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Informationen zum Dokument  BGer 2C_129/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_129/2014 vom 04.11.2014
 
{T 0/2}
 
2C_129/2014
 
 
Urteil vom 4. November 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Kneubühler,
 
Gerichtsschreiberin Mayhall.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Alain Joset,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Amt für Migration Basel-Landschaft,
 
Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 4. Dezember 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wurde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) eingereicht und richtet sich gegen einen Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) auf dem Gebiet des Ausländerrechts. Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf den Fortbestand einer bereits erteilten Niederlassungsbewilligung, weshalb gegen den letztinstanzlichen kantonalen Entscheid über deren Widerruf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen steht (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c [e contrario]; BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Die Beschwerde ist zulässig.
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1.2. Der Beschwerdeführer, der am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und mit seinen Anträgen unterlegen ist, hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen vorinstanzlichen Urteils. Er ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist, vorbehältlich zulässiger und genügend begründeter Rügen, einzutreten.
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1.3. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f. mit Hinweis). Die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht untersucht es in jedem Fall nur insoweit, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 139 I 229 E. 2.2 S. 232; 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).
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1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig festgestellt ist ein Sachverhalt, wenn er willkürliche Feststellungen beinhaltet (BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62). Die betroffene Person muss rechtsgenügend dartun, dass und inwiefern der festgestellte Sachverhalt in diesem Sinne mangelhaft erscheint und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG); rein appellatorische Kritik an der Sachverhaltsermittlung und an der Beweiswürdigung genügt den Begründungs- bzw. Rügeanforderungen nicht (vgl. BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen).
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Erwägung 2
 
2.1. Gemäss Art. 63 Abs. 2 AuG in Verbindung mit Art. 62 lit. b AuG kann die Niederlassungsbewilligung einer Person, welche sich seit mehr als fünfzehn Jahren ordnungsgemäss und ununterbrochen in der Schweiz aufhält, widerrufen werden, wenn die betreffende Person zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Keine Rolle spielt, ob die Sanktion bedingt, teilbedingt oder unbedingt ausgefällt worden ist (BGE 139 I 31 E. 2.1 S. 32). Als längerfristig gilt eine Freiheitsstrafe, wenn sie mehr als ein Jahr beträgt, wobei mehrere unterjährige Strafen nicht kumuliert werden dürfen (BGE 139 I 31 E. 2 S. 32). Mit seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren hat der Beschwerdeführer unbestrittenermassen diesen Widerrufsgrund gesetzt. Unerheblich und nicht zu prüfen ist bei dieser Sachlage, ob die begangenen Delikte auch als schwerwiegender Verstoss gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit qualifiziert und damit der Widerruf alternativ gestützt auf Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG angeordnet werden könnte (Urteil 2C_242/2011 vom 23. September 2011 E. 3.3.3).
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2.2. Liegt ein Grund dafür vor, die Niederlassungsbewilligung zu widerrufen, ist zu prüfen, ob sich diese aufenthaltsbeendende Massnahme als verhältnismässig erweist.
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2.2.1. Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich während langer Zeit in der Schweiz aufgehalten hat, ist nur mit besonderer Zurückhaltung zu widerrufen. Bei wiederholter oder schwerer Straffälligkeit ist ein Widerruf selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn der Ausländer hier geboren ist und sein ganzes Leben im Lande verbracht hat. Bei schweren Straftaten, Rückfall und wiederholter Delinquenz besteht - überwiegende private oder familiäre Bindungen vorbehalten - auch in diesen Fällen ein schutzwürdiges öffentliches Interesse daran, die Anwesenheit des Ausländers zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. Verhütung von (weiteren) Straftaten zu beenden (BGE 139 I 16 E. 2.2.1 S. 19; Urteil 2C_903/2010 vom 6. Juni 2011 E. 3.1, nicht publ. in BGE 137 II 233).
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2.2.2. Die Prüfung der Verhältnismässigkeit der staatlichen Anordnung des Widerrufs (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AuG) entspricht inhaltlich jener, welche für eine Einschränkung von verfassungsmässigen Rechten (Art. 36 Abs. 3 BV) durchzuführen ist (BGE 139 I 16 E. 2.2.2 S. 20; Urteil 2C_718/2013 vom 27. Februar 2014 E. 3.1, mit weiteren Hinweisen). Abzustellen ist auf die Schwere des Delikts, das Verschulden des Betroffenen, den seit der Tat vergangenen Zeitraum, das Verhalten des Ausländers während diesem, den Grad seiner Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile (BGE 139 II 121 E. 6.5.1 S. 132). Ist der Schutzbereich der konventionsrechtlichen Garantie von Art. 8 Ziff. 1 EMRK eröffnet, so fliesst das Erfordernis einer Verhältnismässigkeitsprüfung auch aus Art. 8 Ziff. 2 EMRK.
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2.2.3. Der volljährige und geschiedene Beschwerdeführer, dessen Tochter in der Türkei lebt, begründet in seiner Beschwerdeschrift nicht, aus welchen Gründen er sein konventionsrechtliches Recht auf Schutz seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Ziff. 1 EMRK) durch die aufenthaltsbeendende Massnahme tangiert sieht (vgl. zum Schutzbereich BGE 140 I 77 E. 5.2 S. 80 f.; 139 II 339 E. 5.1 S. 402; 139 I 330 E. 2.1 S. 335 f.; zur qualifizierten Rügepflicht für Grundrechtsverletzungen [Art. 106 Abs. 2 BGG] oben, E. 1.3). Die nachfolgend durchzuführende Verhältnismässigkeitsprüfung der aufenthaltsbeendenden Massnahme erfolgt somit ausschliesslich gestützt auf Art. 5 Abs. 2 BV und Art. 96 AuG, wobei die zur Anwendung gelangenden Kriterien inhaltlich mit denjenigen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK übereinstimmen.
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2.3. Ausgangspunkt der vorinstanzlichen Verhältnismässigkeitsprüfung war das strafrechtliche Verschulden des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz erwog, dieses wiege erheblich und mit Bezug auf die begangenen Strassenverkehrsdelikte als sehr schwer, was sich in der Höhe der ausgesprochenen Sanktion (zwei Jahre Freiheitsstrafe) widerspiegle. Das deliktische Verhalten des Beschwerdeführers wurde als rücksichtslos, perfide, geringschätzend und gleichgültig gegenüber elementaren Rechtsgütern Anderer beschrieben. Seine deliktischen Handlungen seien von zunehmender krimineller Energie geprägt gewesen. Trotz Vorstrafen und laufenden Probezeiten habe er unverdrossen weiter delinquiert, was von einer ausserordentlichen Uneinsichtigkeit und Unbelehrbarkeit sowie einer Geringschätzung der schweizerischen Rechtsordnung zeuge.
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2.3.1. Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz auch den seit den begangenen Delikten verstrichenen Zeitraum und das Verhalten des Beschwerdeführers während diesem bei der Interessenabwägung berücksichtigt. Sie führte aus, hinsichtlich des begangenen Vermögensdelikts sei die Legalprognose zumindest nicht schlecht, bezüglich der Strassenverkehrsdelikte sehr negativ und hinsichtlich der Anschlussdelikte wie falsche Anschuldigung, Drohung und Nötigung nicht gut. Insgesamt sei nicht vorbehaltslos von einer günstigen Legalprognose auszugehen, weshalb das Strafgericht auch eine Probezeit von vier Jahren angeordnet habe.
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2.3.2. Die begangenen Delikte betreffen weiter zwar keine besonders hochwertigen Rechtsgüter wie Leib und Leben. Eine aufenthaltsbeendende Massnahme wie der Widerruf der Niederlassungsbewilligung ist jedoch auch bei weniger schwer wiegender, wiederholter Delinquenz und Rückfall nicht ausgeschlossen. Bei der Vorinstanz entstand der Eindruck eines weder durch Sanktionen der Strafverfolgungsbehörden noch durch administrative Massnahmen oder durch fremdenpolizeiliche Verwarnung im Jahr 2006 zu beeindruckenden uneinsichtigen Gewohnheitsdelinquenten, der die ihm gewährten Chancen nicht zu nutzen vermochte und bei welchem die in einem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Sanktionen augenscheinlich wirkungslos seien. Dieses Bild vermochte der Beschwerdeführer nicht zu entkräften.
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2.3.3. Zusammenfassend begründen die für die Interessenabwägung massgeblichen Elemente des Verschuldens, der seit der Tat verstrichene Zeitraum, das Verhalten des Delinquenten während diesem sowie der begangenen Rechtsgutverletzung ein erhebliches öffentliches Interesse am Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers. Ins Gewicht fällt weiter, dass gemäss unbestritten gebliebener vorinstanzlicher Sachverhaltsfeststellung gegen den Beschwerdeführer 38 Betreibungen in der Höhe von Fr. 87'511.35 und offene Verlustscheine im Umfang von Fr. 82'127.70 vorliegen. Dieser Umstand würde, selbst wenn im bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren novenrechtlich (Art. 99 Abs. 1 BGG) der Umstand berücksichtigt werden könnte, dass der Beschwerdeführer Fr. 500.-- pro Monat an Schuldentilgung leistet, dadurch nicht entkräftet werden. Das durch die wiederholte Delinquenz und die Schulden des Beschwerdeführers begründete öffentliche Interesse an einer Ausreise wird durch sein privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz nicht aufgewogen. Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer zwar hier geboren und in der Schweiz über ein soziales Beziehungsnetzverfügt. Unbestrittenermassen leben seine Freundin, seine Eltern, seine zwei Geschwister und zwei Onkel sowie Neffen in der Schweiz. Die lange Aufenthaltsdauer in der Schweiz und seine sozialen Bindungen begründen sicher ein gewichtiges persönliches Interesse des Beschwerdeführers am Fortbestand seiner Niederlassungsbewilligung. Hinweise auf überwiegende familiäre Bindungen zu einer Kernfamilie - wie etwa ein eheähnliches Konkubinat oder ein minderjähriges, in der Schweiz aufenthaltsberechtigtes Kind - lassen sich der Beschwerdeschrift allerdings nicht entnehmen. Während seiner Kindheit hat der Beschwerdeführer zudem zehn Jahre in der Türkei gelebt; er spricht folglich die türkische Sprache und ist mit den Verhältnissen in seinem Heimatstaat vertraut. Das im vorliegenden Beschwerdeverfahren eingereichte türkische Scheidungsurteil stellt ein unzulässiges und damit unbeachtliches Novum dar (Art. 99 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in seinen Heimatstaat Türkei zumutbar, und dieser stehen auch keine überwiegenden privaten und familiären Bindungen in der Schweiz entgegen. Damit vermögen die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz die öffentlichen Interessen am Widerruf der Niederlassungsbewilligung nicht zu überwiegen.
13
 
Erwägung 3
 
 
Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
Lausanne, 4. November 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Mayhall
 
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