VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 4A_423/2014  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 4A_423/2014 vom 29.09.2014
 
{T 0/2}
 
4A_423/2014
 
 
Urteil vom 29. September 2014
 
 
I. zivilrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille
 
Gerichtsschreiber Kölz.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Ruf,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Mietrecht, unentgeltliche Rechtsverbeiständung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss und das
 
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 23. Mai 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.________ (Mieterin, Beschwerdeführerin) bewohnt seit dem 1. Januar 1995 eine 1,5-Zimmerwohnung an der Strasse U.________ in Zürich, die sie von B.________ (Vermieter, Beschwerdegegner) mietet. Seit April 2012 beläuft sich der monatliche Mietzins auf Fr. 838.-- brutto, nachdem er ursprünglich Fr. 816.-- betragen hatte. Der Mietvertrag sieht eine dreimonatige Kündigungsfrist auf jeweils Ende März und Ende September vor.
1
 
B.
 
Nach erfolglos durchlaufenem Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsbehörde Zürich reichte die Mieterin am 10. Juni 2012 beim Mietgericht Zürich Klage betreffend "Kündigung + Nichtvollzug Mängelbehebung" gegen den Vermieter ein. Am 1. November 2012 wies das Mietgericht das in der Klage gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ab und setzte der Mieterin Frist zur Leistung eines Prozesskostenvorschusses an, worauf das Obergericht des Kantons Zürich der Mieterin auf deren kantonale Beschwerde hin mit Urteil vom 21. Dezember 2012 für das erstinstanzliche Verfahren sowohl die unentgeltliche Prozessführung als auch die unentgeltliche Rechtsverbeiständung gewährte.
2
 
C.
 
Die Mieterin begehrt mit Beschwerde in Zivilsachen, der Beschluss des Obergerichts, Dispositiv-Ziffer 2, sei aufzuheben. Das Obergericht sei anzuweisen, ihr für das Berufungsverfahren einen Rechtsbeistand zu bestellen.
3
 
D.
 
Mit Präsidialverfügung vom 18. August 2014 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt.
4
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
Das angefochtene Urteil des Obergerichts ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 1 und 2 BGG. Sodann übersteigt der Streitwert die nach Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG in mietrechtlichen Fällen geltende Grenze (vgl. BGE 137 III 389 E. 1.1). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist - unter Vorbehalt einer hinlänglichen Begründung (siehe Erwägung 2) - auf die Beschwerde insofern einzutreten, als sie gegen das Urteil des Obergerichts gerichtet ist.
5
 
Erwägung 2
 
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls darauf nicht eingetreten werden kann. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Unerlässlich ist, dass die Beschwerde auf die Begründung des angefochtenen Entscheids eingeht und im Einzelnen aufzeigt, worin eine vom Bundesgericht überprüfbare Rechtsverletzung liegt. Die beschwerdeführende Partei soll in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz ansetzen (BGE 140 III 86 E. 2 S. 89, 115 E. 2 S. 116).
6
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Dazu gehören sowohl die Feststellungen über den streitgegenständlichen Lebenssachverhalt als auch jene über den Ablauf des vor- und erstinstanzlichen Verfahrens, also die Feststellungen über den Prozesssachverhalt (BGE 140 III 16 E. 1.3.1). Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 140 III 115 E. 2 S. 117; 135 III 397 E. 1.5). Entsprechende Rügen sind überdies bloss zulässig, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
7
Diese Grundsätze verkennt die Beschwerdeführerin, wenn sie in ihrer Beschwerdeschrift zunächst den Sachverhalt aus eigener Sicht rekapituliert und sodann zur Begründung der einzelnen Rügen den tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Entscheid widerspricht oder diese erweitert. Darauf kann nicht abgestellt werden, zumal die Beschwerdeführerin keine substanziierten Sachverhaltsrügen im soeben beschriebenen Sinn erhebt. Es ist durchwegs vom Sachverhalt auszugehen, wie ihn die Vorinstanz festgestellt hat, und die Beschwerdeführerin kann nicht gehört werden, soweit sie ihre Argumentation auf einen Sachverhalt stützt, der von den für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz abweicht.
8
Aus dem gleichen Grund ist nicht auf die der Beschwerde angefügten handschriftlichen "Handnotizen" respektive "Beifügungsnotizen" einzugehen, in denen die Beschwerdeführerin verschiedene Vorkommnisse schildert, die im angefochtenen Entscheid keine Erwähnung finden. Ohnehin ist kaum erkennbar, inwiefern diese Ausführungen einen entscheiderheblichen Bezug zur vorliegenden Streitsache haben sollen.
9
 
Erwägung 3
 
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäss Art. 53 Abs. 1 ZPO und Art. 29 Abs. 2 BV im Verfahren vor dem Mietgericht.
10
3.1. Die entsprechende Rüge hatte sie bereits dem Obergericht vorgetragen. Dieses setzte sich mit den Argumenten der Beschwerdeführerin im Einzelnen auseinander, konnte aber keine Gehörsverletzung erkennen. Es erwog, gemäss dem Protokoll des Mietgerichts hätten die Parteien ausreichend Gelegenheit gehabt, sich an der Hauptverhandlung zu äussern. So seien sowohl die Klagebegründung und die Klageantwort als auch die Replik und die Duplik erstattet worden. Jede Partei habe also Gelegenheit gehabt, sich zweimal zu äussern bzw. zu den Ausführungen der Gegenseite Stellung zu nehmen. Nebst den beiden Parteivorträgen ihres Rechtsvertreters habe die Beschwerdeführerin auch selbst Gelegenheit erhalten, sich zu äussern. Hinzu komme, dass der Vorsitzende immer wieder seine gerichtliche Fragepflicht im Sinne von Art. 56 ZPO ausgeübt habe, um sich Klarheit über den Sachverhalt zu verschaffen. Zu diesem Zweck habe er sowohl die Rechtsvertreter als auch die Parteien selbst bzw. die Liegenschaftenbewirtschafterin des Beschwerdegegners befragt. Aus dem Protokoll gehe zwar hervor, dass die Beschwerdeführerin noch weitere eigene Ausführungen hätte machen wollen und es offenbar schwierig gewesen sei, sie hievon abzuhalten. Dem Gericht stehe es aber zu, die Redezeit der Parteien zu limitieren oder auf bestimmte Themen zu beschränken, und die Beschwerdeführerin sei anwaltlich vertreten gewesen, womit ihr Rechtsanwalt "für das Vortragen ihrer Anliegen primär zuständig" gewesen sei. Seine Handlungen und Entscheide habe sich die Beschwerdeführerin vollumfänglich anrechnen zu lassen.
11
3.2. In ihrer Beschwerde an das Bundesgericht erneuert die Beschwerdeführerin den Vorwurf, sie habe sich vor dem Mietgericht persönlich nicht hinreichend äussern dürfen.
12
 
Erwägung 4
 
Die Beschwerdeführerin beanstandet weiter, die Vorinstanzen hätten zur Frage, ob per Februar 2012 ein Mietzinsausstand vorgelegen habe, "im Rahmen einer unzulässigen antizipierten Beweiswürdigung" willkürliche Sachverhaltsfeststellungen getroffen, einen Teil der Beweisofferten "zu Unrecht nicht abgenommen" und damit ausserdem "ihr rechtliches Gehör (Anspruch auf Beweisabnahme) " verletzt.
13
 
Erwägung 5
 
Von vornherein nicht zulässig ist die Beschwerde schliesslich, soweit sie sich gegen den Beschluss des Obergerichts richtet, konkret dessen Dispositiv-Ziffer 2, mit der auf den Antrag der Beschwerdeführerin um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes für das Berufungsverfahren nicht eingetreten wird.
14
5.1. Die Vorinstanz begründete diesen Entscheid damit, die Beschwerdeführerin habe in der Berufungsschrift zwar den Antrag gestellt, es sei ihr für das Berufungsverfahren ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beizugeben, während der laufenden Rechtsmittelfrist allerdings keinen Rechtsvertreter bezeichnet. Sie sei offenbar davon ausgegangen, die Kammer würde ihr einen Rechtsbeistand bestellen. Gemäss konstanter Praxis sei es aber im Berufungsverfahren an den Parteien, selbst einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bezeichnen bzw. zur Begründung der Berufung innert gesetzlicher Frist einen solchen beizuziehen, während das Gericht lediglich im Anwendungsbereich von Art. 69 ZPO den Beistand von sich aus bestelle. Überdies sei die gesetzliche Rechtsmittelfrist, um die Berufungsschrift zu präzisieren bzw. zu ergänzen, am Tag der Einreichung der Berufungsschrift abgelaufen. An dieser "Sachlage" - so die Vorinstanz - hätte ein Rechtsvertreter nichts mehr zu ändern vermocht, zumal gesetzliche Fristen im Gegensatz zu gerichtlichen Fristen nicht erstreckbar seien. Da auch keine Berufungsantwort einzuholen gewesen sei, womit sich eine allfällige freiwillige Stellungnahme der Beschwerdeführerin erübrigt habe, sei auf deren Gesuch um Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistands nicht einzutreten.
15
5.2. Unter den gegebenen Umständen hat die Beschwerdeführerin kein schutzwürdiges Interesse im Sinne von Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG an der Aufhebung respektive Änderung von Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Beschlusses. Selbst wenn das Bundesgericht entgegen der Ansicht des Obergerichts zum Schluss gelangen sollte, dass sich eine Partei im Rechtsmittelverfahren auf das blosse Begehren um unentgeltliche Rechtsverbeiständung beschränken darf, ohne dass sie selber einen Vertreter zu 
16
5.3. Sie ist ausserdem unbegründet, wenn sie in diesem Punkt zusätzlich damit begründet wird, die Vorinstanz habe in Verletzung von Art. 69 ZPO "nicht einmal in Betracht gezogen", "die Frist wiederherzustellen und der Vertretung eine neue Frist anzusetzen", obschon die Beschwerdeführerin offensichtlich überfordert gewesen sei. Denn es ist nicht dargetan, dass die Beschwerdeführerin offenkundig ausser Stand gewesen wäre, den Prozess selbst zu führen. Im Übrigen liess es die Vorinstanz entgegen der Beschwerdeführerin in der Hauptsache nicht bei einem Nichteintretensentscheid mangels hinreichender Begründung bewenden, sondern sie prüfte zunächst ausführlich die in der Berufung erhobene Gehörsrüge und führte weiter aus, dass der Berufung auch dann kein Erfolg beschieden wäre, wenn die Berufungsschrift eine rechtsgenügende Begründung enthalten hätte. Sie beurteilte die Berufung mit anderen Worten in der Sache und kam zum Schluss, dass auch eine korrekte Berufungsbegründung durch einen rechtskundigen Vertreter nichts am Unterliegen der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren geändert hätte. Nachdem diese Beurteilung in der Sache auch der bundesgerichtlichen Überprüfung standhält (Erwägungen 3 und 4), geht die Berufung auf Art. 69 ZPO fehl.
17
 
Erwägung 6
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Sie war von vornherein aussichtslos, weshalb die unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren nicht zu gewähren ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 BGG).
18
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 29. September 2014
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Klett
 
Der Gerichtsschreiber: Kölz
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).