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Informationen zum Dokument  BGer 6B_375/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_375/2014 vom 28.08.2014
 
{T 0/2}
 
6B_375/2014
 
 
Urteil vom 28. August 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
nebenamtliche Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Andres.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Fürsprecher Philipp Kunz,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Strafzumessung (qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Raub, mehrfache Nötigung etc.),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 19. März 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Das Obergericht des Kantons Bern sprach X.________ am 19. März 2014 zweitinstanzlich der mehrfachen Nötigung schuldig. Unter Berücksichtigung der rechtskräftigen Schuldsprüche wegen Raubes, mehrfacher Nötigung, versuchten Diebstahls, Hausfriedensbruchs, Sachbeschädigung, mehrfacher und teilweise qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Widerhandlungen gegen das Waffen- und das Strassenverkehrsgesetz verurteilte es ihn zu einer Freiheitsstrafe von 44 Monaten, unter Anrechnung von 83 Tagen Untersuchungshaft.
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B. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, er sei zu einer angemessenen, 22 Monate nicht übersteigenden Freiheitsstrafe, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft, sowie einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 100.-- zu verurteilen. Für beide Strafen sei ihm der bedingte Strafvollzug bei einer Probezeit von drei Jahren zu gewähren. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege.
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C. Die Generalstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Bern verzichten auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Der Beschwerdeführer hat sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit Eingabe vom 12. Mai 2014 zurückgezogen.
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2. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung. Er rügt, die Vorinstanz habe die Einsatzstrafe für das schwerste Delikt der qualifizierten Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu hoch bemessen. Gleiches gelte für die Erhöhung der Einsatzstrafe für die übrigen Delikte. Zudem habe die Vorinstanz die Täterkomponenten zu Unrecht nicht strafmindernd berücksichtigt. Schliesslich sei für die einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und die mehrfachen Widerhandlungen gegen das Waffen- sowie das Strassenverkehrsgesetz eine Geldstrafe auszufällen (Beschwerde S. 6 ff.).
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2.1. Die Vorinstanz geht von der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz als dem schwersten Delikt aus und stuft das Tatverschulden aufgrund der objektiven und subjektiven Tatschwere als noch eher leicht ein (Urteil S. 21 f.). Die Täterkomponenten gewichtet sie insgesamt als neutral. Gestützt auf die Tat- und Täterkomponenten setzt sie die Einsatzstrafe auf 22 Monate Freiheitsstrafe fest (Urteil S. 21 ff. E. 4). Anschliessend bestimmt die Vorinstanz für diverse Tatkomplexe eigenständige hypothetische Strafen unter Berücksichtigung der jeweiligen objektiven Tatschwere und des Tatverschuldens. Für den Raub und die mehrfache Nötigung erachtet sie eine Freiheitsstrafe von 20 Monaten als angemessen. In Anwendung des Asperationsprinzips erhöht sie die Einsatzstrafe um 16 Monate. Für den Diebstahlversuch, den Hausfriedensbruch und die Sachbeschädigung setzt sie eine Strafe von sechs Monaten fest, wovon sie vier Monate zur Einsatzstrafe addiert. Für die einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und die mehrfachen Widerhandlungen gegen das Waffen- sowie das Strassenverkehrsgesetz erachtet sie eine Freiheitsstrafe von drei Monaten als angemessen, wovon sie zwei Monate auf die Einsatzstrafe hinzurechnet (Urteil S. 26 ff. E. 5). Unter Berücksichtigung aller Tat- und Täterkomponenten hält sie eine Gesamtstrafe von 44 Monaten als dem Verschulden des Beschwerdeführers angemessen (Urteil S. 30 E. 7).
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2.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB wiederholt dargelegt (BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bildung der Einsatzstrafe und der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips (BGE 127 IV 101 E. 2b S. 104; Urteile 6B_466/2013 vom 25. Juli 2013 E. 2.3.2 und 6B_460/2010 vom 4. Februar 2011 E. 3.3.4, nicht publ. in: BGE 137 IV 57; je mit Hinweis). Darauf kann verwiesen werden.
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2.3. Der Beschwerdeführer macht bezüglich der Einsatzstrafe geltend, die Tabelle von HANSJAKOB (vgl. FINGERHUTH/TSCHURR, Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz, 2. Aufl. 2007, N. 30 zu Art. 47 StGB; THOMAS HANSJAKOB, Strafzumessung in Betäubungsmittelfällen - eine Umfrage der KSBS, ZStrR 115/1997 S. 233 ff.) sehe für die ihm vorgeworfene Drogenmenge praxisgemäss eine Freiheitsstrafe zwischen 30 und 36 Monaten vor. Bei seinem Versuch, das abhandengekommene Heroin wiederzubeschaffen, handle es sich um eine einmalige Aktion, was im Umfang von 30 % strafmindernd zu berücksichtigen sei. Auszugehen sei folglich von einer Freiheitsstrafe im Rahmen von ca. 24 Monaten, die mit der Vorinstanz um zehn Monate zu mildern sei, da es sich bei seiner Tat um ein Anstaltentreffen handle (Beschwerde S. 6 f.).
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2.4. Der Beschwerdeführer macht betreffend den Raub und die mehrfache Nötigung geltend, die korrekt wiedergegebenen Ausführungen der ersten Instanz liessen nicht erkennen, wie die Vorinstanz das objektive Tatverschulden als insgesamt erheblich habe einstufen können (Beschwerde S. 7 f.).
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2.5. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Einsatzstrafe sei aufgrund des Diebstahlversuchs, des Hausfriedensbruchs und der Sachbeschädigung lediglich um zwei Monate zu erhöhen (Beschwerde S. 9).
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2.6. Der Beschwerdeführer rügt, die Täterkomponenten seien entgegen der Vorinstanz nicht neutral, sondern im Umfang von mindestens einem Monat strafmindernd zu berücksichtigen (Beschwerde S. 9).
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2.7. Der Beschwerdeführer rügt, für die einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und die mehrfachen Widerhandlungen gegen das Waffen- und das Strassenverkehrsgesetz sei eine Geldstrafe auszusprechen (Beschwerde S. 10).
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2.7.1. Für Strafen von weniger als sechs Monaten bzw. bis zu 180 Tagessätzen ist grundsätzlich eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit auszusprechen (Art. 34 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1, Art. 40 und 41 Abs. 1 StGB). Nach Art. 41 StGB kann das Gericht auf eine vollziehbare Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten nur erkennen, wenn die Voraussetzungen für eine bedingte Strafe (Art. 42 StGB) nicht gegeben sind und zu erwarten ist, dass eine Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeit nicht vollzogen werden kann (Abs. 1). Es hat diese Strafform näher zu begründen (Abs. 2). Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft. Im Vordergrund steht daher auch bei Strafen von sechs Monaten bis zu einem Jahr die Geldstrafe als gegenüber der Freiheitsstrafe mildere Sanktion (BGE 138 IV 120 E. 5.2 S. 123; 134 IV 97 E. 4.2.2, 82 E. 4.1; je mit Hinweisen). Mit Art. 41 StGB hat der Gesetzgeber für Strafen unter sechs Monaten eine gesetzliche Prioritätsordnung zugunsten nicht freiheitsentziehender Sanktionen eingeführt (BGE 134 IV 82 E. 4.1 mit Hinweis).
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2.7.2. Hinsichtlich der einfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und der Widerhandlungen gegen das Waffen- sowie das Strassenverkehrsgesetz erachtet die Vorinstanz eine Freiheitsstrafe von drei Monaten als angemessen und erhöht die Einsatzstrafe um zwei Monate (Urteil S. 29 E. 5.5). Sie hält fest, angesichts des engen Konnexes mit den andern Delikten werde insbesondere für die einfache Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und die mehrfachen Widerhandlungen gegen das Waffengesetz keine separate Geldstrafe ausgefällt (Urteil S. 26 E. 5.2). Jedoch hätte sie im Hinblick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip begründen müssen, weshalb sie unter präventiven Gesichtspunkten eine Freiheitsstrafe als einzig zweckmässige Sanktion erachtet. Ferner hätte sie darlegen müssen, inwiefern die Voraussetzungen von Art. 41 StGB erfüllt sind. Immerhin hat der Beschwerdeführer seit 1. Juli 2013 eine Festanstellung und erzielt ein monatliches Bruttoeinkommen von Fr. 5'000.-- (Beschwerde S. 9; kantonale Akten, act. 2381). Die vorinstanzliche Begründung zur Strafart erweist sich demnach als ungenügend bzw. mangelhaft, weshalb die Beschwerde in diesem Punkt gutzuheissen ist.
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2.7.3. Sollte die Vorinstanz die Strafen neu festsetzen, wird sie allenfalls prüfen müssen, ob der Strafvollzug (teil-) bedingt aufgeschoben werden kann (Art. 42 f. StGB). Vorliegend ist auf die entsprechenden Ausführungen des Beschwerdeführers nicht einzugehen (vgl. Beschwerde S. 10).
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3. Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 19. März 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Es werden keine Kosten erhoben.
 
3. Der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'286.10 zu bezahlen.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. August 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres
 
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