationszahlungen der sieben Interessenten. Aufgrund der Begründung waren mit den "Berechtigten" im Wortlaut des Dispositivs klarerweise einzig diese sieben Interessenten bezeichnet (oben Bst. A.b). Die Gelder wurden auf Antrag des Beschwerdeführers als Vermögensverwalter der C.________ Immobilien AG verschoben (oben Bst. A.a; kantonale Akten, act. D 5-7). Er war somit zweifelsfrei verantwortlich und berechtigt, die Zahlungen auszulösen. Er war der Entscheidungsträger (Urteil S. 5).
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2.4. In der staatsanwaltschaftlichen Verfügung vom 2. März 2009 wurde die B.________-Bank aufgefordert, Fr. 19'498.30, welche ab dem Konto Nr. zzz abdisponiert worden waren, umgehend diesem Konto wieder gutzuschreiben (act. D 5-15). Sie wird dazu in der Einstellungsverfügung erneut angewiesen (act. HD 6-6). Der Betrag wird somit entgegen der Beschwerde (oben E. 2.1) zurückgefordert. Dass gegen die B.________-Bank nach dem Beschwerdevorbringen keine Strafuntersuchung eröffnet wurde, ist nicht Verfahrensgegenstand. Das wird darin begründet sein, dass sie für die Belastung eine vertragliche Grundlage hatte, was der Beschwerdeführer wusste (Einstellungsverfügung, HD 6-4, Ziff. 4.3).
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Erwägung 3
 
3.1. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, so können die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, "wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat" (Art. 426 Abs. 2 StPO).
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3.2. Die Staatsanwaltschaft hielt in der Einstellungsverfügung fest, es fehle das Tatbestandsmerkmal der unrechtmässigen Bereicherung. "Der Beschwerdeführer bzw. die C.________ Immobilien AG wies stets die Ersatzbereitschaft auf, d.h. er war namens der Gesellschaft willig, die Reservationszahlungen an die Kaufinteressenten zurückzuzahlen, wenn diese die Auflösung der Kaufabsichtsvereinbarung verlangten, und er hätte es letztlich auch machen können, da die C.________ Immobilien AG über genügend finanzielle Mittel verfügte. Das gegen den Beschuldigten geführte Strafverfahren ist betreffend den Tatbestand der Veruntreuung gestützt auf Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO einzustellen. Ein weiteres strafbares Verschulden durch den Beschuldigten X.________ ergaben die Untersuchungen nicht" (HD 6-4). Gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Einstellung, wenn "kein Straftatbestand erfüllt ist".
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3.3. Die Vorinstanz übernimmt die Begründung der Einstellungsverfügung, dass kein Straftatbestand erfüllt war (Urteil S. 2 f.; oben E. 3.2, erster Abs.). Nach der Vorinstanz gab das gegen Treu und Glauben verstossende und somit rechtswidrige und schuldhafte Verhalten (im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO) des Beschwerdeführers der Staatsanwaltschaft im Rahmen der in diesem Zusammenhang durchgeführten Strafuntersuchung wegen Veruntreuung Anlass dazu, nähere Abklärungen zu treffen und in der Folge eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer zu eröffnen. Sein Verhalten war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet, den Verdacht einer strafbaren Handlung zu erwecken, und adäquat kausal für die Einleitung der strafrechtlichen Untersuchung. Dieses Verhalten genüge, um dem Beschwerdeführer in zivilrechtlicher - nicht strafrechtlicher - Hinsicht zum Vorwurf zu gereichen (Urteil S. 5).
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3.4. Gemäss Art. 2 ZGB hat jede Person in der Ausübung ihrer Rechte und in der Erfüllung ihrer Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln (Abs. 1). Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz (Abs. 2). Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch, von staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden. Dieser ebenso in Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO kodifizierte und in der gesamten Rechtsordnung massgebende Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben ist auch bei einer Kostenauflage nach Art. 426 StPO zu beachten (vgl. Urteil 6B_20/2014 vom 14. November 2014 E. 11).
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3.5. Die Kostenauflage verstösst nicht gegen die Unschuldsvermutung. Die Staatsanwaltschaft hielt unmissverständlich gemäss Art. 319 Abs. 1 lit. b StPO fest, dass kein Straftatbestand erfüllt ist und die Untersuchungen ein weiteres strafbares Verschulden nicht ergaben (oben E. 3.2, erster Abs.). Der staatsanwaltschaftlichen wie der vorinstanzlichen Begründung lässt sich kein Verdacht auf ein strafrechtliches Verschulden des Beschwerdeführers entnehmen. Die Kostenauflage wird einzig mit dem klar verfügungswidrigen und für die Einleitung der Strafuntersuchung kausalen Verhalten des Beschwerdeführers begründet. Die Vorinstanz verletzt weder Bundes- noch Konventionsrecht, indem sie die Kostenauflage der Einstellungsverfügung schützt.
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Erwägung 4
 
4.1. Soweit ersichtlich, verfügte er vor der Vorinstanz nicht über eine unentgeltliche amtliche Verteidigung (oben Bst. C). Unentgeltlichkeit besteht bei der amtlichen Verteidigung unter den Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO (vgl. Urteil 1B_259/2013 vom 14. November 2013 E. 3.1). Eine im kantonalen Verfahren bewilligte notwendige (Art. 130 StPO) oder amtliche Verteidigung (Art. 132 StPO) führt im bundesgerichtlichen Verfahren entgegen dem Beschwerdeführer nicht schon zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Der Begriff "notwendig" in Art. 64 Abs. 2 BGG entspricht nicht jenem der "notwendigen Verteidigung" im Sinne der StPO (vgl. Urteil 6B_876/2013 vom 6. März 2014 E. 3).
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4.2. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG setzt kumulativ voraus, dass die Partei "nicht über die erforderlichen Mittel verfügt", "ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint" und die Bestellung eines Anwalts oder einer Anwältin "zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist".
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4.2.1. Das Gesuch ist bereits wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen. Die Gewinnaussichten erschienen beträchtlich geringer als die Verlustgefahren (vgl. BGE 138 III 217 E. 2.2.4; 129 I 129 E. 2.3.1).
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4.2.2. Ist von einer Bedürftigkeit auszugehen, setzt das Bundesgericht die Gerichtskosten herab (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Art. 65 Abs. 2 BGG).
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Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zug, I. Beschwerdeabteilung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 27. November 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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