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Informationen zum Dokument  BGer 6B_939/2013  Materielle Begründung
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BGer 6B_939/2013 vom 17.06.2014
 
{T 0/2}
 
6B_939/2013
 
 
Urteil vom 17. Juni 2014
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Mathys, Präsident,
 
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
 
Gerichtsschreiber Briw.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
X.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Zillig, Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Versuchter Mord, Mittäterschaft, Willkür,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 20. August 2013.
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
 
B.
 
 
C.
 
 
Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz schliesse willkürlich, der Beschwerdegegner habe von einer "komplikationslosen Tatbegehung" ausgehen können und nicht damit rechnen müssen, "dass mit der Waffe auch auf Menschen geschossen werden könnte". Die Beteiligten hätten den groben Tatablauf besprochen, der Beschwerdegegner habe sich die Tatwaffe übergeben lassen, und sie hätten sich maskiert und bewaffnet in den geplanten Raubüberfall hineinbegeben. Es sei nicht aussergewöhnlich, dass sich überfallene Personen zur Wehr setzen. Waffen würden mitgetragen, um eine Abwehr zu verhindern. Bei gemeinsamem bewaffnetem Raubüberfall könne der Wille, die Waffen nicht nötigenfalls auch einzusetzen, nur ausnahmsweise angenommen werden, wenn entsprechende Anhaltspunkte bestünden, beispielsweise die Waffen nicht geladen sind. Dem Beschwerdegegner sei zumindest eine Inkaufnahme der Schussabgabe durch A.________ zur Last zu legen.
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1.2. Beide Beschuldigten anerkannten weitgehend den in der Anklageschrift geschilderten äusseren Sachverhalt. Sie machten aber geltend, nicht gewusst zu haben, dass ihre Pistolen echt waren, und bestritten einen Verletzungsvorsatz. Der Beschwerdegegner behauptete, er sei zur Tat gezwungen worden. Die Vorinstanz beurteilt einen Zwang als abwegig (Urteil S. 12, 27, 29, 39) und stellt fest, dass die Pistolen echte und funktionstüchtige Schusswaffen waren (S. 27, 28, 40 f.).
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1.3. Was der Täter wusste, wollte oder in Kauf nahm, betrifft innere Tatsachen. Der Sinngehalt der zum Eventualdolus entwickelten Formeln lässt sich nur im Lichte der tatsächlichen Umstände des Falles prüfen (BGE 119 IV 242 E. 2c S. 248 mit Hinweis). Zu diesen Umständen gehört die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung. Vom Wissen lässt sich auf den Willen schliessen, wenn sich der Eintritt des Erfolges als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolges ausgelegt werden kann (BGE 133 IV 9 E. 4.1).
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1.3.1. Der Täter muss vorsätzlich bezüglich der Schaffung derjenigen Gefahr handeln, die sich schliesslich im objektiv zurechenbaren Erfolg realisierte. Inhalt des Tatplans war nicht die Tötung von Gästen. Vielmehr wollten sie diese unter Androhung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben zum Widerstand unfähig machen und bestehlen (vgl. Art. 140 StGB). Das wollten sie mit schussbereiten Waffen durchsetzen. Damit schufen sie die Gefahr, welche sich im Verletzungserfolg realisierte.
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1.3.2. Für die Kausalitätsbeurteilung kommt es auf den Erfolg in seiner konkreten Gestalt an. Auf das voluntative Vorsatzelement muss aus äusseren Tatsachen geschlossen werden. Dass sie nicht leichte Beute machen konnten, ist eine unwesentliche Abweichung vom (allenfalls) vorgestellten Kausalverlauf. Es ist insoweit unerheblich, mit welcher Erwartungshaltung sie den Raub planten. Massgebend ist, wie sie in der konkreten Situation tatsächlich handelten. Erscheint der Verhaltensablauf erlebnismässig bedingt und insoweit situationsabhängig, ist dem Täter der tatbestandserfüllende Geschehensablauf als seine Handlung schon durch die Möglichkeit bewusster Einschaltung in die unbewusst ablaufende Steuerung seines Verhaltens zurechenbar (vgl. GÜNTER STRATENWERTH, Unbewusste Finalität?, in: Festschrift für Hans Welzel zum 70. Geburtstag, hrsg. von Stratenwerth und anderen, Berlin 1974, S. 299 f.). Diese Überlegung des Autors bezieht sich auf "automatisierte" Handlungsmuster und gilt umso mehr für die bewusst ausgeführten Schussabgaben auf B.________ im Kontext mit dessen Widersetzlichkeit gegen die Ausraubung.
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1.3.3. Es ergibt sich, dass der Beschwerdegegner in gleicher Weise wie A.________ von Beginn weg mit schussbereiter, auf die Gäste gerichteter Waffe drohte und ohne Zögern auf B.________ schoss, sobald er dies situationsgemäss für zweckmässig erachtete. Zu Gunsten des Beschwerdegegners kann nicht eine "stillschweigende Absprache" auf Nichteinsatz der Waffe unterstellt und der Tat kontrafaktisch ein Wille zugrunde gelegt werden, der nirgends feststellbar ist. Massgebend ist der sich im Geschehensablauf manifestierende Wille, den Tod von Gästen als Nebenfolge des Handlungsziels (des Raubes) tatsächlich in Kauf zu nehmen. Es ist insoweit unerheblich, wie die Inkaufnahme einer tödlichen Verletzung motiviert war. Das für den Vorsatz erforderliche Wissen um den möglichen Tötungserfolg liegt in dieser Konstellation ohnehin vor.
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Erwägung 2
 
 
Erwägung 3
 
3.1. Vorsätzliche Tötung (Art. 111 StGB) ist als Mord zu qualifizieren, wenn der Täter besonders skrupellos handelt, namentlich sein Beweggrund, der Zweck der Tat oder die Art der Ausführung besonders verwerflich sind (Art. 112 StGB). Für die Annahme eines Mordversuchs genügt eventualvorsätzliches Handeln des Täters (BGE 112 IV 65 E. 3b; Urteil 6B_617/2013 vom 4. April 2014 E. 2.4 betreffend Art. 111 StGB).
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3.2. Die Vorinstanz nimmt an, dass das Motiv der Schussabgabe beim Beschwerdegegner "gerade nicht in der Durchführung und Sicherung des Raubes, sondern in der Reaktion auf den Angriff der Raubopfer auf seine Person" lag. Die Motivation von A.________ bei seiner Schussabgabe habe hingegen durchaus in der Sicherung der Fortführung des Raubes gelegen, und diese Tat wäre wohl als versuchter Raubmord zu qualifizieren gewesen (Urteil S. 51 f.).
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3.2.1. Die Argumentation überzeugt nicht. Der Schuss des Beschwerdegegners auf den am Boden liegenden B.________ erfolgte nicht als Reaktion auf dessen Angriff auf seine Person. Vielmehr eilte er A.________ zu Hilfe. Wie jener suchte er zur Durchführung des Raubes jeden Widerstand unmittelbar im Keime zu ersticken. Dass die Schussabgabe des Mittäters anders zu qualifizieren wäre als jene des Beschwerdegegners ist nicht einzusehen.
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3.2.2. Die Vorinstanz erkennt Elemente der Skrupellosigkeit darin, dass der Beschwerdegegner hemmungslos, wahllos und rücksichtslos das Magazin der Waffe leer schoss. Er habe dies aber erst getan, als A.________ "unschädlich gemacht worden war" und er sich in die Enge getrieben sah. Hier habe sich eine "Zäsur in der Motivlage" ergeben (Urteil S. 49). "Er hatte Angst und Panik und schoss wild um sich, um seine Haut zu retten" (S. 50). Angesichts dieser Motivlage könne nicht auf eine besondere Skrupellosigkeit geschlossen werden. Im Gegensatz zum Sachverhalt im Urteil 6B_188/2009 vom 18. Juni 2009 habe er nicht bloss mit einer Verhaftung durch Polizisten rechnen müssen, sondern mit einem schweren Schaden für seine Gesundheit. Für eine Flucht sei es zu spät gewesen. Es sei ihm nicht darum gegangen, die Beute zu sichern. "Er wollte sich einzig gegen die Angreifer schützen, was nicht als besonders verwerflicher Beweggrund zu qualifizieren ist" (S. 51).
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3.2.3. Die von der Vorinstanz vorgenommene Aufspaltung in einen gemeinsamen Raubversuch und einen Selbstschutz des Beschwerdegegners löst den Sachverhalt in eine tatferne Konstruktion auf. Ein Abbruch des durch den Überfall in Gang gesetzten Kausalverlaufs ist nirgends ersichtlich. Einen Exzess des A.________ zieht die Vorinstanz richtigerweise nicht in Betracht. Handlungen eines Beteiligten mit an sich unerwünschtem Erfolg begründen keinen Exzess, wenn sie sich im Rahmen des gemeinsamen Tatplans halten. Es liegt ein eskalierendes Tatgeschehen in natürlicher Handlungseinheit vor. Diese lässt sich nicht mit haltbaren Gründen in einen mittäterschaftlichen Raubversuch, einen dem Beschwerdegegner nicht zurechenbaren Tötungsversuch (allenfalls Mordversuch) des A.________ und einen nach der "Zäsur in der Motivlage" (oben E. 3.2.2) dem Beschwerdegegner zurechenbaren mehrfachen Tötungsversuch als "Reaktion auf den Angriff der Raubopfer auf seine Person" unterteilen, wobei - wie erwähnt - der Beschwerdegegner von B.________ nicht angegriffen worden war. Der Angriff auf A.________ gefährdete unmittelbar den Tatplan, weshalb der Beschwerdegegner, der die Gäste in Schach zu halten hatte, sofort schoss.
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3.3. Der Beschwerdegegner ist für sämtliche Schussabgaben mittäterschaftlich verantwortlich und entsprechend wegen mehrfachen Mordversuchs schuldig zu sprechen.
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Erwägung 4
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. 
 
2. 
 
3. 
 
Lausanne, 17. Juni 2014
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Mathys
 
Der Gerichtsschreiber: Briw
 
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