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Informationen zum Dokument  BGer 2C_48/2014  Materielle Begründung
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BGer 2C_48/2014 vom 09.10.2014
 
{T 0/2}
 
2C_48/2014
 
 
Urteil vom 9. Oktober 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichter Seiler, Donzallaz,
 
Gerichtsschreiber Winiger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Frei,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich.
 
Gegenstand
 
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 20. November 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Das Ehepaar lebte nach Eheschluss in der Wohngenossenschaft C.________ an der Strasse U._______ in V.________ in getrennten Zimmern auf unterschiedlichen Etagen. Zudem stand ihnen ab Oktober 2008 eine Mansarde zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung. Seit Mitte Dezember 2011 wohnte der Ehemann mit einer neuen Partnerin in einer anderen Wohnung in V.________. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 7. Januar 2013 wurde die Ehe A.________ B.________ geschieden.
1
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerdeführerin macht in vertretbarer Weise einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung (Art. 42 bzw. 50 AuG [SR 142.20]) geltend, so dass die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Verweigerung der Aufenthaltsbewilligung zulässig ist (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 [e contrario], Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 90 BGG). Die Beschwerdeführerin ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf das Rechtsmittel ist einzutreten.
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1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (d.h. willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine solche Rüge ist rechtsgenüglich vorzutragen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 II 304 E. 2.4 und 2.5 S. 313 f.).
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Erwägung 2
 
2.1. Ausländische Ehegatten von Schweizern haben Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie mit diesen zusammenwohnen (Art. 42 Abs. 1 AuG). Der Bewilligungsanspruch besteht trotz Auflösens bzw. definitiven Scheiterns der Ehegemeinschaft fort, wenn diese mindestens drei Jahre gedauert und die betroffene ausländische Person sich hier erfolgreich integriert hat (Art. 50 Abs. 1 lit. a AuG; BGE 136 II 113 E. 3.3.3 S. 11) oder wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Art. 50 Abs. 1 lit. b AuG; BGE 138 II 393 E. 3.1 S. 394 f., 229 E. 3.1 S. 231 f.; je mit Hinweisen).
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2.2. Eine (relevante) Ehegemeinschaft besteht solange, als die eheliche Beziehung tatsächlich gelebt wird und ein gegenseitiger Ehewille vorhanden ist (BGE 138 II 229 E. 2 S. 231; 137 II 345 E. 3.1.2 S. 347). Dabei ist grundsätzlich auf die nach aussen wahrnehmbare eheliche Wohngemeinschaft abzustellen (Art. 42 Abs. 1 AuG). Vom Erfordernis des Zusammenwohnens wird nach Art. 49 AuG ausnahmsweise abgesehen, wenn für getrennte Wohnorte wichtige Gründe vorliegen, die Ehegemeinschaft indes weiter besteht (Urteile 2C_1027/2012 vom 20. Dezember 2012 E. 3.3; 2C_723/2010 vom 14. Februar 2011 E. 4.1; 2C_647/2010 vom 10. Februar 2011 E. 3.1).
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Erwägung 3
 
3.1. Die Vorinstanz hat zunächst festgestellt, dass - entgegen der Ansicht des Migrationsamtes - im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine Scheinehe vorliegen (vgl. angefochtener Entscheid E. 4.4). Weiter hat die Vorinstanz ausgeführt, die von der Beschwerdeführerin und ihrem damaligen Ehemann gewählte Wohnform (frei gewähltes Lebensmodell des "living apart together") erfüllte die Voraussetzungen für ein eheliches Zusammenwohnen im Sinne von Art. 42 bzw. 49 AuG nicht. Ein Anspruch gestützt auf Art. 42 Abs. 1 AuG habe deshalb infolge fehlenden Zusammenwohnens und mangels wichtiger Gründe im Sinne von Art. 49 AuG nicht entstehen können, weshalb auch ein nachehelicher Aufenthaltsanspruch gestützt auf Art. 50 Abs. 1 lit. a oder b bzw. ein Anspruch nach 42 Abs. 3 AuG ausser Betracht falle (vgl. angefochtener Entscheid E. 5.6).
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3.2. Die vorinstanzlichen Ausführungen vermögen bei näherer Betrachtung nicht zu überzeugen:
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3.2.1. Richtig ist, dass im alten Recht das Zusammenleben der Ehegatten nicht Voraussetzung für die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung an ausländische Ehegatten von Schweizer Bürgern war, dies vom heute geltenden Ausländergesetz dagegen verlangt wird. Das Kriterium der gemeinsamen Wohnung bezweckt die Bekämpfung von Missbräuchen, da das Fehlen einer Haushaltsgemeinschaft ohne sachliche Gründe in der Regel ein gewichtiges Indiz für eine Scheinehe darstellt (vgl. angefochtener Entscheid E. 5.1 mit Hinweis auf MARTINA CARONI, in: Caroni/Gächter/Thurnherr, Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer, 2010, Rz. 18 und 20 zu Art. 42 AuG bzw. MARC SPESCHA, in: Spescha/Thür/Zünd/Bolzli, Migrationsrecht, 3. Aufl. 2012, Rz. 2 zu Art. 42 AuG).
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3.2.2. Die Familiennachzugsbestimmungen der Art. 42 Abs. 1, 49 und 50 AuG sind nicht dazu bestimmt, dass jeder Ehepartner auf seiner Seite je für sich unabhängig leben kann bzw. das Getrenntleben ohne wichtigen Grund zum Regelfall wird. Vielmehr sind sie darauf ausgerichtet, dass die Eheleute grundsätzlich zusammenwohnen und die eheliche Gemeinschaft auch tatsächlich anhaltend und nicht bloss sporadisch während kurzer Zeit leben (Urteil 2C_231/2011 vom 21. Juli 2011 E. 4.5).
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3.2.3. Die Vorinstanz begründet ihren Entscheid im Wesentlichen mit dem Argument, das von der Beschwerdeführerin freiwillig gewählte Lebensmodell des "living apart together" stelle kein eheliches Zusammenleben im Sinne von Art. 42 Abs. 1 AuG dar und die Beschwerdeführerin hätte auch kein "ehegerechtes" Zusammenleben angestrebt (vgl. angefochtener Entscheid E. 5.6).
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3.2.4. Angesichts des erwähnten Ermittlungsberichts der Stadtpolizei Zürich vom 8. November 2011 bzw. der Aussagen in den Befragungsprotokollen vom Oktober 2011 kann dem Schluss der Vorinstanz, es liege kein eheliches Zusammenleben im Sinne von Art. 42 AuG vor, nicht zugestimmt werden. Vielmehr ist - zumindest im Grundsatz - der abweichenden Meinung der Minderheit der 4. Abteilung des Verwaltungsgerichts (vgl. angefochtenes Urteil S. 15 f.) zu folgen: Demnach handelt es sich bei der Wohngenossenschaft C.________ um eine - wenn auch recht umfangreiche - Haushaltsgemeinschaft. Ein freiwilliges Getrenntleben im Sinne eines "living apart together" ist innerhalb des gleichen Grosshaushalts gar nicht möglich. Insbesondere hat die Vorinstanz hier dem Umstand zu wenig Rechnung getragen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem damaligen Ehemann nicht nur über zwei private Zimmer, sondern auch über eine gemeinsame Mansarde verfügten. Die Vorinstanz hat ebenfalls nicht berücksichtigt, dass die Eheleute jeweils eine minderjährige Tochter in die Ehe einbrachten, und es daher auch organisatorische Gründe für das Fehlen eines gemeinsamen Zimmers (neben der erwähnten Mansarde) gab. Schliesslich stimmen auch die Aussagen der beiden Eheleute über die Verhältnisse in der Wohngemeinschaft wie auch über ihr gemeinsames Eheleben überein.
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3.2.5. Die Bestimmungen über den Familiennachzug setzen voraus, dass die Eheleute zusammenwohnen und die eheliche Beziehung als Lebens- und Schicksalsgemeinschaft anhaltend und nicht bloss punktuell bzw. während kurzer Zeit gelebt wird, im Übrigen aber jeder Partner seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen nachgeht (vgl. Thomas Hugi Yar, Von Trennungen, Härtefällen und Delikten - Ausländerrechtliches rund um die Ehe- und Familiengemeinschaft, in: Alberto Achermann et al. [Hrsg.], Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, 2013, S. 31 ff., dort insbesondere 54 f.). Die Organisation der Ehe ist dabei aber in erster Linie Angelegenheit der Ehegatten (Urteil 2C_50/2010 vom 17. Juni 2010 E. 2.3.1). Wie auch die Vorinstanz zu Recht ausgeführt hat, schliesst das Erfordernis des ehelichen Zusammenlebens nicht aus, dass ein Ehepaar mit weiteren Personen - auch solchen ausserhalb des jeweiligen Familienverbandes der Ehepartner - zusammenlebt (vgl. angefochtener Entscheid E. 5.1). Es mag zutreffen, dass die vorliegende Konstellation des Zusammenlebens in einem genossenschaftlichen Grosshaushalt nicht alltäglich erscheint und das Kriterium des Zusammenlebens ab einer bestimmten Grösse der Hausgemeinschaft nur noch bedingt als Indiz für den tatsächlichen Bestand der Ehe tauglich ist. Ein eheliches Zusammenleben auch ausserhalb eines konventionellen typischen Kleinhaushaltes ist aber grundsätzlich möglich. Allein der Umstand, dass die Beschwerdeführerin und ihr damaliger Ehemann innerhalb der Wohngemeinschaft über Zimmer auf verschiedenen Etagen verfügten, vermag angesichts der Existenz einer gemeinsamen Mansarde nichts daran zu ändern, dass die Eheleute ab Eheschluss im Juni 2006 in derselben Haushaltsgemeinschaft zusammen lebten. Die vorliegende Situation unterscheidet sich namentlich deutlich von einer Wohngemeinschaft in einem Mehrfamilienhaus mit einer Mehrzahl abgetrennter und in sich geschlossener Wohnungen.
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3.2.6. Daraus ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem damaligen Schweizer Ehemann ab Juni 2006 in der Wohngenossenschaft C.________ zusammen wohnte. Unklar ist hingegen, bis zu welchem Zeitpunkt die eheliche Gemeinschaft bestand und auch gelebt wurde. Diesbezüglich hat die Vorinstanz keine Feststellungen getroffen, da sie ja bereits das Kriterium des Zusammenwohnens im Grundsatz verneint hat. Die abweichende Meinung der Minderheit (vgl. angefochtenes Urteil S. 15 f.) geht dahin, dass die eheliche Gemeinschaft erst Mitte Dezember 2011 gescheitert sei. Aus den Akten lässt sich indes nicht abschliessend klären, wann genau der damalige Ehemann der Beschwerdeführerin eine neue Beziehung eingegangen bzw. die Beziehung mit der Beschwerdeführerin beendet hat. Das Bundesgericht ist damit nicht in der Lage, gestützt auf den festgestellten Sachverhalt bzw. die ihm zur Verfügung stehenden Akten die Dauer der ehelichen Gemeinschaft festzustellen. Folglich ist es auch nicht möglich zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin sich für ihr Begehren auf Art. 42 Abs. 3 AuG (Niederlassungsbewilligung nach einem ordnungsgemässen und unterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren) bzw. auf Art. 50 Abs 1 lit. a oder lit. b AuG (Aufenthaltsbewilligung nach Auflösung der Ehe, wenn Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und eine erfolgreiche Integration besteht bzw. wenn wichtige persönliche Gründe eine weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen) stützen kann.
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3.3. Die Beschwerde erweist sich damit als begründet und ist gutzuheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 20. November 2013 ist aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das Migrationsamt des Kantons Zürich zurückzuweisen. Dieses wird neu vollständig zu prüfen haben, ob die Beschwerdeführerin Ansprüche gestützt auf Art. 42 Abs. 3, 49 bzw. 50 Abs. 1 lit. a und b AuG geltend machen kann. Da der rechtserhebliche Sachverhalt diesbezüglich unvollständig festgestellt ist, kann dem Antrag der Beschwerdeführerin, ihre Bewilligung bereits im vorliegenden Verfahren zu verlängern, nicht entsprochen werden (vgl. Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 107 Abs. 2 BGG).
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
4. 
 
5. 
 
Lausanne, 9. Oktober 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Der Gerichtsschreiber: Winiger
 
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