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Informationen zum Dokument  BGer 6B_1006/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_1006/2013 vom 25.09.2014
 
{T 0/2}
 
6B_1006/2013
 
 
Urteil vom 25. September 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber M. Widmer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Becker,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer,
 
vom 19. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz würdige die Beweise willkürlich. Die Dienstfahrt habe nicht einzig dazu gedient, den verfolgten Fahrzeuglenker zu identifizieren. Dieser habe die Verkehrsregeln grob verletzt, indem er die ausserorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach Abzug der Sicherheitsmarge von 6 km/h um 31 km/h überschritten habe. Es sei darum gegangen, ihn davon abzuhalten, durch sein rücksichtsloses Verhalten die übrigen Verkehrsteilnehmer weiter zu gefährden.
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2.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen).
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2.3. Die Vorinstanz erwägt, das Vergehen des fehlbaren Lenkers sei bereits abgeschlossen gewesen, als ihn die Beschwerdeführerin verfolgt habe. Es ist nicht zu beanstanden, wenn sie davon ausgeht, es habe sich nicht um eine flüchtige Person gehandelt, da er sich nicht bewusst gewesen sei, bei seiner SVG-Widerhandlung von der Polizei beobachtet und verfolgt worden zu sein. Gleiches gilt für die Erwägung, dass es nicht um die Rettung von Menschenleben, die Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder um den Erhalt bedeutender Sachwerte gegangen sei. Die Schlussfolgerung, die Beschwerdeführerin habe einzig beabsichtigt, den fehlbaren Lenker anzuhalten, um ihn zu identifizieren, ist nicht willkürlich. Diese räumt in ihrer Beschwerde selber ein, es sei insbesondere darum gegangen sicherzustellen, dass er für sein Vergehen bestraft werde.
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Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 100 Ziff. 4 SVG. Es habe sich um eine dringliche Dienstfahrt gehandelt. Sie sei zudem nicht verpflichtet gewesen, das Wechselklanghorn einzuschalten. Es liege eine straflose Verkehrsregelverletzung vor.
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3.2. Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdeführerin könne sich nicht auf Art. 100 Ziff. 4 SVG berufen. Zweck der Nachfahrt sei einzig gewesen, den Fahrzeuglenker anzuhalten und zu identifizieren. Dies vermöge die geforderte Dringlichkeit der Dienstfahrt nicht zu begründen.
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3.3. Gemäss Art. 100 Ziff. 4 SVG ist der Führer eines Feuerwehr-, Sanitäts- oder Polizeifahrzeugs auf einer dringlichen Dienstfahrt wegen Missachtung der Verkehrsregeln und der besonderen Anordnungen für den Verkehr nicht strafbar, sofern er die erforderlichen Warnsignale gibt und alle Sorgfalt beobachtet, die nach den Verhältnissen erforderlich ist (vgl. Urteil 6B_288/2009 vom 13. August 2009 E. 3.3 mit Hinweisen).
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3.4. Die Vorinstanz zieht zur Konkretisierung von Art. 100 Ziff. 4 SVG zu Recht das Merkblatt des eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zur Verwendung von Blaulicht und Wechselklanghorn vom 6. Juni 2005 und den Dienstbefehl 186 der Kantonspolizei Aargau vom 1. Januar 2010 betreffend die Verwendung der besonderen Warnvorrichtungen heran (vgl. Urteil 6B_288/2009 vom 13. August 2009 E. 3.4). Gemäss Letzterem haben die polizeilichen Massnahmen und Tätigkeiten in einem vertretbaren, vernünftigen und verhältnismässigen Rahmen zu erfolgen (Dienstbefehl 186 Ziff. 2.1). Als dringlich gelten Dienstfahrten im Ernstfall, sogenannte Notfallfahrten, bei denen es auf den möglichst raschen Einsatz der Feuerwehr, der Sanität oder der Polizei ankommt, um Menschenleben zu retten, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, um bedeutende Sachwerte zu erhalten oder um flüchtige Personen zu verfolgen. Der Begriff der Dringlichkeit ist eng auszulegen. Entscheidend ist, dass Rechtsgüter gefährdet sind, bei denen selbst kleine Zeitverluste eine erhebliche Vergrösserung der Schäden bewirken können (Merkblatt UVEK Ziff. 1; Dienstbefehl 186 Ziff. 4.4).
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Erwägung 4
 
4.1. Die Beschwerdeführerin rügt weiter, die Vorinstanz beurteile ihr Verhalten unzutreffenderweise als unverhältnismässig und verneine zu Unrecht eine gesetzlich erlaubte Handlung gemäss Art. 14 StGB. Die im Dienstbefehl 186 der Kantonspolizei Aargau genannten Höchstgeschwindigkeiten würden nur grundsätzlich gelten. Die mit der Verfolgungsfahrt verbundenen Gefahren seien nicht übermässig gewesen. Die Vorinstanz verkenne, dass sie eine sehr gut qualifizierte Autofahrerin mit besonderen polizeilichen Ausbildungen sei und keine spezielle Gefahrenlage bestanden habe.
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4.2. Die Vorinstanz erwägt, das gewählte Mittel - die Nachfahrt mit einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung von 61 km/h innerorts - stehe in keinem vernünftigen Verhältnis zum verfolgten Zweck, sprich der Identifizierung des fehlbaren Lenkers, dessen Verfehlungen zum Zeitpunkt der Einleitung der Verfolgungsfahrt bereits abgeschlossen gewesen seien.
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4.3. Die Bestimmung von Art. 100 Ziff. 4 SVG erfasst einzig die dringlichen Dienstfahrten der besonderen Einsatzfahrzeuge. Wird wie vorliegend die Dringlichkeit verneint, steht der beschuldigten Person grundsätzlich weiterhin die Berufung auf Art. 14 StGB offen. Allerdings können sich Polizisten, welche bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eine Rechtsverletzung begehen, nicht auf Art. 14 StGB stützen, wenn ihr Handeln unverhältnismässig ist. Ihr Vorgehen hat mit anderen Worten zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich zu sein, und das beeinträchtigte Rechtsgut sowie das Ausmass der Rechtsgutverletzung müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Wert des angestrebten Zwecks stehen (Urteil 6B_288/2009 vom 13. August 2009 E. 3.5 mit Hinweis).
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4.4. Dass die Vorinstanz das Verhalten der Beschwerdeführerin als unverhältnismässig qualifiziert, ist nicht zu beanstanden. Sie geht willkürfrei und unter Hinweis auf die massgebenden Untersuchungsakten davon aus, die Geschwindigkeitsmessstelle an der beidseits überbauten Hauptstrasse Richtung Schwaderloch im Bereich von Schulweg, zwei Bushaltestellen und zwei Einmündungen weise ein grosses Gefahrenpotenzial auf. Die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil sind falsch. Sie widersprechen dem Protokoll und dem Bericht zur Geschwindigkeitskontrolle der Regionalpolizei Zurzibiet vom 17. und 18. März 2011. Zu Recht berücksichtigt die Vorinstanz weiter, dass die Strasse nass war, was den Bremsweg stark erhöht hätte. Sie erwägt zutreffend, dass die von der Beschwerdeführerin für die übrigen Verkehrsteilnehmer bewirkte Gefahr deutlich höher war als jene, welche der fehlbare Lenker mit seiner SVG-Widerhandlung ausserorts geschaffen hatte (Urteil, S. 11; vgl. Urteile 6B_288/2009 vom 13. August 2009 E. 3.5; 6B_20/2009 vom 14. April 2009 E. 4.4.2). Daran ändert nichts, dass die Beschwerdeführerin eine gut qualifizierte und speziell ausgebildete Autofahrerin ist, sie die Geschwindigkeit nach der Messstelle reduzierte und das Verkehrsaufkommen gering war (vgl. Urteil 6B_571/2012 vom 8. April 2013 E. 3.4). Ein Abweichen von den Höchstgeschwindigkeiten gemäss Ziff. 2.2 des Dienstbefehls 186 ist nur ausnahmsweise erlaubt, wenn es objektiv vertretbar und sinnvoll ist (Ziff. 2.3 des Dienstbefehls 186). Diese Voraussetzungen waren vorliegend - wie dargelegt - nicht erfüllt.
11
 
Erwägung 5
 
 
Erwägung 6
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
Lausanne, 25. September 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: M. Widmer
 
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