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Informationen zum Dokument  BGer 9C_170/2014  Materielle Begründung
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BGer 9C_170/2014 vom 21.07.2014
 
{T 0/2}
 
9C_170/2014
 
 
Urteil vom 21. Juli 2014
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kernen, Präsident,
 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
 
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________, vertreten durch
 
Rechtsanwältin Lotti Sigg Bonazzi,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
IV-Stelle Schwyz, Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 9. Januar 2014.
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________ leidet insbesondere an Multipler Sklerose. Die IV-Stelle des Kantons Schwyz verfügte nach beruflichen und erwerblichen Abklärungen am 26. März 2012 die Zusprechung einer halben Rente ab 1. August 2011. Nachdem sich der Gesundheitszustand von A.________ verschlechtert hatte, veranlasste die IV-Stelle eine Abklärung der Hilflosigkeit (Bericht vom 25. April 2013). Mit Vorbescheid vom 6. Mai 2013 stellte sie die Zusprechung einer ganzen Rente ab 1. Februar 2013 in Aussicht und verfügte in der Folge entsprechend. Zudem erteilte die IV-Stelle Kostengutsprache für diverse Hilfsmittel (Treppensteighilfe [Mitteilung vom 16. Mai 2013]; Badelift [Mitteilung vom 17. Mai 2013]; Rollstuhl [Mitteilung vom 11. Juni 2013]). Am 9. Juli 2013 verfügte sie, im Wesentlichen gestützt auf den Abklärungsbericht vom 25. April 2013, die Zusprechung einer Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit leichten Grades.
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B. Gegen die Verfügung vom 9. Juli 2013 liess A.________ Beschwerde erheben, welche das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz mit Entscheid vom 9. Januar 2014 abwies.
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C. A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des angefochtenen Entscheids sowie der Verfügung vom 9. Juli 2013 und die rückwirkende Zusprechung einer Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit schweren Grades, eventualiter bei Hilflosigkeit mittleren Grades. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zurunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann es auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG).
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1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140).
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2. Die richtige Auslegung und Anwendung des Rechtsbegriffs der Hilflosigkeit, die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG sowie der Anforderungen an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232) und Abklärungsberichten an Ort und Stelle (BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468) beschlagen Rechtsfragen, die vom Bundesgericht frei zu prüfen sind (Art. 95 lit. a BGG). Die auf einen rechtsgenüglichen Abklärungsbericht an Ort und Stelle gestützten Feststellungen über Einschränkungen in bestimmten Lebensverrichtungen sind demgegenüber - analog zu den medizinischen Angaben über gesundheitliche Beeinträchtigungen bzw. über das noch vorhandene funktionelle Leistungsvermögen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 398 f.) - Sachverhaltsfeststellungen. Die Ergebnisse der Beweiswürdigung im Allgemeinen sind ebenfalls tatsächlicher Natur (Urteil 9C_782/2010 vom 10. März 2011 E. 4.1 mit Hinweisen).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Gesundheitszustand der Versicherten und insbesondere ihre Gehfähigkeit haben sich ab dem Jahr 2012 unbestritten verschlechtert. Aus diesem Grund unterzog sie sich vom 29. November bis 20. Dezember 2012 einer stationären Behandlung, welche eine Verbesserung der Gehstrecke, des Treppensteigens sowie eine langsame Steigerung der Belastbarkeit bewirkte (Austrittsbericht vom 30. Januar 2013). Anlässlich einer nachfolgenden neurologischen Konsultation vom 27. Februar 2013 hielt Dr. med. B.________, FMH für Neurologie, Physikalische Medizin und Rehabilitation, indes gleichwohl fest, es sei in den letzten Monaten zu einer rapiden Verschlechterung gekommen. Die Versicherte sei nur noch sehr unsicher gehfähig und extrem sturzgefährdet. Auch Hausarzt Dr. med. C.________, Allgemeine Medizin FMH, attestierte am 26. März 2013 eine Verschlechterung und bemerkte, die Versicherte sei kaum mehr gehfähig sowie "neuropsychologisch schwer eingeschränkt".
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3.2. Am 23. April 2013 fand eine Abklärung der Hilflosigkeit statt. Im Bericht vom 25. April 2013 bejahte die Abklärungsperson eine Hilfsbedürftigkeit in den Bereichen Aufstehen/Absitzen/Abliegen sowie Fortbewegung/Kontaktaufnahme im oder ausser Haus. Bei den übrigen massgeblichen Lebensverrichtungen verneinte sie eine regelmässige und erhebliche Hilfe. Ebenfalls negativ beantwortete sie die Fragen nach einer Notwendigkeit dauernder medizinisch-pflegerischer Massnahmen durch eine Drittperson sowie einer dauernden persönlichen Überwachung und nach einem Bedarf an lebenspraktischer Begleitung. Beim Punkt An-/Auskleiden hielt die Abklärungsperson fest, eine blosse Erschwerung oder Verlangsamung begründe regelmässig keine Hilflosigkeit. Aufstehen könne die Versicherte am Morgen selbstständig, gegen Abend benötige sie zunehmend Hilfe, da sie sehr unsicher auf den Beinen stehe und erheblich sturzgefährdet sei. Abends könne sie überwiegend nicht mehr selbst aufstehen, gehe aber selbstständig zu Bett. Im Bereich Körperpflege benötige sie Hilfe beim Ein- und Aussteigen in die bzw. aus der Badewanne. Ansonsten sei sie selbstständig. Überwiegend wahrscheinlich wäre das Ein- und Aussteigen mit einem Badelift wieder möglich, entsprechende Abklärungen seien in die Wege geleitet. Mit Hilfe von Haltegriffen sei der selbstständige Gang auf die Toilette möglich, teilweise werde sie von ihrem Lebenspartner wegen der Sturzgefahr begleitet. Die Versicherte selbst gab im Wesentlichen an, ihr Gesundheitszustand habe sich seit ungefähr einem halben Jahr erheblich verschlechtert, sie sei massiv sturzgefährdet und sacke plötzlich, ohne Vorwarnung zusammen. Kraft und Beweglichkeit der Hände hätten sich verschlechtert, das linke Bein sei gefühllos.
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3.3. Im Rahmen einer fachtechnischen Beurteilung in Zusammenhang mit den beantragten Hilfsmitteln hielt der Berater am 6. Mai 2013 fest, die Versicherte könne sich mit einem Rollator in der Wohnung bewegen, für längere Strecken benötige sie einen Rollstuhl. Die Wohnung befinde sich im obersten Stock. Es seien acht Treppenläufe zu überwinden, für welche die Versicherte je nach Verfassung eine knappe Stunde benötige. Im Badezimmer sei nur eine Badewanne vorhanden, in welche die Versicherte nicht mehr selber einsteigen könne. "Zur Not" habe sie den Badelift der Schwiegermutter ausgeliehen, zudem habe ihr Partner sowohl bei der Badewanne als auch beim WC Haltegriffe montiert, damit sie sich erheben könne. Anlässlich einer weiteren Hilfsmittelabklärung bezüglich eines beantragten Rollstuhls hielt die Beraterin am 4. Juni 2013 fest, die Versicherte könne nur noch wenige Schritte am Rollator zurücklegen. Um sich wieder selbstständig in der Wohnung bewegen zu können, werde ein Rollstuhl benötigt. Ein manueller Rollstuhl sei ausprobiert worden.
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3.4. Die Beschwerdeführerin machte in ihrer Beschwerde an die Vorinstanz zunächst geltend, es entspreche nicht den Tatsachen, dass sie selber kochen könne. Essen hingegen sei ihr möglich. Wegen der sehr grossen Sturzgefahr könne sie sich auch zu Hause nur im Rollstuhl fortbewegen. Ausser Haus zu gehen sei ihr seit langem nur mit Begleitung möglich; eine zahlbare andere Wohnung habe sie bislang nicht gefunden.
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Nachdem sie eine Anwältin mandatiert hatte, legte sie mit ihrer Replik Auskünfte ihres Hausarztes Dr. med. C.________ vom 4. September 2013 ins Recht. Diesem hatte sie detaillierte Beschreibungen ihrer Einschränkungen in den einzelnen Lebensbereichen vorlegen lassen, deren Richtigkeit er jeweils mit einem Kreuz bestätigte. Gemäss dessen Angaben besteht eine Hilfsbedürftigkeit beim Essen (es sei ihr wegen feinmotorischer Einschränkungen nicht mehr möglich, Gabel und Messer gleichzeitig zu benützen, Speisen zu zerkleinern und Fleisch zu schneiden), beim Ankleiden (vor allem Hosen und Unterwäsche könne sie ohne Hilfe nicht mehr anziehen, ebenso benötige sie Hilfe bei Socken und Schuhen), bei der Körperpflege (auch mit Badelift sei selbstständiges Einsteigen in die Badewanne unmöglich, Waschen gehe nur noch im Liegen, Haare waschen sei nicht mehr möglich) sowie beim Verrichten der Notdurft (sie benötige Hilfe, damit sie nicht hinfalle). Dr. med. C.________ bejahte auch einen Bedarf an lebenspraktischer Begleitung. Er fügte an, auf Grund der neurologischen Verschlechterung "in den letzten Wochen" sei die Versicherte nun im Rollstuhl, kaum mehr gehfähig und wegen progredienter Feinmotorikstörung und Ataxie der oberen Extremitäten auch in den Bereichen Essen, Körperpflege sowie Ankleiden auf die Hilfe ihres Partners angewiesen.
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4. Die Beschwerdeführerin rügt nicht, der Abklärungsbericht vom 25. April 2013 sei fehlerhaft. Sie macht aber insbesondere geltend, das kantonale Gericht habe zu Unrecht auf eine Abklärung des gesundheitlichen Verlaufs bis zum Verfügungserlass am 9. Juli 2013 verzichtet und damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt.
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4.1. Ob mit Blick auf die ärztlicherseits bestätigte rapide Verschlechterung (vorangehende E. 3.1, 3.2 und 3.4) die Hilflosigkeit bereits vor Verfügungserlass zugenommen hat, ist jedenfalls für die Anspruchsberechtigung im Verfügungszeitpunkt nicht relevant. Eine anspruchsbeeinflussende Änderung ist erst zu berücksichtigen, wenn sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate gedauert hat (Art. 88a Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 IVV). Dies gilt auch dann, wenn bei der erstmaligen Zusprechung einer Hilflosenentschädigung für verschiedene Zeitabschnitte Anspruch auf unterschiedliche Entschädigungen zufolge unterschiedlicher Grade der Hilflosigkeit besteht (BGE 125 V 256 E. 3a S. 259). Selbst eine bereits im Mai 2013 eingetretene Verschlechterung, welche indes nach den vorinstanzlichen, nicht offensichtlich unrichtigen Feststellungen hier ohnehin ausser Betracht fällt (und sich im Übrigen auch nicht mit den Feststellungen anlässlich der Hilfsmittelabklärungen deckt, wonach die Versicherte beispielsweise - wenn auch mit grossem Zeitaufwand - in der Lage war, die acht Treppenläufe bis zu ihrer Wohnung zu überwinden; vgl. E. 3.3 hievor), hätte sich frühestens ab August 2013 auswirken können (vgl. Urteil 8C_233/2010 vom 7. Januar 2011 E. 6.2). Damit bleibt es dabei, dass die Versicherte ab 1. Januar 2013 Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung leichten Grades hat.
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4.2. Mit Blick auf den im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren eingereichten Bericht des Dr. med. C.________ vom 4. September 2013 kann eine revisionsrechtlich erhebliche Verschlimmerung der Hilflosigkeit nach Verfügungserlass nicht ausgeschlossen werden. Es rechtfertigt sich daher, die Akten an die IV-Stelle zu überweisen, damit sie abklärt, ob und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung für eine mehr als leichte Hilflosigkeit zu bejahen ist (vgl. Urteil I 402/03 vom 11. Mai 2004 E. 9). Eine Erhöhung der Hilflosenentschädigung kann frühestens von dem Monat an erfolgen, in dem das Begehren gestellt wurde (Art. 88bis Abs. 1 lit. a IVV). Die Beschwerdeführerin machte bereits mit Beschwerdebegründung vom 6. September 2013 eine gesundheitliche Verschlechterung geltend. Diese Eingabe kann als Revisionsbegehren betrachtet werden (vgl. Urteil I 522/06 vom 19. Januar 2007 E. 3.4).
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5. Der Beschwerde konnten mit Blick auf die klare Rechtslage (Art. 88a Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 IVV) keine Erfolgschancen eingeräumt werden. Sie ist daher im Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG abzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang fällt eine Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausser Betracht (Art. 64 Abs. 1 BGG). Umständehalber wird auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG), weshalb das Gesuch unentgeltliche Rechtspflege insoweit gegenstandslos wird.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4. Die Akten werden an die IV-Stelle des Kantons Schwyz überwiesen, damit sie im Sinne der Erwägung 4.2 verfahre.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 21. Juli 2014
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kernen
 
Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle
 
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