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Informationen zum Dokument  BGer 6B_175/2014  Materielle Begründung
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BGer 6B_175/2014 vom 03.07.2014
 
{T 0/2}
 
6B_175/2014
 
 
Urteil vom 3. Juli 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
X.________,
 
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Drohung gegen Behörden und Beamte sowie Schreckung der Bevölkerung; stationäre therapeutische Massnahme,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 13. November 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer anerkennt die Verurteilung wegen Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 StGB). Gegen den Schuldspruch der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB) wendet er ein, es handle sich um ein Delikt gegen den öffentlichen Frieden. Rechtsgut sei das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung, und dabei gehe es letztlich um das Vertrauen in den Bestand der Rechtsordnung. Das seien alles sehr grosse Dimensionen, die durch seine Drohung offensichtlich nicht erfüllt sind. Er habe sich unkontrolliert geäussert und "höchstens eine einzige Sozialhilfemitarbeiterin erschreckt". Es sei willkürlich und verletze überdies Art. 1 StGB, wenn plötzlich die Angestellte einer Sozialhilfebehörde als "Bevölkerung" herhalten solle. Subjektiv habe er nicht damit rechnen müssen, dass die Bevölkerung von seinen Aussagen Kenntnis erhalte und in Schrecken versetzt werde.
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2.2. Die Vorinstanz geht vom folgenden, unbestrittenen Sachverhalt aus: Am 8. Oktober 2012 führte der Beschwerdeführer ein Gespräch mit seiner Sozialarbeiterin in den Räumlichkeiten der Sozialhilfe Basel-Stadt. Dabei gab er an, dass alle Personen, die ihm bisher nicht hätten helfen können, erschossen gehörten. Er habe noch zwei letzte Chancen im Leben, entweder ein Studium im Ausland oder die Unterstützung durch die Stiftung Speranza. Falls sich beide Hoffnungen zerschlagen sollten, werde er töten. Er habe bereits eine Liste von Personen erstellt, die ihm nicht geholfen hätten. Diese Todesliste umfasse eine zwei- bis dreistellige Personenzahl. Er würde gerne mit den Händen töten, aber vermutlich werde er sich eine Waffe verschaffen müssen. Vielleicht werde er auch Suizid begehen, aber wahrscheinlich eher nicht.
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2.3. Gemäss Art. 258 StGB wird bestraft, wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt.
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2.3.1. Die Tötungsdrohungen wurden gegenüber der Sozialarbeiterin während eines dienstlichen Gesprächs in den Räumlichkeiten der Sozialhilfe und damit öffentlich geäussert. Sie richteten sich gegen eine Vielzahl von Personen. Die Literatur bejaht die Erfüllung des Tatbestands bei Äusserungen gegenüber einer Einzelperson, jedenfalls wenn diese als Repräsentantin einer Gruppe erscheint ( BERNARD CORBOZ, Les infractions en droit suisse, Band II, 3. Aufl. 2010, S. 299 Rz. 8; GERHARD FIOLKA, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 20 zu Art. 258 StGB; STRATENWERTH/BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II, 7. Aufl. 2013, § 38 N. 4; TRECHSEL/VEST, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 2. Aufl. 2013, N. 1 zu Art. 258 StGB).
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2.3.2. Der Einwand des Beschwerdeführers, er habe nicht damit gerechnet, die "Bevölkerung" zu schrecken, ist unbehelflich. Er war sich der sozialen Tragweite seines Verhaltens bewusst (so genannte "Parallelwertung in der Laiensphäre"). Daher schliesst eine unrichtige Subsumtion den Vorsatz nicht aus. Der Beschwerdeführer drohte einer grossen Personenzahl mit der Tötung und nahm damit eine Schreckung der Bevölkerung zumindest in Kauf (oben E. 2.2 am Ende). Er handelte eventualvorsätzlich.
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Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt, die stationäre Massnahme sei unverhältnismässig. Die Strafe betrage nur acht Monate und sei durch die Haft bereits deutlich überschritten. Es gebe keine Freiheitsstrafe mehr, die zugunsten der Therapie aufgeschoben werden könne. Die Vorinstanz öffne Tür und Tor für den willkürlichen Freiheitsentzug. Der Gutachter habe ihn vor der zweitinstanzlichen Verhandlung kein einziges Mal konsultiert. Es hätte ein Obergutachten eingeholt werden müssen. Es bestehe die grosse Gefahr, dass er mit schweren Nebenfolgen für eine Krankheit behandelt werde, die gar nicht vorliegt. "Es ist mit Entschiedenheit darauf hinzuweisen, dass es Straftaten gibt, die fern der Psychiatrisierung abgehandelt werden können und müssen." Der Gutachter stelle Wahnvorstellungen gerade nicht fest. Eine Schizophrenie sei sehr unwahrscheinlich.
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3.2. Dr. Y.________ kommt in seinem Gutachten vom 27. Februar 2013 zum Schluss, dass der Beschwerdeführer am wahrscheinlichsten unter Schizophrenie leidet, weniger wahrscheinlich, aber möglich sei eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, welche sich auf dem Boden eines Asperger Syndroms entwickelt hatte. Der behandelnde Arzt Dr. Z.________ schloss in seinem Bericht vom 4. Februar 2013 eine Persönlichkeitsstörung nicht aus, wollte aber das Asperger Syndrom mitberücksichtigt wissen. An der vorinstanzlichen Verhandlung führte der Gutachter aus, die Diagnose könne anfänglich schwierig sein. Wesentlich sei das Vorhandensein einer schweren psychischen Störung. Der Beschwerdeführer zeige keinerlei Krankheitseinsicht. Ein sichernder Rahmen sei notwendig, wie er bei einer stationären Behandlung angeboten werde. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Tatzeitraum an einer Schizophrenie oder alternativ an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung litt und die Störung schwer ausgeprägt ist (Urteil S. 5 f.).
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3.3. Als querulatorisch wird ein Verhaltensmuster beschrieben, "das gesteuert und dominiert wird durch die überwertige Idee, dass einem Unrecht geschehen sei" ( THOMAS NOLL, Rechtliche und kriminologische Aspekte bei Drohung gegen Behörden und Beamte durch Querulanten, ZStrR 132/2014 S. 210 ff., 218). Anders als bei einfachen Querulanten ist bei Risikoquerulanten der ständige Blick auf die Gefahr einer Gewaltstraftat wichtig. Das erfordert ein individuelles Risk Assessment. Als Risikomerkmale gelten dissoziale oder psychopathische Persönlichkeitsstörung, Verfolgungswahn, starke narzisstische Kränkbarkeit (mit daraus resultierender Wut), aktuelle oder frühere Gewaltdelikte, aktueller oder früherer Waffeneinsatz, Waffenaffinität und akute oder latente Suizidalität (a.a.O., S. 221 f.). Die Umsetzungsgefahr ist bei drohenden Querulanten mit psychotischen Störungen wie Schizophrenien und anderen wahnhaften Erkrankungen erhöht (a.a.O., S. 223). Der Autor verweist insbesondere auf das Tötungsdelikt vom 27. September 2001 im Zuger Regierungsgebäude (a.a.O., S. 211 f.).
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3.4. Der Beschwerdeführer bestreitet zu Unrecht eine Anlasstat. Art. 59 Abs. 1 lit. a StGB setzt ein Verbrechen oder Vergehen voraus. Schrecken der Bevölkerung wie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sind als Vergehen eingestuft. Die Vorinstanz verweist zutreffend auf BGE 127 IV 1 E. 2c/cc S. 8, wonach der Geisteszustand des Täters entscheidend ist und nicht das Strafmass (der Entscheid betraf Morddrohungen als Anlasstat für eine Verwahrung unter dem früheren Recht von aArt. 43 StGB). Der Beschwerdeführer erhob schwerwiegende Tötungsdrohungen. Er ist psychisch schwer gestört (zu diesem Begriff Urteil 6B_926/2013 vom 6. März 2014 E. 3.2). Die Drohungen stehen mit der psychischen Störung in Zusammenhang. Damit sind die Voraussetzungen von Art. 59 Abs. 1 lit. a StGB erfüllt.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
 
3. Es werden keine Gerichtskosten auferlegt.
 
4. Advokat Dr. Stefan Suter wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- ausgerichtet.
 
5. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 3. Juli 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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