VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 2C_1212/2013  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 2C_1212/2013 vom 28.07.2014
 
{T 0/2}
 
2C_1212/2013
 
 
Urteil vom 28. Juli 2014
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Zünd, Präsident,
 
Bundesrichterin Aubry Girardin,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Gerichtsschreiberin Genner.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andres Büsser,
 
gegen
 
Kantonales Steueramt St. Gallen,
 
Gegenstand
 
Steuerwohnsitz; Fristwiederherstellung für Kostenvorschuss im Rekursverfahren,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 8. November 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
A. Das Kantonale Steueramt St. Gallen stellte am 4. Juli 2012 fest, A.________ sei in den Jahren 2010 und 2011 in U.________ unbeschränkt steuerpflichtig. Eine dagegen erhobene Einsprache wies es am 29. Januar 2013 ab.
1
B. Gegen den Einspracheentscheid rekurrierte A.________, anwaltlich vertreten, am 26. Februar 2013 bei der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen. Diese forderte ihn am 27. Februar 2013 auf, bis zum 15. März 2013 einen Kostenvorschuss von Fr. 800.-- zu leisten. Die Aufforderung war mit der Androhung verbunden, das Verfahren werde bei nicht fristgerechter Bezahlung des Kostenvorschusses am Protokoll abgeschrieben.
2
C. A.________ erhebt am 21. Dezember 2013 Beschwerde beim Bundesgericht mit den Anträgen, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Wiederherstellung der Frist für die Zahlung des Kostenvorschusses gutzuheissen und die Sache zur materiellen Entscheidung an die Verwaltungsrekurskommission zurückzuweisen. Eventuell sei die Sache zu neuer Entscheidung über die Wiederherstellung an das Verwaltungsgericht, subeventuell an die Verwaltungsrekurskommission zurückzuweisen.
3
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Dem angefochtenen Urteil liegt in der Hauptsache ein kantonaler Steuerdomizilentscheid zugrunde, welcher gemäss Art. 82 lit. a BGG und Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unterliegt. Mit der Abweisung des Fristherstellungsgesuchs hat das Verwaltungsgericht zugleich den Rekurs abgeschrieben, womit ein Endentscheid (Art. 90 BGG) angefochten ist. Eine sachliche Ausnahme nach Art. 83 BGG liegt nicht vor. Die Beschwerde ist zulässig.
4
1.2. Der Beschwerdeführer ist als Steuerpflichtiger zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG, Art. 42 BGG) ist einzutreten.
5
2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden (BGE 139 II 404 E. 3 S. 415). Die Verletzung von kantonalem Gesetzes- und Verordnungsrecht bildet keinen eigenständigen Rügegrund; sie wird nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür geprüft (BGE 136 I 316 E. 2.2.1 S. 318 mit Hinweisen). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 II 304 E. 2.5 S. 314).
6
 
Erwägung 3
 
3.1. Nach Art. 96 Abs. 1 des Gesetzes des Kantons St. Gallen vom 16. Mai 1965 über die Verwaltungsrechtspflege (VRP/SG; sGS 951.1) kann die Behörde einen Kostenvorschuss verlangen. Entspricht der Betroffene trotz Hinweis auf die Säumnisfolgen der Aufforderung nicht, so kann das Verfahren abgeschrieben werden oder die anbegehrte Amtshandlung unterbleiben, wenn nicht öffentliche Interessen entgegenstehen (Art. 96 Abs. 2 VRP/SG).
7
3.2. Gemäss Art. 30 Abs.1 VRP/SG finden für die Fristwiederherstellung die Bestimmungen der ZPO Anwendung, sofern dieser Erlass nichts anderes vorsieht. Art. 148 Abs. 1 ZPO erlaubt auf Gesuch hin die Wiederherstellung einer (behördlichen oder gesetzlichen) Frist, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie kein oder nur ein leichtes Verschulden trifft.
8
4. Der Beschwerdeführer hatte das Fristwiederherstellungsgesuch mit einer Erkrankung begründet und zum Nachweis derselben ein ärztliches Attest beigelegt, in dem eine vom 12. März 2013 bis 25. März 2013 dauernde Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Das Arztzeugnis enthielt keine Angaben zur Art der gesundheitlichen Beeinträchtigung.
9
5. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend. Aufgrund der formellen Natur dieses Anspruchs sind die entsprechenden Rügen vorab zu behandeln (BGE 138 I 232 E. 5.1 S. 237).
10
5.1. Der Beschwerdeführer moniert, die Vorinstanz habe von sich aus zur Begründung erstmals das vermeintliche Verhalten des Rechtsvertreters thematisiert und daran ein "nicht mehr leichtes Verschulden" geknüpft. Es seien keine tatsächlichen Sachverhaltsumstände zu diesem Thema erhoben worden und er - der Beschwerdeführer - habe sich zu entsprechenden Feststellungen oder rechtlichen Aspekten nicht äussern können.
11
5.2. Weiter rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz sei auf seinen Beweisantrag, ein Gutachten zum Krankheitsverlauf einzuholen, nicht eingegangen.
12
 
Erwägung 6
 
6.1. In sachverhaltlicher Hinsicht beanstandet der Beschwerdeführer, aus den Akten sei nicht ersichtlich und es sei nicht abgeklärt worden, wie sich der Rechtsvertreter nach dem Erhalt der Kostenvorschussverfügung effektiv verhalten habe und in welcher Art und Häufigkeit und mit welchem Inhalt die Kommunikation zwischen ihm - dem Beschwerdeführer - und dem Rechtsvertreter erfolgt sei und ob der Rechtsvertreter nach den tatsächlichen Umständen davon ausgehen durfte und musste, dass die Zahlung rechtzeitig erfolgen werde.
13
6.2. Unbegründet ist auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, seine Prozesserfahrung und seine Zuverlässigkeit bei behördlichen Zahlungen sowie der Zeitpunkt seiner Erkrankung im Verhältnis zur Dauer bis zum Fristende seien nicht berücksichtigt worden.
14
6.3. In rechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe zu Unrecht erwogen, dass ein leichtes Verschulden im Sinn von Art. 148 Abs. 1 ZPO nur mit Zurückhaltung anzunehmen sei. Weder die von der Vorinstanz zitierte Literaturstelle, der Gesetzeswortlaut noch die Materialien würden diese Auslegung stützen.
15
6.4. Dass die Frist erstreckbar war, wie der Beschwerdeführer vorbringt, ändert an dieser Würdigung nichts, zumal er ein Fristerstreckungsgesuch hätte stellen können. Aus Art. 102 ZPO, welcher den Kostenvorschuss für gerichtliche Beweiserhebungen zum Gegenstand hat, kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Diese Thematik ist von der Verweisnorm des Art. 30 Abs. 1 VRP/SG nicht erfasst, weshalb Art. 102 ZPO nicht einschlägig ist.
16
6.5. Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, unter dem Aspekt der Menschenwürde nach Art. 7 BV und dem Persönlichkeitsschutz nach Art. 10 Abs. 2 BV sei eine ärztlich ausgewiesene vollständig dienstleistungsbezogene persönliche Leistungsunfähigkeit als absoluter Schwächezustand zu respektieren und dem Erkrankten auch vom Staat und seinen Behörden unter Achtung der Gesundheit und Menschenwürde die Gelegenheit zu lassen, sich zu erholen, bevor von ihm unter Rechtsverlustfolge gesetzlich fakultative Zahlungen eingefordert werden dürften.
17
6.6. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe den Grundsatz von Treu und Glauben nach Art. 9 BV verletzt. Es sei widersprüchlich, einen (gesetzlich nicht erforderlichen) Nachweis des einschlägigen Hinderungsgrunds zu verlangen und gleichzeitig den angebotenen Beweisantrag abzuweisen. Unter Hinweis auf das Gebot des blossen Glaubhaftmachens nach Art. 148 Abs. 1 ZPO, auf die fehlende Eignung von medizinisch nicht geschulten Richterpersonen, die Auswirkungen medizinischer Diagnosen auf die effektive medizinisch-funktionale Leistungsfähigkeit zu beurteilen, sowie aus Datenschutzgründen habe er keine Einzelheiten zur Diagnose bzw. zum Krankheitsverlauf angegeben.
18
7. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ausgangsgemäss ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG).
19
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen und der Eidgenössischen Steuerverwaltung schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 28. Juli 2014
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Zünd
 
Die Gerichtsschreiberin: Genner
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).