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Informationen zum Dokument  BGer 6B_882/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_882/2013 vom 07.07.2014
 
{T 0/2}
 
6B_882/2013
 
 
Urteil vom 7. Juli 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln, Anklagegrundsatz, rechtliches Gehör,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 4. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
D.
 
 
E.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Anklagegrundsatz ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK. Er ist zudem in Art. 9 Abs. 1 StPO verankert. Nach Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift möglichst kurz, aber genau, die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung. Damit die Anklageschrift ihre doppelte Funktion der Umgrenzung und Information wahrnehmen kann, hat sie die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind (vgl. BGE 133 IV 235 E. 6.2 und 6.3; 126 I 19 E. 2a; je mit Hinweisen).
1
Art. 353 Abs. 1 StPO regelt den Inhalt des Strafbefehls. Dieser wird durch die Doppelfunktion des Strafbefehls als allfälliger Anklageersatz im Falle einer Einsprache (Art. 356 Abs. 1 Satz 2 StPO) und als rechtskräftiges Urteil beim Verzicht auf eine Einsprache (Art. 354 Abs. 3 StPO) bzw. beim Rückzug derselben bestimmt. Die Umschreibung des Sachverhalts, welcher der beschuldigten Person zur Last gelegt wird (Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO), muss den Anforderungen an eine Anklage genügen (Urteil 6B_848/2013 vom 3. April 2014 E. 1.3.1).
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2.2. Dem Beschwerdeführer wird im Strafbefehl das "Nichtwahren eines ausreichenden Abstands beim Hintereinanderfahren als Lenker eines Personenwagens (zeitlicher Nachfahrabstand von 0.36 Sekunden) " vorgeworfen. Der Strafbefehl äussert sich zudem zum Tatzeitpunkt (21.01.2011, 10:42 Uhr) sowie zum Tatort (in Bern, Autobahn A6) und erwähnt die anwendbaren Gesetzesbestimmungen. Bezüglich des Sachverhalts verweist er auf den Polizeirapport vom 21. Februar 2011 mit dem Hinweis "bei den Akten".
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2.3. Der Beschwerdeführer beanstandet, eine vernünftige Verteidigung sei nicht möglich gewesen. Der Tatvorwurf sei im Strafbefehl ungenügend formuliert, da nicht nachvollziehbar sei, wie gross ein Abstand bei 0.36 Sekunden tatsächlich sei. Es werde zudem nicht dargelegt, zu welchem genauen Zeitpunkt auf der Videomessung er den Abstand rechtswidrig unterschritten haben solle. Der Verweis auf den Polizeirapport vom 21. Februar 2011 könne diesen Mangel nicht heilen. Die Anklage hätte präzisieren müssen, an welcher Stelle zu welchem Zeitpunkt er die Verkehrsregelverletzung begangen haben solle, nachdem sich das Ganze über einige Kilometer auf der Autobahn abgespielt habe.
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2.4. Die Rüge ist unbegründet. Zutreffend ist zwar, dass für die Sachverhaltsschilderung im Strafbefehl ein blosser Verweis auf einen bei den Akten liegenden Polizeirapport nicht genügen kann. Vorliegend ergibt sich der Tatvorwurf jedoch aus den übrigen Angaben im Strafbefehl. Dieser präzisiert die Tat sowie den Ort der Tatbegehung und die genaue Tatzeit. Nicht erforderlich ist mit Blick auf den Anklagegrundsatz, dass im Strafbefehl bereits auf die Beweismittel Bezug genommen und erläutert wird, welche Sequenzen der Videomessung beweisrechtlich relevant sind. Ebenfalls nicht verlangt wird, dass bei Verkehrsdelikten auf Autobahnen zwingend der genaue Streckenabschnitt bspw. anhand der Kilometrierung bezeichnet wird. Nicht zu beanstanden ist zudem, wenn der gefahrene Abstand nicht in Metern, sondern in Sekunden wiedergegeben wird. Der Abstand von 0.36 Sekunden lässt genaue Rückschlüsse zu, in welchem Ausmass der Beschwerdeführer den von der Rechtsprechung geforderten Mindestabstand (vgl. dazu BGE 131 IV 133 E. 3) unterschritten haben soll. Dass der Strafbefehl in anderer Hinsicht den gesetzlichen Anforderungen an die Anklage nicht genügt, macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Im Übrigen bestehen keine Zweifel, dass der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer in der Lage war, den gegen ihn erhobenen Vorwurf zu verstehen und sich angemessen zu verteidigen (vgl. Urteil S. 8).
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanzen würden in Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV auf kantonale Entscheide abstellen, die der Allgemeinheit nicht zugänglich seien. Ihm hätte dies vor der Verhandlung daher mitgeteilt und der Entscheid vorab anonymisiert zugestellt werden müssen. Zumindest hätte er an der Hauptverhandlung mit dem unpublizierten Entscheid konfrontiert werden müssen.
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3.2. Der Einwand geht fehl. Die vom Regionalgericht zitierte und von der Vorinstanz übernommene Erwägung des Urteils des Obergerichts des Kantons Bern vom 24. Oktober 2011 gibt die theoretischen Anforderungen an die Anklageschrift wieder, wie sie auch aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bekannt sind. Der Beschwerdeführer verkennt, dass das Gericht die Parteien nur vorgängig zur rechtlichen Würdigung anhören muss, wenn es sich auf juristische Argumente zu stützen gedenkt, die jenen nicht bekannt sind und mit deren Heranziehen sie nicht rechnen müssen (BGE 130 III 35 E. 5 S. 38 f.; 126 I 19 E. 2c/aa; 124 I 49 E. 3c). Dies war vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Die Vorinstanz weist zutreffend darauf hin, dass ihr Entscheid auch ohne den Hinweis auf das Urteil vom 24. Oktober 2011 den Begründungsanforderungen genügen würde (vgl. Urteil S. 9).
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Erwägung 4
 
4.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, seine Fahrweise sei durch das rechtswidrige Verhalten der Polizei provoziert worden. Das Aufzeichnungsvideo zeige, dass die Normalspur direkt vor dem Polizeifahrzeug nicht belegt gewesen sei und die Polizei das Rechtsfahrgebot missachtet habe. Sie sei zudem mit 94 km/h statt der erlaubten 100 km/h gefahren. Die Beweismittel seien rechtswidrig erlangt worden und nicht verwertbar. Er sei dem Polizeifahrzeug aufgefahren, um sich zu zeigen.
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4.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 134 IV 36 E. 1.4.1; vgl. zum Willkürbegriff: BGE 138 I 305 E. 4.3; 137 I 1 E. 2.4).
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4.3. Die Vorinstanz setzt sich ausführlich mit der Verkehrssituation auseinander. Sie legt dar, dass auf der Videoaufzeichnung ab Sekunde 730 die Normalspur direkt vor dem Polizeifahrzeug frei ist. Ab Sekunde 743 erfolge jedoch ein Wechsel von der Frontkamera auf die Rückkamera, wobei auf der Normalspur ein etwas langsamer als das Polizeifahrzeug fahrender Personenwagen sichtbar werde, der sich zuvor im aufnahmetoten Bereich der Kamera befunden habe. Sie schliesst daraus, dass die Normalspur direkt neben dem Polizeifahrzeug belegt war, sich dieses in einem Überholmanöver befand und ein Spurenwechsel gar nicht möglich gewesen wäre. Sie stellt zudem fest, das Polizeifahrzeug habe zu Beginn der Messung die Geschwindigkeit von 100 km/h kontinuierlich auf 94 km/h gesenkt und dann wieder auf bis zu 105 km/h erhöht. Die Geschwindigkeitsschwankungen lägen im üblichen Rahmen, wie sie auch im Fahrverhalten eines beliebigen Dritten während einer längeren Strecke zu finden wären (Urteil S. 15 f.). Gestützt darauf kann den Polizeibeamten nicht vorgeworfen werden, sie hätten die Überholspur gesetzeswidrig nicht freigegeben. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung wendet, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten, da er weder geltend macht noch darlegt, die Vorinstanz habe die Beweise willkürlich gewürdigt.
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Erwägung 5
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 7. Juli 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Die Gerichtsschreiberin: Unseld
 
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